14. Szene.

[189] Sigismund, Estrella, Rosaura, Soldaten, Gefolge, König, Astolf, Clotald.


SIGISMUND zu den Seinigen.

In dem Dickicht dieses Berges

zwischen seinen dunkeln Schatten

birgt der König sich; verfolgt ihn,

lasset keinen Baum im Walde

undurchstöbert; Stamm vor Stamm,

Zweig vor Zweig durchsucht sie alle.

CLOTALD zum König.

Fliehe, Herr!

BASILIUS.

Weshalb entfliehn?

ASTOLF.

Was beginnst du?[189]

BASILIUS.

Herzog, laßt mich.

CLOTALD.

Herr, was machst du?

BASILIUS.

Das, Clotald,

was mir übrig ist zu machen.


Zu Sigismund.


Kommst du, mich zu suchen, Prinz?

Sieh mich dir zu Füßen fallen;


Er kniet.


deiner Sohlen weißer Teppich

sei der Schnee von meinen Haaren.

Tritt auf meinen Hals, zerschmettre

meine Krone; stürz, entraffe

mir die alte Würd und Achtung.

Räche dich durch meine Schande,

laß mich dir als Sklave dienen;

und nach solchen Voranstalten

mag das Schicksal sein Gelübde,

mag sein Wort der Himmel halten.

SIGISMUND.

Sehr erlauchter Hof von Polen,

der von solchen Wundertaten

hier zum Zeugen wird, merk auf,

was dein Fürst dir jetzo saget:

Die Verhängnisse des Himmels,[190]

die einst auf azurne Tafeln

Gott mit seinem Finger schrieb,

der zum Schreibmateriale

sich erkor den blauen Äther,

wo die goldnen Lettern prangen –

täuschen nimmer, lügen nimmer;

wer da lügt und täuscht, ist aber

dieser, der, um Mißbrauchs willen,

sie durchforscht und offenbaret.

Hier, mein Vater, den ihr sehet,

machte, nur um sich zu wahren

vor der Wildheit meines Wesens,

mich zum Tier von Menschenansehn,

dergestalt, daß, wenn ich gleich

kraft der Reinheit meines Adels,

kraft der Hoheit meines Blutes,

kraft des Vorzugs meiner Gaben,

mild und sanft geboren ward,

dennoch solcher Lebenswandel,

solcherlei Erziehungsart

gnügen müßt ohn alles andre,

zu verwildern meine Sitten.

Schöner Weg, sie umzuschaffen!

Spräche man zu einem Menschen:

Eine wilde Bestie trachtet

dich zu töten; wär's ihm dienlich,

sie vom Lager aufzujagen,

falls er schlafend sie erblickte?

Spräche man: Von diesem Stahle,

den du trägst, wirst du den Tod[191]

einst empfahn; so wär's ein falsches

Vorsichtsmittel, ihn entblößen,

und vor ihm sich zu bewahren,

und sich auf die Brust ihn setzen.

Spräche man: Des Meeres Wasser

sind, als Monument von Silber,

dir bestimmt zum feuchten Grabe;

wär es wahrlich übles Tun,

dann sich auf das Meer zu wagen,

wann es sich zu Schneegebirgen

auftürmt, zu kristallnen Alpen.

Meinem Vater nun erging es

so wie dem, der aus dem Schlafe

weckt das Untier, das ihm drohet;

so wie dem, der, vor dem Stahle

zitternd, ihn entblößt; wie dem,

der im Sturm aufregt die Wasser.

Und war meine Wildheit (hört mich!)

solch ein reißend Tier im Schlafe,

meine Wut ein ruhend Schwert,

Meeresstille mein Gewaltsinn:

wohl, so beugt ja nie das Schicksal

sich dem Unrecht und der Rache,

denn sie reizen es nur mehr;

und so, wer zu beugen trachtet

sein Geschick, muß mit Verstand

und mit Mäßigung verfahren.

Ehe die Gefahr erscheinet,

kann sich schützen nicht, noch wahren,

wer ihr vorbeugt; denn obwohl[192]

Demut kann (klar ist die Sache)

ihn beschützen, so geschieht's

doch nur dann, wenn er im Falle

der Gefahr ist, denn kein Mittel

gibt's, um diese fernzuhalten.

Beispiel sei euch dieses seltne

Schauspiel, dieser sonderbare

Staunensanblick, dieses Graun,

dieses Wunder; denn von allem

ist das Größte dies, zu sehn,

trotz so großem Mühewalten,

überwunden, mir zu Füßen,

einen Vater und Monarchen.

Ja, ein Schluß des Himmels war's!

Wie er auch ihn aufzuhalten

strebt, er konnt es nicht. Und ich,

der ihm weichen muß an Alter,

Wissenschaft und Geistesgröße,

sollt es können? – König, Vater,


Zum König.


steh auf, reiche mir die Hand!

Da der Himmel von dem Wahne

dich befreit, auf diese Weise

ihn zu zwingen, so erwart ich

demutsvoll, daß du dich rächest;

sieh mich dir zu Füßen fallen!


Er kniet.[193]


BASILIUS ihn aufhebend.

Sohn – denn dieses edle Tun

zeuget dich zum andern Male

mir im Herzen – du bist Fürst.

Ja, der Lorbeer und die Palme,

sie gebühren dir; du siegtest;

krönen denn dich deine Taten!

ALLE.

Lebe Sigismund! Er lebe!

SIGISMUND.

Große Siege zwar erwartet

einst mein Mut noch zu ersiegen;

doch den größten jetzt erhalt ich

über mich. Gib an Rosaura

deine Hand, Astolf; du warest

längst in ihrer Ehre Schuld,

und sie einzufodern hab ich.

ASTOLF.

Freilich ist es wahr, verpflichtet

bin ich ihr; allein dem schadet,

daß sie nicht weiß, wer sie ist.

Und es wär Entwürd'gung, Schande

wär es, wählt ich mir ein Weib ...

CLOTALD.

Halt, Astolf! Nicht weiter, sag ich.

Wiß es, edler als Rosaura[195]

bist du nicht. Im offnen Kampfe

soll mein Degen sie verteid'gen;

denn genug, ich bin ihr Vater.

ASTOLF.

Du, Clotald?

CLOTALD.

Ich wollt's verschweigen,

bis ich an des edlen Gatten

Hand sie ehrenvoll erblickte.

Der Bericht währt allzu lange;

doch gewiß, sie ist mein Kind.

ASTOLF.

Ist es so? Mit Freuden halt ich

mein Versprechen.

SIGISMUND.

Daß Estrella

nicht mit Recht sich mag beklagen,

da sie einbüßt einen Fürsten

von so hohem Ruhm und Range,

will ich nun mit eigner Hand

sie vermählen einem Gatten,

der an Hoheit und Verdiensten

wenn nicht vorgeht, doch ihm nahet.


Zu Estrella.


Gib mir deine Hand.[196]

ESTRELLA.

Gewinn

ist mir solches Glücks Erlangen.

SIGISMUND.

Und Clotald, den treuen Diener

meines Vaters, ihn erwartet

hier mein Arm und jeder Lohn,

den er wünschen mag zu haben.


Er umarmt Clotald.


EINER AUS SIGISMUNDS GEFOLGE.

Ehrst du so, wer nicht dir diente:

Was werd ich denn, der des Landes

Aufstand wirkt und dich erlöste

aus dem Turme, wo du saßest,

was werd ich zum Lohn empfahn?

SIGISMUND.

Jenen Turm; und daß von dannen

nie du bis zum Tod entweichst,

geb ich dir gnugsame Wache.

Des Verräters nicht bedarf's

nach vollendetem Verrate.

BASILIUS.

Dein Verstand erregt uns Staunen.

ASTOLF.

Wie so glücklich umgewandelt![197]

ROSAURA.

Wie bedächtig und wie weise!

SIGISMUND.

Was bestaunet ihr und gaffet,

wenn ein Traum mein Lehrer war?

Wenn ich immer noch erbange

zu erwachen und von neuem

in des Kerkers engen Schranken

mich zu sehn? Und wenn auch nicht:

Gnügt's doch, solchen Traum zu haben;

denn so ward ich mir bewußt,

daß das Glück des Menschen alles

wie ein Traum vorüberschwindet.

Drum es mir zunutze machen,

will ich heut, solang es dauert,

bittend für so manchen Mangel

um Erlaß; denn edlen Herzen

eigen ist es, zu erlassen.[199]

Quelle:
Calderon de la Barca, Pedro: Das Leben ein Traum. Leipzig 1964, S. 189-200.
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