Ein Augenblick später.
Bergmann, Heldenberg, Professor, Heinz.
BERGMANN kommt vom Balkon ins Zimmer, Heldenberg folgt ihm.
PROFESSOR hochaufatmend. Gott sei Dank! Zu seinem Bruder. Ich danke dir, Ernst. Du hast eine schwere Sorge von mir genommen.
BERGMANN steht mit zusammengepreßten Lippen bei der Balkontür, schweigt.
Vorige, Ferndorf.
FERNDORF stürmt mit den Anzeichen größter Erregung ins Zimmer. Bergmann, was soll das heißen? Warum hast du den Leuten nicht die Wahrheit gesagt? Warum hast du diese Demonstration überhaupt zugelassen? Warum täuschest du die Leute? Heute demonstriert die Partei für die Vorlage und morgen lehnt sie die Vorlage ab!!! Die Partei macht sich lächerlich!
BERGMANN. Ich täusche die Leute nicht, ich habe die Wahrheit gesprochen.
FERNDORF. Du hast ... du hast ...?
BERGMANN. Ich habe die Wahrheit gesprochen.
FERNDORF. ... die Wahrheit gesprochen? Und ... und die Vorlage?
HELDENBERG. Wird selbstverständlich glatt angenommen. Oder haben Sie etwas anderes erwartet, Dr. Ferndorf?[57]
FERNDORF angstvoll. Bergmann! – Die Vorlage?
BERGMANN. Wird angenommen. Heldenberg hat es ja schon gesagt.
FERNDORF außer sich. Das ist Verrat. Das ist Verrat! Ich habe dein Wort, Bergmann. Du hast dein Wort gebrochen. Ich verlange, daß du dein mir gegebenes Wort hältst!
HELDENBERG. Unsinn!
FERNDORF. Sie schweigen. Sie haben Bergmann beeinflußt. Er handelt gegen seine Ueberzeugung. Sie haben ihn überrumpelt. Das ist eine ...
HELDENBERG drohend. Herr Dr. Ferndorf!
Vorige, Marie.
MARIE tritt ein, sie trägt auf dem Hute einen besonders schönen, weißen Reiher.
PROFESSOR springt auf, Ferndorf prallt zurück, mustert Marie, ihre Toilette, ihren Hut.
MARIE. Adieu meine Herren, ich muß leider fort. Adieu Ernst. Du bist ja auch außer Hause heute, nicht wahr? Also brauche ich mir kein Gewissen daraus zu machen, daß ich dich allein lasse. Und Sie, Friedrich, da bring' ich Ihnen meinen Reiher. Bewundern Sie ihn, sonst wird Ernst böse. Gefällt er Ihnen?
PROFESSOR langsam. Ja, er ist sehr schön.
MARIE. Sehen Sie wohl, sehen Sie wohl. Ist er so schön wie der Reiher, den die Dame getragen hat, welche Sie mit Herrn von Heldenberg gesehen haben? Aber da wende ich mich wohl besser an Herrn von Heldenberg selbst. Tritt vor Heldenberg, sieht ihm mit flimmernden Blicken in die Augen. Ein gerechtes Urteil, Baron Heldenberg, welcher Reiher ist schöner?
HELDENBERG versucht zu lächeln. In der Tat, meine Gnädigste ...
PROFESSOR ruhig. Sagen Sie nur ruhig, Herr Chefredakteur Heldenberg, daß Sie keinen Unterschied finden[58] können, weil Kleine Pause: Heldenberg zuckt zusammen, Ferndorf horcht auf, Professor, der alles beobachtet hat, spricht ruhig weiter. beide gleich schön sind.
MARIE. Beide gleich schön? Wirklich? Na, dann muß ich mich halt trösten. Ich hatte geglaubt, ich bin die einzige in der Stadt, die einen so schönen Reiher hat. Ja, aber jetzt muß ich gehen. Es ist höchste Zeit für mich. Auf Wiedersehen, meine Herren. Adieu. Küßt Ernst Bergmann flüchtig auf die Stirne, ab.
FERNDORF starrt ihr nach, ganz verwirrt. Auch ich muß jetzt fort ... wir sprechen über die Sache noch ... ich muß jetzt fort. Adieu. Will zur Türe.
BERGMANN hält ihn zurück. Es ging nicht anders, Ferndorf. Ich will dir alles erklären. Ich habe mich anders besinnen müssen ...
FERNDORF noch immer unter dem Eindrucke des Erlebten, ganz teilnahmslos. Ja, ja, ein anderes Mal. Ich muß jetzt fort. Reißt sich los. Ich hab' jetzt keine Zeit mehr. Adieu. Stürzt davon.
BERGMANN. Was hat er denn? Er ist ja plötzlich ganz ausgewechselt.
PROFESSOR langsam, mit Betonung. Vielleicht kann dir Herr von Heldenberg Auskunft geben. Geht gegen die Türe. Heinrichs wegen sprechen wir nachher noch, Ernst. Ab.
BERGMANN. Was soll nun das alles heißen?
HELDENBERG selbst erregt und bemüht, sich zu beherrschen. Ja, ich ... ich weiß wahrhaftig nicht. Die Herren geben uns Rätsel zu lösen. Bemüht, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben. Sprechen wir nicht mehr davon. Zu Heinz. Bleiben Sie jetzt dauernd bei Ihrem Vater?
HEINZ. Nein, ich bin nur auf Urlaub hier.
BERGMANN. Er hat außer dem Einjährig-Freiwilligenjahr, das nun schon bald zu Ende geht, noch ein Studienjahr vor sich, das er bei meinem Bruder zubringen muß. Etwas mehr als ein Jahr dauert es also noch.[59]
HEINZ. Oder auch noch mehrere Jahre ...
BERGMANN. Mehrere?
HELDENBERG. Hast du dir schon eine Kanzlei ausgesucht, in welcher er sein Konzipientenjahr verbringen soll?
BERGMANN. Ich dachte an Breuer. Heinz tritt ans Fenster, trommelt nervös an die Fensterscheiben.
HELDENBERG. Breuer? Das ist eine gute Idee. Dort würde er auch gleichzeitig in die laufenden juridischen Arbeiten der Partei eingeführt werden können. Also sprich gleich morgen mit ihm.
PROFESSOR tritt ein. Er hat den letzten Wortwechsel mitangehört. Jetzt wirft er einen raschen Blick auf Heinz und tritt näher. Ich habe hier meine Brille ver ... richtig, da liegt sie ja. Nimmt sie vom Tische, auf welchem sie liegt, an sich. Aber weil ich nun schon gerade da bin und eure letzten Worte gehört habe ... sage, Ernst, hältst du es wirklich nicht der Mühe wert, deinen erwachsenen anwesenden Sohn auch um seine Meinung zu fragen, ehe du, pardon, du und Herr von Heldenberg entscheidet, welchen Beruf er zu ergreifen hat? Bist du überzeugt, daß er den Beruf, welchen ihr ihm bestimmt habt, ergreifen will?
BERGMANN. Wie soll ich das verstehen? Es ist doch längst bestimmt, daß Heinrich Advokat wird!
PROFESSOR. Wer hat es denn längst bestimmt?
BERGMANN erstaunt. Du willst nicht Advokat werden, Heinz?
HEINZ schweigt.
BERGMANN betroffen. Du liebst Ueberraschungen, mein Sohn. Das muß ich sagen. Womit begründest du deine plötzliche Meinungsänderung?
HEINZ. Verzeih, Papa, ich habe meine Meinung nicht plötzlich geändert; ich habe vielmehr nie geäußert, ich wolle Advokat werden. Daß ich Advokat werden soll, daß ich einer werde, davon sprachst stets nur du.[60]
BERGMANN. Du widersprachst mir nie, folglich mußte ich annehmen, du wärest einverstanden. Nach einer Weile. Du würdest mir durch dieses kurze, jedenfalls unbegründete Nein meinen Lieblingsplan, den ich jahrelang gehegt und gepflegt, den ich seit deiner Geburt mit mir herumgetragen habe, zerstören. Doch ich hoffe dich noch überzeugen zu können, daß das, was wir für dich ausgesucht haben, das Beste ist und ich bin überzeugt, daß du als mein gehorsamer Sohn, der du ja stets gewesen bist, dich auch jetzt meiner reiferen väterlichen Einsicht fügen wirst. Ich bin selbstredend weit davon entfernt dich zwingen zu wollen, einen Beruf, der dich nicht freut, zu ergreifen; solltest du besser gewählt haben als ich – mich soll es freuen. Geht auf und ab. Was willst du denn werden?
HEINZ ringt in sichtlich großer Erregung nach Worten.
BERGMANN unruhig. Nun? Mir scheint, daß es dir schwer fällt, deine Wünsche mir gegenüber zu präzisieren? Du bist Jurist; viele Wege stehen dir ja nicht offen und von diesen wenigen sind dir – meiner Stellung wegen –mehr als die Hälfte versperrt; denn lacht auf Staats- oder Regierungsbeamter wirst du wohl nicht werden wollen, als Sohn des radikalen Fraktionsführers Bergmann! Und was bliebe denn sonst noch viel? Etwa Notar? Oder willst du gar umsatteln und Wirft einen Seitenblick auf den Professor., Gelehrter oder Arzt oder weiß Gott was werden? Dann bedenke, daß du nicht mehr einer der jüngsten unter der studierenden Hochschuljugend bist ...
HEINZ zaudernd.
BERGMANN. Nun, ich warte auf deine Antwort!
PROFESSOR halblaut. Mut, Heinz, Mut, Mut.
HEINZ sich fassend. Vater, ich habe dich mein ganzes Leben lang mit Bitten verschont; es ist meine erste Bitte jetzt, schlag' sie mir nicht ab.
BERGMANN. Wozu die lange Einleitung? Ich sagte dir ja, daß ich gewillt wäre, vernünftige Vorschläge[61] deinerseits zu prüfen, gegebenenfalls auf sie einzugehen. Nervös. Werde ich also endlich eine Antwort erhalten?
HEINZ wechselt mit dem Professor noch einen raschen Blick, sagt dann klar und deutlich. Ich will Offizier werden, Vater.
BERGMANN prallt zurück, Heldenberg springt auf, beginnt laut zu lachen.
HELDENBERG. Köstlich, unbezahlbar!
BERGMANN greift sich an die Stirne. Ich kann ja nicht recht gehört haben ... es ist ja gar nicht möglich ... Was sagtest du, möchtest du werden?
HEINZ. Offizier, Vater.
BERGMANN in großer Aufregung. Schweig' und untersteh' dich nicht, mir nochmals dieses Wort als Antwort zu geben! Du bist verrückt, wenn du an dergleichen nur denken kannst! Total verrückt! Rennt im Zimmer auf und ab. Man sollte ja lachen darüber und sich nicht ärgern, was so ein unreifer Junge ...
HEINZ. Vater!
BERGMANN. Ja, trotz deiner 24 Jahre unreif wie ein Schulbub, der ... Rennt neuerdings erregt auf und ab, tritt dann vor Heinz hin. Bist du denn wirklich bei Besinnung, wenn du etwas derart Ungeheuerliches aussprichst? Du und Offizier! Der Sohn des Abgeordneten Bergmann! Lacht gezwungen auf. Kannst mich dann jedesmal zum Abgeordnetenhaus begleiten und abholen, wenn ich dort wieder einmal gegen dieses Gesindel losziehe, das in den Tag hineinlebt, sorglos alles Geld vertut, was mühsamer Fleiß geschaffen, gegen diese Herren vom hohen Adel, die den Arbeiter am Marke saugen und nichts anderes für ihn haben als Verachtung! Wendet sich ab.
HELDENBERG. Das ist das Werk des Herrn Professor ...
BERGMANN. Kommen wir zu einem Ende. Du erklärst deinen an Irrsinn grenzenden Zukunftsplan aufzugeben und das zu tun, was ich für gut finde?[62]
PROFESSOR. Was Herr von Heldenberg für gut findet, willst du sagen?
BERGMANN. Ich spreche jetzt mit meinem Sohne und dulde niemandes Einmischung, Friedrich; deine am allerwenigsten.
PROFESSOR. Die des Herrn Baron wohl eher?
BERGMANN zu Heinz. Also? Deine Erklärung?
HEINZ ruhig. Ich kann sie nicht abgeben, Vater.
BERGMANN. Das heißt, du beharrst auf deinem Wunsche?
HEINZ. Ja, Vater.
BERGMANN drohend. Bedenke die Folgen, Heinrich, die nicht der Onkel, sondern du wirst tragen müssen. Ueberleg' dir's gut. Der Sohn des Abgeordneten Ernst Bergmann darf und wird nie in Regierungs-geschweige denn militärische Dienste treten.
HEINZ zu Professor. Onkel?
PROFESSOR flüsternd. Laß gut sein, jetzt greif' ich ins Gefecht ein. Und geht's schlecht aus, du weißt, als mein Sohn findest du bei mir stets offene Arme.
HEINZ. Lieber, guter Onkel ...
PROFESSOR. Ernst, würdest du mit mir nicht einen Augenblick ins Nebenzimmer kommen? Ich möchte dir einiges, diese Sache betreffend, vorschlagen.
BERGMANN. Nichts da, erst die Antwort.
PROFESSOR. Sei nicht starrköpfig, Ernst. Dergleichen läßt sich doch nicht in fünf Minuten erledigen; wir wollen vernünftig die Sache erwägen ...
BERGMANN. Erst gibt Heinrich die von mir gewünschte Erklärung ab und zwar vor Herrn von Heldenberg. Eher kein Wort!
PROFESSOR. Ernst, nimm Vernunft an ...
BERGMANN. Ich verbitte mir deine Bemerkungen; ich bin vollkommen bei Vernunft Die Sache geht nur mich an und meinen Sohn. Die Einmischung eines Dritten ist hier absolut nicht am Platze. Das habe ich dir bereits erklärt.[63]
HEINZ energisch. Bitte Onkel, laß also die Sache. Ich will nicht, daß Papa dich meinetwegen beleidigt und kränkt. Das hast du dir nicht um mich verdient.
BERGMANN. Du bist mit deiner Ueberlegung fertig?
HEINZ. Ja, Vater.
BERGMANN. Du fügst dich?
HEINZ. Nein, Vater, ich kann meinen Plan nicht aufgeben. Er bedeutet mein Glück, meine Zukunft. Tritt auf Bergmann zu. Vater, ich bitte, ich beschwöre dich, habe doch ein Einsehen; Onkel kennt Auswege ...
BERGMANN. Keine unnötigen Worte; überlege dir es noch einmal, ehe du die Brücke zwischen dir und deinem Vaterhaus endgültig abbrichst.
HEINZ. Vater, um Gotteswillen ...
BERGMANN. Ueberlege, noch hast du Zeit ...
HEINZ. Vater ...
BERGMANN. Du wirst also?
HEINZ. Offizier, Vater.
BERGMANN sich zur Ruhe zwingend. Ich warne dich zum letzten Male, Heinz. Lenke ein und ich betrachte die heutige Begebenheit als nicht vorgefallen. Weigerst du dich zu gehorchen, sind wir miteinander fertig. Jetzt weißt du Bescheid.
HEINZ. Ich kann nicht, es geht nicht, Vater. Glaub' mir doch. Es ... es ist nicht das allein ...
BERGMANN stutzt. Ah ...? Pause. Es steckt ein Mädel auch dahinter?
HEINZ. Ja.
BERGMANN. Wer?
HEINZ. Sie ist die Tochter eines hohen Offiziers, eine Gräfin.
BERGMANN lacht zornig auf. Jetzt ist's aber genug mit dem Possenspiel. Und ich muß sagen, ich muß sagen ... meine Kinder, die geben's aber nobel! Meine Tochter setzt sich in den Kopf, einen adeligen Großgrundbesitzer zu heiraten, den Sohn eines konservativen Grafen, und mein Herr Sohn, der will nur eine Offizierstochter.[64] Und unter einer Gräfin tut er's auch nicht. Das trifft sich ja großartig! Herrisch. Kein Wort mehr darüber! Auch mit dieser Torheit wirst du aufräumen. Verstanden? Und ich füge zu meinen früheren Forderungen hinzu, daß du das Studium beim Onkel aufgibst. Deine Transferierung hierher wird durchzusetzen sein, du wirst fortan bei mir wohnen. Das Weitere wird sich finden. Narr, der ich war, dich einem solchen Einfluß auszusetzen! Geht erregt im Zimmer umher. Deine örtliche Trennung wird es dir auch leicht machen, etwaige Verbindlichkeifen, die du am Ende mit ... mit dieser Dame eingegangen bist, zu lösen.
HEINZ starrt auf seinen Vater. Das antwortest du mir, Vater?
BERGMANN. Ja.
HEINZ noch immer ungläubig. Das ist die einzige Antwort, welche du für mich hast, wenn ich dir sage, daß ich ein Mädchen liebe, welches mir mein Lebensglück bedeutet?
BERGMANN. Ja, meine einzige und unwiderruflich letzte.
HEINZ abbrechend. Dann tut es mir leid, Vater, ich gehorche dir diesmal nicht!
BERGMANN. Heinz!
HEINZ. Ich werde Offizier, mit und ohne deine Einwilligung.
BERGMANN mit unterdrückter Stimme. Dein letztes Wort?
HEINZ. Ja.
BERGMANN. Dann bist du mein Kind nicht mehr, hast in meinen vier Wänden nichts mehr zu suchen. Verlaß' sofort mein Haus!
HELDENBERG leise. Bravo, bravo, Bergmann. Energisch sein jetzt und nicht eine Bohne nachgeben. Morgen kriecht er zu Kreuze.
BERGMANN. Ich bin zu Ende mit dir. Adieu und werde glücklich in einem Beruf, in den dir der Fluch deines Vaters folgt.[65]
HEINZ. Vater!
BERGMANN. Dort ist die Tür. Wir zwei sind miteinander zu Ende.
HEINZ. Vater, ein letztes Mal ...
BERGMANN schweigt.
HEINZ an der Türe, leise. Ich komm' nie wieder, Vater ...
BERGMANN. Du fügst dich?
HEINZ. Ich kann nicht, Vater.
BERGMANN weist stumm auf die Tür.
HEINZ. Vater! Will sich ihm nähern.
BERGMANN wendet ihm den Rücken zu.
HEINZ geht langsam mit gesenktem Haupte ab.
PROFESSOR aufgebracht. Ah, das geht denn doch zu weit!
BERGMANN. Du schweig'!
PROFESSOR. Jetzt muß ich reden. Jetzt ist es meine Pflicht zu reden.
BERGMANN zu Heldenberg. Komm Heldenberg.
PROFESSOR vertritt ihm den Weg. Du wirst hier bleiben und mir Rede und Antwort stehen. Ich befehle es dir als dein älterer Bruder.
BERGMANN. Was hast denn du mir zu befehlen?
PROFESSOR. Du bist ein Vater? Was hast denn du für deine Kinder bereits getan, daß du dich unterfangen kannst, dich ihrem Glück entgegenzustellen? Deine Tochter, das arme liebe Mädel, hinderst du, den Mann ihrer Wahl zu nehmen, obwohl er ein tadelloser junger Mann ist, dem du nichts vorzuwerfen imstande bist, als daß er Aristokrat ist! Und das soll der Grund sein, zwei Leute, die glücklich werden können, unglücklich zu machen! Aber du, ich warne dich! Du kannst verhindern, daß die bei den einander heiraten. Das kannst du; denn du bist der Vater und deine Tochter ist noch minderjährig. Daß die zwei einander lieben, das kannst du nicht verhindern. Und ich sag' dir: hüte dich! Es könnte ein Unglück geben, das größer wäre als[66] eine Eheschließung der Tochter eines radikalen mit dem Sohne eines konservativen Abgeordneten. Und jetzt zu Heinz. Du willst den braven, ehrlichen Jungen verfluchen, weil er sich weigert, Radikaler zu werden, wie du? Unser Vater würde dich verflucht haben, wenn er es erlebt hätte, daß du einer geworden bist.
BERGMANN sich beherrschend. Friedrich, du weißt nicht mehr, was du sprichst. Nur der Boden, von dem aus ich dir erwidere, hindert mich, dir eine Antwort zu geben, welche du verdienst. Ich sage dir nur: Sei still und laß es gut sein jetzt. Sei froh, daß ich nicht Rechenschaft fordere für das, was mir mein sauberer Herr Sohn heute aufgetischt hat. Denn nur du allein bist ja an allem schuld.
PROFESSOR wie vorhin fortfahrend. Ich dachte, ein Familienrat würde es mir ermöglichen, mit dir die Sache in Ruhe zu besprechen. Ich hätte dir vorgeschlagen, daß ich Heinz adoptieren werde. Er ist ja ohnehin mein Patenkind und Erbe. Ich habe gehofft, mich mit dir beraten zu können. Aber du siehst ja in mir nichts als deinen politischen Gegner Gesteigert bis zu schrankenlosester Heftigkeit. hast für nichts mehr Zeit, als für deine sauberen Parteigenossen, die dir heute zujubeln und – ich schwör' es dir – noch einmal mit Steinen nach dir werfen werden, hast nur noch Zeit für diesen da, diesen ehrenwerten Herrn, der sich unter der Maske des Freundes in dein Haus geschlichen und es mit unerhörtem Schmutz besudelt hat, der dich in deinem Hause bestiehlt und zum Gespött der Welt gemacht hat ... für all' das hast du ja keine Ohren, keine Augen ... ich ... ach Greift sich an sein Herz, sinkt zurück.
BERGMANN ist zusammengezuckt, steht einen Augenblick wie erstarrt da; jetzt stürzt er sich wie rasend auf den Professor, schüttelt ihn. Du, das erste, das ... das verzeih' ich dir. Aber das letzte Fast stöhnend. das mußt du beweisen,[67] ehe ich dir's glaub', ehe ich dir's glaub' ... Läßt ihn los, wankt zurück; der Professor fällt zu Boden.
HELDENBERG. Er ist ohnmächtig. Beide springen hinzu, Heldenberg läutet. Johann und ein Mädchen kommen herein, alle bemühen sich um den Professor, den sie in das Nebenzimmer tragen. Heldenberg geht um einen Arzt, kommt bald darauf mit einem solchen zurück; eine Weile bleibt die Bühne leer.
BERGMANN wankt heraus, Arzt folgt ihm.
ARZT. Ich komme leider zu spät. Ein Schlaganfall. Der Tod ist augenblicklich eingetreten. Pause. Darf ich mein aufrichtiges Beileid ...
BERGMANN drückt ihm stumm die Hand, Arzt ab. Heldenberg erscheint in der offenen Tür.
Bergmann, Heldenberg.
Bange Pause.
BERGMANN heiser. Was hast du mir zu sagen?
HELDENBERG schweigt.
BERGMANN. Du warst mit ihr in Graz?
HELDENBERG schweigt.
BERGMANN. Sie war mit dir gestern im Theater, nachher in deiner Wohnung ... bis halb ein Uhr in der Nacht?
HELDENBERG schweigt.
BERGMANN. Sie ist ... die Dame mit dem Reiher?
HELDENBERG schweigt; lange Pause.
BERGMANN. Und heute, da kommt sie wohl wieder zu dir, heute Nacht? Oder ist vielleicht schon in deiner Wohnung? ... liegt vielleicht schon in deinem ... Bett und träumt von deinen Umarmungen?
HELDENBERG schweigt.
BERGMANN richtet sich vor ihm auf, als ob er ihn niederschlagen wollte.[68]
HELDENBERG. Bergmann!
BERGMANN wendet sich langsam ab.
HELDENBERG nach einer Weile. Wir haben einander wohl nichts mehr zu sagen?
BERGMANN gibt keine Antwort.
HELDENBERG wartet noch einen Augenblick, geht dann nach kurzer Verneigung ab.
BERGMANN sinkt in einen Sessel, schlägt die Hände vor's Gesicht. Inzwischen ist es dunkel im Zimmer geworden, es wird immer dunkler; von draußen werfen Straßenlaternen Licht ins Zimmer. Nach einer Weile hört man von ferne wieder die Rufe und das Gejohle der demonstrierenden, rückkehrenden Menge; bald kommt es näher, bald entfernt es sich. Endlich verklingt es ganz. Die Turmuhr einer entfernten Kirche schlägt, die Schläge anderer Turmuhren vermischen sich mit jenen der ersten. Dann tritt wieder völlige Stille ein. Nach einer Weile öffnet sich die Türe. Vom Vorzimmer fällt strahlendes Licht herein. Mit geröteten, fieberglänzenden Wangen tritt Annie ein. Ohne ihren Vater zu bemerken, oder von ihm bemerkt zu werden, bleibt sie im Zimmer einen Augenblick stehen, preßt mit glücklichem Gesichtsausdruck die Hände auf ihr Herz. Dann lauscht sie, schließt die Türe und schleicht auf den Zehen in ihr Zimmer.
Vorhang fällt langsam.
Buchempfehlung
Die Geschichte des Gaius Sempronius Gracchus, der 123 v. Chr. Volkstribun wurde.
62 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro