Explicit prima pars penitentiae; et incipit pars secunda.

[264] Der zweite Theil der Buße ist die Beichte und diese ist das Merkmal der Zerknirschung. Nun sollt Ihr verstehen, was Beichte ist, ob sie nothwendig sei oder nicht, und was zur wahren Beichte erforderlich ist.

Zuerst mußt Du wissen, daß Beichte das aufrichtige Bekennen der Sünde an den Priester ist, und zwar aufrichtig, weil man ihm alle Verhältnisse beichten muß, welche zur Sünde gehören, so weit man vermag; alles muß gesagt, nichts entschuldigt, verborgen oder verschleiert werden, ohne dabei mit den guten Werken zu prahlen. Somit ist es nothwendig, einzusehen, woher die Sünden entspringen, wie sie zunehmen und welcher Art sie sind. Vom Ursprung der Sünde spricht St. Paul in dieser Weise: wie durch einen Menschen die Sünde ist kommen in die Welt und der Tod durch die Sünde, so dringt also der Tod zu allen Menschen, welche Sünde thun. Und dieser Mensch, durch welchen Sünde in die Welt kam, war Adam, dieweil er das Gebot Gottes brach. Und er, der anfangs so mächtig war, daß er nicht zu sterben brauchte, wurde hernach ein solcher Mensch, daß er sterben mußte, er mochte wollen oder nicht, und alle seine Nachkommen in dieser Welt, die in solcher Weise sündigen, sterben. Sieh! wie in dem Stande der Unschuld, als Adam und Eva noch nackend im Paradiese waren und keine Scham über ihre Blöße fühlten, die Schlange, dieses listigste von allen Thieren, so Gott erschaffen hatte, zum Weibe sprach: Warum hat euch Gott befohlen, daß ihr nicht von jedem Baume im Paradiese essen dürft? Und das Weib antwortete: Wir essen – sprach sie – von den Früchten der Bäume im Paradiese, aber von den Früchten des Baumes mitten im Paradiese hat Gott gesagt: esset nicht davon, rühret es auch nicht an, daß ihr nicht sterbet.[264] Die Schlange sprach zum Weibe: Nein, Nein! ihr werdet mit nichten des Todes sterben, sondern Gott weiß fürwahr, daß, welches Tages ihr davon esset, so werden eure Augen aufgethan und ihr werdet sein wie die Götter und wissen, was gut und böse ist. Das Weib schauete an, daß von dem Baume gut zu essen und er lieblich anzusehen wäre, und nahm von der Frucht des Baumes und aß, und gab ihren Mann auch davon, und er aß. Und sogleich wurden ihrer beider Augen aufgethan, und als sie gewahr wurden, daß sie nackend waren, nähten sie aus den Blättern des Feigenbaumes eine Art von Hose zusammen, um ihre Nacktheit zu verbergen. Hier könnt Ihr sehen, daß die Todsünde zunächst vom Teufel eingegeben wird, wie es hier die Natter zeigt, und nachher durch das Gelüste des Fleisches, wie es hier Eva zeigt, und sodann durch die Einwilligung der Vernunft, wie es Adam zeigt. Denn glaubet nur, wenn auch der Teufel Eva versuchte, das heißt: das Fleisch, und wenn auch das Fleisch Vergnügen fand an der verbotenen Frucht, so war der Mensch dennoch im Stande der Unschuld, bis die Vernunft, das heißt: Adam einwilligte, die Frucht zu essen. Von diesem Adam ist uns die Erbsünde überkommen. Von ihm stammen wir alle nach dem Fleische ab und sind erzeugt aus schlechten und verdorbenen Säften; und wenn die Seele in unseren Körper gelegt wird, so ist sie auch sofort der Erbsünde verbunden, und dasjenige, was anfänglich nur Drang der fleischlichen Begierde war, ist späterhin sowohl Drangsal als auch Sünde; und dieserhalb würden wir alle geborene Kinder des Zornes sein und bestimmt zur ewigen Verdammniß, wenn wir nicht die Taufe empfingen, welche die Schuld von uns hinwegnimmt. Aber nichtsdestoweniger wohnet der Drang der Versuchung in uns und dieser Drang heißt: fleischliche Begierde. Ist diese fleischliche Begierde auf das Schlechte gerichtet und gestellt, so macht sie den Menschen durch die Begierde des Fleisches lüstern nach fleischlicher Sünde, nach irdischen Dingen durch das Gesicht seiner Augen und nach Hoheit durch den Stolz seines Herzens.

Um von der ersteren Begierde zu sprechen, welche Fleischeslust heißt nach dem Gesetze unserer Glieder, welche das gerechte Urtheil Gottes in richtiger Weise erschaffen hat, so sage ich: Gleich wie ein Mensch nicht gehorsam ist gegen Gott, so ist auch sein Herz gegen ihn selbst ungehorsam durch fleischliche Begierde, was die Veranlassung und Pflege der Sünde genannt wird. So lange deßhalb ein Mensch den Drang der Fleischeslust in sich trägt, ist es unmöglich, daß er nicht[265] bisweilen versucht und in seinem Fleische zur Sünde gereizt werde. Und dieses wird nicht ausbleiben, so lange er lebt. Es mag wohl schwächer werden durch die Kraft der Taufe und durch die Gnade Gottes mittelst der Buße, aber so gänzlich wird es niemals unterdrückt werden, daß man in seinem Innern nicht dann und wann dazu geneigt ist, sofern man nicht davon zurückgehalten wird durch Krankheit, durch böse Künste der Zauberei oder durch kalte Getränke. Denn seht, was sagt St. Paul? Das Fleisch trachtet wider den Geist und der Geist wider das Fleisch, sie sind sich entgegen und widerstreiten sich so, daß ein Mensch nicht immer thun kann, wie er möchte. Denn St. Paulus nach seiner großen Buße zu Wasser und zu Lande – im Wasser bei Tag und Nacht in großer Fährlichkeit und großer Mühe; zu Lande in großem Hunger und Durst, in Frost und Blöße, einmal beinahe zu Tode gesteinigt – spricht dennoch: Ach, ich elender Mensch! wer wird mich aus dem Kerker meines elenden Leibes befreien? Und St. Hieronymus – nachdem er lange Zeit in der Wüste gewohnt hatte, wo er nur die Gesellschaft wilder Thiere kannte, wo er nur Kräuter zur Nahrung, nur Wasser zum Trunk und kein ander Bette als die nackte Erde fand, weßhalb sein Fleisch schwarz wurde wie ein Ethiopier vor Hitze und beinahe abstarb vor Kälte – sagt dennoch: daß der Brand der Geilheit in seinem ganzen Körper kochte. Deßhalb weiß ich sicherlich, daß diejenige sich selbst betrügen, welche sagen, daß sie niemals in ihrem Leibe versucht seien. Zeugniß davon giebt St. Jakobus, welcher sagt, daß jeder in seinem eigenen Gewissen versucht werde, das heißt: daß ein Jeder von uns Ursache und Gelegenheit hat, daß er durch die Sünde, so er im Körper hegt, versucht werde. Und deßhalb sagt St. Johann, der Evangelist: Wenn wir sagen, daß wir ohne Sünde sind, so betrügen wir uns selber und die Wahrheit ist nicht in uns.

Nun sollt Ihr verstehen, wie die Sünde im Menschen wächst und zunimmt. Der Anfangsgrund ist das Hegen der Sünde, von dem ich bereits sprach, und dieses ist die fleischliche Begierde; und hinterher kommt die Eingebung des Teufels, das heißt: des Teufels Blasebalg, mit welchem er im Menschen das Feuer der fleischlichen Begierde anfacht, und sodann überlegt der Mensch, ob er die Sache, zu welcher er versucht wird, thun will oder nicht. Und wenn dann der Mensch widersteht und die ersten Verlockungen seines Fleisches zurückweist, so ist es keine Sünde. Wenn er dieses aber nicht thut, spürt er sofort[266] die Flamme der Lust, und dann ist es gut, ihn zu warnen und zurückzuhalten, auf daß er nicht sofort in die Sünde willige, oder sie thue, wenn er Zeit und Gelegenheit dazu findet. Und über diese Sache läßt Moses den Teufel in folgender Weise sprechen. Der Feind sagt: Ich will den Menschen durch böse Einflüsterungen jagen und verfolgen; ich will ihn durch Verlockung und Aufreizung zur Sünde packen, und ich will meinen Preis oder meine Beute mit Ueberlegung zerreißen, und meine Lust soll in Wonne endigen! Ich will mein Schwert der Einwilligung ziehen – denn, wahrlich, wie ein Schwert ein Ding in zwei Theile zerlegt, so trennt auch die Einwilligung den Menschen von Gott – und dann will ich ihn mit meiner Hand durch den Tod der Sünde erwürgen! So spricht der Feind. Und wahrlich, dann verfällt des Menschen Seele ganz und gar dem Tode, dann wird die Sünde durch Versuchung, Lust und Einwilligung erzeugt und wird in dieser Weise alsdann in dem Menschen zur That. Die Sünde ist in Wahrheit zweierlei Art, entweder ist sie läßliche Sünde oder Todsünde. Wenn nun aber ein Mensch irgend ein Geschöpf mehr liebt als Jesum Christ, dann ist es Todsünde; und läßliche Sünde ist, wenn der Mensch Jesum Christ weniger liebt, als er sollte. Wahrlich, das Begehen solcher läßlicher Sünde ist höchst gefährlich, denn es verringert mehr und mehr die Liebe, welche der Mensch zu Gott haben sollte. Und wenn sich daher ein Mensch mit vielen solcher läßlicher Sünden beschwert, so können sie in ihm fürwahr die Liebe, welche er zu Jesus Christ hegt, wohl vermindern, wenn er sich ihrer nicht bisweilen durch die Beichte entledigt, und so geht gar leicht die läßliche Sünde in Todsünde über. Gewißlich, je mehr ein Mensch seine Seele mit läßlichen Sünden beladet, desto mehr wird er geneigt sein, in Todsünde zu fallen. Und darum laßt uns nicht nachlässig sein, und uns unserer läßlichen Sünden zu entlasten. Denn das Sprichwort sagt: Kleines aber vieles muß Großes werden stets am Schluß! Und hört nunmehr dieses Beispiel an: Eine große Meereswoge kommt oftmals mit so großer Gewalt, daß sie das Schiff mit Wasser füllt; und denselben Schaden richten oftmals die kleinen Tropfen Wasser an, welche durch die kleinen Ritzen des Kieles in den Bodenraum des Schiffes eindringen, wenn die Menschen so nachlässig sind, sie nicht bei Zeiten zu entfernen. Und obschon ein Unterschied zwischen diesen zwei Ursachen ist, wird doch in beiden Fällen das Schiff mit Wasser gefüllt. Grade so geht es oftmals mit der Todsünde und den schädlichen läßlichen[267] Sünden, wenn sie sich im Menschen so sehr vermehren, daß die Liebe zu irdischen Dingen, durch welche er läßlich sündigt, in seinem Herzen so groß oder größer wird, als die Liebe zu Gott. Und daher ist Liebe zu allen den Sachen, welche Gott nicht in sich schließen und welche nicht hauptsächlich um Gottes willen gethan werden, selbst wenn sie der Mensch auch weniger liebt als Gott, dennoch läßliche Sünde. Und Todsünde ist, wenn die Liebe zu irgend einem Dinge in dem Herzen des Menschen ebenso schwer oder schwerer wiegt, als die Liebe zu Gott. Todsünde – wie St. Augustin sagt – ist, wenn ein Mensch sein Herz von Gott abwendet, der die alleroberste und unwandelbare Güte ist, und sein Herz den Dingen zuwendet, welche wandelbar und flüchtig sind; und, wahrlich, das ist jedes Ding außer Gott im Himmel. Denn das ist sicher, wenn ein Mensch seine Liebe, welche er Gott mit seinem ganzen Herzen schuldig ist, auf ein Geschöpf wendet, so beraubt er auch gewiß Gott um so viel seiner Liebe, als er jenem Geschöpfe schenkt, und begeht daher Sünde, da er als Schuldner von Gott nicht an ihm seine volle Schuld bezahlt, das heißt: ihm die ganze Liebe seines Herzens giebt.

Nun, da man im Allgemeinen verstanden haben wird, was läßliche Sünde sei, so scheint es angezeigt, im Besondern die Sünden aufzuzählen, welche Mancher vielleicht für keine Sünden hält, und welche er nicht beichtet. Aber nichtsdestoweniger sind sie Sünden in der That, wie diese Gottesgelehrten schreiben; das heißt: jeder Zeit, wenn der Mensch mehr ißt oder trinkt, als zur Erhaltung des Körpers nothwendig ist, begeht er sicherlich Sünde; auch wenn er mehr spricht, als nöthig ist, thut er Sünde; auch wenn er nicht wohlwollend die Klage des Armen anhört; auch wenn er gesund am Leibe ist und dennoch ohne vernünftigen Grund nicht fasten will, wenn Andre fasten; auch wenn er mehr schläft, als er bedarf, oder durch diesen Umstand zu spät zur Kirche oder zu andern Werken der Liebe kommt; auch wenn er seines Weibes gebraucht, ohne den obersten Wunsch der Zeugung zu Ehren Gottes oder um seinem Weibe die Schuld seines Körpers zu entrichten; auch wenn er Kranke und Gefangene nicht besucht, wann er kann; auch wenn er Weib oder Kind oder andere irdische Dinge mehr liebt, als die Vernunft erfordert; auch wenn er mehr schmeichelt und liebkost, als er nothwendig zu thun braucht; auch wenn er das Almosen an Arme verringert oder zurückhält; auch wenn er seine Speisen köstlicher anrichtet, als nothwendig ist, oder aus Leckerhaftigkeit[268] zu hastig verschlingt; auch wenn er von eitlen Dingen in der Kirche oder beim Gottesdienste spricht, oder wenn er ein Schwätzer müssiger Worte der Thorheit oder der Schande ist, für welche er Rechenschaft ablegen soll am Tage des Gerichts; auch wenn er verspricht oder versichert, etwas zu thun, was er nicht halten kann; auch wenn er aus thörichtem Leichtsinn seinen Nächsten verläumdet und verspottet; auch wenn er, statt Gewißheit zu haben, über Sachen einen besonderen Verdacht hegt; diese Sachen und manche andere sonder Zahl sind Sünde, wie St. Augustin sagt.

Nun müßt Ihr aber verstehen, daß, obwohl freilich der erdgeborene Mensch nicht alle läßliche Sünden vermeiden kann, er sich dennoch durch die brennende Liebe, die er für unsern Herrn, Jesus Christ, hegt, und durch Gebet und Beichte und andre gute Werke so in Zaum halten kann, daß es ihm nur wenig schaden wird. Denn – wie St. Augustin sagt – wenn ein Mensch Gott in solcher Weise liebt, daß alles, was er immer thut aus seiner Liebe zu Gott kommt, oder um der Liebe Gottes willen, weil er in wahrhafter Liebe zu Gott entbrannt ist, so wird, siehe du: grade so sehr wie ein Tropfen Wasser, der in einen feurigen Ofen fällt, das Brennen des Feuers kümmert und stört, auch eine läßliche Sünde in gleicher Weise einen solchen Menschen bekümmern und stören, der beständig und vollkommen in der Liebe zu unserm Heiland, Jesus Christ ist. Fernerhin kann auch der Mensch die läßliche Sünde mäßigen und sich derselben entledigen, wenn er würdig den kostbaren Leib Jesu Christi empfängt, sowie die Spendung des heiligen Wassers, sowie durch Almosengeben, durch die allgemeine Beichte im Confiteor bei der Messe, der Prime oder beim Komplet, und durch den Segen der Bischöfe und Priester, und durch andere gute Werke.

Quelle:
Chaucer, Geoffrey: Canterbury-Erzählungen, in: Geoffrey Chaucers Werke, Straßburg 1886, Band 3, S. 264-269.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Canterbury-Erzählungen
The Canterbury Tales / Die Canterbury-Erzählungen: Mittelenglisch / Deutsch
Die Canterbury-Erzählungen. Mittelenglisch und deutsch, Band 1
Die Canterbury-Erzählungen. Mittelenglisch und Deutsch, Band 2
Die Canterbury-Erzählungen. Mittelenglisch und Deutsch, Band 3: Erläuterungen
Die Canterbury-Erzählungen: Zweisprachige Ausgabe. Mit der ersten deutschen Prosaübersetzung. 3 Bände als Kassettenausgabe

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Nachkommenschaften

Nachkommenschaften

Stifters späte Erzählung ist stark autobiografisch geprägt. Anhand der Geschichte des jungen Malers Roderer, der in seiner fanatischen Arbeitswut sich vom Leben abwendet und erst durch die Liebe zu Susanna zu einem befriedigenden Dasein findet, parodiert Stifter seinen eigenen Umgang mit dem problematischen Verhältnis von Kunst und bürgerlicher Existenz. Ein heiterer, gelassener Text eines altersweisen Erzählers.

52 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon