[9] Nicht weit vom stolzen Schlosse, wo zum Tage
Der Hochzeit sich zu rüsten hieß der Graf,
Gewahrte man in reizend schöner Lage
Ein Dorf, und in den niedern Hütten traf
Ein Volk man an, das ärmlich, aber brav
Sich und den Viehstand von den Früchten nährte,
Die seinem Fleiß des Bodens Gunst gewährte.
An Armuth aber übertraf fast Alle
Ein Mann im Dorf, Janikola genannt;
Doch, wie einst jenem kleinen Ochsenstalle
Des höchsten Gottes Gnade zugewandt,
Man in der Hütte dieses Mannes fand
Das schönste Bild der reinsten Lieblichkeit,
Ein holdes Kind. – Griseldis hieß die Maid.
Die Sonne sandte nie vom Himmelsbogen
Auf solchen keuschen Liebreiz ihren Schein.
In größter Armuth war sie auferzogen,
Von üpp'ger Lust blieb ihre Seele rein;
Der Trunk der Quelle labte sie statt Wein.
Der Tugend hold und gram dem Müßiggang,
Ward keine Arbeit ihr zu schwer und lang.[9]
Kaum übertretend ihrer Kindheit Schranken,
Erfüllten schon den jungfräulichen Sinn
Ein reifer Muth und ernste Pflichtgedanken,
Und als des alten Vaters Pflegerin
Gab sie sich liebend voller Ehrfurcht hin;
Und ging im Felde hüten ihr' paar Schafe,
Und wollte rastlos wirken bis zum Schlafe.
Auch Wurzeln oder andre Kräuter brachte
Sie machmal heim, zerschnitt sie und begann
Daraus ihr Mahl zu kochen, und sie machte
Ihr dürftiges und hartes Lager dann.
Und auf den Unterhalt des Vaters sann
Sie so besorgt und mit dem freud'gen Wollen,
Das ihren Vätern brave Kinder zollen.
Griseldis aber, diesem armen Kinde,
War längst des Markgrafs Sinnen zugewandt;
Denn oft geschah's, daß, jagend durch die Gründe,
Durch Zufall sie sein spähend Auge fand.
Indessen nicht zu wilder Lust entbrannt
Durch ihren Reiz, nein, nur mit ernster Regung
Blickt' er auf sie und zog oft in Erwägung:
Empfohlen sei dem Herzen sie durch Tugend;
Durch Weiblichkeit in Blick und Wort bewährt,
Sei sie vor Allen in so zarter Jugend. –
Und wenn der Mensch der Einsicht oft entbehrt,
Was Tugend ist; er sah auf ihren Werth,
Und er beschloß, wenn er je freien solle,
Daß er nur sie und keine Andre wolle.[10]
Der Tag der Hochzeit kam. Indessen wußte
Noch Niemand, welches Weib er sich erkor;
Und da dies Jeden Wunder nehmen mußte,
So flüsterte man leise sich ins Ohr:
»Bleibt unser Herr denn immerdar ein Thor?
Will er nicht frei'n? O, Jammer, welch Verschieben!
Will er uns narr'n? Hat er nur Spott getrieben?«
Doch längst gefaßt war schon zum Brautgeschmeide
Der Gemmen Pracht in Gold und in Azur.
Das Maß zu nehmen von dem Hochzeitskleide
Ward eine Magd gewählt, die an Statur
Griseldis glich, soweit als möglich nur;
Und von dem Markgraf vorgesorgt aufs Beste
War jeder Schmuck, entsprechend solchem Feste.
Schon nah'te mit des Tages neunter Stunde
Sich die zur Hochzeit festgesetzte Zeit,
Des Schlosses Räume standen in der Runde
Schon zum Empfange reichgeschmückt bereit.
In Küch' und Keller welche Herrlichkeit!
Da wirst Du keinen einz'gen Leckerbissen,
Den nur Italien liefern kann, vermissen!
Gefolgt von seinem Hofstaat und den Schaaren
Der Edelfrau'n und Ritter, die durch ihn
Zum Fest der Hochzeit eingeladen waren,
Der Markgraf dann im Fürstenschmuck erschien,
Um unter Klang und Sang von Melodien
Sich gradewegs zum Dorfe, das soeben
Von mir erwähnt ist, festlich zu begeben.[11]
Bei Gott! Griseldis mochte wenig träumen,
Daß ihr bestimmt sei soviel Glanz und Pracht.
Zum Brunnen gehend, schöpft sie ohne Säumen
Dort Wasser und kehrt heimwärts mit der Tracht.
Denn wie sie hörte, war der Graf bedacht,
Sich an dem heut'gen Tage zu vermählen;
Und ungern möchte sie den Zug verfehlen.
Sie dachte: Mit den andren Mädchen stell' ich
Mich vor die Thür von unsrer Hütte hin.
Drum will ich eilen, damit rasch und schnell' ich
Mit meiner Arbeit heute fertig bin,
Und mich des Anblicks unsrer Markgräfin
Erfreuen kann in Muße und in Ruh',
Lenkt sich der Festzug dem Palaste zu.
Doch kaum erreichte sie die Flur der Hütte,
Als schon der Markgraf nah'te und sie rief;
Worauf sie – hastig ihre Wasserbütte
Im Viehstall bergend – ihm entgegenlief;
Und vor ihm beugte sie die Kniee tief,
Und ernsten Blicks verharrte sie dann stille,
Bis sie erfahren, was des Herren Wille.
Und an das Mädchen wandte seine Frage
Gedankenvoll der Markgraf mit dem Wort:
»Wo mag dein Vater sein, Griseldis? sage!«
Und ehrfurchtsvoll gab Antwort sie sofort:
»Er weilt, o Herr, in nächster Nähe dort!«
Und ohne Zögern sprang sie dann empor
Und führt' dem Grafen ihren Vater vor.[12]
Der Graf ergriff die Hand des armen Mannes,
Zog ihn bei Seite und sprach tiefbewegt:
»Janikola! nicht länger mag und kann es
Ich Dir verhehlen, was mein Herz erregt;
Und sagst Du ›Ja‹ zum Wunsche, den es hegt,
Nehm' ich Dein Kind – was immer auch geschehe –
Bevor ich scheide, lebenslang zur Ehe!«
»Ich kenne Dich als treuen Hausvasallen
Und weiß, Du liebst mich; und was mir gefällt
– Das darf ich sagen – ist auch Dein Gefallen;
Drum auf die Frage, welche Dir gestellt,
Erwidre mir und sprich, wie sich's verhält,
Gieb Deine Absicht offen zu erkennen:
Bist du geneigt, mich Schwiegersohn zu nennen?«
Kaum wußte sich der arme Mann zu sammeln;
So unerwartet brach's auf ihn herein.
Beschämt, erröthend, zitternd konnte stammeln
Er nur die Worte: »Lieber Herre, mein,
Was Euch gefällt, soll mein Gefallen sein!
Herr, Euren Willen ich zu meinem mache;
Wie's Euch beliebt, entscheidet in der Sache!«
Sanft sprach der Markgraf: »Weitern Rath zu pflegen,
Laßt uns zusammen in Dein Zimmer geh'n,
Du, sie und ich. – Und fragst Du mich weßwegen?
Nun wohl! in Deinem Beisein soll's gescheh'n,
Vor Deinem Ohr soll sie mir Rede steh'n,
Auf meine Frage: ob sie ewig mein
Treu und gehorsam Eheweib will sein?«[13]
Und als im Zimmer sie beisammen waren
Um – wie dies später näher dargelegt –
Die Sache zu besprechen, drang in Schaaren
Das Volk ins Haus; und Staunen rings erregt,
Wie sorgsam sie den theuren Vater pflegt.
Doch höchst verwundert stand Griseldis da,
Die nie zuvor ein solches Schauspiel sah.
Kein Wunder war's, daß sich ihr Staunen regte,
Und daß beim Anblick von solch hohem Gast,
Wie sie im Hause nie zu sehen pflegte,
Ihr Angesicht so ganz und gar erblaßt.
Doch um die Sache kurz zu machen, laßt
Mich melden, was vom Grafen ward gesagt
Der guten, holden, vielgetreuen Magd.
»Griseldis!« – sprach er – »wisse und verstehe,
Daß Deinem Vater, so wie mir es paßt,
Daß Du mein Weib wirst, ist zu dieser Ehe,
Wie ich vermuthe, Dein Entschluß gefaßt.
Doch da die Werbung Eile hat und Hast,
So bitt' ich Dich, daß Du mir Antwort schenkest,
Ob Du mir beistimmst oder anders denkest?«
»Ich frage Dich: bist Du mit Herz und Willen
Bei Tag und Nacht zu meiner Lust bereit?
Willst Du Dich fügen jeder meiner Grillen,
Ob sie Dir Freude machen oder Leid?
Entsagst Du jedem Widerspruch und Streit?
Willst Du in Wort und Mienen niemals schmälen?
So schwör's, und ich beschwöre, Dich zu wählen.«[14]
Verwundert sprach mit Zittern und mit Beben
Griseldis: »Herr! unwürdig und nicht werth
Bin ich der Ehre, wenn ich auch ergeben
Das thuen will, was Ihr von mir begehrt.
Ich schwör' es hier: gehorsam, treu bewährt
Sollt Ihr mich finden stets in That und Sinn,
Sonst nehmt mein Leben, das so lieb mir, hin!«
»Das ist genug, Griseldis mein!« – die Worte
Sprach froh der Markgraf und, gefolgt von ihr,
Enteilte rasch er aus des Hauses Pforte
Und sprach zum Volk in folgender Manier:
»Seht, die von mir erwählte Braut steht hier!
Habt Ihr mich lieb, so tragt sie auf den Händen,
Verehrt und liebt sie! – damit laßt mich enden!«
An alten Kleidern sollte sie beim Scheiden
Nichts mit sich nehmen, und so übertrug
Den Kammerfrau'n der Graf, sie zu entkleiden;
Und waren sie auch zimperlich genug,
Das zu berühren, was am Leib' sie trug,
Sah man die Maid mit freuderothen Wangen
Doch neugeschmückt vom Kopf zu Fuße prangen.
Das rauhe Haar begannen sie zu strählen,
Mit zarten Fingern ward aufs Haupt gedrückt
Ihr eine Krone, während mit Juwelen
Von jeder Art und Größe man sie schmückt.
Genug vom Anzug! – Jeder ist entzückt
Von ihrer Schönheit, obschon Glanz und Pracht
Sie für die Leute fast unkenntlich macht.[15]
Ein Ringlein gab der Markgraf ihr zu eigen
Zum Zeichen, daß sein Eheweib sie sei,
Ein schneeweiß Rößlein hieß er sie besteigen,
Und hin zum Schloß, vom Volk mit Jubelschrei
Begrüßt, begleitet, zogen rasch die Zwei,
Und froh verbrachten sie den Tag mit Festen,
Bis daß die Sonne niedersank im Westen.
Um in die Länge nicht den Stoff zu ziehen,
Sei kurz erwähnt, daß Gottes Gnadenhand
Der Markgräfin so reiche Gunst verliehen,
Daß Jedermann es schier unglaublich fand,
Sie sei geboren in so nied'rem Stand,
In einer Hütte, einem Ochsenstalle,
Anstatt entsprossen einer Kaiserhalle.
In Ehrfurcht aber und in Liebe wandte
Sich jedes Herz stets wärmer zu ihr hin.
Das Volk im Dorf, das sie zeitlebens kannte,
Beharrte steif und fest auf seinem Sinn
Und wollte schwören, daß von Anbeginn
Sie nie das Kind Janikola's gewesen,
Vielmehr ein andres, ganz verschied'nes Wesen.
Wie sie die Tugend stets zuvor bewahrte,
Schien sie an Güte und Vortrefflichkeit
Mit ihrem Stand zu wachsen, und sie paarte
Die Kunst der Rede mit Verschwiegenheit,
Anstand und Würde mit Leutseligkeit;
Und jedes Herz sie so zu fesseln wußte,
Daß, wer sie sah, auch liebgewinnen mußte.[16]
Indessen blieb nicht auf Saluzzo's Wälle
Ihr guter Namensruf allein beschränkt;
Nein, das Gerücht davon ward in der Schnelle
– Da Einer immer wie der Andre denkt –
Durch alle Lande so umhergesprengt,
Daß Herr'n und Frau'n, die jungen, wie die alten,
Um sie zu sehen, nach Saluzzo wallten.
Und Walther, der in Niedrigkeit zwar freite,
Doch königlich und überglücklich, fand
Den Frieden Gottes an der Gattin Seite
Und anderweitig Huld und Gunst im Land;
Und da er sah, daß unter niederm Stand
Auch Tugend wohne, ließ für weise gelten
Ihn rings das Volk – und das geschieht höchst selten.
Griseldis aber war nicht nur erfahren
In jeder Weibespflicht der Häuslichkeit;
Nein, wo es Noth that, wußte sie zu wahren
Des Reiches Nutzen, schlichtend jeder Zeit
Im ganzen Lande Zwiespalt, Zank und Streit.
Und was in ihrer Weisheit sie entschieden,
Damit gab sich auch jedes Herz zufrieden.
Und war zugegen oder nicht ihr Gatte,
Erzürnten sich zwei Herr'n in ihrem Land,
Vermittelte sie deren Streit und hatte
Verständ'ge, reife Worte gleich zur Hand,
Und unparteiisch man den Schiedsspruch fand.
Ein Jeder hielt sie für ein himmlisch Wesen,
Dem Recht zum Schutz, dem Volk zum Heil erlesen![17]
Nicht lang', nachdem die Hochzeit war begangen,
Gebar Griseldis ihm ein Töchterlein
Trotz ihrem Wunsch, ein Söhnchen zu empfangen;
Froh war der Markgraf, sowie allgemein
Sein ganzes Volk. Dem Mädchen hinterdrein
Ließ, da ihr Schoß so fruchtbar schien und offen,
Sich auch mit Recht ein Knabe noch erhoffen.
Ausgewählte Ausgaben von
Canterbury-Erzählungen
|
Buchempfehlung
Demea, ein orthodox Gläubiger, der Skeptiker Philo und der Deist Cleanthes diskutieren den physiko-teleologischen Gottesbeweis, also die Frage, ob aus der Existenz von Ordnung und Zweck in der Welt auf einen intelligenten Schöpfer oder Baumeister zu schließen ist.
88 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro