Sechzehntes Kapitel.

[328] Was dem Sancho Pansa begegnete, als er die Ronde auf seiner Insel machte.


Wir verließen den großen Statthalter, über den malenden und schelmischen Bauer verdrüßlich und erzürnt, der vom Haushofmeister, wie dieser vom Herzoge angestiftet, mit Sancho seinen Spaß trieb; er aber hielt sich alle vom Leibe, so einfältig, roh und grob er auch war; er sagte zu denen, die sich mit dem Doktor Pedro Recio gegenwärtig befanden – der wieder in den Saal gekommen war, als man das Geheimschreiben des Herzogs gelesen hatte –: »Jetzt sehe ich nun in Wahrheit ein, daß Richter und Statthalter eigentlich von Eisen sein müßten, um die Unverschämtheit der Kläger nicht zu empfinden, die zu allen Stunden und zu allen Zeiten kommen und gehört und abgefertigt sein wollen, die nur an ihre Klage denken, mag es gehen, wie es will, und wenn der arme Richter sie nicht hört und nicht abfertigt, weil er entweder nicht kann oder weil es die Zeit nicht ist, in welcher er Audienz gibt, so verlästern und schimpfen sie ihn und lassen keinen guten Bissen an ihm und machen seine ganze Familie herunter. O du einfältiger Kläger, du dummer Kläger, übereile dich nicht, erwarte Zeit und Gelegenheit, deine Klage anzubringen; komm nicht in der Stunde des Essens oder des Schlafens, denn die Richter sind von Fleisch und Blut, sie müssen der Natur geben, was sie natürlicherweise von ihnen fordert, außer daß ich der meinigen nicht zu essen anbieten darf. Dank sei es dem Herrn Doktor Pedro Recio Tirteafuera, der hier gegenwärtig ist, denn er will, daß ich vor Hunger sterben soll, und behauptet, dieser Tod sei Leben; ein solches möge Gott[329] ihm und allen seines Gelichters gewähren, ich rede nämlich von den schlechten Ärzten, denn die guten verdienen Palmen und Lorbeerkränze.«

Alle, die den Sancho Pansa kannten, verwunderten sich, als sie ihn so ausgewählt sprechen hörten, sie wußten nicht, wem sie es anders zuschreiben sollten als den Geschäften und wichtigen Ämtern, die den Verstand erheben oder herunterbringen. Der Doktor Pedro Recio Agüero de Tirteafuera versprach ihm endlich, ihm ein Abendessen zu bewilligen, und wenn er auch gegen alle Aphorismen des Hippokrates verstoßen sollte. Damit gab sich der Statthalter zufrieden und erwartete sehr ängstlich die Nacht und die Stunde des Abendessens; und obgleich die Zeit, nach seiner Meinung, stehenblieb und sich nicht vom Flecke rührte, so kam doch endlich die von ihm so sehnlich gewünschte Stunde, in welcher man ihm zum Abendessen ein Salpicon von Kuhfleisch mit Zwiebeln gab, nebst den abgekochten Füßen eines Kalbes, das schon etwas bei Jahren war. Er beschäftigte sich daran mit mehr Vergnügen, als wenn man ihm mailändische Haselhühner gegeben hätte, Fasanen von Rom, Kalbfleisch von Sorrent, Rebhühner von Moron oder Gänse von Lavajos, und während des Essens wandte er sich zum Doktor und sagte: »Denkt darauf, Herr Doktor, daß Ihr mir in Zukunft nicht so feine Sachen oder ausgesuchte Gerichte geben laßt, denn das hieße meinen Magen nur aus seiner Gewohnheit bringen, der an Ziegen-, Kuh- und Schweinefleisch gewöhnt ist, an Pökelfleisch, Wurzelwerk und Zwiebeln, und wenn Ihr ihm andere vornehme Gerichte gebt, so nimmt er sie nur ungern und manchmal wohl mit Ekel; was der Herr Speisemeister tun kann, ist, mir zuweilen die sogenannten Ollas potridas machen zu lassen, in diese kann man hineintun, was man will, wenn es sich nur essen läßt, denn ich werde dankbar dafür sein und es auch dereinst vergelten; übrigens spaße keiner mit mir, denn wir sind entweder, oder wir sind nicht; wir wollen alle leben und friedlich und freundlich miteinander essen, denn wenn der Tag anbricht, so bricht er für alle an; ich will diese Insel regieren, ohne rechts links oder links rechts zu machen, und jeder Mensch trage nur die Nase in die Höhe und sehe gerade aus den Augen, denn sonst soll man merken, daß der Teufel los ist, und wenn man mir Ursache dazu gibt, so soll man Wunder schauen; ei ja! Mach dich nur zum Honig, so fressen dich die Fliegen.«

»Wahrlich, Herr Statthalter«, sagte der Speisemeister, »Ihr habt in allem recht, was Ihr da gesagt habt, und ich verspreche, im Namen aller Insulaner auf dieser Insel, daß sie Euch mit der größten Pünktlichkeit, Liebe und Ergebenheit dienen werden, denn die sanfte Regierungsweise, die Ihr ihnen zu Anfang gezeigt habt, läßt sie nicht anders handeln oder auf irgend etwas denken, das zum Nachteil von Euer Gnaden ausfallen könnte.«

»Ich glaube das«, antwortete Sancho, »und sie wären große Narren, wenn sie anders täten oder möchten, und ich sage noch einmal, daß man nur für meinen Unterhalt und für meinen Grauen Sorge trage, denn das ist das wichtigste und die Hauptsache, und wenn es Zeit ist, wollen wir die Ronde machen, denn es ist meine Absicht, diese Insel von aller Unreinigkeit, von allen Vagabunden, müßigem und lüderlichem Volke zu säubern; denn Ihr müßt wissen, daß das müßige und faule Gesindel im Staate das nämliche ist, was die Drohnen in den Bienenstöcken sind, die den Honig verzehren, welchen die arbeitsamen Bienen machen. Ich denke die Bauern zu begünstigen, den Edelleuten ihre Vorrechte zu bewahren, die Tugendhaften zu belohnen und vor allen Dingen die Religion und das Ansehen der Geistlichen in Ehren zu erhalten. Was meint Ihr dazu, meine Freunde? Ist es so recht, oder sitzt mir der Kopf nicht auf der rechten Stelle?«

»Der gnädige Herr Statthalter spricht so«, sagte der Haushofmeister, »daß man erstaunen muß, wie ein Mann, so ganz ohne Wissenschaften, welche Ihr doch nicht besitzt, dergleichen Dinge sagen könne, voller Sentenzen und Ratschläge, die gänzlich von dem entfernt sind, was von Eurem Geiste diejenigen[330] erwarteten, die uns hierher schickten, so wie wir, die wir hergekommen sind; man sieht aber in der Welt alle Tage etwas Neues: Aus Spaß wird Ernst, und die Spötter werden die Verspotteten.«

Der Abend kam, und der Statthalter speiste mit der Erlaubnis des Herrn Doktors Recio. Sie richteten sich hierauf zur Ronde ein, er ging mit dem Haushofmeister, dem Sekretär, dem Speisemeister und dem Historiographen, der den Auftrag hatte, alle seine Handlungen niederzuschreiben, nebst so vielen Alguaziln und Schreibern, daß sie fast eine halbe Kompanie ausmachen konnten. Sancho ging mit seinem Stabe in der Mitte, so ehrwürdig man ihn nur wünschen konnte, und als sie einige Gassen des Ortes durchstrichen hatten, hörten sie das Geräusch von Fechtenden; sie gingen hinzu und fanden, daß es zwei Menschen waren, die miteinander kämpften und welche, sobald sie die Justiz wahrnahmen, voneinander abließen, indem der eine rief: »Herbei im Namen Gottes und des Königs! Wie! Ist es möglich, soll es gelitten werden, daß man hier in der Stadt öffentlich raubt und daß man mitten auf der Straße überfallen wird?«

»Seid ruhig, ehrlicher Mann«, sagte Sancho, »und erzählt mir die Ursache Eures Zwistes, denn ich bin der Statthalter.«

Der andre Gegner sagte hierauf: »Herr Statthalter, ich will die Sache in aller Kürze erzählen; Ihr müßt also wissen, daß dieser Edelmann in dem Spielhause, das uns hier gegenüber ist, mehr als tausend Realen gewonnen hat, und Gott weiß, wie; ich war zugegen und entschied mehr als einen streitigen Fall zu seinem Vorteil, mein Gewissen mochte auch dagegen sagen, was es wollte; er ging mit dem Gewinste fort, und als ich dachte, daß er mir doch zum wenigsten einen Taler verehren sollte, wie es Gebrauch und Sitte ist, diesen solchen angesehenen Leuten zu geben, wie ich bin, die zugegen sind, um zweifelhafte Fälle zu entscheiden und zum Besten zu sprechen, so strich er sein Geld ein und ging aus dem Hause; ich ging ihm eilig nach und bat ihn mit freundlichen und höflichen Worten, daß er mir wenigstens acht Realen geben möchte, denn er weiß, daß ich ein vornehmer Mann bin und kein Amt und kein Einkommen besitze, denn meine Eltern haben mich in nichts unterrichtet, mir auch nichts nachgelassen; aber der Schelm, ein Spitzbube wie Cacus und ein falscher Spieler wie Andradilla, will mir nicht mehr als vier Realen geben, woraus der Herr Statthalter seine Unverschämtheit und Gewissenlosigkeit abnehmen kann; wäre aber Euer Gnaden nur nicht herzugekommen, so hätte er seinen Gewinst wohl wieder ausspeien sollen, so daß er gelernt hätte, wie man sich in der Welt zu betragen hat.«

»Was sagt Ihr hierzu?« fragte Sancho.

Der andere antwortete, daß es die Wahrheit sei, was sein Gegner erzählt habe, er hätte ihm nicht mehr als vier Realen geben wollen, weil er ihm diese oft gebe; daß diejenigen, die ein Geschenk erwarteten, auch höflich sein und das freundlich annehmen müßten, was man ihnen gebe, ohne sich darauf einzulassen, wieviel der andere gewonnen habe, wenn sie es nicht gewiß wußten, daß der andere ein falscher Spieler sei und daß der Gewinner mit Unrecht gewonnen habe; zum Beweise aber, daß er ein ehrlicher Mann und kein Spitzbube sei, wie jener behauptet habe, sei eben das hinreichend, daß er ihm nichts habe geben wollen, denn falsche Spieler sind den Zuschauern, die sie kennen, immer zinsbar.

»Das ist wahr«, sagte der Haushofmeister; »jetzt entscheide nun der Herr Statthalter, was mit diesen beiden Männern zu tun ist.«

»Dieses ist hierbei zu tun«, antwortete Sancho; »Ihr, der gewonnen hat, sei es nun mit Recht oder Unrecht, sollt sogleich diesem, der Euch angegriffen hat, hundert Realen geben, außerdem aber noch dreißig für die Armen im Gefängnisse erlegen; Ihr aber, der Ihr kein Amt und kein Einkommen habt und auf Geratewohl auf der Insel umherstreift, nehmt diese hundert Realen und verlaßt morgen am Tage auf zehn Jahre diese Insel, als verbannt, bei Strafe, wenn Ihr dieses Gebot übertretet, es mit dem Leben zu büßen, denn ich will Euch an den Galgen henken, oder wenigstens soll es der Henker auf meinen Befehl[331] tun; und keiner sage hiergegen ein Wort, oder er soll tüchtig bestraft werden.« Der eine gab das Geld, der andere nahm es, dieser verließ die Insel, jener begab sich nach Hause, und der Statthalter sagte: »Ich bin willens, oder es müßte schwach mit mir stehen, alle diese Spielhäuser aufzuheben, denn ich sehe ein, daß sie sehr schädlich sind.«

»Dieses wenigstens«, sagte ein Schreiber, »wird Euer Gnaden nicht aufheben können, denn es gehört einem vornehmen Manne, der ohne Vergleich mehr im Jahre verliert, als ihm die Karten einbringen; gegen andere Buden von geringerm Ansehen könnt Ihr Eure Macht beweisen, denn diese tun mehr Schaden und veranlassen mehr unerlaubte Dinge, als in den Häusern der angesehenen Ritter und Herren vorgehen darf, weil es die falschen Spieler nicht wagen, hier ihre Künste auszuüben; und da das Laster des Spielens doch einmal allgemein geworden ist, so ist es besser, daß in vornehmen Häusern gespielt wird als in Kneipen, wo man einen Elenden um Mitternacht aufgreift und ihn lebendig schindet.«

»Nun, Schreiber«, sagte Sancho, »ich weiß, daß sich darüber noch mancherlei sagen ließe.«

Indem kam ein Häscher herbei, der einen jungen Menschen mit sich schleppte, und sagte: »Herr Statthalter, dieser Bursche begegnete uns, und sowie er die Justiz merkte, wendete er um und fing an, wie eine Gemse zu laufen, ein Zeichen, daß er ein Verbrecher ist; ich lief ihm nach, und wenn er nicht gestolpert und hingefallen wäre, hätte ich ihn niemals eingeholt.«

»Warum liefst du fort, Mensch?« fragte Sancho.

Worauf der junge Mensch antwortete: »Gnädiger Herr, um den vielen Fragen aus dem Wege zu gehen, die die Justiz zu tun pflegt.«

»Was bist du?«

»Ein Weber.«

»Und was webst du?«

»Lanzenspitzen mit Eurer gnädigen Erlaubnis.«

»Einen Spaßvogel haben wir also? Du willst den Lustigmacher spielen? Gut. Und wohin gingst du jetzt?«

»Fische Luft zu schöpfen, gnädiger Herr.«

»Und wo schöpft man frische Luft auf dieser Insel?«

»Wo sie weht.«

»Trefflich! Ihr antwortet recht schlagend, Ihr seid witzig, junger Mensch; aber denkt Euch einmal, daß ich die Luft bin, die in Eure Segel weht und Euch ins Gefängnis führt. Faßt ihn, ihr da! und führt ihn fort, denn ich will machen, daß er dort ohne Luft in dieser Nacht schlafen soll.«

»Mein' Seel'«, sagte der junge Mensch, »Euer Gnaden kann mich sowenig im Gefängnis schlafen machen, als Ihr mich zum Könige machen könnt.«

»Wie? Ich könnte dich nicht im Gefängnisse schlafen machen?« antwortete Sancho, »habe ich denn nicht die Gewalt, dich einzusperren und loszulassen, wenn und wie ich nur will?«

»Wenn Ihr auch noch so viele Gewalt besitzt«, sagte der junge Mensch, »so ist sie doch nicht groß genug, mich im Gefängnisse schlafen zu machen.«

»Warum denn nicht?« versetzte Sancho; »gleich führt ihn fort, daß er mit seinen eigenen Augen seinen Irrtum sehen kann, und selbst wenn der Kerkermeister auch aus Eigennutz nachgebend zu sein wünschte, denn ich will ihm zweitausend Dukaten Strafe zuerkennen, wenn er erlaubt, daß du nur mit einem Fuße aus dem Gefängnisse kommst.«

»Das ist alles nur zum Lachen«, antwortete der junge Mensch; »denn die Sache ist, daß mich alle, die auf Erden leben, nicht im Gefängnisse sollen schlafen machen.«[332]

»Sage mir, Teufel«, sprach Sancho, »hast du denn einen Engel, der dich befreit und der dir die Eisen abnimmt, die ich dir will anlegen lassen?«

»Jetzt, Herr Statthalter«, antwortete der Mensch mit vieler Lustigkeit, »laßt uns zur Sache und auf den rechten Punkt gelangen. Ich setze den Fall, Ihr, gnädiger Herr, laßt mich ins Gefängnis führen, Ihr laßt mir Ketten und Banden anlegen und mich in ein tiefes Loch werfen, legt auch dem Kerkermeister schwere Strafen auf, wenn er mich herausließe, und daß alles geschieht, was Ihr nur immer befehlen mögt; dessenungeachtet, wenn ich nicht schlafen und die ganze Nacht kein Auge zutun will, könnt Ihr mich wohl mit Eurer ganzen Macht schlafen machen, wenn ich es nicht will?«

»Gewiß nicht«, sagte der Sekretär, »der Mensch ist mit seiner Behauptung durchgedrungen.«

»Also«, sagte Sancho, »wolltet Ihr das Schlafen aus keinem andern Grunde unterlassen, als Eurem Willen genugzutun, und nicht, um dem meinigen entgegenzuhandeln?«

»Nein, gnädiger Herr«, sagte der Bursche, »auf keine Weise.«

»So geht mit Gott«, sagte Sancho, »und schlaft in Eurem Hause, und Gott gebe Euch angenehme Träume, denn ich will Euch deren nicht berauben; doch will ich Euch den Rat geben, daß Ihr in Zukunft nicht mit der Justiz spaßen mögt, denn Ihr könntet auf Leute treffen, die Euch den Spaß versalzten.«

Der junge Mensch entfernte sich, und der Statthalter setzte seine Ronde fort, und bald darauf kamen zwei Häscher, die einen Menschen mit sich führten und sagten: »Herr Statthalter, dieser, der wie ein Mann aussieht, ist keiner, sondern ein Mädchen, und kein häßliches, das Mannskleider angezogen hat.«

Man leuchtete ihr mit zwei oder drei Laternen unter die Augen, bei deren Schimmer sie das Gesicht eines Mädchens gewahr wurden, dem Anscheine nach etwa von sechszehn Jahren, die Haare aufgeschlagen mit einem Netze aus Gold und grüner Seide, das Antlitz von der größten Schönheit. Sie betrachteten sie von oben bis unten und sahen, daß sie seidene und fleischfarbene Strümpfe trug, mit Kniebändern von weißem Taffet, mit Gold und kleinen Perlen geschmückt; die kurzen Beinkleider waren grün von Goldstoff, ein kleiner Mantel oder Umwurf von demselben Zeuge, unter diesem hatte sie ein Wams, sehr fein aus Gold und Weiß gewebt, und an den Füßen weiße Männerschuhe; sie führte keinen Degen, sondern einen kostbaren Dolch, und an den Fingern trug sie viele glänzende Ringe. Das Mädchen gefiel allen, und keiner von denen, die zugegen waren, kannte sie; die im Orte Einheimischen sagten, sie wüßten nicht, wer sie sein könnte, und diejenigen, die den Spaß kannten, den man sich mit Sancho machte, waren am meisten verwundert, denn dieser Zufall und dies Zusammentreffen war von ihnen nicht angeordnet, und deshalb standen sie voll Erwartung, was sich aus dieser Sache ergeben würde. Sancho war von der Schönheit des Mädchens entzückt und fragte sie, wer sie sei, wohin sie gehe und was sie bewogen habe, sich in diese Kleidung zu stecken. Sie schlug die Augen zur Erde nieder und antwortete mit der anmutigsten Scham: »Ich kann nicht, gnädiger Herr, so öffentlich etwas sagen, woran mir so viel liegt, daß es geheim bleibe; nur bitte ich, daß man mir ein Ding glaubt, daß ich nämlich keine Diebin noch sonst eine Verbrecherin bin, sondern ein unglückliches Mädchen, welches die Gewalt der Eifersucht gezwungen hat, den Anstand zu verletzen, den man der Sittsamkeit schuldig ist.«

Als der Haushofmeister dies hörte, sagte er zu Sancho: »Laßt diese Leute abtreten, Herr Statthalter, damit diese Dame mit weniger Zwang das sagen kann, was sie zu sagen hat.«

Dies befahl der Statthalter, alle entfernten sich, außer dem Haushofmeister, dem Speisemeister und dem Sekretär. Als sie allein waren, fuhr das Mädchen mit folgenden Worten fort: »Ich, meine Herren, bin die Tochter des Pedro Perez Mazorca, des Wollenpächters in dieser Stadt, der oft in das Haus meines Vaters zu kommen pflegt.«[333]

»Das reimt sich nicht, Señora«, sagte der Haushofmeister, »denn ich kenne diesen Pedro Perez sehr gut und weiß, daß er keine Kinder hat, weder Knaben noch Mädchen; Ihr sagt auch, daß er Euer Vater sei, und dann setzt Ihr hinzu, daß er oft in das Haus Eures Vaters zu kommen pflege.«

»Es ist mir auch aufgefallen«, sagte Sancho.

»Ach, meine Herren, ich bin so in Verwirrung, daß ich nicht weiß, was ich rede«, antwortete das Mädchen; »die Wahrheit aber ist, daß ich die Tochter des Diego de la Llana bin, der Euch allen bekannt sein muß.«

»Nun das läßt sich reimen«, antwortete der Haushofmeister, »ich kenne den Diego de la Llana und weiß, daß er ein vornehmer und reicher Edelmann ist, der einen Sohn und eine Tochter hat; seit er Witwer ist, gibt es aber keinen in diesem ganzen Orte, der sagen könnte, daß er das Gesicht seiner Tochter gesehen habe, denn er hält sie so eingeschlossen, daß er selbst der Sonne nicht erlaubt, sie zu beschauen, dessenungeachtet sagt das Gerücht, daß sie von außerordentlicher Schönheit sein soll.«

»Das ist wahr«, antwortete das Mädchen, »und ich bin diese Tochter; ob das Gerücht von meiner Schön heit lügt oder nicht, darüber seid Ihr nun, meine Herren, außer Zweifel, denn Ihr habt mich gesehen«; und bei diesen Worten fing sie an bitterlich zu weinen. Als der Sekretär dies sah, sagte er dem Speisemeister leise ins Ohr: »Gewiß muß diesem armen Mädchen etwas von Wichtigkeit begegnet sein, da sie, in dieser Kleidung und zur Nachtzeit, indem sie von vornehmer Familie ist, ihr Haus verlassen hat.«

»Das leidet keinen Zweifel«, antwortete der Speisemeister, »und um so weniger, da ihre Tränen diesen Argwohn bestätigen.«

Sancho tröstete sie mit den besten Worten, die er finden konnte, und bat sie, ihm ohne Scheu alles zu sagen, was ihr begegnet sei, denn sie alle würden sich bemühen, ihr auf alle mögliche Weise Hülfe zu leisten.

»Die Sache, meine Herren, ist diese«, antwortete sie; »es sind nun zehn Jahre, daß mich mein Vater eng eingeschlossen hält, denn seit so lange ist meine Mutter in ihr Grab gelegt; im Hause wird in einem schönen Oratorium die Messe gelesen, und in dieser ganzen Zeit habe ich nichts gesehen als am Tage die Sonne des Himmels und in der Nacht den Mond und die Sterne; ich weiß aber nicht, was Gassen, Plätze, Kirchen oder selbst Menschen sind, meinen Vater und meinen Bruder ausgenommen und den Pachter Pedro Perez, der oft in unser Haus kommt, weshalb es mir einfiel, ihn zu meinem Vater zu machen, um den meinigen nicht zu nennen. Daß ich so eingeschlossen bin und nicht aus dem Hause darf, nicht einmal in die Kirche, hat mich schon seit vielen Tagen und Monaten ganz trostlos gemacht; ich wollte gern die Welt sehen oder wenigstens den Ort, wo ich geboren bin; denn das schien mir nicht gegen den Anstand zu streiten, den vornehme Mädchen sich selbst immer schuldig sind. Wenn ich erzählen hörte, daß man Stiergefechte und Turniere halte und Komödien aufführe, so ersuchte ich meinen Bruder, der ein Jahr jünger ist als ich, er möchte mir doch erklären, was das und noch vieles andere für Dinge wären, die ich niemals gesehen hatte; er sagte mir auch alles, so gut er es nur konnte; aber alles das entzündete nur noch mehr meinen Wunsch, es selbst zu sehen. Kurz, um die Erzählung meines Unglücks nicht zu verlängern, ich ersuchte und bat meinen Bruder – – – O daß ich ihn niemals darum ersucht, niemals darum gebeten hätte!« Und so fing sie von neuem ihre Wehklage an.

Der Haushofmeister sagte: »Fahrt fort, Señora, und erzählt uns endlich, was Euch begegnet ist, denn Eure Worte und Eure Tränen halten uns alle in der gespanntesten Erwartung.«

»Nur wenige Worte sind mir noch übrig«, versetzte die Jungfrau, »aber Tränen zu weinen desto mehr, denn die schlecht überlegten Wünsche können keine anderen Unfälle als dergleichen nach sich ziehen.«[334]

Auf das Herz des Speisemeisters hatte die Schönheit des Mädchens einen tiefen Eindruck gemacht, er leuchtete mit seiner Laterne noch einmal, um sie von neuem zu betrachten, und ihm war es, als wenn sie nicht Tränen weinte, sondern Perlen oder den Tau der Wiesen, ja sie erschienen ihm noch edler, denn er verglich sie mit den orientalischen Edelgesteinen und wünschte innig, ihr Unfall möchte nicht so groß sein, als man aus ihren Klagen und Seufzern allerdings schließen konnte. Der Statthalter war in Verzweiflung, daß das Mädchen mit so vielen Umständlichkeiten den Schluß ihrer Geschichte verzögerte; er sagte, sie möchte nun nicht länger ihrer aller Erwartung gespannt erhalten, denn es sei spät und er müsse noch viele Gegenden der Stadt besuchen. Von Schluchzen und tiefen Seufzern häufig unterbrochen, fuhr sie fort: »Etwas anderes ist nun nicht mein Unglück oder mein Mißgeschick, als daß ich meinen Bruder bat, er möchte mich eins von seinen Mannskleidern anziehen lassen und in einer Nacht mit mir aus dem Hause gehen, um die ganze Stadt zu sehen, indes unser Vater schliefe; er, von meinen Bitten bestürmt, willigte in mein Begehren, ich zog mir hierauf dieses Kleid an, und er nahm sich ein anderes von den meinigen, das ihm ganz natürlich steht, denn er hat noch keinen Bart und sieht aus wie das schönste Mädchen; in dieser Nacht also, es ist vielleicht erst eine Stunde her, etwas mehr oder etwas weniger, gingen wir aus dem Hause, und von unserem unklugen Verlangen geführt, sind wir den ganzen Ort durchstrichen, und als wir nun nach Hause zurückgehen wollten, sahen wir einen großen Trupp Menschen, worauf mein Bruder zu mir sagte: ›Schwester, das wird die Ronde sein, mach deine Beine leicht und flüchtig und laufe mir nach, daß sie uns nicht kennen, es würde uns sonst übel gehen‹; und mit diesen Worten wandte er sich um und fing an, nicht zu laufen, sondern wirklich zu fliegen; ich fiel nach weniger als sechs Schritten nieder vor Schreck, und der Diener der Gerechtigkeit nahm mich gefangen, der mich vor Euer Gnaden führte, wo ich mich als eine schlechte und leichtsinnige Person beschämt vor so vielen Menschen sehen muß.«

»Und sonst, Señora«, fragte Sancho, »ist Euch kein Unfall begegnet, noch hat Euch Eifersucht aus Eurem Hause getrieben, wie Ihr im Anfange Eurer Erzählung sagtet?«

»Mir ist nichts weiter begegnet, auch hat mich keine Eifersucht herausgetrieben, sondern bloß der Wunsch, die Welt zu sehen, der sich nicht weiter erstreckte, als die Gassen dieser Stadt zu betrachten.« Um das als Wahrheit zu bestätigen, was das Mädchen gesagt hatte, brachten die Häscher jetzt ihren Bruder herbei, den einer von ihnen ergriffen hatte, als er von seiner Schwester entflohen war. Er hatte nichts als einen kostbaren Rock an und einen Mantel von himmelblauer Seide mit goldener Stickerei, den Kopf ohne Aufsatz und ohne allen anderen Schmuck als mit seinen eigenen Haaren, welche Ringe von Gold waren, so gelb und gelockt, wie sie erschienen. Der Statthalter, der Haushofmeister und der Speisemeister entfernten sich mit ihm und fragten ihn, ohne daß es seine Schwester hörte, wie er in diese Kleidung komme. Worauf er ebenso schamhaft und zögernd das nämliche erzählte, was seine Schwester erzählt hatte, worüber der verliebte Speisemeister großes Vergnügen empfand. Der Statthalter aber sagte zu ihnen: »Wahrlich, meine Freunde, dies ist eine große Kinderei gewesen, und um diese Torheit und dieses Wagestück zu erzählen, bedurfte es nicht soviel Vorrednerei, sowenig wie der vielen Tränen und Seufzer; Ihr durftet nur sagen, wir sind aus dem väterlichen Hause spazierengegangen, mit dieser Erfindung aus bloßer Neugier, ohne eine andere Absicht, und damit war die Geschichte zu Ende, aber nicht soviel Ach! Himmelchen! und lieber Gottchen! und immer auf demselben Flecke bleiben. Alle das Seufzerwesen und Tränenvergießen fiel weg.«

»Das ist wahr«, antwortete das Mädchen, »aber Euer Gnaden muß wissen, daß die Verwirrung, in der ich mich befand, so groß gewesen ist, daß ich nicht wußte, wie ich mich benehmen sollte.«

»Es ist nichts dabei verloren«, antwortete Sancho; »wir wollen jetzt gehen und Euch in das Haus Eures[335] Vaters zurückbringen, der Euch vielleicht noch nicht vermißt hat; künftig aber seid nicht so kindisch und nicht so begierig, die Welt zu sehen: denn das Mädchen tugendhaft immer was im Hause schafft; und ein Weib und eine Henne verlaufen sich bald von ihrer Tenne; und die, die so gern sieht, wünscht auch leicht gesehen zu werden; mehr will ich nicht sagen.«

Der Jüngling dankte dem Statthalter, daß er so gütig sein wolle, sie in ihr Haus zurückzuführen, worauf sie sich auf den Weg machten, denn es war nicht weit von dort. Sie kamen an, und der Bruder warf mit einem Steinchen an ein Fenster, sogleich stieg eine Magd herunter, die sie erwartet hatte, und öffnete ihnen die Tür; sie gingen hinein, indem sie alle verwundert zurückließen, sowohl über ihre Artigkeit und Schönheit als über ihren Vorsatz, die Welt bei Nacht zu sehen, und ohne die Stadt zu verlassen, welches aber von allen ihrer Jugend beigemessen wurde. Der Speisemeister war im Herzen getroffen und nahm sich vor, sie gleich am andern Tage von ihrem Vater zur Gattin zu begehren, indem er überzeugt war, daß man sie ihm nicht abschlagen würde, da er ein Diener des Herzogs sei; auch Sancho machte Pläne und Entwürfe, den Jüngling mit seiner Tochter Sanchica zu verheiraten, und beschloß, es zu seiner Zeit ins Werk zu richten, denn er glaubte, daß der Tochter eines Statthalters sich keiner zum Manne verweigern würde. Hiermit endigte sich die Ronde dieser Nacht, wie nach zwei Tagen die Statthalterschaft, womit alle Entwürfe vernichtet wurden, wie man weiter unten sehen wird.

Quelle:
Cervantes Saavedra, Miguel de: Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha. Berlin 1966, Band 2, S. 328-336.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Don Quijote
El ingenioso hidalgo Don Quijote de la Mancha: Selección. (Fremdsprachentexte)
Don Quijote
Don Quijote: Der sinnreiche Junker Don Quijote von der Mancha Roman
Don Quijote von der Mancha Teil I und II: Roman
Der sinnreiche Junker Don Quijote von der Mancha

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Prinzessin Brambilla

Prinzessin Brambilla

Inspiriert von den Kupferstichen von Jacques Callot schreibt E. T. A. Hoffmann die Geschichte des wenig talentierten Schauspielers Giglio der die seltsame Prinzessin Brambilla zu lieben glaubt.

110 Seiten, 4.40 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon