[119] Estrella, Rosaura, Astolf.
ESTRELLA.
Was ist dies? Astolf? Asträa?
ASTOLF beiseite.
Ha, Estrella!
ROSAURA beiseite.
Lieb, o schenke
mir Erfindung, um mein Bild mir
zu verschaffen!
Laut.
Willst du, Herrin,
wissen, was geschah, so mach ich
dir es kund.
ASTOLF zu Rosaura.
Halt ein! Bedenke ...
ROSAURA.
Du befahlst mir, hier zu warten
auf Astolf und ein Gemälde
deinerseits von ihm zu fordern.[120]
Und wie's oftmals pflegt zu gehen,
daß Gedanken aus Gedanken
sich erzeugen, kam mir eben,
da ich so allein hier weilte,
in den Sinn, weil von Gemälden
du gesprochen, daß ich meines
bei mir trug. Ich wollt's besehen
(denn wer einsam ist, pflegt oft
sich mit Possen zu ergötzen),
und da fiel mir's aus der Hand
auf die Erd. Astolf, der eben
kam, dir jenes Bild zu bringen,
hob es auf, und denkt so wenig
dein Verlangen zu erfüllen,
daß er, statt dir eins zu geben,
auch das andre will behalten;
denn durch Bitten nicht noch Flehen
konnt ich meins zurückbekommen.
Jetzt, in Ungeduld entbrennend,
wollt ich's nehmen mit Gewalt.
Jenes Bild in seinen Händen
ist das meine, wirst du sehn;
sieh nur zu, es ist mir ähnlich.
ESTRELLA.
Gebt das Bildnis wieder, Herzog.
Sie nimmt es ihm weg.
ASTOLF.
Fürstin ...[121]
ESTRELLA es betrachtend.
Wahrlich, das Gemälde
ist nicht übel, muß ich sagen.
ROSAURA.
Ist es meins?
ESTRELLA.
Wer kann's verkennen?
ROSAURA.
Fordre nun von ihm das andre.
ESTRELLA gibt ihr das Bild.
Nimm dein Bildnis hier und gehe.
ROSAURA beiseite.
Ha, mein Bildnis hab ich wieder;
mag nun, was da will, geschehen!
Ab.
Ausgewählte Ausgaben von
Das Leben ein Traum
|
Buchempfehlung
Das Trauerspiel um den normannischen Herzog in dessen Lager vor Konstantinopel die Pest wütet stellt die Frage nach der Legitimation von Macht und Herrschaft. Kleist zeichnet in dem - bereits 1802 begonnenen, doch bis zu seinem Tode 1811 Fragment gebliebenen - Stück deutliche Parallelen zu Napoleon, dessen Eroberung Akkas 1799 am Ausbruch der Pest scheiterte.
30 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.
424 Seiten, 19.80 Euro