7. Szene.

[93] Rosaura, Sigismund, Clarin, Diener.

Rosaura in Frauenkleidung.


ROSAURA für sich.

Ich folg Estrellas Wegen

und fürchte sehr, Astolf kommt mir entgegen;

denn nimmermehr erfahren

darf dieser, wer ich bin, noch mich gewahren.

Nur so ist, sagt Clotald, mein Ruf geborgen;

ihm will ich ohne Sorgen

mich ganz vertraun: denn ihm verdank ich eben,

daß ich hier Schutz erlangt für Ehr und Leben.

CLARIN zu Sigismund.

Was ist dir von dem allen,

das du hier sahst, am meisten aufgefallen?

SIGISMUND.

Erstaunen mir bereitet

hat nichts; ich war auf alles vorbereitet.

Doch müßt ich eines schauen

mit Staunen und Bewundrung, wär's der Frauen

namloser Reiz. Gelesen

hab ich in einem Buch, das mein gewesen:

Was Gottes Kunst am herrlichsten bewähre,[94]

das sei der Mann, die Welt in kleiner Sphäre.

Doch ist es, sollt ich meinen,

das Weib, weil sie ein Himmel ist im kleinen

und ihn an Reiz besiegelt,

soweit der Himmel von der Erde lieget;

zumal die ich hier sehe.

ROSAURA für sich.

Prinz Sigismund ist hier; geschwind, ich gehe.

SIGISMUND.

Halt, Schönste, sei nicht bange!

Den Aufgang füge nicht zum Niedergange,

beim ersten Schritt entfliehend,

denn, Auf- und Niedergang zusammenziehend,

Frühlicht und Abenddunkel,

verlöschest du des Tags Gefunkel.

Doch wie? Was muß ich schauen?

ROSAURA.

Ich seh' es auch; ich glaub's und kann nicht trauen.

SIGISMUND für sich.

Ich sah an andern Orten

schon diesen Reiz.

ROSAURA für sich.

Die Pracht und Größe dorten[95]

sah ich einmal umgeben

von engem Kerker.

SIGISMUND für sich.

Ja, ich fand mein Leben!


Laut.


Weib – alle Huldigungen

des Manns hat dieser Nam in sich verschlungen –

wer bist du? Zugestehen

müßt ich dir Lieb, hätt ich dich nie gesehen;

nun bist du mir beschieden,

denn sicher ist's, ich sah dich schon hienieden.

Wer bist du? Wie dein Name?

ROSAURA.

(Verstellung gilt's.) Ich bin Estrellas Dame,

vom Stern ein schwacher Flimmer.

SIGISMUND.

O nein! Die Sonne, sprich, von deren Schimmer

Estrellas Stern sein Leben

erhält, weil deine Strahlen Glanz ihm geben.

Ich sah im Reich der Düfte

der Rose Gottheit, Herrscherin der Lüfte,

vom Blumenchor umfangen,

als Kaiserin durch größre Schönheit prangen.

Ich sah, daß die Gesteine

des tiefen Schachts im kundigen Vereine

vorzogen den Demanten[96]

und, weil er heller strahlt, ihn Kaiser nannten.

Ich sah vom Sternenrate

den ersten Platz im ruhelosen Staate

dem Morgensterne geben,

und ihn zum König der Gestirn erheben.

In höhern Regionen

sah ich im Hofstaat der Planeten thronen

die Sonne frei von Makel,

des ew'gen Tages göttlichstes Orakel.

Wenn bei Planeten, Sternen, Blumen, Steinen,

stets nun die schönsten obenan erscheinen:

Wie kannst du minderm Schimmer

dich dienstbar zeigen, und bist dennoch immer

durch größrer Schönheit Wonne

Ros und Demant und Morgenstern und Sonne?


Quelle:
Calderon de la Barca, Pedro: Das Leben ein Traum. Leipzig 1964, S. 93-97.
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