Viertes Kapitel.

[319] Beschreibt die rühmliche und furchtbare Schlacht, welche Don Quixote mit einigen Schläuchen roten Weines hielt; zugleich wird die »Novelle von der unziemlichen Neugier« beschlossen.


Es war nur noch wenig von der Novelle zu lesen übrig, als aus dem Verschlage, in welchem Don Quixote schlief, Sancho Pansa mit großem Tumult herausstürzte und laut schrie: »Kommt, meine Herren, schnell, schnell meinem gnädigen Herrn zu Hülfe, der da in der fürchterlichsten und greulichsten Schlacht verfangen ist, die meine Augen nur jemals gesehen haben! Er hat da, mein' Seel', dem Riesen einen Hieb gegeben, dem Feinde von unserer gnädigen Mikomikonischen Prinzessin, daß er ihm den Kopf mir nichts, dir nichts wie eine Rübe heruntergesäbelt hat.«

»Wie sprichst du doch, Freund?« sagte der Pfarrer, indem er die Novelle unterbrach, »bist du denn bei dir selber, Sancho? Wie Teufel ist das möglich, da sich der Riese zweitausend Meilen von hier befindet?«

Indem hörten sie in dem Gemache ein großes Lärmen, und Don Quixote rief mit lauter Stimme: »Wehre dich, Mörder, Spitzbube, Schelm, denn jetzt hab ich dich und werde deinen Säbel für nichts achten«; zugleich klang es, als wenn er mit aller Gewalt gegen die Wände hieb. Sancho sagte: »Das ist nichts, dazustehen und zuzuhören, wir müssen hineingehen und den Kampf auseinanderbringen oder meinem Herrn beistehen, ob es freilich wohl nicht mehr nötig sein wird, denn der Riese ist gewiß schon tot und gibt Gott von seinem schlechten Wandel Rechenschaft, denn ich habe das Blut über die Erde[320] laufen sehen, und der Kopf lag herunter auf der einen Seite und war so erschrecklich wie ein großer Weinschlauch.«

»Hol mich der Teufel!« rief augenblicklich der Wirt aus, »wenn Don Quixote oder Don Beelzebub nicht gegen die großen Weinschläuche haut, die ihm zu Köpfen stehen, und der heruntergelaufene Wein ist gewiß das, was dieser edle Tölpel für Blut gehalten hat.« Er drang hierauf sogleich in das Gemach hinein, und die übrigen folgten ihm, wo sie Don Quixote in dem allerwunderlichsten Aufzuge fanden. Er stand im Hemde da, welches nicht so vollständig war, daß es ihm vorn die Lenden ganz bedeckt hätte, hinten aber war es noch um eine Handbreit kürzer; seine Beine waren lang und dürr, rauh mit Haaren bewachsen und nichts weniger als rein; auf dem Kopf trug er eine Nachtmütze, über und über voll Schmutz, die dem Wirte zugehörte, den linken Arm hatte er in jenes Bettuch verwickelt, auf welches Sancho noch immer, und aus guten Gründen, schlecht zu sprechen war, in der Rechten hielt er den entblößten Degen, womit er von allen Seiten um sich hieb und dergleichen Worte sprach, als wenn er einen wahrhaftigen Kampf mit irgendeinem Riesen hätte; das seltsamste aber war, daß er die Augen fest verschlossen hielt, denn er schlief noch und träumte, daß er eine Schlacht mit dem Riesen vornähme; seine Einbildung war nämlich so mit dem Abenteuer angefüllt, welches er zu vollbringen hätte, daß ihm vorkam, er sei bereits in dem Mikomikonischen Königreich angelangt, schon im Kampfe mit seinem Feinde begriffen, wobei er unzählige Hiebe auf die Schläuche getan, die nach seiner Meinung der Riese erhielt, daß das ganze Gemach mit Wein überschwemmt war. Als der Wirt dies gewahr wurde, ergrimmte er so, daß er den Don Quixote unterlief und ihm dermaßen mit derben Faustschlägen zusetzte, daß, wenn Cardenio und der Pfarrer ihn nicht zurückgerissen, er wahrscheinlich diesen Riesenkrieg geendigt hätte; aber von allem diesem erwachte der arme Ritter doch noch nicht, bis der Barbier einen großen Kübel mit frischem Wasser aus dem Brunnen holte und ihm diesen mit einem Guß über den ganzen Körper schüttete, worauf Don Quixote sich ermunterte, doch aber noch nicht so ganz bei sich war, daß er bemerkt hätte, in welchem Zustande er sich befand. Dorothea, die seine kurze und dünne Bekleidung wahrnahm, wollte nicht hereinkommen, um den Kampf ihres Beschützers mit ihrem Feinde anzusehen.

Sancho lief herum und suchte allenthalben auf dem Boden den Kopf des Riesen, und da er ihn nicht fand, sagte er: »Ja, ich weiß schon, daß hier im Hause alles verzaubert ist, denn an dem nämlichen Orte hier, wo ich jetzt stehe, gab man mir neulich eine Menge Püffe und Maulschellen, ohne daß ich wissen konnte, wer sie mir reichte, auch niemanden sah, und jetzt ist wieder der Kopf nirgends zu finden, den ich doch mit meinen eigenen Augen herunterschlagen gesehen habe, und daß das Blut aus dem Körper wie aus einem Springbrunnen herauslief.«

»Was für Blut und was für Springbrunnen, du Verfolger Gottes und aller seiner Heiligen!« rief der Wirt aus, »siehst du, Spitzbube, denn nicht, daß Blut und Springbrunnen nichts anderes ist als diese Schläuche, die durchstochen sind, und der rote Wein, der in der Stube schwimmt? Wofür ich dessen Seele in der Hölle sehen möchte, der sie mir so durchlöchert hat.«

»Ich begreif's nicht«, antwortete Sancho, »nur das begreif ich wohl, daß ich ein rechtes Unglückskind bin, denn wenn wir den Kopf nicht finden, so ist mir auch meine ganze Grafschaft so zergangen wie Salz im Wasser.« So war Sancho im Wachen noch verwilderter als sein Herr im Schlafe: so sehr hatten ihn die Versprechungen seines Herrn verstrickt.

Der Wirt wollte toll werden, als er die Kaltblütigkeit des Stallmeisters und die Übeltaten seines Gebieters sah, und schwur, daß es nicht so wie neulich kommen sollte, wo sie ohne Bezahlung abgereist wären, jetzt aber sollten die Privilegien der Ritterschaft keinen von beiden vor der Bezahlung schützen, so daß sie selbst die Flicken zu vergüten hätten, die man auf die zerstochenen Schläuche setzen müsse.[321]

Der Pfarrer hielt Don Quixote bei den Händen, der nun glaubte, daß er das Abenteuer beendigt habe und sich vor der Mikomikonischen Prinzessin befinde; er kniete daher vor dem Pfarrer nieder und sprach: »Nunmehr mag Eure Hoheit, erhabne und höchst ruhmvolle Dame, in Sicherheit leben, denn keine Schmach vermag Denenselben die schlecht denkende Kreatur hinführo noch zuzufügen; auch bin ich von Stund an meines gegebenen Wortes quitt, denn mit Hülfe des großen Gottes und durch Gunst derjenigen, in der ich lebe und bin, hab ich es nunmehr vollendet.«

»Hab ich's nicht gesagt?« rief nun Sancho aus, »ich war doch nicht besoffen, mein Herr hat den Riesen richtig gepfeffert, die Trompeten blasen vom Turme, meine Grafschaft kommt angesegelt.«

Wer hätte nicht über die Tollheit der beiden, des Herrn wie des Dieners, lachen müssen? Alle lachten auch, außer dem Wirte, der sich dem Teufel ergeben wollte; doch brachten es endlich der Pfarrer und Cardenio dahin, daß man mit großer Anstrengung Don Quixote wieder zu Bette brachte, wo er auch äußerst erschöpft von neuem einschlief. Sie ließen ihn schlafen und gingen nach dem Tor der Schenke, um Sancho zu trösten, daß er den Kopf des Riesen nicht gefunden hatte, aber sie hatten weit mehr zu tun, den Wirt zu besänftigen, der über die plötzliche Ermordung seiner Schläuche in Verzweiflung war, und die Wirtin heulte mit lauter Stimme: »O du verfluchte Unglücksstunde, in der dieser irrende Ritter in unser Haus gekommen ist, o so hätten ihn doch meine Augen niemals gesehen, da er mir so teuer zu stehen kommt! Letzthin reist er ab, ohne für Abendessen, Heu und Haber für ihn und seinen Stallmeister, eine Mähre und einen Esel zu bezahlen, und spricht, er sei ein abenteuernder Ritter (o wollte Gott doch allen Abenteurern, die auf Erden leben, ihre Abende teuer bezahlen lassen) und daß er deswegen nichts zu bezahlen brauche und daß das in den Taxen der irrenden Ritterschaft buchstäblich so vorgeschrieben stehe; dann kommt seinetwegen der andere Herr daher und nimmt mir meinen Schwanz weg, den er mir nun nicht ein Viertel so gut wiedergebracht hat, denn er ist ganz zerpflückt und taugt jetzt nicht mehr dazu, wozu ihn mein Mann brauchen will; endlich und zum Beschluß werden meine Schläuche zerstochen und mein Wein verschüttet; oh, wenn ich dafür nur könnte sein Blut verschüttet sehen! Aber bei den Gebeinen meines Vaters und dem Leichnam meiner Mutter, daß er es nur nicht wieder so zu machen denkt, sondern er soll mir alles bis auf den letzten Pfennig bezahlen, oder ich will nicht so heißen, wie ich heiße, und meinen ehrlichen Namen verlieren.«

Diese und andere Redensarten stieß die Wirtin im höchsten Grimme aus, und ihre wackere Magd Maritorne stand ihr redlich bei; die Tochter schwieg und lachte von Zeit zu Zeit heimlich für sich selber. Der Pfarrer beruhigte alle und versprach, soviel er imstande sei, allen Verlust zu ersetzen, sowohl in Ansehung der Weinschläuche als auch besonders in Ansehung des verdorbenen Schwanzes, von dem so viel gesprochen werde. Dorothea tröstete auch Sancho Pansa und sagte ihm, daß, wenn es gewiß sei, daß sein Herr dem Riesen den Kopf heruntergehauen habe, sie ihm verspräche, sobald ihr Reich nun beruhigt sei, ihm die schönste Grafschaft zu geben, die sich darin befinde.

Hiermit war Sancho getröstet und versicherte die Prinzessin, daß er es ganz gewiß wisse, daß er den Kopf des Riesen gesehen habe, und zum größern Wahrzeichen habe er einen Bart, der bis auf den Gürtel reiche, und wenn er jetzt nicht zu finden wäre, so komme das daher, weil alles, was sich in diesem Hause zutrage, vermittelst Zauberei geschehe, wie er schon neulich erfahren, da er hier geherbergt. Dorothea sagte, daß sie das auch glaube und daß er nur ohne alle Sorgen sein möchte, denn alles würde gut gehen und so kommen, wie man es nur wünschen könne.

Als alle beruhigt waren, wollte der Pfarrer die Novelle zu Ende lesen, denn er sah, daß nur noch wenig übriggeblieben. Cardenio, Dorothea und die übrigen baten ihn auch darum; er, um allen das Vergnügen zu machen und auch weil er selbst sie gern las, fuhr in der Erzählung folgendermaßen fort:[322]

Seitdem führte Anselmo in der Überzeugung von Camillas Tugend das vergnügteste und zufriedenste Leben. Camilla machte dem Lotario stets ein verdrüßliches Gesicht, damit Anselmo über ihre wahre Gesinnungen im Irrtum bliebe, und Lotario, um dies noch mehr zu bestätigen, bat ihn um die Erlaubnis, sein Haus nicht mehr besuchen zu dürfen, denn er merke deutlich den Verdruß, den Camilla über seine Besuche empfinde; aber der betrogene Anselmo verlangte, daß er dies durchaus nicht unterlasse, und so arbeitete Anselmo auf tausend Arten an seiner eigenen Schande, indes er glaubte, sich glücklich zu machen.

Leonella, die ihre Liebe nun autorisiert sah, kam endlich dahin, alle andre Rücksichten zu vergessen und sich ihrer Leidenschaft zügellos hinzugeben; denn sie verließ sich darauf, daß ihre Gebieterin sie verbergen helfe, ja ihr sogar die Mittel angebe, wie sie am besten ihr Betragen einrichten könne. So hörte in einer Nacht Anselmo im Zimmer der Leonella jemanden gehen, und als er hineinwollte, um nachzusehen, wer es sei, fühlte er die Tür zugehalten; dadurch wurde er noch mehr veranlaßt, sie aufmachen zu wollen, und es gelang ihm endlich mit großer Anstrengung. Sowie er hineintrat, bemerkte er, daß ein Mensch aus dem Fenster auf die Gasse hinunterspringe; indem er nun sehr schnell nacheilen wollte, um ihn festzuhalten oder zu erkennen, konnte er weder das eine noch das andere ausrichten, denn Leonella umfaßte ihn und sagte: »Seid ruhig, gnädiger Herr, erzürnt Euch nicht und geht dem nicht nach, der dort hinuntersprang; die Sache betrifft mich, denn er ist mein Mann.«

Anselmo wollte ihr nicht glauben, sondern ergriff blind vor Zorn seinen Dolch, um Leonella niederzustechen, wobei er sagte, sie solle die Wahrheit bekennen oder er würde sie sogleich umbringen. Sie, voll Furcht, ohne zu wissen, was sie spräche, sagte: »Bringt mich nicht um, Señor, denn ich will Euch Sachen von solcher Wichtigkeit bekennen, wie Ihr Euch nicht vorstellen könnt.«

»Sogleich bekenne sie«, rief Anselmo aus, »wenn du nicht des Todes sein willst.«

»Jetzt ist es mir unmöglich«, sagte Leonella, »denn ich bin zu sehr erschrocken, laßt mir bis morgen früh Zeit, so sollt Ihr erfahren, was Euch in Erstaunen setzen wird; aber seid versichert, daß derjenige, der aus dem Fenster sprang, ein junger Mensch hier aus der Stadt ist, der mir die Hand darauf gegeben hat, mich zu heiraten.«

Anselmo gab sich hiermit zufrieden und bewilligte ihr die Frist, um die sie bat, denn er glaubte nicht, gegen Camilla etwas zu hören, weil er von ihrer Vortrefflichkeit zu sehr überzeugt war; er ging also aus dem Zimmer, in das er Leonella verschloß, indem er ihr ankündigte, daß sie es nicht verlassen werde, bis sie ihm alles gesagt, was sie ihm zu vertrauen habe. Er ging sogleich zu Camilla und erzählte ihr alles, was sich mit dem Mädchen zugetragen hatte und wie sie ihm versprochen, ihm wichtige und äußerst erhebliche Sachen zu entdecken. Ob Camilla erschrak oder nicht, ist keine Frage, denn sie wurde so sehr von Furcht und Bestürzung überfallen, weil sie mit aller Wahrscheinlichkeit glaubte, daß Leonella dem Anselmo alles von ihrer Untreue erzählen würde, daß sie keinen Mut übrigbehielt, um abzuwarten, ob ihr Argwohn gegründet oder ungegründet sei, sondern noch in der nämlichen Nacht, als Anselmo eingeschlafen war, nahm sie ihre besten Kleinodien und etwas Geld und ging so, ohne von jemandem bemerkt zu werden, aus dem Hause, worauf sie sich sogleich zu Lotario begab, dem sie alles erzählte und ihn bat, sie zu verbergen oder daß sie beide irgendwo hingehen möchten, wo sie vor Anselmo sicher sein könnten. Die Verwirrung, in die Lotario durch Camilla gesetzt wurde, war so groß, daß er kein Wort hervorbringen konnte und noch weniger wußte, wozu er sich entschließen sollte. Endlich schlug er vor, Camilla in ein Kloster zu bringen, von dem die Priorin seine Schwester war. Camilla willigte ein, und mit der Eile, die die Lage der Sache forderte, brachte er sie dorthin und ließ sie im Kloster, er selbst aber verließ die Stadt, ohne irgend jemandem Nachricht davon zu geben.[323]

Als es Tag wurde, stand Anselmo auf; ohne zu bemerken, daß Camilla an seiner Seite fehle, ging er sogleich nach dem Zimmer, in welches er Leonella verschlossen hatte, begierig, das zu erfahren, was sie ihm entdecken wollte. Er schloß auf und ging hinein, fand aber Leonella nicht, sondern sah außerhalb des Fensters aneinandergeknüpfte Tücher, ein deutliches Zeichen, daß sie sich daran heruntergelassen habe. Traurig ging er zurück, um Camillen diese Botschaft zu bringen, da er sie aber weder im Bette noch im ganzen Hause fand, stand er wie erstarrt. Er fragte die Dienerschaft, aber keiner konnte ihm Nachricht geben. Da er noch nach Camillen suchte, traf er die eröffneten Schränke und sah, daß ihm der größte Teil seiner Juwelen fehle, und hiermit befiel ihn die völlige Überzeugung seines Unglücks, und daß Leonella nicht die Ursache seines Elendes sei. So wie er war, ohne sich völlig anzukleiden, ging er aus, um seinem Freunde Lotario von seinem Schicksale Nachricht zu geben; da er aber auch diesen nicht fand und ihm die Diener sagten, daß er in dieser Nacht sein Haus verlassen und alles Geld mit sich genommen habe, glaubte er wahnsinnig zu werden; als er nun zuletzt in sein eigenes Haus zurückkehrte, fand er auch dort keinen einzigen von seinen Dienern oder Mägden, sondern das Haus stand wüst und öde. Er wußte nicht, was er sagen, denken oder tun sollte, und nach und nach verließ ihn das Bewußtsein. In einem Augenblicke sah er sich von Gattin, Freund und Dienerschaft verlassen, nach seinem Gefühl vom Himmel verhöhnt, der ihn bedeckte, und aller Ehre entblößt, denn in Camillens Entweichung fand er ihren Untergang. Nach einer geraumen Zeit entschloß er sich endlich, sich zu seinem Freunde auf dem Dorfe zu begeben, wo er sich aufgehalten, als er den Plan zu seinem eigenen Verderben eingeleitet hatte. Er verschloß die Türen seines Hauses, stieg zu Pferde und begab sich mit schnellster Eile auf den Weg; er hatte aber noch nicht die Hälfte seiner Reise zurückgelegt, als er, von seinen Vorstellungen überwältigt, gezwungen war, abzusteigen und das Pferd an einen Baum zu binden, an dessen Stamm er mit heftigen und schmerzvollen Seufzern nieder sank und dort liegenblieb, bis es Abend wurde; um diese Zeit sah er einen Menschen zu Pferde von der Stadt herkommen, und nachdem er ihn gegrüßt, fragte er, was es in Florenz Neues gäbe.

Der aus der Stadt antwortete: »Das Seltsamste, was sich wohl seit langer Zeit mag zugetragen haben; denn man sagt öffentlich, daß Lotario, der vertraute Freund des reichen Anselmo, in dieser Nacht Camilla, die Frau Anselmos, entführt habe, der auch nicht zu finden ist; alles dieses hat eine Magd Camillas ausgesagt, die in der Nacht der Statthalter hat aufgreifen lassen, indem sie sich eben an Tüchern aus den Fenstern des Hauses herabgelassen hat; genau kann ich nicht sagen, wie sich die Geschichte zugetragen hat, aber die ganze Stadt ist über diese Begebenheit in Erstaunen, denn dergleichen ließ sich nicht von der zärtlichen Freundschaft der beiden erwarten, die man nur immer vorzugsweise die beiden Freunde nannte.«

»Wißt Ihr vielleicht«, fragte Anselmo, »welchen Weg Lotario und Camilla genommen haben?«

»Nicht das mindeste«, antwortete der aus der Stadt, »obgleich der Statthalter allen möglichen Fleiß hat anwenden lassen, um sie aufzusuchen.«

»Geleit Euch Gott, mein Herr«, sagte Anselmo. »Er beschütze Euch«, antwortete jener und ritt weiter.

Durch diese unglückseligen Nachrichten kam es nun nach und nach mit Anselmo so weit, daß er nicht nur den Verstand verlor, sondern auch sein Leben beschloß. Er erhob sich, so gut er konnte, und erreichte die Wohnung seines Freundes, der noch von seinem Mißgeschick nichts wußte; da er ihn aber bleich, entstellt und hohläugig sah, nahm er wohl daraus an, daß ihm irgendein großes Unglück zugestoßen sein müsse. Anselmo bat gleich, daß man ihn zu Bett bringen und ihm eine Anstalt zum Schreiben machen möchte. Man tat es, man ließ ihn im Bett und allein, denn das hatte er auch befohlen, ja sogar, daß man die Tür verschließen möchte.[324]

Wie er sich nun allein befand, stellte er sich sein ganzes Elend mit solcher Lebhaftigkeit dar, daß er deutlich fühlte, wie sein Leben zu Ende gehe, deshalb nahm er sich vor, eine Nachricht von der Ursache seines wunderbaren Todes zu hinterlassen; er fing daher an zu schreiben, aber noch ehe er seinen Entschluß ausgeführt, entging ihm der Atem, und er überließ sein Leben der Qual, die ihm sein grübelnder Fürwitz verursacht hatte.

Als der Herr des Hauses sah, daß es spät wurde und daß Anselmo nicht rief, beschloß er, in das Zimmer zu gehen, um zu erfahren, ob seine Unpäßlichkeit vielleicht zugenommen habe; er fand ihn mit dem Gesichte herabgesunken, den Körper halb im Bette und halb auf dem Schreibtische, auf dem ein beschriebenes Blatt lag; die Feder hielt er noch in der Hand. Der Hausherr ging auf ihn zu und rief ihn, dann schüttelte er seine Hand, da er aber sah, daß jener nicht antwortete, auch fühlte, wie er kalt war, begriff er, daß er gestorben sei. Er verwunderte und entsetzte sich sehr und rief die Leute in seinem Hause herbei, um zu sehen, was dem Anselmo zugestoßen sei; endlich las er auch das Blatt, welches er für seine Handschrift erkannte und das folgende Worte enthielt:


Ein törichtes und fürwitziges Verlangen hat mir das Leben geraubt. Wenn die Nachricht von meinem Tode zu Camillas Ohren kommt, so soll sie wissen, daß ich ihr vergebe, denn sie war nicht verpflichtet, Wunder zu tun, wie ich auch nicht berechtigt war, diese von ihr zu verlangen; da ich nun selbst meine Schande veranlaßt, so ist es – – –


So weit hatte Anselmo geschrieben, so daß man sehen konnte, er hatte, ehe er den Perioden hatte beendigen können, sein Leben geendigt.

Am andern Tage gab sein Freund den Verwandten Anselmos Nachricht von seinem Tode, die schon sein Unglück kannten und auch das Kloster wußten, in dem sich Camilla aufhielt, auch schon beinahe im Begriff, ihren Gemahl auf jener erzwungenen Reise zu begleiten, nicht deshalb, weil sie seinen Tod vernommen, sondern wegen dessen, was sie von ihrem abwesenden Freunde erfuhr. Ob sie gleich Witwe war, so wollte sie doch das Kloster nicht verlassen, noch weniger aber Nonne werden, bis sie – schon nach einigen Tagen – die Nachricht bekam, daß Lotario in einer Schlacht geblieben sei, die damals Monsieur de Lautrec dem Großen Feldherrn Gonzalo Fernandez de Kordova im Königreiche Neapel lieferte, wohin sich der zu spät bereuende Freund begeben hatte. Als Camilla dies erfuhr, ließ sie sich einkleiden und endigte nach wenigen Tagen ihr trauriges Leben, von ihren Schmerzen besiegt.

Dies war das Ende, das alle nahmen und das aus einem so unseligen Anfange entstand.


»Die Novelle«, sagte der Pfarrer, »gefällt mir; doch kann ich unmöglich glauben, daß sie wahr sei; ist sie aber erfunden, so hat sie der Verfasser schlecht erfunden, denn man kann sich keinen so törichten Mann denken, der eine so gefährliche Probe wie Anselmo anstellen sollte. Wäre diese Begebenheit zwischen einem Liebhaber und seiner Dame vorgefallen, so wäre es zu ertragen, aber zwischen Mann und Weib scheint es mir durchaus unmöglich; was aber die Art betrifft, wie die Geschichte erzählt ist, so hat mir daran nichts mißfallen.«

Quelle:
Cervantes Saavedra, Miguel de: Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha. Berlin 1966, Band 1, S. 319-325.
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