Drittes Kapitel.

[470] Von dem borstigen Abenteuer, welches Don Quixote zustieß.


Die Nacht war ziemlich finster, ob sich gleich der Mond am Himmel befand, aber er war nicht da, wo er gesehen werden konnte, denn Frau Diana geht oft zu den Antipoden spazieren und läßt alsdann die Berge schwarz und die Täler voller Dunkelheit. Don Quixote gab der Natur nach und schlief den ersten Teil der Nacht, ohne sich nachher vom Schlummer überwältigen zu lassen; sehr von Sancho unterschieden, der niemals wieder zu sich kam, sondern vom Abend bis zum Morgen in einem Stücke schlief, was sein gutes Naturell und seine wenigen Sorgen bewies. Die des Don Quixote hielten ihn so munter, daß er den Sancho erweckte und zu ihm sagte: »Ich verwundere mich, Sancho, über dein unbefangenes Gemüt. Ich glaube, du bist aus Marmor oder aus hartem Erze gemacht, in welchen weder Bewegung noch Empfindung stattfindet. Ich wache, wann du schläfst, ich weine, wann du singst, ich sterbe vor Hunger, wann du von Übersättigung träge und ohne Atem bist. Redliche Diener müssen die Sorgen ihrer Herren teilen und ihre Empfindungen mit empfinden, wenigstens des Anstandes halber. Betrachte die Heiterkeit dieser Nacht, die Einsamkeit, in der wir uns befinden, welche uns einladet, zwischen unserm Schlafe doch eine Nachtwache einzuschieben. Stehe doch auf um Gottes willen, abseitige dich ein wenig von hier und gib dir mit edlem Gemüte und dankbarer Empfindung dreihundert oder vierhundert Hiebe, auf Abschlag derjenigen, die du zur Entzauberung der Dulcinea vollbringen mußt; mit sanften Bitten verlange ich[471] dieses von dir, denn ich will nicht mit dir, wie neulich, wieder zum Faustgemenge kommen, in welchem ich das Gewicht deiner Fäuste empfunden habe. Hast du dieses getan, so wollen wir den übrigen Teil der Nacht damit zubringen, daß ich meine Entfernung besinge und du deine Treue, wodurch wir denn gleich unsre Schäferübungen anfangen können, die wir in unserm Dorfe fortsetzen wollen.«

»Gnädiger Herr«, antwortete Sancho, »ich bin kein Mönch, daß ich mitten aus dem Schlafe aufstehen und mich geißeln sollte, noch weniger will es mir gut deuchten, daß man von den schrecklichen Schmerzen der Hiebe sich gleich wieder zur Musik bequemen könnte. Laßt mich schlafen und quält mich nicht damit, daß ich mich hauen soll, sonst will ich einen Schwur tun, daß ich niemals mein Kleid damit anrühre, geschweige mein Fleisch.«

»O verhärtete Seele! O Stallmeister ohne Gefühl! O schlecht angewandtes Brot und übel vergoltene Liebe, die ich dir erwiesen habe und noch erweisen wollte! Durch mich bist du Statthalter gewesen, und durch mich hast du die nächste Anwartschaft, Graf zu werden oder eine ähnliche Würde zu bekleiden, und die Erfüllung dieser Hoffnungen wird sich nicht länger als dieses Jahr verzögern, denn was mich betrifft: Post tenebras spero lucem.«

»Das verstehe ich nicht«, versetzte Sancho; »ich verstehe nur so viel, daß, solange ich schlafe, ich weder von Furcht noch von Hoffnung etwas weiß, weder von Mühseligkeit noch von Pracht, und gepriesen sei der, der den Schlaf erfunden hat, den Mantel, der alle menschlichen Sorgen zudeckt, das Essen, das den Hunger stillt, das Wasser, das den Durst vertreibt, das Feuer, das die Kälte erwärmt, die Kälte, die die Hitze mildert, und kurz, das allgemeine Geld, für welches alle Dinge gekauft werden können, die Waage und das Gewicht, welches den Schäfer und den König, den Dummen und den Verständigen gleichmacht. Ein einziges böses Ding hat der Schlaf, wie ich mir habe sagen lassen, daß er nämlich dem Tode so ähnlich sieht, denn zwischen einem Schlafenden und einem Toten ist nur ein geringer Unterschied.«

»Niemals habe ich dich, Sancho« sagte Don Quixote, »so zierlich als jetzt sprechen hören, woraus man sehen kann, daß das Sprichwort recht hat, welches du manchmal anzuführen pflegst: Nicht mit wem du geboren, sondern mit wem du geschoren.«

»Ei! sieh da!« versetzte Sancho, »seht doch unsern gnädigen Herrn! Nun bin ich es wohl wieder, der Sprichwörter von sich gibt? Sie fallen Euch ja auch in größern Brocken als mir aus dem Munde; doch muß wohl freilich unter den Eurigen und den meinigen der Unterschied sein, daß Eure zur rechten Zeit und die meinigen zur Unzeit eintreffen; aber am Ende sind es doch alles Sprichwörter.«

So weit waren sie, als sie ein seltsames Geräusch und rauhes Getöse vernahmen, welches sich durch alle dortigen Täler verbreitete. Don Quixote stellte sich aufrecht und griff zum Degen. Sancho aber verschanzte sich unter dem Grauen, indem er zu seinen Seiten die aufgehäuften Waffen und den Sattel seines Esels hinstellte, wobei er vor Furcht aber so zitterte, wie Don Quixote verwundert war. Das Getöse nahm jeden Augenblick zu und näherte sich den beiden Furchtsamen, wenigstens war dies der eine, denn der Mut des andern ist bekannt. Die Sache war, daß mehrere Menschen eine Herde von mehr als sechshundert Schweinen zum Verkaufe nach einem Jahrmarkte trieben, mit denen sie jetzt den Weg machten und die solchen Lärm mit Grunzen und Schreien erregten, daß Don Quixote und Sancho davon betäubt wurden und nicht darauf fielen, was es sein möchte. In einem Truppe kam die große und grunzende Herde herbei, und ohne für die Würde des Don Quixote noch für den Sancho Achtung zu beweisen, liefen sie über die beiden weg, zerstörten das Bollwerk des Sancho und rissen nicht nur den Don Quixote um, sondern warfen noch überdies den Rozinante über den Haufen. Das Getrappel, das Gegrunze, die Hast, mit der diese unsauberen Tiere herbeikamen, brachte alles in Verwirrung und schmiß den Eselsattel, die Waffen, den Grauen, den Rozinante, Don Quixote und Sancho auf der Erde durcheinander. Sancho stand auf,so gut er es konnte, foderte den Degen von seinem Herrn und sagte, daß er ein Dutzend von diesen Kerlen und unhöflichen Schweinen umbringen wolle: denn er hatte nun erkannt, daß sie dergleichen waren. Don Quixote sagte zu ihm: »Laß sie fahren, Freund, denn dieser Schimpf ist die Buße meiner Sünden, und es ist eine gerechte Strafe des Himmels, daß einen besiegten irrenden Ritter die Hunde fressen, die Wespen stechen und die Schweine mit Füßen treten.«

»So muß es auch wohl eine Strafe des Himmels sein«, antwortete Sancho, »daß die Stallmeister der besiegten Ritter die Mücken stechen, die Läuse fressen und der Hunger sie aufreibt. Wenn wir Stallmeister noch Söhne der irrenden Ritter wären, denen wir dienen, oder nahe Anverwandte, so ließe es sich begreifen, daß die Strafe für ihre Sünden bis in das vierte Glied fortdauerte. Aber was haben doch die Pansas mit den Quixotes zu schaffen? Jetzt wollen wir uns wieder niederlegen und die wenige Zeit von der Nacht noch verschlafen, es wird Tag werden, und wir werden ja sehen.«

»Schlafe du, Sancho«, antwortete Don Quixote, »denn du wurdest geboren, um zu schlafen, wie ich, um zu wachen; in der Zeit, welche noch bis zum Tage übrig ist, will ich meinen Sorgen ihren Lauf lassen und sie in einem Madrigalchen ausströmen, welches ich, ohne daß du es weißt, heute nacht in meinem Gedächtnisse ausgearbeitet habe.«

»Ich meine«, antwortete Sancho, »daß die Sorgen, die einen noch Verse machen lassen, nicht sehr groß sein müssen; Ihr mögt reimen, soviel Ihr nur wollt, und ich will schlafen, soviel ich kann.« Und zugleich nahm er auf der Erde soviel Raum ein, als ihm gut dünkte, knäuelte sich zusammen und schlief einen festen Schlaf, ohne daß ihm Bürgschaften noch Schulden, noch irgendein Schmerz hinderlich fielen. Don Quixote, an den Stamm einer Buche oder eines Korkbaumes gelehnt – denn Cide Hamete Benengeli nennt den Baum nicht ausdrücklich –, sang zum Ton seiner eignen Seufzer folgendes:


Erwäg ich deine Leiden,

O Liebe, die mich heiß und quälend brennen,

Will ich zum Tode rennen,

Auf ewig von der tiefen Qual zu scheiden;


Kaum kann ich dich erreichen,

O Hafen du in diesem Meer der Schmerzen,

Fühl ich so Lust im Herzen,

Daß Leben Kraft gewinnt und nicht will weichen.


So tötet mich das Leben,

Das Leben wird vom Tode mir geliehen;

Wohin soll ich entfliehen,

Da Leben mir und Tod nicht Ruhe geben?


Jeden dieser Verse begleitete er mit vielen Seufzern und nicht wenigen Tränen, wie einer, dessen Herz ebensowohl vom Gram über seine Besiegung wie über die Abwesenheit der Dulcinea durchdrungen war. Indem kam der Tag, und die Sonne traf mit ihren Strahlen auf die Augen des Sancho, der erwachte und sich streckte, seine trägen Glieder ausschüttelnd und ausreckend; er sah die Zerstörung, welche die Schweine in seinen Sachen angerichtet hatten, wobei er die Tiere und alles übrige verfluchte.

Endlich setzten beide wieder ihre angefangene Reise fort, und als es gegen Abend war, sahen sie, daß[475] ihnen zehn Menschen zu Pferde und vier oder fünf zu Fuß entgegenkamen. Das Herz des Don Quixote ward erschüttert und das des Sancho erstarrte, denn die Leute, die auf sie zukamen, führten Lanzen und Schilde und sahen ganz kriegerisch aus. Don Quixote wandte sich zu Sancho und sagte: »Wenn ich jetzt, Sancho, meine Waffen üben dürfte und mein Versprechen mir nicht die Arme gefesselt hielte, so würde ich diesen Heerhaufen, der uns dort entgegenzieht, nur für Marzipan und Honigkuchen halten; doch kann es auch etwas anderes sein, als was wir fürchten.«

Die zu Pferde kamen nun herbei und legten die Lanzen ein, stellten sich, ohne ein Wort zu sprechen, um Don Quixote und setzten sie ihm auf Brust und Rücken, indem sie ihm mit dem Tode drohten. Einer von denen zu Fuß legte den Finger auf den Mund, zum Zeichen, daß er schweigen solle, faßte den Rozinante beim Zügel und führte ihn vom Wege ab, die übrigen, die zu Fuß waren, trieben Sancho und den Grauen an, wobei sie alle ein wundersames Stillschweigen beobachteten; sie folgten dem, der den Don Quixote führte, der zwei- oder dreimal fragen wollte, wohin sie ihn brächten, aber er hatte kaum die Lippen bewegt, als sie sie ihm schon wieder mit den Spitzen der Lanzen verschlossen; dem Sancho begegnete das nämliche, der sich kaum zum Sprechen anschickte, als ihn einer von denen zu Fuß mit einem Pfriemen stach und den Grauen ebenfalls, als wenn dieser auch sprechen wollte.

Die Nacht brach herein, sie beschleunigten ihren Weg, und bei den beiden Gefangenen nahm die Furcht zu, besonders als sie hörten, daß man sie von Zeit zu Zeit so anredete: »Fort, ihr Troglodyten, schweigt, Barbaren, wartet nur, Anthropophagen, beklagt euch nicht, ihr Scythen, tut die Augen nicht auf, ihr mörderischen Polyphemen, ihr würgerischen Löwen!«, nebst andern ähnlichen Benennungen, womit sie die Ohren der beiden Unglücklichen, des Herrn und des Dieners, marterten.

Sancho sagte zu sich selber: Wir sollen Trogdiebe sein, Barbiere, Handboten zu Wagen, Polen und Böhmen und alles durcheinander? Diese Namen wollen mir gar nicht gefallen, es weht ein übler Wind für uns, das Unglück fällt so dicht wie die Prügel auf den Hund, und wenn es nur noch bei Prügeln sein Bewenden hätte, aber ich fürchte, dies Abenteuer wird uns noch weit teurer zu stehen kommen.

Don Quixote war ganz in Verwirrung, ohne mit allem seinem Nachsinnen herausbringen zu können, was diese Schmähworte, womit man sie überhäufte, bedeuten sollten, doch zog er daraus den Schluß, daß er nichts Gutes zu hoffen und viel Böses zu fürchten habe. Sie kamen mit der Nacht in einem Schlosse an, welches Don Quixote bald für das des Herzogs er kannte, in welchem er sich noch vor kurzem befunden hatte. »Heiliger Gott«, sagte er, als es ihm kenntlich wurde, »ha! Ei! Was hat doch dieses immermehr zu bedeuten? Wie denn? Sonst war in diesem Hause lauter Höflichkeit und freundliche Bewirtung; aber für die Überwundenen verkehrt sich das Gute in das Schlimme und das Schlimme in das Ärgste.«

Sie begaben sich in den großen Schloßhof und sahen dort alles so eingerichtet und zubereitet, daß ihr Erstaunen wuchs und sich ihre Furcht verdoppelte, wie man im folgenden Kapitel sehen wird.

Quelle:
Cervantes Saavedra, Miguel de: Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha. Berlin 1966, Band 2, S. 470-473,475-476.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Don Quijote
El ingenioso hidalgo Don Quijote de la Mancha: Selección. (Fremdsprachentexte)
Don Quijote
Don Quijote: Der sinnreiche Junker Don Quijote von der Mancha Roman
Don Quijote von der Mancha Teil I und II: Roman
Der sinnreiche Junker Don Quijote von der Mancha

Buchempfehlung

Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich

Deutsche Lieder aus der Schweiz

Deutsche Lieder aus der Schweiz

»In der jetzigen Zeit, nicht der Völkerwanderung nach Außen, sondern der Völkerregungen nach Innen, wo Welttheile einander bewegen und ein Land um das andre zum Vaterlande reift, wird auch der Dichter mit fortgezogen und wenigstens das Herz will mit schlagen helfen. Wahrlich! man kann nicht anders, und ich achte keinen Mann, der sich jetzo blos der Kunst zuwendet, ohne die Kunst selbst gegen die Zeit zu kehren.« schreibt Jean Paul in dem der Ausgabe vorangestellten Motto. Eines der rund einhundert Lieder, die Hoffmann von Fallersleben 1843 anonym herausgibt, wird zur deutschen Nationalhymne werden.

90 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon