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[708] Rasselnd und polternd fährt das Fuhrwerk über den mit großen Feldsteinen gepflasterten Hof des Schiermoserbauern.

Franz pfeift gellend durch die Finger, springt vom Wagen und hebt Rosalie mit einem Scherzwort herab von ihrem Sitz.

Dann öffnet er den Schlag und ist den Damen behilflich beim Aussteigen.

Dabei aber schielt er alle Augenblicke hinüber zur Haustür, die gegen alle Gewohnheit verschlossen ist.

Nichts rührt sich.

Der Hof scheint ausgestorben oder verlassen zu sein.

Nur die Rösser im Stall stampfen hie und da, die Kühe rasseln mit den Ketten, und die Säue stoßen quiekende Laute aus. Kein Bauer, kein Knecht, keine Dirn und keine Tochter ist zu sehen.

Den scharfen Augen Rosalies aber ist es nicht entgangen, daß sich sowohl drin in der Wohnstube wie auch droben im Austragstüberl der alten Großeltern die bunten Vorhänge ein wenig beiseite geschoben haben und daß sich nun die Gesichter der Schiermoserin und ihrer Mutter ganz nahe an die Scheiben pressen, um die Ankommenden verstohlen betrachten zu können.

Franz hat abermals gepfiffen und entschuldigt sich nun bei den Gästen, daß er sie einen Augenblick hier allein lassen müsse.

»I geh grad schnell durchn Stall ins Haus und mach enk auf!« sagt er verlegen. »D' Muatta is leicht gar in Gottsdeanst ganga mit der Großmuatta. Und der Großvata hört ja nix. – Is 's enk recht, wenn i enk an Weidling voll Milli aufn Tisch bring und an Scherz Brot dazua? Werds leicht hungri sein auf d' Roas auffe!«[708]

Die beiden alten Damen sind so sehr mit ihrem Gepäck beschäftigt, daß sie kaum darauf achten, daß man ihnen hier einen so kalten Willkomm bietet. Rosalie aber weiß Bescheid.

Doch sie ist nicht gewillt, sich zu ärgern oder sich die Zeit ihres Hierweilens durch irgendwelchen unliebsamen Zusammenstoß mit der Schiermoserin zu verbittern. Darum sagt sie mit dem freundlichsten Lächeln gegen die verschlossene Haustür hin: »Is scho recht, Franzl! Mach 's nur, wie d' moanst. Wir machen keine Ansprüch, dees woaßt ja. Aber wenn der Vater oder d' Mutter hoamkommen, nachher sagst mir's. Ich hab ihnen was mitbracht.«

Und damit hilft sie auch schon das Gepäck auf die Hausbank schaffen, die Rosse ausschirren und den Wagen in die Schupfe schieben.

Der Schiermoser hat eben drunten in der Mooswiese mit seinen Leuten das letzte Heu zum Heimführen zusammengehäuft.

Nun geht er gemächlich heimzu.

Da findet er die Sommergäste vor der verschlossenen Haustür, und Franz sagt ihm zähneknirschend, daß von innen abgeschlossen und der Schlüssel abgezogen wär' und daß man weder hinein noch heraus könne.

Und die Rätin beginnt auch bereits über die Unhöflichkeit des Landvolks zu nörgeln.

Aber Tante Adele beeilt sich, dem Schiermoser zu versichern, daß man grad im Augenblick gekommen wär, daß es ja gar nicht eile und daß die Hausfrau wohl nicht allzu lange ausbliebe.

»Oh, wir können leicht warten!« meint sie freundlich. »Uns lauft der Tag alleweil nimmer davon! Setzen wir uns halt derweil alle miteinander auf d' Hausbank hin und erzähln wir uns, wie's gangen hat den Winter!«[709]

Mit diesen Worten setzt sie sich bequem neben ihr Gepäck und lacht dem Schiermoser fröhlich und gutmütig ins Gesicht.

Und Rosalie hat bereits seine schwielige Hand ergriffen, schüttelt sie voller Übermut und sagt: »Ja, Schiermoservater! Laß di grüaßen! Hast es do noch derwarten kinna, bis i kommen bin zum Helfa?«

Und sie zieht den Bauern auf die Bank neben sich.

»Alsdann; geh weiter und hock di a bissl her zu mir! Und erzähl mir epps vom Viech! Wie steht's im Stall? Was macht der Ochs, der Blaß? Und der Handige, der vorigs Jahr krumm ganga is? – Soo, der is geschlagn! Hat er viel Fleisch gebn? Hat'n der Metzger guat zahlt? Und was macht d' Breitmoserin? Gibts no alleweil so wenig Milli? Und 's Öchsl vom Windbichler? Werds was? Habts sonst aa epps aufgstellt? Hast gut verkauft?«

Mit solchen Reden hat sie den guten Schiermoser sogleich umgarnt, und schon nach der zweiten Frage ist er so weit, daß er Red und Antwort steht, sich mit ihr unterhält und ihr sein Tun und Handeln, ja sogar seine Pläne und Wünsche offenbart.

Der Franzl steht eine Weile dabei und hört zu.

Mittendrin aber setzt er sich zu ihnen und schwatzt auf das lebhafteste mit.

Und wenn die Schiermoserin drin hinter dem Vorhang in ihrer Stube auch bebt vor Zorn, wenn sie gleich wettert über die Frechheit und Neugier der Stadtmamsell – sie kann es doch nicht ändern, daß die da draußen frei darauf vergessen, wo sie sind, daß sie Raum und Zeit für nichts achten und daß die beiden Männer jeglichen Unterschied vergessen zwischen Art und Stand und das Maidl betrachten als eine ihresgleichen.

Die Rätin ist derweil verstimmt und gekränkt mit ihrer Schwägerin ums Haus gewandelt, hat sich sehr mißbilligend[710] über den Duft des Misthaufens geäußert und schlägt nun gelangweilt mit dem Schirm etliche unreife Stachelbeeren vom Gesträuch am Gartenzaun.

Und dies ist endlich der Anlaß, daß die Schiermoserin wie ein gereizter Truthahn in die Höhe fährt und blaurot übers ganze Gesicht wird.

Daß sie den Hausschlüssel aus dem Rocksack zieht und die Tür aufschließt, in der Absicht, den Neuangekommenen daraufhin sogleich einen derben Willkommenslandler zu blasen!

Aber der ziemlich verrostete und vom Zahn der Zeit zernagte Hausschlüssel hindert sie daran mit aller Macht.

Denn er will durchaus nicht aufschließen, soviel sich die gute Bäuerin auch müht und plagt und dabei schilt und greint.

Und so bleibt ihr schließlich nichts übrig, als endlich das Fenster im Flöz zu öffnen und hinauszurufen: »Geh, macht oana auf draußt! Da is der Schlüssel. I hab zuagschbarrt ghabt, weil i a weng geschlaffa hab.«

Dies ist aber wiederum die Ursache, daß Rosalie sogleich die Hand und den Schlüssel der Bäuerin ergreift, daß sie eilends aufschließt und mit einem herzlichen, lustigen: »Grüaß di Gott, Schiermosermutter!« abermals ihre beiden Hände erfaßt und schüttelt.

Und sie schwatzt und erzählt, daß sie für jedes im Haus ein kleines Geschenk angefertigt hätte: für sie, die Schiermosermutter, ein Versehtuch, wie sie sich's schon so lange gewünscht hätt auf ihren Hausaltar; für ihn, den Bauern, einen gestrickten Leib für die grimmige Winterkälte, für die Dirndln seidene Schlipse, für die Alten ein Halstuch und gestickte Pantoffeln und für den Franzl einen Beutel zum Tabak, auf daß er doch endlich einmal die alte Stärkeschachtel abdanken könnt, in der er ihn bislang noch herumtragen müßt![711]

Während sie noch so erzählt und schwatzt, tritt auch Tante Adele herzu und hinter ihr die Rätin.

Und auch sie begrüßen beide die Schiermoserin. Die Rätin freilich etwas frostig, die Tante aber dafür um so herzlicher.

Adele Scheuflein hat auch wirklich so viel Gewinnendes in ihrem ganzen Wesen, daß sie es fertigbringt, die Bäuerin so zu erheitern, daß diese wiederholt hell auflachen muß.

Damit ist also das Schlimmste überstanden, und die Sommergäste haben Zutritt zu Haus und Hof.

Freilich, wegen der Versorgung mit Milch, Butter und Eiern droht abermals die Laune der Schiermoserin vom Guten ins Schlechte umzuschlagen, denn nichts kann sie mehr aus dem Häusl bringen als diese »verflixte Bettlerei«, wie sie es nennt.

Und trotz der hohen Preise, die sie fordert, kann sie nicht anders: sie muß ihnen sagen, was sie denkt.

»Gell, da san enk d' Bauern no guat gnua, daß s' enk z' Fressn gebn, enk Stadterer! Jetzt möchts enk wieder außafuttern, daß 's im Winter a weng vom Balg zehrn könnts!«

Aber sie geht doch und holt das Verlangte.

Die Rätin muß einen Augenblick ihr Riechfläschchen an die Nase halten, so sehr empört sie das »beispiellose Benehmen dieses Landvolks«.

Ihre Tochter aber und die Tante finden die Geschichte ganz natürlich und lustig, pflichten sogar der Schiermoserin noch bei und bringen sie dadurch wieder in eine versöhnlichere Stimmung.

Trotzdem hat der Schiermoser abends im Bett noch das Folgende von seinem Eheweib zu hören und es zu bestätigen:

»Ausschaugn teans wia Vogelscheuchen, grea sans wia d'[712] Jakobiäpfel im Mai, z'sammgricht sans wia dee Narrischn und habn teans gar nix. Koa Hoamatl, koa Viech und koa Sach und koa Geld. Wir müaßn eahna d' Steuern zahln und z' fressn gebn und arbatn vom Gebetläuten in der Fruah bis in d' Nacht eine, damit daß sie in eahnana Stadt drin faulenzen und umanand karressiern kinnan. A solcherne bal mir insa Bua daherbrächt – 's Kreuz taat i eahm abschlagn!...«

Der gute Schiermoser hat längst zu schnarchen begonnen; doch sie ist immer noch nicht zu End mit ihren Betrachtungen.

Bis ihr endlich selber langsam die Augen zufallen und sich die abgerissenen Sätze des Vaterunsers in ihr Selbstgespräch mengen – bis sie hinübergegangen ist in die raum- und zeitlose Welt der Träume.

Quelle:
Lena Christ: Werke. München 1972, S. 708-713.
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