Elftes Kapitel.

[287] Wie Sancho Pansa in seine Statthalterschaft geführt wurde, und von dem seltsamen Abenteuer, welches im Kastelle dem Don Quixote begegnete.


Es heißt, daß im eigentlichen Originale dieser Geschichte, als Cide Hamete an dieses Kapitel gelangt, welches sein Übersetzer nicht treulich verdolmetscht hat, der Mohr eine Art von Klage über sich selber anstellt, daß er eine so trockene und beschränkte Geschichte, wie die des Don Quixote, unternommen habe, indem er immer nur von ihm und vom Sancho sprechen müsse, ohne es zu wagen, sich auf andere Abschweifungen oder ernstere und mehr unterhaltende Episoden einzulassen. Er behauptet, daß, wenn Verstand, Hand und Feder nur immer angewiesen sind, von einem einzigen Gegenstand zu schreiben und durch den Mund von wenigen Personen zu sprechen, dieses eine unangenehme Arbeit werde, die nicht zum Vorteile des Verfassers ausschlüge. Um diesem Übelstande zu entgehen, habe er sich im ersten Teile des Kunstgriffs einiger Novellen, wie der vom »Grübelnden Fürwitzigen« und der vom »Gefangenen Kapitän«, bedient, die von der Geschichte gleichsam unabhängig sind, da die übrigen, die dort erzählt werden, Dinge enthalten, die dem Don Quixote selbst begegneten und die nicht ausgelassen werden durften. Dennoch ist es ihm, wie er sagt, eingefallen, daß viele, durch die Aufmerksamkeit hingerissen, welche die Taten des Don Quixote erfordern, wohl nicht die nötige auf die Novellen gewandt haben, sondern über diese entweder mit Eile oder mit Verdruß hinweggeschlüpft sind, ohne die Zierlichkeit und Kunst zu bemerken, welche sie enthalten; die sich aber deutlicher zeigen möchten, wenn sie, einmal für sich bestehend, ohne mit den Torheiten des Don Quixote oder den Albernheiten des Sancho zusammenzuhängen,[288] an das Licht treten werden. In diesem zweiten Teile hat er also keine abgesonderte noch sich anschließende Novellen einführen wollen, sondern nur einige Episoden, die sich als solche zeigen, aus den Begebenheiten, die die Wahrhaftigkeit herbeiführt, selber entstehen, und auch diese nur so kurz und mit so vielen Worten, als durchaus nötig sind, um sie deutlich zu machen. Da er sich nun in den engen Grenzen der Erzählung beschränkt und einschließt, indem er Geschick, Tüchtigkeit und Verstand genug besitzt, um von dem ganzen Universum zu handeln, so bittet er, daß man seine ganze Arbeit nicht verachten, sondern sie loben möge, wenn nicht wegen dessen, was er schreibt, doch für das, was er zu schreiben unterlassen hat.

Die Geschichte fährt nun sogleich fort und erzählt, daß, als Don Quixote an dem Tage, an welchem er Sancho die Ermahnungen gab, abgespeist hatte, er sie ihm abends geschrieben gab, damit er jemanden aufsuchen möchte, der sie ihm vorlesen könnte; kaum aber hatte er sie ihm gegeben, als sie ihm entfielen und dem Herzoge in die Hände gerieten, der sie der Herzogin mitteilte und beide sich über die Torheit und den Scharfsinn des Don Quixote verwunderten. Um also in ihren Scherzen fortzufahren, schickten sie denselben Abend mit vieler Begleitung Sancho nach dem Orte, der für ihn eine Insel sein sollte. Es traf sich nun, daß derjenige, der seine Bestallung überkommen hatte, ein Haushofmeister des Herzogs von ebenso vieler Feinheit als Lustigkeit war – denn ohne Geist gibt es keinen Scherz –, der die Rolle der Gräfin Dreischleppina mit dem oben erzählten Talente dargestellt hatte, und mit diesem und der Unterweisung seiner Herrschaft, auf welche Art er sich gegen Sancho zu betragen habe, gelang ihm seine Absicht auf bewunderungswürdige Weise.

Es traf sich also, wie gesagt, daß, als Sancho diesen Haushofmeister nur ansichtig ward, sich ihm in dessen Antlitz das der Dreischleppina sogleich vergegenwärtigte, er wandte sich zu seinem Herrn und sagte zu diesem: »Gnädiger Herr, so soll mich doch, so wie ich hier stehe, auf Treu und Glauben der Teufel holen, oder Ihr müßt mir bekennen, daß das Gesicht dieses Haushofmeisters des Herzogs, der dort steht, dasselbe von der Schmerzenreich ist.«

Don Quixote betrachtete den Haushofmeister genau, und nachdem er ihn betrachtet hatte, sagte er zu Sancho: »Es ist nicht nötig, Sancho, daß dich der Teufel hole, weder auf Treue noch auf Glauben – wovon ich nicht weiß, was es bedeuten soll –, denn das Antlitz der Schmerzenreich ist das des Haushofmeisters; aber dessenungeachtet ist der Haushofmeister nicht die Schmerzenreich, denn daß er das sein sollte, führt einen außerordentlichen Widerspruch mit sich, den es jetzt nicht Zeit ist, auseinanderzusetzen, denn dieses würde uns in sehr verworrene Labyrinthe verwickeln. Glaube mir, Freund, daß wir es nötig haben, Gott im rechten Ernste zu bitten, daß er uns beide von den bösen Hexenmeistern und den bösen Zauberern befreien möge.«

»Es ist auch kein Spaß, gnädiger Herr«, versetzte Sancho, »sondern ich hörte ihn vorher sprechen, und es war mir gerade, als wenn mir die Stimme der Dreischleppina in die Ohren klänge. Nun gut, ich will jetzt schweigen; aber ich will es nicht lassen, von nun an aufmerksam zu sein, um zu sehen, ob ich noch ein anderes Merkmal entdecke, das meinen Verdacht bestätigt oder widerlegt.«

»Dieses sollst du tun, Sancho«, sagte Don Quixote, »und wirst mir von allem Nachricht geben, was du hierin entdecken magst, sowie von allem, was dir bei deiner Regierung begegnet.«

Sancho reiste nun wirklich, von vielen Leuten begleitet, ab, gekleidet als Gelehrter, angetan mit einem sehr weiten Mantel von bemoortem Kamelott, nebst einem Barett von demselben Zeuge; er saß in kurzen Bügeln auf einem Maultiere, und hinter ihm ging, auf Befehl des Herzogs, der Graue, mit Zaumzeug und Schmuck, Eseln geziemlich, von glänzender Seide. Sancho wandte von Zeit zu Zeit das Haupt, um seinen Esel zu sehen, in dessen Gesellschaft er so zufrieden fortzog, daß er nicht mit dem Kaiser von Deutschland getauscht hätte.[289]

Als er sich den Herzogen empfahl, küßte er ihnen die Hände und empfing den Segen von seinem Herrn, der ihm denselben mit Tränen gab und den Sancho mit Heulen und Schluchzen empfing.

Laß nun, geliebter Leser, in Frieden und zu glücklicher Stunde den wackeren Sancho ziehen und erwarte zwei Scheffel voll Gelächter, die es dir verursachen wird, zu erfahren, wie er sich in seinem Amte aufführte; indessen merke auf, um zu hören, was sich in dieser Nacht mit seinem Herrn zutrug, und wenn du auch über ihn nicht lachst, so wirst du doch ein heimliches Lächeln nicht unterdrücken können, denn alle Begebenheiten des Don Quixote müssen entweder durch Bewunderung oder durch Lachen gefeiert werden.

Man erzählt, daß, als Sancho kaum abgereist war, Don Quixote schon seine Einsamkeit fühlte und ihm gern Amt und Statthalterschaft wieder genommen hätte, wenn es möglich gewesen wäre. Die Herzogin sah seine Melancholie und fragte ihn, worüber er trauere, daß, wenn es wegen Sanchos Abwesenheit geschehe, sie Stallmeister, Dueñas und Jungfrauen genug in ihrem Hause habe, welche ihn ganz nach seinen Wünschen bedienen würden.

»Es ist wahr, gnädige Frau«, antwortete Don Quixote, »daß ich die Abwesenheit Sanchos empfinde; aber dieses ist nicht die vorzüglichste Ursache, die mir diesen Anschein von Traurigkeit gibt. Von den vielen Anerbietungen Eurer Exzellenz nehme ich aber nur den gütigen Willen an, mit welchem sie geschehen, übrigens aber bitte ich Eure Exzellenz, mir zu erlauben und zu bewilligen, daß ich mich in meinem Gemache allein bedienen möge.«

»Wahrlich«, sagte die Herzogin, »Herr Don Quixote, das darf nicht geschehen; sondern es sollen Euch vier von meinen Jungfrauen bedienen, die so schön sind wie die Blumen.«

»Für mich«, antwortete Don Quixote, »würden sie nicht wie Blumen sein, sondern wie Dornen, die meine Seele stechen. Darum sollen sie so wenig wie irgend etwas anderes, das ihnen ähnlich sieht, in mein Gemach kommen, als ich fliegen kann. Will Eure Hoheit noch weiter fortfahren, mir Gnade zu erzeigen, die ich nicht verdiene, so erlaubt, daß ich mir selbst genüge und mich der Türen meines Innern bediene, daß ich eine Mauer zwischen meine Begierden und meine Keuschheit setze; diese Gewohnheit will ich nicht für jene freie Bewilligung verlieren, die Eure Hoheit mir erzeigen will, und mit einem Worte, lieber will ich in den Gewändern schlafen als zugeben, daß jemand mich entkleide.«

»Nicht weiter, nicht weiter, Herr Don Quixote«, versetzte die Herzogin; »für meine Person will ich die Anordnung treffen, daß auch nicht einmal eine Fliege in Euer Zimmer komme, viel weniger ein Mädchen; durch mich soll die Sittsamkeit des Herrn Don Quixote nicht gefährdet werden, denn wie es mir jetzt einleuchtet, so ist diese Tugend unter allen seinen Vorzügen diejenige, welche am meisten hervorglänzt. Entkleidet Euch, mein edler Herr, und zieht Euch an, allein und auf Eure Weise, wie und wann Ihr wollt, denn niemand wird Euch daran verhindern, darum sollt Ihr in Eurem Gemache die nötigen Gefäße finden, welche der braucht, der allein bei verschlossenen Türen schläft, damit Euch kein natürliches Bedürfnis sie zu öffnen zwinge. Es lebe durch ewige Zeiten die große Dulcinea von Toboso, und ihr Name sei über die ganze Rundung der Erde ausgebreitet, weil sie es verdiente, von einem so tapferen und tugendhaften Ritter geliebt zu werden, und die gütigen Himmel mögen nur dem Sancho Pansa, unserem Statthalter, das Verlangen einflößen, bald seine Büßungen zu vollenden, damit die Welt wieder die Schönheit einer so großen Dame genießen könne.«

Worauf Don Quixote sagte: »Eure Hoheit hat gesprochen ganz wie Ihr selbst, denn aus dem Munde edler Frauen kann nichts Unedles kommen, und Dulcinea wird dadurch in der Welt glückseliger und berühmter sein, daß sie von Eurer Hoheit gelobt ist, als durch alle jene Lobeserhebungen, die ihr die beredtesten Zungen der Erde erteilen könnten.«

»Nun denn, Herr Don Quixote«, versetzte die Herzogin, »die Stunde des Abendessens ist gekommen, und der Herzog wird uns erwarten; kommt, mein Herr, wir wollen speisen, damit Ihr Euch zeitig schlafen legen könnt, denn die Reise, die Ihr gestern nach Candaya machtet, war nicht so kurz, daß sie Euch nicht sollte einige Müdigkeit verursacht haben.«

»Ich empfinde gar keine, gnädige Frau«, antwortete Don Quixote, »denn ich darf Eurer Exzellenz schwören, daß ich zeit meines Lebens kein sanfteres Tier geritten habe, das einen besseren Paß gegangen wäre als dieser Zapfenhölzern, und ich begreife nicht, was den Malambruno bewegen konnte, sich einer so leichten und angenehmen Reitgelegenheit zu berauben und sie mir nichts, dir nichts zu verbrennen.«

»Es läßt sich wohl denken«, antwortete die Herzogin, »daß er voll Reue über alles Böse, was er der Dreischleppina, ihren Gefährten und anderen Personen zugefügt hat, sowie über die Bosheiten, die er wohl als Hexenmeister und Zauberer muß ausgeübt haben, alle seine Kunst fortschaffen wollte, und als das vorzüglichste, und welches ihm die meiste Unruhe machte, weil es ihn aus einem Lande in das andere trug, verbrannte er den Zapfenhölzern, damit durch dessen Asche und durch des Blattes Trophäe der Preis des großen Don Quixote von la Mancha ewig gefeiert bleibe.«

Don Quixote sagte der Herzogin von neuem neue Danksagungen, und nach dem Abendessen zog er sich allein in sein Zimmer zurück, ohne zu erlauben, daß ihn jemand begleitete, um ihn zu bedienen: so sehr fürchtete er, auf eine Gelegenheit zu treffen, die ihn bewegen oder zwingen könnte, die Sittsamkeit zu verletzen, die er seiner Dame Dulcinea bewahrte, indem er sich immer die Trefflichkeit des Amadis vor Augen hielt, die Blume und den Spiegel aller irrenden Ritter. Er verschloß hinter sich die Tür und entkleidete sich bei dem Scheine zweier Wachskerzen, und beim Ausziehen – o Unglück, eines solchen Mannes unwürdig! – entschlüpften ihm, nicht etwa Seufzer oder irgend etwas, das den Anstand seiner Sitte verletzt hätte, sondern an zwei Dutzend Maschen im Strumpfe, der dadurch in ein Gitterwerk verwandelt war. Der treffliche Mann wurde hierüber äußerst betrübt und hätte gern für ein Quentchen grüner Seide eine Unze Silber gegeben, nämlich grüner Seide, denn die Strümpfe waren grün.

Hier ruft Benengeli aus und schreibt also: »O Armut, Armut! Ich weiß nicht, was den großen Poeten aus Kordova bewog, dich ›heilige Schenkung, unerkannte‹ zu nennen, obgleich ich ein Mohr bin, weiß ich doch aus dem Umgange, den ich mit Christen gehabt habe, daß die Heiligkeit in der Barmherzigkeit, Demut im Glauben, dem Gehorsam und der Armut besteht; aber dessenungeachtet sage ich, daß derjenige viel von Gott selbst haben muß, der damit zufrieden ist, arm zu sein, wenn nicht jene Armut damit gemeint ist, von der einer ihrer größten Heiligen sagt: ›Besitzt alle Dinge so, als wenn ihr sie nicht besäßet‹, und welches sie die Armut im Geiste nennen; aber du, o zweite Armut, von der ich jetzt hier spreche, warum willst du dich doch immer lieber Edelleuten und feinen Menschen als andern gegenüberstellen? Warum zwingst du sie doch, durch Rauch die Schuhe zu schwärzen und daß die Knöpfe ihrer Westen teils aus Seide, teils aus Garn und teils aus Glas bestehen? Warum müssen denn ihre Kragen immer wie welkes Kraut einfallen und nicht geformt aufrecht stehen?« (Und hieraus kann man sehen, daß der Gebrauch der Stärke sowie die stehenden Kragen schon eine alte Mode sind.) Er fuhr so fort: »O Unglück eines feinen Mannes, der der Krankenpfleger seiner Ehre ist, der schlecht und bei verschlossenen Türen speiset und dann mit seinem Zahnstocher den Heuchler spielt, mit welchem er auf die Gasse hinaustritt, ohne doch irgend etwas genossen zu haben, das ihn nötigte, die Zähne zu reinigen; unglücklich, sage ich, ist derjenige, den die Ehre in Furcht hält und der sich ängstigt, man möchte auf eine Meile weit den Flicken seines Schuhes, die Abgeschabtheit des Hutes, die Zerscheuerung seines Mantels und den Hunger seines Magens entdecken!« Alles dieses erneuerte sich dem Don Quixote beim Aufspringen seiner Maschen; er tröstete sich aber, als er sah, Sancho habe ihm ein Paar Halbstiefeln dagelassen, welche er am folgenden Tage anlegen wollte. Endlich legte er sich nieder, nachdenkend und schwermütig, sowohl über die Lücke,[293] die ihm Sanchos Abwesenheit machte, als auch über den unersetzlichen Schaden seiner Strümpfe, deren Maschen er so gern aufgenommen hätte, zur Not mit Seide einer anderen Farbe, welches eins der größten Merkmale von Elend ist, die ein Edelmann nur immer im Verlauf seiner mannigfaltigen Dürftigkeit geben kann. Er löschte die Kerzen aus, es war heiß, und er konnte nicht schlafen, er erhob sich vom Bette und öffnete ein Fenster ein wenig, das auf einen schönen Garten stieß, und beim Eröffnen merkte und vernahm er, daß Leute im Garten gingen und redeten; er hörte aufmerksam zu, die unten erhoben die Stimme, so daß er folgende Worte verstehen konnte.

»Dringe nicht in mich, o Emerenzia, daß ich singen soll, denn du weißt, daß, seit der Fremde in dies Schloß gekommen ist und ihn meine Augen gesehen haben, ich nicht singen, sondern nur weinen kann; überdies ist der Schlaf meiner Dame mehr leicht als tief, und ich wollte um alles in der Welt nicht, daß sie uns hier fände; gesetzt aber auch, sie schliefe und wachte nicht auf, so würde mein Singen doch nur vergeblich sein, wenn dieser Aeneas schläft und nicht erwacht, mich zu hören, der in meine Region gekommen ist, mich elend zu machen.«

»Laß dich nicht abhalten, liebe Altisidora«, war die Antwort, »denn ohne Zweifel schlafen die Herzogin sowie alle, die im Hause sind, ausgenommen der Gebieter deines Herzens und Erwecker deiner Seele, denn ich hörte soeben, wie er das Fenster seines Zimmers eröffnete, und deswegen muß er ohne Zweifel wachen; singe, liebe Betrübte, in einem stillen und sanften Ton zu deiner Harfe, und wenn die Herzogin uns hören sollte, so wollen wir alle Schuld auf die Hitze schieben.«

»Daran liegt mir nicht am meisten, liebe Emerenzia«, antwortete Altisidora, »sondern ich möchte nicht, daß mein Gesang mein Herz entdeckte und daß die, die mit der gewaltigen Macht der Liebe unbekannt sind, mich für ein freches und leichtsinniges Mädchen hielten; aber komme, was kommen mag, besser die Scham auf dem Gesicht als die Wunde im Herzen«; und hiermit fing sie an, auf eine liebliche Weise die Harfe zu spielen.

Als Don Quixote dies hörte, war er entzückt, denn in demselben Augenblick fielen ihm die tausend Abenteuer ein, diesem ähnlich, die an Fenstern, Gittern und in Gärten vorkommen, die Ständchen, Liebeserklärungen und Irrsale, die er in seinen Irrsalsbüchern von der Ritterschaft gelesen hatte. Er bildete sich gleich ein, daß sich eine Jungfrau der Herzogin in ihn verliebt habe und daß die Sittsamkeit sie zwinge, ihre Gedanken verborgen zu halten. Er fürchtete, sie möchte ihn bewältigen, und nahm sich in seinen Gedanken vor, sich nicht besiegen zu lassen, worauf er sich mit seiner ganzen Seele und festem Willen seiner Dame Dulcinea von Toboso empfahl und den Entschluß faßte, die Musik anzuhören, und um zu verstehen zu geben, daß er dort sei, tat er, als wenn er niesen müßte, worüber sich die Mädchen nicht wenig freuten, weil sie nichts anderes wünschten, als daß Don Quixote sie hören möchte. Nachdem man also die Harfe gestimmt und präludiert hatte, fing Altisidora folgende Romanze an:


O du, der du liegst im Bette,

Zwischen Hollands Tüchern schlafend,

Ausgestreckt mit beiden Beinen,

Diese Nacht durch bis zum Tage,


Tapferster von allen Rittern,

Den nur je erzeugt la Mancha,

Edler weit und mehr ausbündig

Als das feine Gold Arabiens:
[294]

Hör ein tiefbekümmert Mägdlein

Guter Zucht in schlimmer Lage,

Die im Lichte deiner Sonnen

Ihre Seele fühlt entflammen.


Du suchst deine Abenteuer,

Machst dadurch bei andern Abend,

Schlägst die Wunden, die zu heilen

Du beständig doch versagest.


Sage, Jüngling hohen Preises

(Wende Gott dir jede Plage!),

Wardst geboren du in Lybien,

In dem Berggeklüfte Jaca?


Preisen mag sich Dulcinea,

Dieses Mägdlein rund und wacker,

Daß sie diesen wilden Tiger

Konnte zwingen, diesen starken.


Deshalb wird ihr Name fliegen

Von Xarama bis Henares,

Vom Tajo bis zum Manzanares,

Von Pisuerga bis Arlanza.


Mich mit ihr möcht ich vertauschen,

Einen Rock noch als Zugabe

Gäb ich ihr von meinen bunt'sten,

Schön geschmückt mit goldnen Fransen.


Wer in deinen Armen ruhte!

Mind'stens deinem Bette nahe,

Sänftlich dir den Kopf zu krauen,

Dir das Haar schön rein zu waschen.


Viel verlang ich, bin nicht würdig

So erstaunlich großer Gnaden:

Ziehen möcht ich dir die Füße,

Dies wär schon der Demut labend.


Wieviel Mützchen sollt'st du kriegen,

Wieviel Strümpf, silberbeschlagen,[297]

Wieviel schöne Damasthosen,

Wieviel Mäntel, Linnen Hollands!


Wieviel ausgesuchte Perlen,

Jede groß wie ein Gallapfel,

Wie man keine andern findet,

Einz'ge drum mit Recht benamet!


Sieh nicht vom Tarpejer-Felsen,

Wie mich brennet diese Flamme,

Wehre, Nero aus la Mancha,

Daß dein Zorn sie mehr anfache.


Mägdlein bin ich, zart, Pucelle,

Funfzehn ist noch nicht mein Alter,

Vierzehn bin ich und drei Monat,

Schwör ich dir bei Gott mit Wahrheit.


Bin nicht schief, noch wen'ger hinkend,

Kein Ding ist, das mir ermangelt,

Meine Haare sind wie Blumen,

Schleifen nach mir, wenn ich wandle.


Ist mein Mund auch etwas spitzig

Und ein wenig platt die Nase,

Wie Topasen sind die Zähne,

Dadurch meine Schön' erhaben.


Wenn du hörst, siehst du die Stimme,

Wie dem Süßesten sie nahe,

Und in meinem Wuchse bin ich

Etwas unterm Mittelmaße.


Diese noch und andre Reize

Sind für dich nur süße Gaben:

Hier im Hause bin ich Jungfrau,

Altisidora ist mein Name.


Hiermit endigte sich der Gesang der tief verwundeten Altisidora, und die Schwermut des geliebten Don Quixote begann. Dieser, einen tiefen Seufzer ausstoßend, sagte zu sich selber: Warum muß ich ein solcher unglückseliger Irrender sein, daß keine Jungfrau mich sehen kann, ohne sich in mich zu verlieben? Warum muß denn so großer Jammer die unvergleichliche Dulcinea von Toboso betreffen, daß man sie nicht ganz allein meine beispiellose Treue will genießen lassen? Was wollt Ihr denn von ihr,[298] Königinnen? Warum verfolgt Ihr sie, Kaiserinnen? Weshalb bekämpft Ihr sie, Jungfrauen von vierzehn und funfzehn Jahren? Laßt, laßt doch diese Unglückliche, daß sie in ihrem Schicksale triumphiere, es genieße und sich dessen freue, was ihr die Liebe hat verleihen wollen, indem sie ihr mein Herz übergab und meine Seele unterwarf. Bedenke doch, verliebte Schar, daß ich nur für Dulcinea von Teig und Biskuit bin, für alle andern aber von Kieselstein, für sie bin ich Honig, für Euch andern Wermut; für mich ist nur Dulcinea schön, verständig, tugendhaft, anständig und von edler Geburt, alle übrige aber sind häßlich, töricht, frech und von gemeinem Herkommen; nur um der Ihre und keiner andern zu sein, hat mich die Natur geboren werden lassen. Altisidora mag klagen oder weinen, jene Herrin mag verzweifeln, um derentwillen man mich im Kastell des verzauberten Mohren prügelte, denn ich bin und bleibe der Dulcinea, gekocht oder gebraten, rein, von guten Sitten und tugendhaft, allen Hexenkünsten auf der ganzen Erde zum Trotz. Und mit diesen Worten warf er das Fenster heftig zu, und verdrüßlich und schwermütig, als wenn ihm eine große Widerwärtigkeit zugestoßen wäre, warf er sich auf sein Bett, wo wir ihn für jetzt lassen wollen, weil uns der große Sancho Pansa ruft, der seine berühmte Statthalterschaft eben beginnen will.

Quelle:
Cervantes Saavedra, Miguel de: Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha. Berlin 1966, Band 2, S. 287-291,293-295,297-299.
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