Fünftes Kapitel.

[383] Enthält, wie Don Quixote sich vom Herzoge beurlaubte und was ihm mit der verständigen und aufgeräumten Altisidora, der Kammerfrau der Herzogin, begegnete.


Nun schien es dem Don Quixote Zeit, den Müßiggang zu verlassen, in welchem er sich in diesem Kastelle befand; denn er bildete sich ein, daß es ein großer Verlust sei, wenn er sich länger so einschließen lasse und untätig unter diesen unzähligen Festlichkeiten und Vergnügungen bleibe, die ihm die Herzoge als einem irrenden Ritter anstellten, und da er glaubte, er müsse dem Himmel von dieser Muße und Zurückgezogenheit strenge Rechenschaft ablegen, so bat er die Herzoge um die Vergünstigung, sich beurlauben zu dürfen. Diese gaben sie ihm mit vielen Zeichen, wie schmerzlich es ihnen fiele, daß er sie verlassen wolle. Die Herzogin gab dem Sancho Pansa die Briefe seiner Frau, der über sie weinte und sagte: »Wer hätte das gedacht, daß so große Hoffnungen, als in der Brust meiner Frau Therese Pansa über die Nachricht meiner Statthalterschaft erzeugt wurden, darauf hinauslaufen sollten, daß ich jetzt wieder hinter den Abenteuern meines Herrn Don Quixote von la Mancha mich herschleppe? Aber ich bin doch vergnügt darüber, daß ich sehe, Therese führt sich so auf, wie es sich schickt, daß sie der Herzogin die Eicheln übersendet, denn wenn sie das nicht getan hätte, so würde ich mich sehr ärgern, daß sie so undankbar ist. Mein Trost ist nur, daß man von diesem Geschenke nicht sagen kann, es sei eine Bestechung, denn ich hatte die Statthalterschaft noch nicht, als sie es schickte, und das gehört sich, daß die, die eineWohltat empfangen, sich dankbar bezeigen müssen, wenn es auch nur durch eine Kinderei geschieht. Kurz, nackt kam ich in die Statthalterschaft, und nackt komme ich wieder heraus, und darum kann ich mit gutem Gewissen, was nicht wenig ist, sagen: Nackt wurde ich geboren, nackt bin ich noch, ich habe nichts verloren, nichts gewonnen.«

Dieses trug sich mit Sancho am Tage der Abreise zu. Als Don Quixote von dannen zog, nachdem er sich den Abend vorher von den Herzogen beurlaubt hatte, zeigte er sich eines Morgens früh gewaffnet auf dem Platze vordem Schlosse. Von den Galerien betrachteten ihn alle Leute aus dem Schlosse, und die Herzoge kamen ebenfalls, ihn zu sehen. Sancho befand sich auf seinem Grauen mit dem Schnappsacke, Felleisen und Vorrat höchst vergnügt, denn der Haushofmeister des Herzogs, der nämliche, der die Dreischleppina war, hatte ihm einen Beutel mit zweihundert Dukaten gegeben, um damit die Unkosten der Reise zu bestreiten, was aber Don Quixote noch nicht wußte. Als alle, wie gesagt, zugegen waren, um ihn zu sehen, erhob unter den übrigen Dueñas und Kammerfrauen der Herzogin, die ihn betrachteten, die lustige und verständige Altisidora die Stimme und sagte mit klagenden Tönen:


Höre doch, du schlechter Ritter,

Halt noch etwas an die Zügel,

Noch nicht mach des schlechten Viehes

Magern Seiten Qual und Mühe.


Siehe, Falscher, du entfliehst nicht

Einem Drachen wild und wütig,

Sondern nur dem schwachen Lämmchen,

Das noch lange Schaf nicht würde.


Ha! die schönste Jungfrau täuschtest

Du, o grauses Ungetüme,

Die Dian' in ihren Felsen,

Venus sah in ihren Wüsten.


Du Bireno hart, Aeneas flüchtig,

Satan mit dir, der vergelt's dir tüchtig!


In den Krallen deiner Fäuste

Führst du weg (gottlos Entführen!)

Meiner Demut Herz und Seele,

Der verliebten, zart und züchtig.


Du entführst mir drei Schlafmützen

Und ein Knieband, das sich fügte

Beinen, gleich dem reinsten Marmor,

Ganz so glatt und weiß und trübe.
[387]

Du entführst zweitausend Seufzer,

Feurig so, daß sie genügten,

Wohl zweitausend Trojas, gäb es

Soviel Trojas, anzuzünden.


Du Bireno hart, Aeneas flüchtig,

Satan mit dir, der vergelt's dir tüchtig!


Diesem Sancho, deinem Knappen,

Werde Eingeweid, Gemüte

Steinhart, daß sich Dulcinea

Nie aus der Verzaubrung füge.


Büße sie durch harte Strafe

Das Verbrechen, das du übtest;

Oft schlägt man bei mir zu Hause

Den Gerechten für den Sünder.


Deine besten Abenteuer

Gehn in teures Elend über,

Dein Vergnügen schwind in Träumen,

Deine Treu in nichts zertrümmre.


Du Bireno hart, Aeneas flüchtig,

Satan mit dir, der vergelt's dir tüchtig!


Von Sevilla bis Marchena

Nenne man dich falsch und trügend,

Von Granada bis nach Loxa,

Von London zu England 'nüber.


Spielst du Lombre und Primero

Und Piquet, müssen die Trümpfe

Und die Kön'ge und die Sieben,

Alle As dir werden flüchtig.


Wenn du dir die Leichdorn schneidest,

Mag das Blut dem Schnitt entspritzen,

Läßt du Zähne dir ausziehen,

Bleiben stehen dir die Stümpfe!


Du Bireno hart, Aeneas flüchtig,

Satan mit dir, der vergelt's dir tüchtig!
[388]

Indessen sich auf diese Weise die traurige Altisidora beklagte, schaute Don Quixote sie unverwandt an, kehrte sich sodann, ohne etwas zu antworten, gegen Sancho und sagte: »Bei dem Leben deiner Ahnen, o mein Sancho, beschwöre ich dich, mir eine Wahrheit zu sagen: Sprich, hast du denn vielleicht die drei Mützen und die Bänder mitgenommen, von denen diese verliebte Jungfrau spricht?«

Worauf Sancho antwortete: »Die drei Mützen habe ich mitgenommen, die Bänder aber sowenig als die Fahne vom Kirchturme.«

Die Herzogin verwunderte sich über die Leichtfertigkeit der Altisidora, denn ob sie sie gleich für aufgeräumt, lustig und leichtfertig gehalten hatte, so hatte sie doch nie geglaubt, daß sie dergleichen unternehmen könne; und da sie von dem Spaße nichts gewußt hatte, so war ihr Erstaunen um so größer. Der Herzog wollte den Scherz auf das Äußerste treiben und sagte: »Nicht edel scheint es mir, Herr Ritter, daß, nachdem Ihr in meinem Schlosse die freundschaftliche Aufnahme empfangen habt, welche Euch widerfahren ist, Ihr so kühn seid, die drei Schlafmützen mindestens und vielleicht selbsthöchstens die Strumpfbänder meiner Kammerfrau zu entführen: Zeichen einer üblen Gesinnung, Züge, welche mit Eurem Rufe nicht übereinstimmen; gebt die Bänder heraus, oder ich fordere Euch auf Leben und Tod, ohne Furcht, daß schelmische Zauberer mich verwandeln oder mein Gesicht entstellen, wie sie es meinem Lakaien Tosilos getan haben, der mit Euch den Kampf unternehmen wollte.«

»Das verhüte Gott«, antwortete Don Quixote, »daß ich das Schwert gegen Eure durchlauchtige Person entblöße, von der mir so viele Gnade widerfahren ist; die Mützen sollen herausgegeben werden, weil Sancho sagt, daß er solche habe; in Ansehung der Strumpfbänder aber ist es unmöglich, denn ich habe sie sowenig wie er bekommen, und wenn Eure Kammerfrau nur in ihren verborgenen Örtern nachsucht, so wird sie selbige gewiß finden. Ich, Herr Herzog, bin niemals ein Dieb gewesen, denke es auch in meinem ganzen Leben nicht zu sein, wenn Gott nicht seine Hand von mir abzieht. Diese Jungfrau spricht, wie sie selbst sagt, als eine Verliebte, woran ich keine Schuld habe, und darum habe ich auch nicht um Verzeihung zu bitten, weder sie noch Eure Exzellenz, die ich anflehe, eine bessere Meinung von mir zu hegen und mir von neuem die Erlaubnis zu geben, meine Reise fortzusetzen.«

»Gott verleihe sie Euch so glücklich«, sagte die Herzogin, »Herr Don Quixote, daß wir immer glückliche Nachrichten von Euren Tathandlungen empfangen; und reist in Gottes Namen, denn indes Ihr zögert, facht Ihr nur das Feuer im Busen der Jungfrauen an, welche Euch sehen, die meinige aber will ich so bestrafen, daß sie sich in Zukunft niemals wieder, weder mit Mienen noch mit Worten, vergehen soll.«

»Nur ein Wort, nicht mehr mußt du noch anhören, o tapferer Don Quixote«, sagte hierauf Altisidora, »daß ich dich nämlich wegen der Entwendung der Strumpfbänder um Verzeihung bitte, denn bei Gott und meiner Seele, ich habe sie umgebunden, und ich bin so zerstreut wie jener, der auf dem Esel saß und ihn suchte.«

»Das sagt ich ja«, sprach Sancho, »ich bin wohl der Mann darnach, einen Diebstahl zu begehen, denn wenn ich das wollte, so war es mir nur ein Spaß, es in meiner Statthalterschaft mit der besten Gelegenheit zu tun.«

Don Quixote neigte das Haupt und machte den Herzogen und allen Umstehenden eine Verbeugung, worauf er den Rozinante umlenkte und, indem ihm Sancho auf dem Grauen folgte, das Schloß verließ und den Weg nach Saragossa einschlug.

Quelle:
Cervantes Saavedra, Miguel de: Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha. Berlin 1966, Band 2, S. 383-385,387-389.
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