2

[324] »Bald legt sich der Alte zur letzten Ruh

Und fällt sein brechendes Aug erst zu, –

Auf welcher Seite sei das Recht, –

So bin ich der Herr, so bist du der Knecht.« –


»Du, Doppelgänger, bist mir fast,

So wie ich dir, in der Seele verhaßt;

Und schläft er... ich frage nach keinem Recht,

So bin ich der Herr, so bist du der Knecht.« –


»Ich bin der Graf, wer widersagt

Dem hochgeborenen Herren? wer wagt

Verblendet gegen mich den Raub?

Vor mir, Leibeigener, in den Staub!« –


»Ich bin der Graf und dulde hier

Dein blasses Bild nicht neben mir;

Ich werfe dich in den tiefsten Turm;

Zu meinen Füßen kreuch, du Wurm!«
[324]

»Wenn schmähen deine Zunge darf,

Ist doch dein Schwert viel minder scharf,

Sonst müßte bald entschieden sein

Wohl zwischen uns das Mein und Dein.« –


»Was warten wir, daß sein Auge bricht?

Ich fälle dich gleich, du Bösewicht!« –

»Was warten wir? das sprachst du gut;

Gleich dünge mein Land dein schwarzes Blut!«


Vernahmst du, Graf, der Waffen Klang

Vom Hag herüber die Halle entlang?

Was trägt dein schwankender Fuß dich dahin?

Ach! Unheil ahndet dein finstrer Sinn.


Und über zwei Leichen auf blutigem Grund,

Da ringt er verwaist die Hände wund,

Und weint die alten Augen blind,

Und schüttelt sein greises Haar in dem Wind.


Quelle:
Adalbert von Chamisso: Sämtliche Werke. Band 1, München [1975], S. 324-325.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Ausgabe letzter Hand)
Gedichte Und Versgeschichten
Peter Schlemihls wundersame Geschichte und ausgewählte Gedichte.
Chamissos Werke: Erster Teil: Gedichte
Gedichte: Ausgabe letzter Hand
Hundert Gedichte