|
[845] Wenn einer sagen wollt, wie lange eigentlich jetzt schon die Feindschaft zwischen den Moosrainerischen und den Hürblerischen besteht, so müßt er gut Ding seine siebzig, achtzig Jahre alt sein; denn der Hürbler pflegt jeden Tag siebenmal mit einem giftigen Blick hinüber zum Nachbarn zu sagen: »Ja, wenn dees aa Leut waarn! – Aber die habn ja scho insan Vatan, Gott hab 'hn seli', grad kloaweis für an Narrn ghaltn!«
Während hinwiederum die alte Moosrainerin des öfteren seufzte: »Ah was! So a Nazion muaßt ja auf der ganzen Welt nimmer finden wia dee Hürblergsellschaft! – Die ham ja scho von Anfang o nix taugt! – Dee ham scho insane Altn oan Prozeß um den andern oghenkt zwegn nix und wieder nix ...«
So steht es also seit langem zwischen den beiden Nachbarn; und der Pfarrer hat billig Ursach zu klagen und in der Sonntagspredigt des öfteren auszurufen: »Kindlein, liebet einander! – Ihr bockbeinigen Bauernschädel! – Merkts auf und hörts auf das Evangeli, das euch ermahnt: Liebet eure Feinde! –«
Leider helfen ihm solche Hinweise auf die Schrift bei den Hürblerischen nicht viel, – bei den Moosrainerischen aber gar nichts; denn die alt Moosrainermutter hat selber das Evangelibuch im Haus und weiß daraus lang allerhand auswendig. Besonders aber hat sich diese Stelle in ihr Gedenken eingegraben: »Aug um Aug, – Zahn um Zahn.«
Dieses Wort der Schrift gibt ihr allerhand zu sinnieren. Und sie sagt sich: »Haut er her, – na hau i hi; – wia du mir, – so i dir; – und: wiedervergelten is koa Sünd.« –
Nun steht aber zwischen den beiden Bauernhöfen vom Hürbler und vom Moosrainer noch eine Person.
Zwar nur eine einschichtige Gemeindearme, – ein heruntergerutschtes[845] Häuslleut, – aber dennoch ein Leut, das dazugehört: die alte Schleiferlis.
Die sitzt schier den ganzen Tag samt ihrem räudigen Wolfsspitz auf der wackligen Hausbank und strickt die Strümpfe und Socken noblichter Leute an, – oder sie lehnt hinter dem schleißigen Vürhang am Fensterbrett und gibt acht auf das, was zwischen den beiden Nachbarn hin und wider geht.
Indem sie bedenkt: ein Zeuge vor Gericht gilt für den Tag zwei Mark und mehr, – und: wo sich zwei zerkriegen, darf sich der dritte freuen.
Also rückt sie auch heut ihren zusammengesessenen Lederstuhl ans Fenster, stellt die Kaffeeschüssel dazu, wischt sich die Hornbrille gut aus und sitzt alsbald an ihrem Platz, wie die Kreuzspinne hinter dem Wandherrgott, die wie ohne Leben zwischen den Fäden hängt und die Fliege im Netz lang zappeln läßt, ehe sie drauf losfährt und sie einhaspelt.
Drüben beim Hürbler wird grad im Stall gearbeitet; und der Kaspar schiebt pfeifend den Mistkarren aus dem Stalltor und leert ihn auf den hochaufgeschichteten Düngerhaufen, indes die Nanndl am Brunnen das Melkgeschirr spült.
Es sind zwei von den Ehehalten der Hürblerischen.
Und eine dritte, die Kuchelzenz, tritt eben aus der Haustür, einen Weidling voll Körner in der Hand, und ruft lockend:
»Dihsä! Dihsä! Di di di di!«
Worauf in eiligem Rennen und Laufen der Hürblergockel mit seiner Hennenschar herbeikommt, sein Grrr ga ga ga hören läßt und dabei ganz übersieht, daß auch eine rote Moosrainerhenn bei dem Nachtmahl mithält.
Zwei aber übersehen es nicht: der Kaspar – und die Schleiferlis.
Und beide handeln.[846]
Der Kaspar setzt eilends seinen Karren nieder, nimmt die Peitsche vom Nagel neben dem Stalltor, bindet ein kurzes Tannenreiserlein vom Hausbesen an die lange Geißelschnur und schleicht zum Hühnerhaufen.
Da steht die Moosrainerhenn ein wenig abseits von den Hürblerischen, – pickt und schluckt, tretelt und scharrt, – schreit plötzlich erschreckt auf und will davon, als sich sausend die Geißelschnur um ihre Krallen schlingt und dran verwickelt.
Noch will sie ihre Flügel brauchen; aber sie kommt nur noch zu einem kurzen Flattern, dann hat sie schon eine Hand am Kragen gepackt und ihr das Genick umgedreht.
Lachend trägt sie der Kaspar ins Haus.
»Da! – Der Stößer hat den Vogl fallnlassen!«
Die Hürblerin blinzelt den Kaspar an und die Henn.
»A meinige Henn is's net, Kaschba!«
»Macht nix, Bäuerin; deswegn siad's aa koa schlechtere Suppen.« – Die Hürblerin schmunzelt.
»Ja no, – werds es enk scho zuarichten. – Dees geht mi nixen o.«
Damit geht sie aus der Kuchel, damit sie nicht dabei ist beim Einputzen. Und der Kaspar sagt lachend zur Zenz:
»Gell, tuast es a bißl überbratn darnach! – Und machst a Nudlsuppen dazua! – Werd scho so viel Oar drin habn, dees Viech, daß 's glangen.« –
Die Schleiferlis drückt den Kopf ganz nahe an den Vürhang, während dies geschieht. Und sie sieht den Eingang und den Ausgang der Geschichte; denn nicht lange darnach gießt die Zenz einen Kübel mit heißem Wasser und roten Federn auf den Misthaufen, nimmt eine Gabel und breitet vorsorglich eine Lage Dünger drauf.
Die Lisl nickt etliche Male mit dem Kopf.
»Mhm!« Schon will sie aufstehen.
Aber da fällt ihr Blick auf den Moosrainerhof.[847]
Und was sie hier sieht, wird die Ursach zu dem Ausruf: »Aha! – Soso!«
Da rennt eben der Hürblergockel einer schwarzen Henn nach, die gleich ihrer roten Schwester die Körner des Hürblerweizens schmackhafter fand wie die des Moosrainerschen. Und er zeigt einen solchen Zorn gegen die Fliehende, daß man hätt meinen können, die Feindschaft der beiden Bauern wär auch auf ihr Viehzeug übergegangen.
Flügelschlagend und wütend gurrend jagt er sie bis vor die Haustür des Moosrainerhofs. Dann bleibt er einen Augenblick stehen, reckt den Hals, schüttelt die Federn und will wieder zurück zu seinen Hennen.
Aber er kommt nicht weit.
Sausend fliegt plötzlich ein Holzprügel von der Schupfe her und schlägt ihm beide Haxen ab, so daß er mit einem Jammerschrei zusammenfällt, die Augen verdreht und mit den Flügeln schlägt, bis ihn der Roßknecht vom Moosrainer beim Kragen packt und ins Haus trägt.
»Bäuerin, habn tua i 'hn!«
»Was?«
»An Gockel!«
»Was für an Gockel?«
»No, den Hürblerischen! – Grad hätt er wieder a unsrige Henn umbracht.«
»Marixn! A unsrige Henn, sagst?«
Die Bäuerin schreit der Alten.
»Muatta! – Hast es ghört! – A unsrige Henn hat er umbracht!« – »Hätt er!« verbessert der Knecht.
»Ah was! – Hätt er oder hat er! – Wennst net grad dazuakemma waarst, nachher hätt er s' aa ...«
»Ja, gwiß aa no!« beteuert die Alte, »i möcht net wissen, wiaviel Henna daß uns der scho umbracht hat!«
»Ja no, – oa Henn is die ander wert!« sagt die Junge; »d' Hauptsach is, daß mir 'hn jetz habn.«[848]
Und sie stellt geschäftig eine Pfanne mit Wasser aufs Feuer zum Brühen, indes der Roßknecht dem Gockel mit der Daxenhaue den Kopf abschlägt.
Und so kommt es, daß die Schleiferlis sagt: »Aha! – Soso! –« – – –
Etwan eine Stunde darnach tritt in die Kuchel der Moosrainerin die Schleiferlis.
»Grüaß enk der Himmi!«
»Was möcht denn dees alt Fegfeuer heunt no!« denkt sich die Bäuerin, sagt aber bloß: »'ß Good aa.«
Und die alt Mutter fragt: »Brauchst leicht eppas, Lisl?«
»Naa!« sagt die; »net, daß i wissat. Aber i kimm von der Hürblerin.«
Aha! Sie erschrecken schon.
»Von der ... von dera ... da drent ...«
»Ja. – Sie hätt' mi auf d' Schandarmerie g'schickt; aber i hab g'sagt, dees braucht's net. – Zwegn oan Gockl! – Und wo ma net woaß, wia und warum!« Die alt Moosrainerin erbleicht. Aber sie sagt doch ganz fest: »Was Gockl? – Da is mir nix bekannt!«
Die Junge aber will aus der Kuchel.
Die Lis vertritt ihr den Weg.
»Du, i moan, es is besser, du bleibst no a bißl da, Bäuerin, bis i ausgredt hab!«
»So, moanst? – Zwegen was nachher? – Moanst, daß i sinst nixen z'toan hab, als wia auf dein Schmarrn hinz'hörn!«
»Ja, no nachher! – Muaßt halt auf'n Schandarm den sein hör'n!« Die Junge zuckt zusammen.
»Tua di fei net so leicht redn ... mit mir ... du ...«
»Werst ins nix nachsag'n könna ... nix Schlechts!« ergänzt die Alte. Die Lis zuckt die Achseln.
»I sag ja aa nixen ... aber d' Hürblerin ...«
»Was geht ins d' Hürblerin o!«[849]
»Mei, sie sagt halt, daß's ös ihran Gockl hinterlistigerweis daworfa habt's ...« »Dees muaß s' beweisen könna!«
»Konns aa. Sie hat Zeug'n, sagt's. «
»Auf dera ihrane Zeug'n gib i nix!«
»Ja, no; sie wissen's halt do für gewiß, daß's enka Roßknecht gwen is, mit an Trumm Prügl.«
»Was der Roßknecht tuat, dees geht do ins nix o ...«
»Scho. Aber sie zoagt's o, sagt's, und sie laßt enk allsam einsparrn!«
Der Moosrainerin wird immer unguter zumut. Und die Alt wischt sich alle Augenblick über die feuchte Stirn.
»Moanst, daß dees wahr is, mit dee Zeug'n, Lis?«
»Freili! Glei drei! – Und g'wisse, verstehst!«
Die Moosrainerinnen schauen einander unschlüssig an.
Die Lis bohrt weiter.
»D' Hürblerin liaßat's ja gern guat sei', sagt's, bal's ihran Gockl wiederkriagt, wenigstens als a toter ...«
Die Junge starrt vor sich hin.
Mittendrin aber sagt sie: »Ja no; – i hab's ja alleweil g'sagt, sie soll'n 'hn steh' lassen! – Aber, mei, – insane Leut' werd'n halt aa zorni, wann's sehg'n, wia oan dees Viech oa Henn um die ander umbringt! – Alles konn ma si halt aa net g'falln lass'n!... Jetzt fehl'n mir scho leicht zehne!«
»Ah was!« begütigt sie die Alte; »die paar Henna da! Mir san do net so hungri wia die da drent! – Mir könnan do so a paar Viecher verschmerzen! – Schick 'hn ihr umme, ihran baanigen Teife' und laß di gern hab'n!«
Die Junge besinnt sich.
Aber die Schleiferlis sagt schnell: »Siechst, dees is a Wort, Muatta! – Dees laßt si hör'n. Is do gscheiter a so als wia a Prozeß ... und a paar Wocha ins Loch ...« Da reißt's die Moosrainerin.
Und sie läuft eilends in die Speis, holt den Gockel, der[850] bereits in der Essigbrühe liegt, und sagt: »Da! – Mir waar's ja gnua! – Sagst, i kann nix dafür, – und mir waar's a so net recht: – i hätt 'hn ihr a so grad ummeg'schickt, wannst net du jetzt kemma waarst!«
»Und bring fei an Hafa wieder z'ruck!« sagt die Alte noch.
»Feit si nix!« erwidert die Lis, nimmt den Hafen und geht, indes die beiden Moosrainerinnen sich anblicken und mit großem Eifer in die reinste Unschuld hineinreden. –
Nicht lange darnach steht die Schleiferlis bei der Hürblerin im Hausflöz.
»'n Abend wünsch i! – Aber da schmeckt's fei! Habt's no an Brat'n, heunt?«
Die Hürblerin drückt sich mit der Antwort herum.
»Nnaa ... grad a Bröckei was. – Der Stößer hat ins wieder epps derhaut.«
»Soso«, sagt die Lis; »gwiß a Henn?«
»Nn ... ja ... a Henn. Was fragst denn so dappi?«
Die Lis überhört das letzte.
»Bist alloa, Hürblerin?«
»Warum?«
»Weil i epps Wichtig's hab. Von der Moosrainerin.«
Aha. Sie fährt schon zusammen, die Hürblerin! – Aber sie tut befremdet. »Da kunnt i mir aber nix denka ...«
»Net?« sagt die Lis; »na fragst amal dein Kaschba; vielleicht konn si 's der denka!«
»Der Kaschba! – Ja, was moanst denn! – Erscht recht net! – Mir wissen allsam nix! Gar nix.« – Die Lis seufzt verlegen.
»Gar nix, sagst. – Ja no, na konn ma nix macha. – Na gib's halt an Saustall.« »An Saustall, sagst?«
»Ja, scho. Eing'schbarrt werd's halt.«
»Ins Christi willn'! Lisl!«
Die Lis tut jammerlich.[851]
»Ja no. Freili is's zwider. Wennst du nix woaßt und der Kaschba nix woaß ...«
»Naa, Lis, gar nix!«
»Geh! – Jetz, d' Moosrainerin sagt halt: a rote is's gwen, – und sie hat an Zeugn, sagts, der wo's beschwört ...«
Die Hürblerin erschrickt.
»An Zeugn, sagst? – Der wo's beschwört, sagst? – Ja, no, – da werd nachher scho der Kaschba ... aa schwörn müassn ...«
Sie muß sich niedersetzen.
Aber die Lis fährt fort: »Er werd halt net dazu kemma, zum Schwörn, der Kaschba, fürcht i! – Jetz, die Jung drent wills ja gar net habn, daß d' neifallst! – Gar net! – Sie sagt, sie waar gar net abgneigt, hats gsagt, – daß sie's guat sei lasset, sagts. Wenns ihra Henn wieder zruckkriagt ...«
Die Hürblerin horcht auf.
»Aha sagst! – Ös wißts also nix! – Ös moants grad! – Aha!«
»Hürblerin, sie hat Zeugn!«
»Die konn Zeugn habn, soviel daß s' mag, sagst! – I hob no mehra, sagst! – Und überhaupts, jetz sag dir i was: daß s' net verhungert, des Gnack da drent, sagst, bringst a meinige Henn. – Wenn glei i nix woaß – und der Kaschba aa nix ...«
Und sie geht augenblicklich in den Hühnerstall, packt eine alte Bruthenn, die nimmer legt, und gibt sie der Lis.
»Da! – I mag nix z'toan habn mit dera Gsellschaft, sagst! Wenn i gleich nixen woaß von der ganzen Gschicht.«
Und sie läßt die Schleiferlis stehen und läuft in den Stall, wo der Kaspar den Roßkummet putzt.
Die Lis schmunzelt, deckt die Schürze über die Henn und geht. –
Am andern Tag liegt der Schleiferspitzl nicht wie sonst auf der Hausbank; er hockt vielmehr hinterm Ofen und nagt[852] an einem Häuflein Gockelknochen, indes die Lis einer alten Bruthenn sieben Eier unterlegt und dabei denkt: »Hat der Herr für 'n Vogl gsorgt, na werd er scho für die Junga aa sorgn.«
Worauf sie sich wieder ans Fenster setzt und zufrieden hinausschaut auf die zeitigen Weizenfelder des Hürbler und des Moosrainer.[853]
Ausgewählte Ausgaben von
Bauern
|
Buchempfehlung
Der junge Vagabund Florin kann dem Grafen Schwarzenberg während einer Jagd das Leben retten und begleitet ihn als Gast auf sein Schloß. Dort lernt er Juliane, die Tochter des Grafen, kennen, die aber ist mit Eduard von Usingen verlobt. Ob das gut geht?
134 Seiten, 7.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro