Neuntes Kapitel.

[278] Erinnerungen, welche Don Quixote dem Sancho Pansa gab, ehe dieser zur Regierung der Insel abging, nebst andern wohlerwogenen Dingen.


Über den glücklichen und lustigen Erfolg des Abenteuers mit der Schmerzenreich waren die Herzoge so vergnügt, daß sie sich entschlossen, den Spaß fortzusetzen, da sie sahen, welchen bequemen Gegenstand sie vor sich hatten, um ihn für Ernst ausgeben zu können; nachdem sie also die Befehle und Vorschriften erteilt hatten, wie sich ihre Diener und Untertanen gegen Sancho bei Regierung der versprochenen Insel betragen sollten, machte der Herzog den folgenden Morgen nach dem Fluge des Zapfenhölzern dem Sancho bekannt, daß er sich nun schmücken und vorbereiten möchte, um als Statthalter abzugehen, weil seine Insulaner ihn schon so sehnlich wie einen Mairegen erwarteten. Sancho verbeugte sich und sagte: »Seit ich vom Himmel heruntergekommen bin und seit ich von seiner Höhe herab die Erde beschaut und sie so klein gesehen habe, ist mir größtenteils die Lust vergangen, die ich sonst so mächtig spürte, Statthalter zu sein; denn was ist es doch Großes, auf einem Senfkorne zu gebieten, oder welche Würde oder Herrschaft gibt es doch, über ein halbes Dutzend Menschen, so groß wie die Nüsse, zu regieren, denn nach meiner Ansicht gab es nicht mehr auf der ganzen Erde! Wenn aber Eure Herrlichkeit so gütig sein wollte, mir auch nur ein kleines Stückchen vom Himmel zu geben, wenn es auch nicht mehr als eine halbe Meile betrüge, so wollte ich es lieber nehmen als die größte Insel von der Welt.«

»Bedenkt, Freund Sancho«, antwortete der Herzog, »ich kann niemandem ein Stück des Himmels[279] schenken, und wenn es auch nicht größer als ein Nagel wäre, denn das ist eine Gnade und Belohnung, die allein Gott vorbehalten ist; was ich geben kann, gebe ich Euch, eine kleine, feine Insel, die dick und fest und wohlgebauet ist und fruchtbar über die Maßen, und wenn Ihr sie gut zu handhaben wißt, so könnt Ihr mit den Gütern der Erde die Himmelsgüte gewinnen.«

»In Gottes Namen«, antwortete Sancho, »mag diese Insel kommen, denn ich will mich ins Zeug werfen und ein solcher Statthalter sein, daß ich den Gottlosen zum Trotz in den Himmel komme; und es geschieht nicht aus Geiz, um etwa nur aus meiner lieben Not zu kommen oder mich zu etwas Vornehmeren zu machen, sondern bloß aus Neugier, um zu versuchen, wie es einem schmeckt, Statthalter zu sein.«

»Wenn Ihr es einmal versucht habt, Sancho«, sagte der Herzog, »werdet Ihr alle zehn Finger nach der Statthalterschaft lecken, denn es ist ein herrliches Ding, zu befehlen und sich gehorchen zu lassen, o wahrlich, wenn Euer Herr erst Kaiser ist, wie er es denn gewiß werden muß, so wie ihm die Dinge jetzt geraten, wird er sich das Ding nie wieder nehmen lassen, und alle die Zeit, in der er unterlassen hat, es zu sein, wird er in seinem innersten Herzen für verloren achten.«

»Gnädiger Herr«, versetzte Sancho, »ich bilde mir ein, daß es ein gutes Ding um das Befehlen ist, und wäre es auch nur über eine Herde Schafe.«

»Ich will sterben, Sancho, wenn Ihr nicht alles wißt«, antwortete der Herzog; »ich hoffe, daß Ihr ein solcher Statthalter sein werdet, wie es Euer Verstand verspricht, und dabei mag es sein Bewenden haben; wißt also, daß Ihr morgen am Tage zur Regierung der Insel abgehen sollt, heute abend wird man Euch den Anzug besorgen, den Ihr braucht, sowie alle Dinge, die zu Eurer Abreise nötig sind.«

»Sie mögen mich anziehen«, sagte Sancho, »wie sie immer wollen, denn wie ich auch gekleidet sein mag, so werde ich doch Sancho Pansa bleiben.«

»Das ist wahr«, sagte der Herzog; »aber die Kleidung muß sich doch zu dem Amte oder der Würde schicken, der man vorsteht, denn es wäre nicht gut, wenn sich ein Rechtsgelehrter wie ein Soldat trüge oder ein Soldat wie ein Priester. Ihr, Sancho, müßt zum Teil die Kleidung eines Gelehrten, zum Teil die eines Feldherrn tragen, denn auf der Insel, die ich Euch gebe, sind die Waffen so nötig wie die Wissenschaften und die Wissenschaften so unentbehrlich wie die Waffen.«

»Wissenschaften«, antwortete Sancho, »besitze ich wenige, denn ich weiß nicht einmal das Abc, aber es ist genug, Christum im Gedächtnisse zu haben, um ein guter Statthalter zu sein. Was die Waffen betrifft, so werde ich die führen, die man mir gibt, bis ich sie fallen lasse, und Gott wird weiter sorgen.«

»Mit einem solchen Gedächtnisse«, sagte der Herzog, »wird Sancho in keinem Dinge irren können.«

Jetzt kam Don Quixote hinzu, und da er hörte, wovon die Rede sei und wie bald Sancho zu seiner Statthalterschaft abreisen solle, nahm er ihn mit der Erlaubnis des Herzogs bei der Hand und führte ihn in der Absicht in sein Zimmer, ihm zu raten, wie er sich in seinem Amte zu betragen habe. Als sie in das Gemach gekommen waren, verschloß er hinter sich die Tür, setzte den Sancho fast mit Gewalt neben sich nieder und sagte mit langsamer Stimme:

»Ich danke dem Himmel tausendmal, lieber Sancho, daß, ehe und bevor mir noch irgendein Glück begegnet ist, ein günstiges Schicksal dir schon entgegengeht, um dich zu empfangen. Ich, der ich in meinem Gelingen dir die Verschreibung aufbewahrte, um in Zukunft dir die Zahlung für deine Dienste zu leisten, sehe mich noch in den ersten Anfängen, um mein Glück zu verbessern, und du siehst vor der Zeit und gegen alle Gesetze eines natürlichen Laufes der Dinge deine Wünsche gekrönt. Andere bestechen, bestürmen, bitten, eifern, flehen, dringen und erreichen doch ihre Absicht nicht, und wieder ein anderer kömmt, und ohne zu wissen wie und warum, findet er sich in dem Amte und der Bedienung, um die sich viele andere beworben haben; so daß hier der gewöhnliche Spruch paßt, daß gutes und böses Glück unsere Bewerbungen[280] regieren. Du, der du, gegen mich gerechnet, ohne Zweifel ein gemeiner Mensch bist, bist plötzlich, ohne früh aufzustehen, ohne Nächte zu durchwachen, ohne dir irgend Mühe zu geben, bloß vom Atem der irrenden Ritterschaft angerührt, ohne weiteres Statthalter einer Insel, als wenn es nur so sein müßte. Ich sage dieses alles, o Sancho, damit du diese Gunst nicht deinen Verdiensten beimessen mögest, sondern daß du dem Himmel dankest, der die Sachen so gelind führt, und daß du nun die Glorie erkennen magst, die in dem Berufe der irrenden Ritterschaft befangen liegt. Wenn nun dein Herz gestimmt ist, daß du das glaubst, was ich gesagt habe, so höre jetzt, mein Sohn, deinem Cato aufmerksam zu, der dir Rat erteilen und dein Stern und Führer sein will, um deinen Weg zu lenken und dich aus dem stürmischen Meere, auf welchem du dich jetzt einschiffst, in einen sicheren Hafen zu bringen: denn die Ämter und großen Würden sind nichts anderes, als eine tiefe See von Verwirrungen zu betrachten.

Fürs erste, mein Sohn, mußt du Gott fürchten, denn in dieser Furcht besteht alles Wissen, und wenn du weise bist, kannst du in keinem Dinge irren.

Zweitens habe immer die Augen auf das, was du bist, suche dich selber zu kennen, welches die allerschwerste Bekanntschaft ist, die man nur ersinnen mag. Wenn du dich selber kennst, so wirst du auch nicht darauf fallen, dich wie der Frosch aufzublasen, der dem Ochsen gleich sein wollte; tust du es aber, so wende den Blick zu deinen häßlichen Füßen von dem Rade deiner Torheit weg und erwäge, daß du bei dir zu Hause die Schweine gehütet hast.«

»Das ist wahr«, antwortete Sancho, »aber damals war ich ein kleiner Bursche; nachher, als ich ein Junge wurde, waren es Gänse, die ich hütete, und nicht Schweine, aber ich glaube, daß das nichts zur Sache tut, denn nicht alle, die regieren, können aus königlichem Geschlechte abstammen.«

»Das ist wahr«, versetzte Don Quixote, »deswegen müssen diejenigen, die nicht aus edlem Stamme sind, das Ansehen ihrer Würde durch eine gütige Freundlichkeit mildern, die, schicklich angebracht, sie vor den Lästerungen schützt, denen kein Stand entgehen kann.

Gedenke, Sancho, der Niedrigkeit deiner Abkunft, entblöde dich nicht, es zu sagen, daß du von Bauern herstammst, denn wenn man sieht, daß du dich dessen nicht schämst, wird dich keiner damit beschämen wollen, halte es für rühmlicher, ein demütiger Tugendhafter zu sein als ein stolzer Sünder. Unzählig sind diejenigen, die, aus einer niedrigen Familie entsprungen, zu den höchsten geistlichen und weltlichen Würden gelangt sind, und von dieser Wahrheit könnte ich dir so viele Beispiele geben, daß sie dich ermüden würden.

Bedenke, Sancho, daß, wenn du dir die Tugend zu deinem Ziele setzest und dich bemühst, tugendhaft zu handeln, du keinen zu beneiden brauchst, der Fürsten und Herren unter seinen Vorfahren zählt, denn das Blut erbt man, aber die Tugend wird erworben, und die Tugend gilt durch sich selbst, wieviel das Blut nie gelten kann.

Wenn dem nun so ist, wie es in der Tat ist, und es kömmt einer von deiner Freundschaft von ungefähr in deine Insel, dich zu besuchen, so verachte und verspotte ihn nicht, sondern begegne ihm vielmehr freundlich, liebkose ihn und mache viel aus ihm, denn dadurch erfüllst du das Begehren des Himmels, welcher verlangt, daß keins seiner Geschöpfe verachtet werde, und du erfüllst zugleich, was du den Gesetzen der Verwandtschaft schuldig bist.

Wenn du deine Frau mit dir nimmst – denn es ist nicht gut, daß diejenigen, die lange der Regierung vorstehen, ohne ihre eigenen Frauen sind –, so belehre, unterrichte und säubere ihre natürliche Ungeschliffenheit, denn alles, was ein verständiger Statthalter aufzubauen pflegt, pflegt wohl eine bäuerische und einfältige Frau wieder zu verderben und einzureißen.

Wenn du Witwer werden solltest – ein Ding, das sich zutragen kann – und du mit deinem Amte auch[281] deine Gattin erhöhtest, so nimm keine solche, die dir als Hamen und Angelrute dient und die dir hinter dem Rücken krumme Finger macht; denn wahrlich, ich sage dir, daß von allem, was die Frau des Richters bekömmt, der Mann bei dem allgemeinen Verhör Rechenschaft ablegen muß, wo er alsdann im Tode alles vierfach bezahlen muß, was ihm in seinem Leben nicht zur Last gefallen ist.

Niemals laß dich verleiten, die Gesetze willkürlich auszudeuten, denn das pflegen die Unwissenden zu tun, die für scharfsinnig wollen gehalten werden.

Die Tränen des Armen dürfen mehr Mitleid, aber nicht mehr Gerechtigkeit bei dir finden als die Nachweisungen des Reichen.

Suche die Wahrheit unter den Geschenken und Versprechungen des Reichen zu entdecken wie unter den Klagen und Bitten des Armen.

Wenn die Billigkeit Eingang finden kann und darf, so laß den Verbrecher nicht ganz die Strenge des Gesetzes fühlen: denn nicht größer ist der Ruhm des strengen Richters als der des mitleidigen.

Beugst du einmal den Stab der Gerechtigkeit, so geschehe es nicht vom Gewicht der Geschenke, sondern von dem der Barmherzigkeit.

Sollst du den Prozeß von einem deiner Feinde entscheiden, so entferne alle Erinnerungen seiner Beleidigung und stelle sie zur Wahrheit der Sache.

Keine Eigenliebe blende dich bei einem fremden Handel: denn die Fehler, die du dann begehst, werden meist nicht zu vermitteln sein, und wenn es geschieht, geschieht es nur auf Kosten deines Kredits und selber deines Vermögens.

Wenn eine schöne Frau kommt und Gerechtigkeit von dir verlangt, so verschließe deine Augen vor ihren Tränen und deine Ohren vor ihren Seufzern und erwäge aus der Ferne den Inhalt ihrer Bitte, wenn du nicht willst, daß dein Verstand sich in ihren Tränen und deine Tugend in ihren Seufzern vernichten soll.

Denjenigen, den du mit der Tat strafst, behandle nicht übel mit Worten, denn für den Unglücklichen reicht die wirkliche Züchtigung hin, ohne daß du noch böse Reden hinzufügst.

Den Angeklagten, der zu deinem Verhör kömmt, betrachte als einen armen Menschen, der allen Schwachheiten unserer verdorbenen Natur unterworfen ist, und zeige dich von deiner Seite, ohne dem Gegenteile Unrecht zu tun, mitleidig und gütig, denn wenn die Eigenschaften Gottes auch alle gleich sind, so glänzt und schimmert in unseren Augen die seiner Barmherzigkeit doch mehr als die seiner Gerechtigkeit.

Wenn du diesen Vorschriften und Regeln folgst, Sancho, so werden deine Tage lange dauern, dein Ruhm wird ewig, deine Belohnung groß, dein Glück unaussprechlich sein; du wirst deine Kinder nach deinem Wunsche verheiraten, es wird ihnen sowie deinen Enkeln wohlgehen; du wirst in Frieden und zur Freude der Menschen leben, und auf der Grenze deines Lebens wird dich der Tod in einem erfreulichen und reifen Alter treffen, und die zarten und liebenden Hände deiner Urenkelchen werden dir die Augen zudrücken. Was ich dir bisher gesagt habe, waren Anleitungen, deine Seele auszuschmücken; höre jetzt, was du für den Schmuck deines Körpers zu tun hast.«

Quelle:
Cervantes Saavedra, Miguel de: Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha. Berlin 1966, Band 2, S. 278-282.
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