Zehntes Kapitel.

[103] Allwo sich der höchste Punkt und äußerste Grad deutlich zeigt, zu welchem der unerhörte Mut des Don Quixote steigen konnte und wirklich stieg, nebst dem glücklich beendigten Abenteuer mit den Löwen.


Die Historie erzählt, daß, als Don Quixote nach Sancho rief, ihm den Helm zu geben, dieser eben einige Quarkkäse einkaufte, die ihm die Hirten abließen; und da ihn die große Eile seines Herrn ängstete und er nicht wußte, was er mit ihnen machen oder wo er sie lassen sollte, besann er sich endlich darauf, um sie nicht zu verlieren, weil er sie schon bezahlt hatte, sie in den Helm seines Herrn zu tun, und mit dieser guten Auskunft ritt er zu ihm, um zu fragen, was er haben wolle. Worauf jener sogleich sagte: »Gib mir, Freund, den Helm; denn ich verstehe wenig von Abenteuern, oder jenes, welches sich dort zeigt, ist eins, welches mich nötigen wird und nötiget, die Rüstung anzulegen.«

Der vom grünen Mantel, der dies hörte, sah sich nach allen Seiten um und konnte nichts anderes entdecken als einen Karren, der ihnen entgegenkam, mit zwei oder drei kleinen Fahnen, welche anzeigten, daß auf diesem Karren Geld für den König sei. Dies sagte er auch Don Quixote, der ihm aber keinen Glauben beimaß, sondern immer glaubte und dachte, daß alles, was ihm begegnete, Abenteuer und wieder Abenteuer sein müßten; deshalb antwortete er dem Edelmann: »Vorbedacht ist besser als nachgeklagt. Ich werde dadurch nichts verlieren, wenn ich mich vorsehe; denn ich weiß es aus Erfahrung, daß ich sichtbare und unsichtbare Feinde habe, von denen ich nicht weiß, wann noch wo, noch zu welcher Zeit, noch in welcher Gestalt sie mich angreifen werden.« Er wandte sich hierauf zu Sancho und forderte den Helm,[104] und da dieser nicht Zeit hatte, seine Käse wieder herauszunehmen, so war er gezwungen, ihn hinzugeben, so wie er war. Don Quixote nahm ihn, und ohne sich darum zu bekümmern, was darin enthalten sei, stülpte er ihn mit der größten Eile auf den Kopf; und da die Käse nun gedrückt und gequetscht wurden, so lief dem Don Quixote die Molke über Gesicht und Bart, worüber er sich entsetzte, daß er zu Sancho sprach: »Was ist doch dieses, Sancho? Scheint es doch gar, daß mein Gehirn schmilzt oder mir die Sinne sich auflösen oder daß ich vom Kopfe bis zu den Füßen schwitze! Wenn ich schwitze, so geschieht dies aber nicht aus Furcht; ich glaube ohne Zweifel, daß das Abenteuer, welches mir jetzt bevorsteht, erschrecklich sein muß. Gib mir, wenn du dergleichen hast, etwas, womit ich mich abtrocknen könne; denn dieser häufige Schweiß verblindet mir die Augen.«

Sancho schwieg und gab ihm ein Tuch, indem er zugleich Gott dankte, daß sein Herr nicht auf das rechte Ding geraten sei. Don Quixote trocknete sich und nahm den Helm ab, um das Ding zu sehen, was ihm, wie ihm dünkte, den Kopf kühlte, und da er im Helme die weißen Klöße wahrnahm, hielt er sie an die Nase und rief aus, indem er sie beroch: »Bei dem Leben meiner Dame Dulcinea von Toboso, weiche Käse sind es, die du hier hineingelegt, verräterischer, unverschämter und gemein denkender Stallmeister!«

Worauf Sancho mit vieler Kaltblütigkeit und Verstellung antwortete: »Wenn es Käse sind, so gebt sie mir nur her, daß ich sie essen kann; aber der Teufel mag sie essen, denn es ist doch gewiß, daß der sie dort hineingelegt hat. Ich sollte mich dergleichen unterstehen, den Helm von Euer Gnaden unsauber zu machen? Ei, eine solche Dreistigkeit möcht ich wohl einmal sehen! Wahrhaftig, gnädiger Herr, soviel ich mit Gottes Hülfe davon begreifen kann, so muß ich auch meine Zauberer haben, die mich verfolgen, als einen Teil und Zubehör zu Euer Gnaden; und diese werden die Unreinlichkeit hineingebracht haben, um Eure Geduld in Zorn zu verwandeln und zu machen, daß Ihr mir, wie gewöhnlich, die Rippen drescht. Aber wahrhaftig, diesmal haben sie sich verrechnet; denn ich habe das Zutrauen zu der Einsicht meines gnädigen Herrn, daß er sich überzeugen muß, wie ich weder Käse noch Milch, noch sonst dergleichen habe, und wenn ich es hätte, daß ich es lieber in meinen Magen als in seinen Helm tun würde.«

»Alles dieses kann sein«, sagte Don Quixote; und alles sah der Edelmann mit an und verwunderte sich über alles, vorzüglich aber, als Don Quixote, nachdem er den Kopf, Gesicht, Bart und Helm abgetrocknet hatte, diesen aufsetzte, sich in den Steigbügeln feststellte, das Schwert versuchte, die Lanze nahm und sagte: »Nun komme, was da will: denn hier bin ich, so gemutet, es mit dem Satanas in eigner Person aufzunehmen.«

Indem war der Karren mit den Fahnen herbeigekommen, bei dem sich niemand weiter befand als der Fuhrmann auf seinen Mauleseln und ein Mann, der vorn saß. Don Quixote stellte sich davor und fragte: »Wohin geht's, Freunde? Welch ein Karren ist dieses? Was führt Ihr darauf? und was sind das für Fahnen?«

Worauf der Fuhrmann antwortete: »Der Karren ist mein; was darauf ist, sind zwei tüchtige Löwen in Käfigen, die der General von Oran Seiner Majestät als Präsent an den Hof schickt; die Fahnen sind vom Könige, unserm Herrn, zum Zeichen, daß es etwas ist, was ihm zugehört.«

»Und sind sie groß, die Löwen?« fragte Don Quixote.

»Sie sind so groß«, antwortete der Mann, der vorn auf dem Wagen saß, »daß größere oder nur so große niemals aus Afrika nach Spanien gekommen sind. Ich bin der Löwenwärter und habe wohl schon andere gebracht, aber noch nie dergleichen. Es ist ein Weibchen und ein Männchen; das Männchen ist in diesem vorderen Käfige, das Weibchen aber in jenem hinten. Jetzt sind sie hungrig, weil sie heute noch nicht gefressen haben; ich bitte daher Euer Gnaden, uns fortzulassen, denn es ist nötig, daß wir bald wo hinkommen, wo wir sie füttern können.«[105]

Worauf Don Quixote mit einem kleinen Lächeln sagte: »Mir Löwechen? Löwechen mir? und zu solcher Stunde? Nun, bei Gott, diese Herren, die sie mir schicken, sollen gewahr werden, ob ich ein Mann bin, der sich vor Löwen fürchtet. Steigt nur ab, mein guter Mann, und da Ihr der Löwenwärter seid, so macht diese Käfige auf und laßt die Bestien heraus; denn mitten hier auf dem Felde will ich zeigen, wer Don Quixote von la Mancha ist, zum Trotz und Verdruß jener Zauberer, die sie mir senden.«

So, so, sagte hierauf der Edelmann bei sich, nun hat es sich unser lieber Ritter merken lassen, wo es ihm fehlt; die weichen Käse haben ihm gewiß das Gehirn erweicht und den Verstand überreif gemacht.

Sancho kam hierauf zu ihm und sagte zu ihm: »Gnädiger Herr, hindert es doch um Gottes willen, daß mein Herr Don Quixote sich nicht mit diesen Löwen einläßt; denn wenn er es tut, so reißen sie uns hier alle in Stücke.«

»Ist denn Euer Herr ein so großer Narr«, antwortete der Edelmann, »daß Ihr fürchten und glauben könnt, er werde sich mit diesen wilden Tieren einlassen?«

»Er ist kein Narr«, antwortete Sancho, »aber sehr verwegen.«

»Ich will machen, daß er es nicht sei«, versetzte der Edelmann. Er näherte sich hierauf Don Quixote, der den Löwenwärter heftig antrieb, die Käfige zu öffnen, und sagte zu ihm: »Herr Ritter, die irrenden Ritter haben sich immer nur in Abenteuer eingelassen, bei denen sie die Aussicht hatten, sie glücklich beendigen zu können, nicht aber in solche, die den guten Ausgang durchaus unmöglich machen; denn die Tapferkeit, die in das Gebiet der Tollkühnheit überstreift, ist mehr Narrheit als Mut zu nennen, vorzüglich da diese Löwen nicht gegen Euch geschickt werden, ja, sich davon nichts träumen lassen, sondern ein Präsent für Seine Majestät sind; es ist daher nicht gut getan, ihre Reise länger zu verhindern und aufzuhalten.«

»Ihr, mein werter Herr«, antwortete Don Quixote, »mögt nur gehen und das zahme Rebhuhn und die dreiste Frette handhaben; und laßt einen jeden tun, was seines Amtes ist. Dies ist das meinige, und ich nur weiß es, ob diese Herren Löwen meinethalben kommen oder nicht.« Er wandte sich hierauf wieder zum Löwenwärter und sagte: »Ich schwöre dir, Herr Spitzbube, daß, wenn du nicht alsbald diese Käfige aufmachst, ich dich mit dieser Lanze an den Karren nageln will.«

Da der Fuhrmann den festen Entschluß des gewaffneten Gespenstes sah, sagte er: »Mein gnädiger Herr, erlaubt mir um Gottes willen, die Maultiere vorher auszuspannen und mich und sie in Sicherheit zu bringen, ehe die Löwen herauskommen; denn wenn Sie mir die totmachen, so bin ich auch für meine ganze Lebenszeit so gut wie tot, denn ich habe kein anderes Vermögen als diese Maultiere und diesen Karren.«

»O du Mann von wenigem Glauben!« antwortete Don Quixote. »Steige ab, spann sie aus, tu, was du willst; aber bald sollst du sehen, daß du dich vergebens bemüht hast und dir diese Arbeit hättest ersparen können.«

Der Fuhrmann stieg ab und spannte eilig aus, und der Löwenwärter sagte mit lauter Stimme: »Alle seien Zeugen, so viele ihrer hier sind, wie ich gegen meinen Willen und aus Zwang die Käfige aufmache und die Löwen herauslasse und daß ich es diesem Herrn sage, wie alles Unglück und aller Schaden, den diese Bestien anrichten können, auf seine Rechnung kommen wird, das dazu gezählt, was ich dabei einbüße. Meine Herren mögen sich vorher entfernen, ehe ich aufmache; denn ich bin sicher, daß mir nichts geschehen wird.«

Der Edelmann redete ihm noch einmal zu, daß er keine solche Torheit begehen und Gott auf eine so unsinnige Art versuchen möchte.

Worauf Don Quixote antwortete, daß er recht gut wisse, was er tue.[106]

Der Edelmann antwortete, daß er sich wohl besinnen möge, denn er sei überzeugt, daß er sich täusche. »Je nun, mein Herr«, antwortete Don Quixote, »wenn Ihr keinen Zuschauer von dem abgeben wollt, was nach Eurer Meinung eine Tragödie sein wird, so dürft Ihr ja nur Eurem Apfelschimmel die Sporen geben und Euch in Sicherheit setzen.«

Als Sancho dies hörte, bat er ihn mit Tränen in den Augen, doch von dieser Unternehmung abzustehen, womit verglichen die mit den Windmühlen und die entsetzliche der Walkmühle, und kurz, alle Taten, die er nur jemals im Laufe seines Lebens verrichtet habe, für Torten und Zuckerwerk zu rechnen wären. »Seht doch nur, gnädiger Herr«, sagte Sancho, »daß hier keine Bezauberung oder dergleichen Ding ist; denn ich habe zwischen den Ritzen und Gittern des Käfigs die Klaue von einem wahrhaftigen Löwen gesehen, und ich schließe daraus, daß ein solcher Löwe, dem eine solche Klaue zugehört, größer als ein Berg sein müsse.«

»Die Furcht«, antwortete Don Quixote, »wird wenigstens machen, daß er dir größer als die halbe Welt vorkommt. Entferne dich, Sancho, und laß mich, und wenn ich sterbe, so weißt du unsern alten Vertrag; du gehst zur Dulcinea, und mehr will ich nicht sagen.«

Er fügte diesen Worten noch andere hinzu, durch welche die übrigen völlig die Hoffnung verloren, er möchte noch von seinem unsinnigen Unternehmen abzubringen sein. Der vom grünen Mantel hatte Lust, sich ihm zu widersetzen; aber da er die ungleichen Waffen bedachte, und daß es nicht verständig sei, sich mit einem Narren einzulassen, wie sich ihm Don Quixote nun schon völlig gezeigt hatte, der den Löwenwärter jetzt wieder antrieb und seine Drohungen erneuerte, so gab er seiner Stute die Sporen, Sancho folgte auf dem Grauen und der Fuhrmann mit seinen Mauleseln, indem alle eilten, sich so weit als möglich vom Karren zu entfernen, ehe noch die Löwen herausgekommen wären. Sancho beweinte den Tod seines Herrn, von dem er überzeugt war, daß er sich schon in den Klauen der Löwen befinde; er verwünschte sein Schicksal, er verfluchte die Stunde, in der er auf den Gedanken gekommen, wieder in seine Dienste zu treten; aber trotz dem Weinen und Klagen versäumte er nicht, auf den Grauen zu prügeln, damit er dem Karren aus dem Gesichte käme.

Da der Löwenwärter sah, daß die übrigen sich schon auf die Flucht begeben und ziemlich weit entfernt hatten, bat er den Don Quixote und stellte ihm noch einmal vor, wie er ihn schon gebeten und was er ihm schon vorgestellt hatte. Jener aber antwortete, daß er sich gar nichts um seine Bitten und Vorstellungen kümmere, daß alles unnütz sei und daß er nur eilen möchte. In der Zwischenzeit, indes der Löwenwärter noch zögerte, den ersten Käfig aufzumachen, überlegte Don Quixote, ob es nicht besser sein würde, die Schlacht zu Fuß als zu Pferde zu halten, indem er fürchtete, daß Rozinante sich vor dem Anblicke der beiden Löwen entsetzen könnte. Er stieg deshalb vom Pferde, warf die Lanze weg, nahm den Schild und zog sein Schwert, und so stellte er sich gelassen mit bewundernswürdiger Keckheit und tapferem Herzen vor den Karren, sich Gott von ganzer Seele und alsbald auch seiner Dame Dulcinea empfehlend.

Und man muß wissen, daß, da der Autor dieser wahrhaftigen Historie an diese Stelle kommt, er ausruft und spricht: »O du tapferer und über alle Darstellung hochherziger Don Quixote von la Mancha! Du Spiegel, in welchem sich alle kühnen Seelen dieser Welt beschauen können! Du zweiter und neuer Don Manuel de Leon, der der Ruhm und die Ehre der spanischen Ritter gewesen! Mit welchen Worten soll ich diese furchtbare Tathandlung vortragen, oder mit welcher Beschreibung soll ich sie den künftigen Jahrhunderten glaubwürdig machen? oder welche Lobeserhebungen sind geziemend und passend für dich, wenn es auch Hyperbeln über Hyperbeln sein sollten? Du zu Fuß, du allein, du unerschrocken, du hochgesinnt, nur mit einem Degen, der keiner der vorzüglichsten, mit einem Schilde, das nicht von[107] poliertem Stahle glänzt, stehst da und erwartest die zwei wildesten Löwen, die jemals die afrikanischen Wälder hervorgebracht haben! Deine eigenen Taten seien dein Lob, du tapferer Manchaner, denn ich lasse sie hier für sich selber sprechen, weil mir Worte fehlen, sie würdig zu erheben.«

Hier endigt der Autor seine Ausrufung und fährt fort, indem er den Faden der Geschichte wieder anknüpft, auf folgende Weise zu erzählen. Als der Löwenwärter sah, daß Don Quixote sich schon in Positur gesetzt hatte und daß er nicht umhinkönne, den männlichen Löwen herauszulassen, bei Strafe, in die Ungnade des erzürnten und verwegenen Ritters zu fallen, so öffnete er nach und nach den ersten Käfig, in welchem sich, wie gesagt, der Löwe befand, der von außerordentlicher Größe und von furchtbarer und gräßlicher Gestalt war. Das erste, was er tat, war: sich in seinem Käfige umzuwenden, die Klaue zu recken und sich dann ganz auszudehnen. Er machte hierauf das Maul auf und gähnte sehr umständlich; eine Zunge, die zwei Handbreit lang war, streckte er dann heraus, wischte sich damit die Augen und wusch sein Gesicht. Nachdem dieses getan, steckte er den Kopf aus dem Käfige heraus und sah sich nach allen Seiten mit glühenden Augen um: ein Anblick, der wohl der Kühnheit selbst Furcht hätte einjagen können. Nur Don Quixote betrachtete ihn mit kalter Aufmerksamkeit und wünschte, daß er schon vom Karren herunter wäre, damit er mit ihm handgemein werden und ihn, wie er sich vorgenommen, in Stücke hauen könnte.

So hoch war das Äußerste seiner unerhörten Torheit gestiegen; aber der edle Löwe, mehr artig als hoffärtig, auf Kinderstreiche und Rauferei nicht ausgehend, nachdem er sich, wie schon gesagt, von der einen wie von der andern Seite umgeschaut hatte, wandte sich um, zeigte dem Don Quixote seine hintern Teile und legte sich mit großer Kaltblütigkeit und Ruhe in seinem Käfige wieder nieder. Da dies Don Quixote sah, befahl er dem Löwenwärter, ihn zu schlagen und ihn so mit Gewalt herauszutreiben.

»Das werde ich nicht tun«, antwortete der Löwenwärter; »denn wenn ich ihn anreize, so bin ich der erste, den er in Stücke reißt. Begnügt Euch, Herr Ritter, mit dem Getanen, was alles Mögliche ist, was man nur irgend von der Tapferkeit fordern kann, und versucht Euer Glück nicht zum zweiten Male. Der Löwe sieht seine Türe offen, es steht bei ihm, herauszukommen oder nicht herauszukommen; da er aber jetzt nicht herausgekommen ist, so wird er es auch den ganzen Tag nicht tun. Die Größe Eures Herzens hat sich nun schon hinlänglich gezeigt. Kein braver Kämpfer, soviel ich davon verstehe, ist zu mehr verpflichtet, als seinen Gegner herauszufordern und ihn im freien Felde zu erwarten; und wenn der Feind nicht erscheint, so fällt auf diesen der Schimpf; der ihn erwartet, hat aber den Kranz des Siegers gewonnen.«

»Dieses ist wahr«, antwortete Don Quixote; »schließe die Tür, mein Freund, und gib mir, so gut du kannst, in bester Form ein Zeugnis von dem, was du mich hier hast tun sehen; wie du nämlich dem Löwen aufgemacht, ich ihn erwartet, er nicht gekommen, ich ihn wieder erwartet, er wiederum nicht gekommen, sondern sich niedergelegt hat. Mehr ist nicht meine Pflicht; und so fort mit euch, Bezauberungen! und Gott möge der Vernunft, der Wahrheit und der wahrhaften Ritterschaft beistehen! Darum schließe, wie gesagt, zu, indes ich den Entflohenen und Abwesenden ein Zeichen gebe, damit sie diese Tat aus deinem Munde erfahren mögen.«

Der Löwenwärter tat es, und Don Quixote steckte auf die Spitze der Lanze das Tuch, womit er sich das Gesicht von der Überschwemmung der Käse gereinigt hatte, worauf er denen nachrief, die noch immer flüchtig waren, aber bei jedem Schritte den Kopf umwandten, alle in einem Haufen, der Edelmann voran; als aber Sancho das Zeichen des weißen Tuches wahrnahm, sagte er: »Ich will sterben, wenn mein Herr nicht die wilden Bestien überwunden hat, denn er ruft uns.«

Alle hielten an und erkannten, daß derjenige, der die Zeichen machte, Don Quixote sei; und da sie[108] dadurch etwas von ihrer Furcht verloren, so kamen sie nach und nach etwas näher, bis sie ganz deutlich die Stimme des Don Quixote unterschieden, der ihnen zurief. Alle kamen endlich zum Karren zurück, worauf Don Quixote zum Fuhrmanne sagte: »Spannt nur, Freund, Eure Maultiere wieder vor und setzt Eure Reise fort; du aber, Sancho, gib sowohl ihm als dem Löwenwärter jedem einen Dukaten, zur Vergütigung, daß sie sich meinetwegen aufgehalten.«

»Von Herzen gern will ich das tun«, antwortete Sancho; »aber was ist denn aus den Löwen geworden? Sind sie tot oder sind sie lebendig?«

Nun fing der Löwenwärter umständlich, indem er oft innehielt, an, den Ausgang des Streites zu erzählen, wobei er, soviel er nur wußte und konnte, die Tapferkeit Don Quixotes übertrieb, bei dessen Anblick der furchtsame Löwe nicht aus dem Käfige herauszugehen gewagt, ob er gleich die Tür eine geraume Zeit offengelassen habe; weil er nun dem Ritter vorgestellt, daß es Gott versuchen heiße, wenn man den Löwen anreizte, daß er mit Gewalt heraus müßte, wie er gewollt, daß man tun solle, so habe er denn endlich ungern und mit Widerwillen erlaubt, daß die Tür wieder zugeschlossen werden dürfte.

»Nun, was sagst du dazu, Sancho«, sprach Don Quixote, »gibt es wohl Bezauberungen, die gegen die wahre Tapferkeit aushalten? Die Zauberer können mir wohl das Glück, aber unmöglich Kraft und Mut entführen.«

Sancho gab die Dukaten, der Fuhrmann spannte wieder vor, der Löwenwärter küßte dem Don Quixote für die empfangene Gnade die Hand und versprach, dieses tapfere Unternehmen, sobald er an den Hof komme, dem Könige selbst zu erzählen.

»Wenn nun Seine Majestät etwa fragen sollte, wer dieses getan, so sagt ihm nur, der Ritter von den Löwen; denn von nun an will ich diesen Namen vertauschen, auswechseln, verwandeln und umändern gegen jenen, den ich bisher geführt, des Ritters von der traurigen Gestalt. Hierin folge ich einem alten Gebrauche der irrenden Ritter, die ihre Namen verwandelten, wann es ihnen beliebte oder wann es ihnen geziemend dünkte.«

Der Karren setzte seinen Weg fort, so wie Don Quixote, Sancho und der vom grünen Mantel den ihrigen weiter verfolgten.

In dieser ganzen Zeit hatte Don Diego de Miranda kein Wort gesprochen, weil er aufmerkte, um alle Handlungen und Worte Don Quixotes zu sehen und zu behalten, der ihm ein gescheiter Narr schien, und ein Narr, der an die gescheiten Leute grenzt. Ihm war der erste Teil seiner Historie noch nicht zu Gesicht gekommen; denn wenn er diesen gelesen, so hätte seine Verwunderung aufgehört, in die ihn seine Taten und Worte versetzten, denn ihm wäre dann die Art seiner Narrheit bekannt gewesen. Da er sie aber nicht kannte, so hielt er ihn bald für klug und bald für närrisch; denn das, was er sagte, war vernünftig, in guten und eleganten Ausdrücken, und was er tat, war unsinnig, tollkühn und albern. Er sagte zu sich selbst: Kann es einen größern Unsinn geben, als einen Helm voller Käse auf den Kopf zu setzen und zu glauben, daß ihm die Zauberer das Gehirn zerschmelzten? Gibt es was Tollkühneres und Unsinnigeres als mit aller Gewalt mit Löwen kämpfen wollen?

In diesen Betrachtungen und in diesem Selbstgespräche störte ihn Don Quixote, welcher zu ihm sagte: »Ohne allen Zweifel, mein Herr Don Diego de Miranda, haltet Ihr mich in Euren Gedanken für einen unsinnigen und törichten Mann, und es wäre nichts Besonderes, wenn Ihr so dächtet, denn meine Handlungen geben mir kein besseres Zeugnis; aber dessenungeachtet müßt Ihr wissen, mein Herr, daß ich nicht so sehr Tor oder so albern bin, wie es scheinen dürfte. Trefflich zeigt sich ein mutiger Ritter vor den Augen seines Königs mitten auf dem großen Platze, wenn er dem großen Stier einen Lanzenstich mit glücklichem Erfolge gibt; trefflich zeigt sich ein gewaffneter Ritter in glänzender Rüstung, in den Schranken[109] und in fröhlichen Turnieren vor den Damen; trefflich zeigen sich alle Ritter, die in kriegerischer Übung oder einem dem ähnlichen Spiel unterhalten und ergötzen und, wenn man sich des Ausdruckes bedienen will, den Hof ihres Fürsten schmücken; aber vor diesen zeigt sich am trefflichsten der irrende Ritter, der durch Wüsten, durch Einöden, auf Kreuzwegen, durch Wälder und Gebirge gefahrvolle Abenteuer sucht, in der Absicht, ihnen einen glücklichen und erwünschten Ausgang zu geben, um einen glänzenden und ewig währenden Ruhm zu erwerben; trefflicher zeigt sich, so behaupte ich, ein irrender Ritter, der in der Wüste einer Witwe Hülfe leistet, als ein Hofritter, der in den Städten einer Jungfrau Artigkeiten sagt. Alle Ritter haben ihre besondern Geschäfte. Der Höfling diene den Damen, er schmücke den Hof seines Königs mit prächtigen Kleidern, er unterhalte die armen Ritter an seinem reichen Tische, er veranstalte Turniere, er ordne Wettrennen an und zeige sich groß, freigebig und prächtig, vor allen aber als ein guter Christ, und solchergestalt wird er seine Pflichten auf die wahre Art erfüllen, aber der irrende Ritter streife durch alle Winkel der Welt, er betrete die verworrensten Labyrinthe, bei jedem Schritte unternehme er das Unmögliche, er widerstehe in wüsten Einöden den brennenden Sonnenstrahlen mitten im Sommer, im Winter dem rauhen Ungestüme der Winde und des Frostes, ihn erschrecken nicht Löwen, keine Gespenster machen ihm bange, keine Drachen jagen ihm Furcht ein; denn jene aufsuchen, diese angreifen, alle überwinden, dies sind seine vorzüglichsten und wahren Beschäftigungen. Ich also, da mein Schicksal es wollte, einer aus der Zahl der irrenden Ritterschaft zu sein, darf es nicht unterlassen, alles anzugreifen, was mir unter die Gerichtsbarkeit meines Amtes zu gehören scheint. Daher die Löwen anzugreifen, die ich heute angegriffen habe, war mir eine unerläßliche Pflicht, ob ich gleich wußte, daß es eine ungeheure Tollkühnheit sei; denn es ist mir wohl bekannt, daß die Tapferkeit eine Tugend ist, die zwischen zweien zu verachtenden Äußersten liegt, nämlich zwischen der Feigheit und der Tollkühnheit. Es ist aber weniger zu tadeln, wenn der Tapfere zu weit geht und in das Gebiet der Tollkühnheit hinüberschreitet, als wenn er herabsteigt und zur Feigheit sinkt; denn wie es dem Verschwender leichter als dem Geizigen wird, freigebig zu werden, ebenso ist es dem Tollkühnen leichter, wirklich tapfer zu werden, als dem Feigen, sich zur wahrhaften Tapferkeit zu erheben. Was nun das betrifft, Abenteuer anzugreifen, so glaubt mir nur, Don Diego, daß man lieber durch eine Karte zuviel als zuwenig verlieren soll, denn in den Ohren klingt es schöner, wenn man die Leute so sprechen hört: ›Der Ritter ist tollkühn und verwegen‹, als: ›Der Ritter ist furchtsam und feig.‹«

»Ich sage, Herr Don Quixote«, antwortete Don Diego, »daß alles, was Ihr sagt und tut, genau von dem Wagezünglein der Vernunft selbst abgemessen wird, und ich glaube, daß, wenn die Ordnungen und Gesetze der irrenden Ritterschaft verlorengingen, sie sich in Eurer Brust, als ihrer Niederlage und ihrem Archive, wiederfänden. Aber wir wollen eilen, denn es ist schon spät, damit wir meine Heimat und meine Wohnung erreichen, wo Ihr von Eurer überstandenen Beschwer ausruhen mögt; denn wenn auch nicht Euer Körper, so hat doch Euer Geist gearbeitet, und das pflegt oft die Ermattung des Körpers nach sich zu ziehen.«

»Ich nehme Euer Anerbieten mit dem größten Danke an, Herr Don Diego«, antwortete Don Quixote; worauf sie ihre Pferde mehr als vorher anspornten und etwa um zwei Uhr nachmittags in den Ort und die Wohnung des Don Diego ankamen, welchen Don Quixote nannte: den Ritter vom grünen Mantel.

Quelle:
Cervantes Saavedra, Miguel de: Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha. Berlin 1966, Band 2, S. 103-110.
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