Siebzehntes Kapitel.

[276] Von dem lieblichen Gespräch, welches zwischen Don Quixote und seinem Stallmeister Sancho Pansa vorfiel, nebst andern Begebenheiten.


»Alles dieses gereicht mir keinesweges zum Mißvergnügen, so fahre denn fort«, sprach Don Quixote. »Du kamst an, und womit beschäftigte sich die Königin der Schönheit? Gewiß fandest du sie, indem sie Perlen aufreihte oder indem sie mit gedrehtem Golde eine Devise für ihren gefangenen Ritter stickte.«

»Ich fand sie«, antwortete Sancho, »indem sie zwei Scheffel Getreide auf dem Hofe ihres Hauses fegte.«

»Aber du hast gemerkt«, sprach Don Quixote, »daß die Körner des Getreides Perlenkörner waren, von ihren Händen berührt; und wenn du darauf geachtet, mein Freund, war das Getreide nicht der feinste Weizen?«

»Es war Roggen«, antwortete Sancho.

»Aber ich versichere dich«, sprach Don Quixote, »daß, von ihren Händen gefegt, ganz ohne Zweifel das feinste Weizenbrot daraus gebacken wird. Doch fahre fort; als du ihr nun meinen Brief gabst, küßte sie denselben? drückte sie ihn an den Busen? machte sie irgendeine Gebärde, die ein solcher Brief verdient? oder was tat sie?«

»Als ich ihn ihr übergeben wollte«, antwortete Sancho, »war sie gerade im eifrigsten Schütteln mit einem tüchtigen Maß Getreide, das sie im Siebe hatte, und sie sagte zu mir: ›Mein Freund, legt den Brief nur auf den Sack da, denn ich kann ihn nicht eher lesen, bis ich alles das durchgesiebt habe.‹«

»O du verständige Dame«, sprach Don Quixote, »dieses tat sie darum, daß sie ihn absonderlich für[277] sich in aller Ergötzung lesen möchte. Weiter, Sancho! Indem sie nun in ihrer Beschäftigung war, welche Gespräche führte sie mit dir? welche Fragen tat sie in Absicht meiner? und welche Antworten gabst du? Fort, erzähle alles, verschweige mir auch nicht den geringsten Umstand.«

»Sie fragte mich gar nichts«, sprach Sancho, »aber ich erzählte ihr, auf welche Weise Ihr Buße tätet zu ihrem Dienste, wie Ihr bis auf den Gürtel nackt wäret, wie ein wildes Tier in der Wüstenei herumliefet, auf dem Boden schliefet, von keinem Tischtuche äßet, Euch den Bart nicht kämmtet und Euer Schicksal beweintet und verwünschtet.«

»Daß du gesprochen, ich verwünschte mein Schicksal, darin hast du sehr unerwünscht gesprochen«, sprach Don Quixote, »denn vielmehr ist es mir erwünscht und wird mir erwünscht zeit meines Lebens bleiben, indem es mich würdig gemacht, eine so hohe Dame lieben zu dürfen, wie Dulcinea von Toboso ist.«

»Sie ist so hoch«, antwortete Sancho, »daß sie mein' Seel' wohl eine Spanne größer ist als ich.«

»Aber wie, Sancho«, sprach Don Quixote, »hast du dich denn mit ihr gemessen?«

»Ich maß mich auf folgende Art mit ihr«, antwortete Sancho, »denn als ich zu ihr trat und ihr einen Kornsack auf einen Esel laden half, da kamen wir uns so nahe, daß ich sehen konnte, wie sie wohl über eine gute Handbreit höher war als ich.«

»Diese Größe«, erwiderte Don Quixote, »schmückt sie mit tausend Millionen Annehmlichkeiten der Seele; du wirst mir aber, Sancho, eine Sache nicht leugnen können; als du neben ihr standest, empfandest du da nicht einen lieblichen Duft, einen Strom von Wohlgeruch, eine gewisse Trefflichkeit, der ich keinen rechten Namen zu geben weiß, nämlich gleichsam ein Wohlatmen, ein Sanfttun, etwa als wenn du in einem sehr vornehmen Laden eines Handschuhmachers wärst?«

»Was ich darauf zu sagen weiß«, sagte Sancho, »ist, daß ich so ein Gerüchlein, gleichsam ein bißchen menschlich, empfand, und das mochte wohl daher rühren, daß sie von der starken Bewegung in Schweiß geriet und sehr erhitzt war.«

»Das wird es nicht sein«, antwortete Don Quixote, »sondern du bist entweder verschnupft gewesen oder hast dich selbst gerochen; denn ich kenne wohl den Geruch dieser Rose unter den Dornen, dieser Lilie des Feldes, dieses aufgelösten Ambra.«

»Es kann wohl sein«, antwortete Sancho, »denn oft geht der Geruch von mir aus, von dem ich glaubte, daß er damals von der Dame Dulcinea käme, das ist aber nicht zu verwundern, denn ein Teufel ist dem andern ähnlich.«

»Nun gut«, fuhr Don Quixote fort, »also denn, als sie nun das Getreide gereinigt und zur Mühle geschickt hatte, was tat sie da, als sie meinen Brief las?«

»Den Brief«, sagte Sancho, »las sie nicht, denn sie sagte, sie könnte nicht lesen und schreiben; sondern sie riß ihn in ganz kleine Stückchen und sagte dabei, daß ihn auch kein anderer lesen sollte, damit sie im Dorfe nicht ihre Geheimnisse erführen, und daß ihr das hinreichend sei, was ich ihr mündlich von Eurer Liebe erzählt habe und von der ausnehmenden Buße, der Ihr Euch ihretwegen unterzogen; am Ende sagte sie mir denn, ich sollte Euer Gnaden sagen, daß sie Euch die Hände küsse und daß sie lieber wünschte, Euch zu sehen als an Euch zu schreiben, und daß sie Euch demütig bitte und befehle, daß Ihr Euch gleich nach Sicht aus der Einsamkeit fortbegeben und keine Unsinnigkeiten mehr unternehmen möchtet, sondern Euch sogleich auf den Weg nach Toboso machen, wenn Euch nichts Wichtigeres dazwischenkäme, denn sie trüge das allergrößte Verlangen, Euer Gnaden zu sehen; sie lachte erschrecklich, wie ich ihr sagte, daß Ihr Euch der Ritter von der traurigen Gestalt nenntet; ich fragte auch, ob der Biscayer von letztlich dagewesen, und sie sagte ja, und daß er ein ganz anständiger Kerl sei; ich fragte auch nach den Ruderknechten, aber sie sagte, daß sie bis jetzt noch keinen mit Augen gesehen hätte.«[278]

»Alles geht bis hierher gut«, sprach Don Quixote, »aber sage mir, welch ein Kleinod verehrte sie dir für die guten Nachrichten, die du von mir brachtest, beim Abschied? denn es ist ein herkömmlicher und alter Gebrauch unter den irrenden Rittern und Damen, den Stallmeistern, Jungfrauen oder Zwergen, die Botschaften von den Damen zu jenen oder zu diesen von ihren Irrenden bringen, daß sie ihnen irgendein kostbares Kleinod als Lohn und Dank für ihre Mühwaltung verehren.«

»Das mag wohl sein, und ich halte es auch für eine gute, schöne Gewohnheit, aber das muß wohl in vorigen Zeiten gewesen sein: denn jetzt ist der Gebrauch, ein Stück Brot und Käse zu verzehren, welches mir die Dame Dulcinea über die Hofmauer reichte, als sie Abschied genommen, und noch zum größeren Wahrzeichen, so war es Schafkäse.«

»Sie ist fürstlich freigebig«, sprach Don Quixote, »und wenn sie dir nicht ein goldenes Kleinod gab, so rührte dieses ohne Zweifel daher, weil sie gerade keines bei der Hand hatte, dir es zu geben; aber auch nach dem Sonntage schmeckt der Braten gut, ich werde sie sehen, und alles wird in seine Ordnung kommen. Weißt du aber, Sancho, worüber ich mich verwundern muß? daß es mir scheint, als müßtest du durch die Luft hin- und zurückgekommen sein, denn du hast nicht mehr als drei Tage gebraucht, nach Toboso hin- und zurückzugehen, da es doch von hier dahin über dreißig Meilen sind; wodurch ich überzeugt werde, daß irgendein weiser Nekromant, der sich meiner annimmt und mein Freund ist – denn allerdings habe ich einen solchen und muß ihn durchaus haben, weil ich sonst kein wahrer irrender Ritter sein würde –, ich sage, daß ein solcher deine Reise muß gefordert haben, ohne daß du es gemerkt hast: denn mancher von diesen Weisen nimmt einen irrenden Ritter wohl schlafend aus seinem Bette auf, so daß dieser, ohne zu wissen wie oder auf welche Art, tausend Meilen von dem Orte erwacht, an welchem er sich niederlegte, und wenn dieses nicht geschähe, so könnte auch nicht ein irrender Ritter dem andern zu Hülfe kommen, wenn sie sich in Gefahr befinden, wie es doch alle Augenblicke geschieht; denn es trifft sich wohl, daß der eine in den armenischen Gebirgen einen Endriago oder ein anderes schreckliches Ungeheuer oder auch einen andern Ritter bekämpft, die Schlacht gerade am schlimmsten steht und er dem Tode schon ganz nahe ist, und siehe da, plötzlich erscheint auf einer Wolke oder auf einem feurigen Wagen ein anderer Ritter, sein Freund, der sich soeben noch in England befunden hatte, der ihm beisteht und ihn vom Tode errettet, und abends ißt er dann nach Herzenslust in seinem Zimmer, und doch sind die beiden Länder durch zwei- oder wohl dreitausend Meilen getrennt, und alles dies geschieht durch Hülfe und Weisheit jener weisen Zauberer, die sich der tapferen Ritter annehmen, so daß ich leichtlich glauben kann, Freund Sancho, daß du in so kurzer Zeit von hier nach Toboso geritten und zurückgekommen seist, denn, wie gesagt, irgendein weiser Freund hat dich im Fluge davongeführt, ohne daß du es bemerkt hast.«

»So wird's auch sein«, sagte Sancho, »denn wahrlich, Rozinante lief wie ein Zigeuneresel mit Quecksilber in den Ohren.«

»Und allerdings hat er Quecksilber in sich gehabt«, sprach Don Quixote, »ja noch dazu eine Legion von Dämonen, denn diese Wesen reisen und lassen andre nach ihrem Gefallen reisen, ohne jemals müde zu werden, wenn es ihnen so gefällig ist. Aber lassen wir dieses jetzt. Was dünkt dir, daß ich nunmehr in Ansehung dessen zu tun habe, daß meine Gebieterin mir befiehlt, vor ihren Augen zu erscheinen? denn ob ich gleich weiß, daß ich verpflichtet bin, ihren Befehl auszurichten, so weiß ich doch auch, wie es jetzt unmöglich ist, da ich der Prinzessin, die mit uns zieht, die Gabe gewährt; denn die Gesetze der Ritterschaft zwingen mich, mein gegebenes Wort höher als mein Vergnügen zu achten; einerseits reizt und lockt mich die Begier, meine Gebieterin zu sehen, auf der andern ruft und reißt mich mein Versprechen hinweg sowie der Ruhm, den ich in dieser Unternehmung davontragen werde; was aber zu tun ich gedenke,[279] ist, mich eiligst auf den Weg zu begeben und mich hinzubegeben, wo sich dieser Riese befindet, wenn ich dort bin, ihm das Haupt herunterzuschlagen und die Prinzessin in den ruhigen Besitz ihres Reiches einzusetzen und augenblicklich dann nach dem Lichte zurückzukehren, welches meine Sinne erleuchtet; wo ich mich dann so entschuldigen will, daß sie selbst mein Verzögern billigen soll, weil sie versteht, daß alles zur Vermehrung ihres Ruhms und Namens geschieht, denn wie vielen Waffenruhm ich in der Zeit meines Lebens erlangt habe, erlange und erlangen werde, so fließt alles nur aus ihrer Gunst, und weil ich ganz der Ihrige bin.«

»Ach!« sagte Sancho, »wie seid Ihr doch immer auf diese Dinge versessen! Sagt mir doch, gnädiger Herr, denkt Ihr denn diese lange Reise vergebens zu machen und dann eine so reiche und herrliche Heirat, wie diese ist, mit Füßen von Euch zu stoßen, wo Ihr ein Königreich zur Mitgift kriegen würdet, das, was ich mir als gewisse Wahrheit habe sagen lassen, mehr als zwanzigtausend Meilen in seinem Umfange hat und einen Überfluß an allen Dingen, die man zur Erhaltung des menschlichen Lebens braucht, und das schöner sein soll wie Portugal und Kastilien zusammengenommen? O schweigt doch um Gottes willen still und nehmt Euch das zu Herzen, was ich gesagt habe, nehmt Vernunft an, unbeschwert, und verheiratet Euch gleich im ersten Dorfe, wo Ihr einen Priester findet, oder nehmt hier unsern Lizentiaten, der es ausrichten wird, daß es nur so sein muß; und bedenkt, daß ich jetzt alt genug bin, um guten Rat zu geben, und daß der, den ich jetzt gebe, wie gegossen ist, daß ein Sperling in der Hand besser ist als eine Taube auf dem Dache und daß ein Haben mehr wert ist als zehntausend Hätt ich; und daß man dem Glücke nicht mutwillig seine Tür versperren muß.«

»Sieh, Sancho«, antwortete Don Quixote, »wie du deinen Rat, mich zu vermählen, nur deshalb gibst, damit ich gleich König werde, wenn ich den Riesen umgebracht und es somit in meiner Gewalt steht, dich zu belohnen und dir das Versprochene zu geben, du mußt aber wissen, daß ich deinen Wunsch ohne Vermählung leichtlich erfüllen kann, denn ich werde mir das als Vorausbedingung setzen, bevor ich die Schlacht beginne, daß, wenn ich Sieger bin, sie mir, falls ich mich nicht verheirate, einen Teil des Königreichs übergeben sollen, damit ich denselben geben mag, wem ich nur will; wenn sie ihn mir geben, wem, denkst du, sollt ich ihn wohl anders geben als dir?«

»Das läßt sich hören«, antwortete Sancho, »aber seht doch ja zu, daß der Teil dann am Meere liegt, damit, wenn mir die Lebensart nicht gefällt, ich meine schwarzen Untertanen einschiffen und das mit ihnen tun kann, was ich schon gesagt habe, und Euer Gnaden mag nur nicht weiter darauf denken, nach der Dame Dulcinea zu gehen, sondern geht hin und schlagt den Riesen tot, macht das Geschäft ab, denn es wird Euch bei Gott viel Ehre und Nutzen daraus erwachsen.«

»Ich sage dir, Sancho«, sprach Don Quixote, »daß du dich darauf verlassen kannst und daß ich deinen Rat befolgen will, erst mit der Prinzessin zu ziehen, bevor ich Dulcinea sehe, hüte dich aber, an niemand nichts zu sagen, auch denen nicht, die mit uns sind, von allem dem, was wir hier miteinander abgehandelt haben; denn da Dulcinea so vorsichtig ist, daß sie nicht will, daß irgendwer ihre Gedanken erfahre, so wäre es ziemlich unschicklich, wenn sie durch mich oder einen andern verraten würden.«

»Wenn dem so ist«, sagte Sancho, »warum tut Ihr denn das, daß Ihr alle, die von Eurem Arme überwunden werden, hinschickt, daß sie sich der gnädigen Dulcinea präsentieren müssen, da doch dieses ein öffentliches Bekenntnis ist, daß Ihr sie liebt? Da auch jene vor ihr niederknien müssen und sagen, daß sie von Euch gesandt werden, als ein Zeichen Eurer Unterwerfung, wie können denn da Eure Gesinnungen verheimlicht bleiben?«

»O wie dumm und einfältig du bist!« sagte Don Quixote; »siehst du denn nicht, Sancho, daß dieses[280] nur zu ihrer größeren Verherrlichung dient? denn du mußt wissen, daß es bei uns Rittern eine große Ehre ist, wenn eine Dame viele irrende Ritter hat, die ihr dienen, ohne daß diese ihre Gedanken weiter ausdehnen, als daß sie ihr bloß deshalb dienen, weil sie es ist, ohne daß sie einen andern Lohn für ihre häufigen und großen Dienstleistungen erwarten, als daß sie sie gern zu ihren Rittern zählt.«

»Diese Art Liebe«, sagte Sancho, »habe ich oft in der Kirche predigen gehört, müsse man allein zu unserm Herrgott tragen und keine Hoffnung der Belohnung, keine Furcht vor Strafe uns dazu antreiben, ob ich ihn freilich wohl lieben und ihm dienen will, wie es nur gehen will.«

»Beim Teufel!« rief Don Quixote, »wie sprichst du manchmal für einen Bauer zu gescheit! Manchmal ist es, als hättest du studiert.«

»Und doch kann ich, bei meiner Seele, nicht lesen«, antwortete Sancho.

Indem rief Meister Niklas, daß sie ein wenig anhalten möchten, weil alle aus einem kleinen Bache trinken wollten, den sie dort gefunden. Don Quixote tat es, zu Sanchos nicht geringer Freude, der schon müde war, so viel zu lügen, und immer befürchtete, sein Herr möchte ihn ertappen; denn wenn er auch wußte, daß Dulcinea eine Bäuerin in Toboso sei, so hatte er sie doch in seinem Leben nicht gesehen. Cardenio hatte sich unterdessen die Kleider angezogen, die Dorothea anfangs getragen hatte, und ob sie gleich nicht die besten waren, so standen sie ihm doch besser als seine abgelegte Tracht. Sie lagerten sich bei der Quelle und stillten mit dem wenigen, was der Pfarrer aus der Schenke mitgenommen hatte, den großen Hunger, den alle fühlten. Indem dieses geschah, ging ein Bursche des Weges vorbei, stand still und beschaute alle sehr aufmerksam, die sich um die Quelle gelagert hatten; dann lief er auf Don Quixote zu, umfaßte seine Knie und fing von Herzen an zu weinen, indem er sagte: »Ach! Gnädiger Herr! Kennt Ihr mich nicht mehr? Seht mich nur recht an, denn ich bin der Bursche Andres, den Ihr von der Eiche losmachtet, wo ich festgebunden war.«

Don Quixote erkannte ihn, nahm ihn bei der Hand, kehrte sich zu den übrigen und sprach: »Damit Ihr allerseits, Ihr teuern Gefährten, sehen möget, wie nötig es sei, daß es irrende Ritter in der Welt gebe, die das Unrecht und die Ungebührnisse aufheben mögen, die von den schlechten und boshaften Menschen verübt werden, die in ihr leben, so erfahrt, daß, als ich in vergangenen Tagen einem Gebüsche vorüberzog, ich ein Geschrei und eine höchst klagende Stimme vernahm, wie von einer sehr betrübten und hülfsbedürftigen Person; ich eilte hinzu, von meiner Pflicht nach der Gegend getrieben, von wo mir die klagenden Töne zu kommen schienen, und fand an eine Eiche diesen Jüngling gebunden, welcher nun hier gegenwärtig ist, worüber ich mich in der Seele freue, weil er nun Zeuge sein kann, daß ich in keinem Worte eine Lüge sage; er war also an eine Eiche gebunden, bis auf den Gürtel entkleidet, und erduldete von einem Bauer die häufigen Streiche eines Pferdezaums; dieser Bauer war, wie ich nachher erfuhr, sein Herr, und sowie ich ihn sah, fragte ich ihn um die Ursache dieses schändlichen Verfahrens; der Lümmel antwortete, daß er ihn geißele, weil er sein Knecht sei und sich Unachtsamkeiten habe zuschulden kommen lassen, die mehr aus Bosheit als Dummheit herrührten; worauf dieses Kindlein aber sprach: ›Gnädiger Herr, er schlägt mich nur, weil ich meinen Lohn gefordert habe‹; worauf sich der Herr wieder mit einiger Entschuldigung hören ließ, die ich zwar vernahm, aber keineswegs zuließ; kurz, ich ließ ihn losbinden und nahm von dem Bauer einen Eidschwur, daß er ihn mit sich nehmen und bezahlen wolle, Real auf Real, und noch dazu lauter blanke und geschliffene. Ist dieses nicht alles wahr, mein Sohn Andres? Merktest du nicht, wie gewaltig ich es befahl und wie demütig er versprach, alles auszurichten, was ich ihm auferlegte und allerdings von ihm erheischte? Antworte, sei nicht zaghaft, fürchte dich nicht, sage diesen Herren alles, wie es sich zutrug, damit sie merken und einsehen, wie es nötig und nützlich, daß irrende Ritter auf den Wegen streifen.«[281]

»Alles, was der gnädige Herr da erzählt hat, ist völlig wahr«, antwortete der Bursche, »aber der Ausgang der Geschichte war durchaus anders, wie Euer Gnaden gedacht hatte.«

»Wie durchaus anders!« versetzte Don Quixote, »also bezahlte dir der Bauer nicht augenblicklich?«

»Er zahlte mir nicht nur nicht«, antwortete der Bursche, »sondern sowie Ihr den Busch verlassen hattet und wir allein waren, band er mich wieder an die nämliche Eiche und gab mir so viele Hiebe, daß er einen ordentlichen geschundenen Sankt Bartholomaeus aus mir machte; und bei jedem Streiche, den er mir gab, machte er einen Witz und Spaß, womit er Euch zum besten hatte, so daß ich über seine Reden hätte lachen müssen, wenn es mir nicht so sehr weh getan hätte; kurz, er richtete mich so zu, daß ich bis jetzt in einem Spital gewesen bin, mich von dem Übel zu kurieren, das mir der Bauer zugefügt. Von alle dem habt Ihr also nun die Schuld, denn wäret Ihr ruhig Eurer Straße gezogen und nicht hingekommen, wo Euch keiner rief, Euch nicht in fremde Händel gemischt, so hätte sich mein Herr damit begnügt, mir ein oder zwei Dutzend Schläge zu geben, dann hätte er mich losgemacht und mir bezahlt, was er schuldig war; aber da Ihr ihm ohne Not so großen Schimpf antatet und so viele harte Dinge sagtet, da wurde er böse, und da er seine Rache nicht an Euch auslassen konnte, so brach das Wetter über mich los, als er wieder allein war, und zwar so, daß ich es gewiß in meinem ganzen Leben nicht verwinden werde.«

»Der Fehler liegt darin«, sagte Don Quixote, »daß ich fortging, ich hätte nicht eher gehen sollen, bis er dich bezahlt gehabt, denn ich mußte durch lange Erfahrung wissen, daß ein gemeiner Mensch nie sein Wort hält, wenn er nicht sieht, daß es ihm Vorteil bringt, es zu halten; aber du wirst dich auch erinnern, Andres, wie ich schwur, falls er dir nicht bezahle, ihn aufzusuchen und aufzufinden, und wenn er sich in den Bauch des Wallfisches verbergen wollte.«

»Das ist wahr«, sagte Andres, »aber das hilft nichts.«

»Jetzt sollst du sehen, ob's hilft«, sprach Don Quixote, und alsbald stand er auf und befahl dem Sancho, den Rozinante aufzuzäumen, der auch weidete, indes die andern aßen. Dorothea fragte ihn, was er vorhabe. Er antwortete, daß er den Bauer aufsuchen wolle, um ihn für sein schlechtes Beginnen zu züchtigen und dem Andres bis auf den letzten Heller auszahlen zu lassen, zum Trotz aller Bauern in der ganzen Welt. Worauf sie antwortete, daß er, der Gabe gemäß, die er ihr bewilligt, sich in keine neue Unternehmung einlassen dürfe, bis er die ihrige beendigt, und da er dies besser als ein anderer wisse, so möge er sein Herz bis zu seiner Zurückkunft aus ihrem Reiche zur Ruhe stellen.

»Dies ist die Wahrheit«, antwortete Don Quixote, »und Andres muß sich, wie Ihr, meine Dame, bemerkt habt, bis zu meiner Zurückkunft gedulden, denn ich schwöre noch einmal und verspreche ihm dies von neuem, nicht eher zu rasten, bis ich seine Rache und Bezahlung vollstreckt.«

»An diese Schwüre glaube ich nicht«, sagte Andres, »mir wäre jetzt eine kleine Gabe, um nach Sevilla zu kommen, lieber als alle Rache in der ganzen Welt; wenn Ihr wollt, so gebt mir etwas zu essen und sonst ein Geschenk, und dann mögt Ihr und alle irrende Ritter mit Gott gehen, und ihr Irren mag ihnen so bekommen, wie es mir zugeschlagen hat.«

Sancho nahm etwas Brot und ein Stück Käse aus seinem Beutel, gab dies dem Jungen und sagte: »Nimm, Bruder Andres, denn uns alle betrifft dein Unglück zum Teil.«

»Wie trifft es dich denn zum Teil?« fragte Andres.

»Durch diesen Teil hier von Käse und Brot«, antwortete Sancho, »denn Gott weiß, ob ich ihn nicht noch missen werde; denn du mußt wissen, mein Freund, daß die Stallmeister der irrenden Ritter vielem Hunger und andern Unannehmlichkeiten ausgesetzt sind: hundert Dingen, die sich besser empfinden als beschreiben lassen.«[282]

Andres nahm das Stück Brot und Käse, und da er sah, daß er nichts weiter erhielt, hing er den Kopf und nahm, wie man spricht, den Weg zur Hand, doch sagte er freilich, noch ehe er fortging, zu Don Quixote: »Ich bitte Euch um Gottes willen, Herr irrender Ritter, wenn Ihr mich einmal wiederfindet und auch sähet, daß man mich in Stücke hauete, so kommt mir doch ja nicht zu Hülfe oder leistet mir Beistand, sondern überlaßt mich meinen Leiden, denn so groß werden sie nie sein, daß ich mich nicht besser dabei befinden sollte, als wenn der Gnädige mir Hülfe leistet, den Gott verwünsche, so wie alle irrenden Ritter, die nur je auf der Welt gewesen sind.«

Don Quixote wollte aufstehen, ihn zu züchtigen, aber jener lief so schnell über den Rasen fort, daß ihn keiner hätte einholen mögen. Halb rasend war Don Quixote über das Benehmen des Andres, und die übrigen mußten sich sehr in acht nehmen, nicht zu lachen, um ihn nicht völlig rasend zu machen.

Quelle:
Cervantes Saavedra, Miguel de: Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha. Berlin 1966, Band 1, S. 276-283.
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