12. Szene.

[107] Rosaura, Estrella, Astolf.


ROSAURA im Hintergrunde; die beiden erblickend; für sich.

Dank dem Himmel, daß zum Ziele

meine bittern Unglücksfälle

jetzt gelangten; denn wer dies

siehet, kann vor nichts mehr beben.

ASTOLF.

Reißen will ich jenes Bildnis

aus der Brust, um Raum zu geben

deiner Schönheit holdem Bilde.

Weicht das Dunkel doch den Sternen,

wie die Sterne selbst der Sonne.

Schnell, es dir zu bringen, geh ich.


Beiseite.


O verzeihe mir, Rosaura!

diesen Unglimpf; denn Getrennte

halten keine beßre Treue,

wie die Frauen so die Männer.


Ab.


ROSAURA hervortretend, für sich.

Ich vernahm kein einzig Wort,

fürchtend, daß er mich bemerkte.[108]

ESTRELLA Rosauren erblickend.

Komm, Asträa.

ROSAURA.

Meine Fürstin!

ESTRELLA.

Ich bin froh, daß du es eben

warest, die hiehergekommen;

denn nur dir entdeck ich gerne

mein Geheimnis.

ROSAURA.

Dies gereicht

deiner Dienerin zur Ehre.

ESTRELLA.

Du gewannst, obwohl, Asträa,

ich seit kurzem erst dich kenne,

schon die Schlüssel meiner Neigung.

Drum, und weil ich so dich kenne,

wag ich nun dir zu vertrauen,

was ich oft mir selbst zu bergen

suchte.

ROSAURA.

Deine Sklavin bin ich.[110]

ESTRELLA.

Um mit kurzem dir's zu melden:

Prinz Astolf, mein Vetter (gnug ist's,

meinen Vetter ihn zu nennen;

denn gewisse Dinge lassen

sich nicht sagen als durch Denken),

wird sich bald mit mir verbinden,

wenn das Schicksal sich bequemet,

durch dies eine Glück allein

so viel Unglück zu ersetzen.

Mich verdroß, daß er am Tage

seiner Ankunft das Gemälde

einer Dame trug am Halse.

Als ich nun darüber scherzte,

ging er, höflich und galant,

es zu holen; doch mich setzt es

in Verwirrung, daß er nun

kommen wird, es mir zu geben.

Bleibe hier, und wenn er kommt,

sag, er mög es dir behänd'gen.

Weiter brauch ich nichts zu sagen;

du bist schön, du bist verständig,

und die Liebe kennst du wohl.


Ab.


Quelle:
Calderon de la Barca, Pedro: Das Leben ein Traum. Leipzig 1964, S. 107-111.
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