Siebentes Kapitel.

[493] Wie Don Quixote und Sancho sich ihrem Dorfe näherten.


Diesen ganzen Tag, indem sie den Abend erwarteten, blieben Don Quixote und Sancho in diesem Dorfe und Wirtshause, der eine, um im freien Felde das Pensum seiner Disziplin zu beendigen, und der andere, um die Vollendung derselben zu sehen, in welcher die Vollendung seiner Wünsche bestand. Indes kam vor das Haus ein Reisender zu Pferde mit drei oder vier Dienern, wovon der eine zu dem, der der Herr von allen schien, sagte: »Hier kann Euer Gnaden, Señor Don Alvaro Tarfe, die Sieste halten; das Haus scheint reinlich und frisch.«

Als Don Quixote dies hörte, sagte er zu Sancho: »Höre, Sancho, als ich in jenem Buche, dem zweiten Teile meiner Geschichte, blätterte, war es mir, als wenn ich beim Aufschlagen den Namen des Don Alvaro Tarfe gefunden hätte.«

»Das ist wohl möglich«, antwortete Sancho, »wir wollen ihn absteigen lassen und ihn nachher fragen.«

Der Ritter stieg ab, und dem Zimmer des Don Quixote gegenüber gab ihm die Wirtin ebenfalls einen unteren Saal, der gleichfalls mit bemalter Leinwand ausgeschmückt war, gerade wie das Zimmer des Don Quixote. Der neu angekommene Ritter wollte die Frische genießen und begab sich auf die Flur des Hauses, welche kühl und geräumig war, in welcher Don Quixote auch auf und ab ging, den er fragte: »Wohin reisen Eure Gnaden, mein werter Herr?«[494]

Und Don Quixote antwortete ihm: »Nach einem Dorfe nicht weit von hier, von wo ich gebürtig bin. Und wohin reisen Eure Gnaden?«

»Ich, Señor«, antwortete der Ritter, »gehe nach Granada, welches mein Vaterland ist.«

»Und ein herrliches Vaterland«, versetzte Don Quixote; »aber seid doch von der Gefälligkeit, mir Euren Namen zu nennen, denn es ist mir, als wenn mir mehr daran gelegen wäre, als ich Euch bis jetzt noch sagen kann.«

»Mein Name ist Don Alvaro Tarfe«, antwortete der Fremde.

Worauf Don Quixote versetzte: »So müßt Ihr wohl ohne Zweifel jener Don Alvaro Tarfe sein, der gedruckt im zweiten Teil der Geschichte des Don Quixote von la Mancha steht, die kürzlich gedruckt und von einem neuen Autor an das Licht der Welt gestellt ist.«

»Ich bin der nämliche«, antwortete der Ritter, »und dieser Don Quixote, die Hauptperson in dieser Geschichte, war mein sehr guter Freund; ich bin derjenige, der ihn aus seiner Heimat brachte oder ihn wenigstens dahin bewog, daß er sich auf ein Turnier begab, welches zu Saragossa angestellt wurde, und in Wahrheit, ich habe ihm viele Freundschaftsdienste erzeigt, auch machte ich ihn davon frei, daß er nicht öffentlich vom Henker ausgestäupt wurde, weil er zu unbesonnene Händel angefangen hatte.«

»So sagt mir denn, Señor Don Alvaro Tarfe, sehe ich wohl in etwas diesem Don Quixote ähnlich, von dem Ihr sprecht?«

»Nein, wahrlich nicht«, antwortete der Fremde, »nicht im mindesten.«

»Und hatte dieser Don Quixote«, sagte der unsrige, »nicht auch einen Stallmeister bei sich, mit Namen Sancho Pansa?«

»Allerdings«, antwortete Don Alvaro, »aber obgleich dieser den Ruhm eines anmutigen Spaßmachers hatte, so habe ich doch keine Anmut in seinen Späßen finden können.«

»Das glaube ich gern«, sagte Sancho hierauf, »denn Spaß zu machen ist nicht allen gegeben, und dieser Sancho, von dem Ihr sprecht, gnädiger Herr, ist ohne Zweifel ein durchtriebener Schelm, ein Flaps und ausgemachter Halunke gewesen, denn der wahrhaftige Sancho Pansa bin ich, der mehr Späße macht, als Sterne am Himmel stehen; glaubt Ihr's nicht, so macht selbst die Probe und geht nur wenigstens ein Jahr hinter mir drein, und Ihr werdet sehen, daß ich bei jedem Schritte so vielen und so herrlichen Spaß fallen lasse, ohne daß ich selbst die meisten Male weiß, was ich sage, und daß ich alle zu lachen mache, die mir zuhören; und der wahrhaftige Don Quixote von la Mancha, der berühmte, der tapfere und verständige, der Vernichter jeglicher Ungebühr, der Vormund der Waisen und Unmündigen, der Stab der Witwen, der Würger der Jungfrauen, der, der zur einzigen Gebieterin die unvergleichliche Dulcinea von Toboso hat, ist dieser Mann, der hier gegenwärtig steht, welcher mein Herr ist; jeder andere Don Quixote aber und jeder andere Sancho Pansa ist nur eine Narrenposse und Traumgestalt.«

»Bei Gott, ich glaube es«, antwortete Don Alvaro, »denn Ihr, lieber Freund, habt in den vier Worten, die Ihr gesprochen habt, mehr Annehmlichkeiten gesagt als jener andere Sancho Pansa, solange ich ihn jemals sprechen hörte, welches eine geraume Zeit war. Er war mehr ein Fresser als ein guter Redner und mehr ein Dummkopf als ein Spaßmacher, und ich bin überzeugt, daß die Zauberer, welche den guten Don Quixote verfolgen, mich ebenfalls mit dem schlechten Don Quixote verfolgen wollten. Ich weiß aber nicht, was ich dazu sagen soll, denn ich kann schwören, daß ich ihn im Narrenhause zu Toledo gelassen habe, wo er wiederhergestellt werden soll, und jetzt ist hier ein anderer Don Quixote, der aber von dem meinigen sehr verschieden ist.«

»Ich«, sagte Don Quixote, »weiß nicht, ob ich der gute bin; aber das kann ich sagen, daß ich nicht der schlechte bin; zum Beweise dessen müßt Ihr erfahren, Herr Don Alvaro Tarfe, daß ich zeit meines[495] Lebens niemals in Saragossa gewesen, sondern vielmehr, weil ich hörte, daß sich dieser schimärische Don Quixote auf einem Turnier in dieser Stadt gegenwärtig befunden habe, wollte ich sie nicht besuchen, um der ganzen Welt die offenbare Lüge einsehen zu lassen; deshalb begab ich mich geradewegs nach Barcelona, dem Sammelplatz der Artigkeit, der Herberge für die Fremden, dem Hospital für die Armen, dem Vaterlande der Tapfern, dem Rachort der Beleidigten und dem edlen Wohnsitz der treuen Freundschaft, der Stadt, die in Ansehung ihrer Lage und Schönheit die einzige ist. Und obgleich die Begebenheiten, die mir dort zugestoßen, mir nicht allerdings erfreulich, sondern sehr verdrießlich fallen, so vergesse ich doch den Verdruß darüber, diese Stadt gesehen zu haben. Mit einem Worte, Herr Don Alvaro Tarfe, ich bin Don Quixote von la Mancha, der nämliche, von welchem der Ruhm spricht, nicht aber jener Elende, der meinen Namen hat usurpieren und sich mit meinen Gedanken verherrlichen wollen. Ich beschwöre Euch bei dem, was Ihr Eurem Stande als Ritter schuldig seid, daß Ihr mir gefälligst eine Erklärung in Gegenwart des Alkalde dieses Ortes geben wollt, daß Ihr mich zeit Eures Lebens bis auf heute niemals gesehen habt und daß ich der Don Quixote nicht bin, von dem jener zweite Teil handelt, noch dieser Sancho Pansa, mein Stallmeister, derjenige sei, welchen Ihr gekannt habt.«

»Sehr gern will ich dies tun«, antwortete Don Alvaro, »denn es macht mich erstaunen, zu gleicher Zeit zwei Don Quixotes und zwei Sanchos zu sehen, die ebenso gleich in den Namen wie ungleich in ihren Handlungen sind; und ich sage und behaupte noch einmal, daß ich nicht gesehen, was ich gesehen habe, und daß mir das nicht begegnet ist, was mir begegnet ist.«

»Ohne Zweifel«, sagte Sancho, »müßt Ihr auch wohl bezaubert sein, wie die Señora Dulcinea von Toboso, und wollte der Himmel, Eure Entzauberung möchte nur dadurch geschehen können, daß ich mir, wie für sie, dreitausend Hiebe gebe, denn ich wollte sie mir gleich, ohne Vorteil zu nehmen, erteilen.«

»Ich verstehe nichts von diesen Hieben«, sagte Don Alvaro, und Sancho antwortete ihm, daß es weitläuftig sei, zu erzählen; er wolle es ihm aber mitteilen, wenn sie vielleicht den nämlichen Weg zu machen hätten.

Die Stunde des Mittagessens war gekommen, Don Quixote und Don Alvaro speisten miteinander. Zufällig kam der Alkalde des Orts mit einem Schreiber in das Haus, von welchem Alkalde Don Quixote ein Instrument verlangte, welches rechtskräftig wäre, in welchem Don Alvaro Tarfe, der hier gegenwärtige Ritter, erklären möge, daß er den Don Quixote von la Mancha nicht kenne, welcher ebenfalls gegenwärtig sei, und daß er nicht der wäre, welcher in der gedruckten Geschichte vorkomme, die den Titel führt: »Zweiter Teil des Don Quixote von la Mancha, verfaßt von einem Avellaneda, gebürtig aus Tordesillas«.

Der Alkalde stellte dies rechtskräftig aus; die Erklärung wurde mit allen Förmlichkeiten aufgesetzt, die in dergleichen Fällen gebräuchlich sind, worüber Don Quixote und Sancho sich sehr freuten, als wenn ihnen eine solche Erklärung notwendig wäre und nicht die gänzliche Verschiedenheit der beiden Don Quixotes und beiden Sanchos durch ihre Taten und Worte hinlänglich deutlich würde.

Viele Höflichkeiten und Freundschaftserbietungen fielen zwischen Don Alvaro und Don Quixote vor, in denen der große Manchaner seinen Verstand dermaßen bewies, daß er dem Don Alvaro Tarfe gänzlich den Irrtum nahm, in welchem sich dieser befand, so daß er überzeugt sein mußte, er sei bezaubert gewesen, denn er sah handgreiflich zwei ganz entgegengesetzte Don Quixotes.

Es wurde Abend, sie reisten von dem Dorfe ab, und nach einer halben Meile teilte sich der Weg in zwei, wovon der eine nach dem Dorfe des Don Quixote führte, der andere aber Don Alvaros Straße war. In diesem kurzen Zeitraume erzählte ihm Don Quixote das Mißgeschick seiner Überwindung und die Bezauberung der Dulcinea und das Mittel dagegen, über welches Don Alvaro in ein neues Erstaunen[496] geriet, den Don Quixote und Sancho umarmte und hierauf seinen Weg, wie Don Quixote den seinigen, fortsetzte, welcher diese Nacht unter einigen Bäumen zubrachte, damit er dem Sancho Gelegenheit geben möchte, seine Buße zu erfüllen, der sie auch ebenso wie in der vorigen Nacht erfüllte, mehr auf Kosten der Rinde an den Buchen als seines Rückens, den er so schonte, daß er mit den Hieben keine Mücke hätte fortjagen können, wenn auch eine auf ihm gesessen hätte. Der betrogene Don Quixote verzählte sich um keinen einzigen Streich und fand, daß sie sich mit den Streichen der vorigen Nacht auf dreitausendundneunundzwanzig beliefen. Die Sonne schien früh aufgestanden zu sein, um dieses Opfer zu sehen, bei deren Glanz sie sich wieder aufmachten, um ihren Weg fortzusetzen, indem sie sich beide über die Täuschung des Don Alvaro unterhielten, und welch ein glücklicher Gedanke es sei, daß sie sich ihre Erklärung von der Justiz und so authentisch hatten geben lassen.

Sie reisten diesen Tag und diese Nacht fort, ohne daß ihnen etwas begegnete, was der Erzählung würdig wäre, außer daß in dieser Sancho seine Aufgabe vollendete, worüber Don Quixote über die Maßen erfreut wurde und nur auf den Tag hoffte, um zu sehen, ob ihm nicht unterwegs die schon entzauberte Dulcinea, seine Gebieterin, begegnen würde; worauf er seinen Weg fortsetzte und ihm kein Weib aufstieß, welches er nicht genau betrachtet hätte, um zu sehen, ob es Dulcinea von Toboso sei, da er fest überzeugt war, die Versprechungen des Merlin könnten keine Lügen sein.

Mit diesen Gedanken und Wünschen gelangten sie auf die Höhe eines Hügels, von welchem sie ihr Dorf entdeckten, als es Sancho sah, kniete er nieder und sagte: »Tu die Augen auf, erwünschtes Vaterland, und sieh, daß Sancho Pansa, dein Sohn, zu dir zurückkommt, wenn auch nicht überaus reich, doch überaus wohl gegeißelt. Tu die Arme auf und empfange ebenfalls deinen Sohn Don Quixote, der, wenn er auch von fremden Armen besiegt zurückkommt, doch immer als Sieger seiner selbst zurückkehrt, welches, wie er mir gesagt hat, der größte Sieg ist, den man nur davonzutragen wünschen kann. Ich habe Geld, denn wenn es auch tüchtige Hiebe gab, so habe ich doch wie ein Ritter gelebt.«

»Laß diese Torheiten«, sagte Don Quixote, »ziehen wir unter glücklichen Zeichen in unser Dorf hinein, wo wir unsrer Einbildung freien Lauf lassen und den Plan entwerfen wollen, nach welchem wir unser Schäferleben auszuführen denken.«

Hiermit stiegen sie den Hügel herunter und begaben sich in ihr Dorf.

Quelle:
Cervantes Saavedra, Miguel de: Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha. Berlin 1966, Band 2, S. 493-497.
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