[720] Die Heuernte ist vorbei; die Getreideernte beginnt.
Bei Schiermosers haben sie ein paar neue Knechte zum Mähen und ein paar Weiber aus dem Markt zur Hilfe beim Garbenbinden und Mandlmachen eingestellt.
Denn unser Herrgott hat gut Wetter werden lassen und schickt den Schnittern klare Nächte und dem Getreide heiße Tage.
Und die Zeit geht hin in harter Arbeit und kurzem, bleischwerem Schlaf.
Das verspürt nun auch Rosalie, die sich seit einer Weile schon nicht mehr recht wohl fühlt auf dem Hof.
Aber es ist nicht allein des Tages Müh und die kurze Ruh, was sie aus dem Gleichgewicht gebracht hat; es ist nicht das ständige Schelten der Mutter über ihre Gleichgültigkeit gegen den Bräutigam und über ihr stetes Verweilen unter dem Bauernvolk; nein, etwas anderes nimmt dem Mädchen die Ruhe und Sicherheit.
Sie sieht auf Schritt und Tritt die Weiber verstohlen mit Fingern auf sie deuten, sie hört ein Tuscheln und Flüstern, sobald sie allein oder mit Franz die Stube oder die Scheune verläßt.
Dieses heimliche Reden hinter ihrem Rücken raubt ihr alle Lust zur Arbeit.[720]
Und da eben wieder eine Woche zu End ist und der Sonntag kommt, da sagt sie zu Franz: »Du, Franzl, i muß dir was sagn. I bin net ganz gut beinand und kann enk auf d' Woch nimmer helfa. Und überhaupts muß i mi jetzt aa schee langsam um mei Aussteuer kümmern. I heirat doch im Winter!«
Dieser Augenblick ist es, der sie beide sehend werden läßt. Denn kaum hat sie das Wort gesagt, spürt sie ein Würgen in der Kehle, und etwas in ihr schreit und tobt: »Es wird ein Unglück – es geht schlecht aus! Denn er ist der Unrechte! Der Rechte ... Herrgott ... der steht ja ...«
Ja ja. Er steht vor ihr. Er weiß es selber.
Und daß sie für ihn die Rechte wär, das weiß er auch.
Minutenlang stehen beide wortlos da. Franz ist der erste, der sich selber und ein paar Worte findet.
»Soo soo. Im Winter heiratst. Und net guat beinand bist, sagst. Nachher laß i di aber heunt net z' Fuaß in d' Kirch abegeh auf Glonn. Da ist scho gscheidter, du fahrst. I spann dir dees kloane Scheesl ei.«
Rosalie schüttelt den Kopf.
»Naa, Franzl. I bleib dahoam heunt.«
In diesem Augenblick kommt Tante Adele die Stiege herab und sieht die beiden.
»Ja, was is's denn?« ruft sie aus. »Was stehts denn da, als ob enk d' Henna 's Brot gnomma hättn?«
Rosalie versucht zu lächeln.
»Ah nix, Tante. I hab nur gsagt, daß i heut net mitgeh in d' Kirch.«
Und da sie das erstaunte Gesicht von Adele sieht, fügt sie schnell hinzu: »Weil i a bissl überarbeit't bin. Da wird mir der Weg z'weit.«
Worauf aber Franz sofort wiederholt: »Drum will i 's Wagl eispanna.«
Tante Adele nickt: »Freili!«[721]
Aber Rosalie sagt nein und würde wohl auch ihren Willen durchsetzen, wenn nicht im selben Augenblick der Schiermoser aus dem Haus käme und sagte: »Was is's, Franzl? Eispanna! I muaß schaugn, daß i abe kimm auf Glonn! Markt is! Sinst kaaffan mir dee Bazi dees Besser' weg und lassen nix mehr übri wie lauter Schinderbratn!«
Und er beginnt sogleich mit Rosalie über den Roßhandel zu reden und schwatzt mit ihr, bis Franz das Fuhrwerk gerichtet hat.
Da sagt er: »So, Bua. Jetzt hock auf. Und du, Rosl, hockst di in d' Mitt, und i hab aa no Platz daherent.«
Damit schiebt er auch schon Rosalie zum Fuhrwerk, hebt sie halb hinauf und steigt auf.
Und Franzl tut, als wär nichts geschehen, sagt Tante Adele Pfüagott und fährt weg.
Drunten in Glonn wurlts von Menschen.
Denn es ist Jahrmarkt und Viehmarkt. Auf dem Platz vor der Kirche stehen die fliegenden Stände der Händler, der »Prater« für die Kinder und der Wagen der berühmten Turmseilkünstler.
Hinter dem Postwirtsgarten aber sind in langen Reihen Kühe, Ochsen und Pferde angekettet und harren gleich ihren Besitzern, die einen stumpfsinnig, die andern aufgeregt, auf ihre Liebhaber und Käufer.
Die Kirche ist voll, und der Pfarrer vermag sich kaum durchzuschieben durch die Menge, da er ihr den letzten Weichbrunn und Segen mit auf den Heimweg gibt.
In einem dichten Schwarm ergießt sich die Menge nun in den Gottesacker und hinaus auf den Marktplatz.
Laut lachend und stänkernd kommen als erste die Burschen, ernst und bedächtig redend die Männer. Verstohlen kichernd und zu den Burschen hinschielend die Maidln, in seidenen Gewändern prunkend und über die schlechten Zeiten jammernd die Bäuerinnen und ganz zuletzt, mit sich[722] selber schwatzend, den Rosenkranz in den knöchernen Fingern, die Alten.
Und drunten beim Unterwirt dampfen die Lungenwürste und der Leberkäs, droben beim Oberwirt duften die Braten und Soßen, und drüben beim Posthalter rollt man einen Banzen um den andern auf den Ganter, und die Kellnerinnen rufen und schreien sich schi er heiser: »Kriagst a Maß? Du aa oane? Ös zwee aa a Maß?« Und hinten bei den Barren stehen die Bauern, greifen den Kühen an die Bäuche und den Ochsen an das Genick, schauen den Rössern ins Maul und befühlen ihre Fesseln und Hufe; indes vorne bei den Dultständen wiederum ein Anpreisen und Einladen, ein Markten und Schimpfen durcheinanderschwirrt, daß man sein eigenes Wort kaum mehr hört.
Da plärrt die Lebzelterin: »An süaßen Honigzelten, an Lebzelten, a Busserl, a Platzerl hab i no! Einkaaft, einkaaft, gehts her und suachts enk was aus!«
Und die blecherne Geschirrfrau tut, als bete sie die Litanei von allen Heiligen: »Große Degerl, kloane Degerl, weiße Schüsserl, blaue Schüsserl, Milliweidling, Suppenseiher, Hafadeckel, Nudlpfannen, was geht ab?«
Oder die tucherne Annemirl mit ihren Schätzen!
»Scheene Schmieserl, feine Kragerl, guate Pfoad und warme Strümpf! Ausgsuacht, Leutln! Spitzerln, Knöpf und Hosentrager! Litzerl, Banderl, Fingerhüat!«
Und droben auf dem hohen Turmseil wiegt sich im rosenfarbenen Trikot ein üppiges Mädchen mit Papierrosen in den dunklen Locken und veranlaßt manche Bäuerin und manche Dirn, dem mit lüsternen Augen und wässerigem Maul dastehenden Begleiter einen derben Rippenstoß zu geben und eine Predigt zu halten: »Daß d' fei hänga bleibst da drobn an dem Strick! Schaamst di net! Dees nackate Weibsbild da drobn gafft er o. Aber inseroaner is dees ganz Jahr der Aff ...«[723]
Und die alten Weiber bekreuzigen sich: »Bruader! Dees is aa so a Nazion! Da is der Antichrist nimmer weit, wenns jetz scho nackat in Himmel auffe steign!«
Die alte Schiermosermutter und ihre Tochter, die Schiermoserin, sind schon in aller Früh fort von daheim. Denn es ist so der Brauch bei ihnen, daß sie immer am Jahrmarktstag zum Tisch des Herrn gehen.
Und so findet man sie jetzt, da die meisten Leute erst anfangen, sich umzuschauen und einzukaufen, schon hochbepackt auf dem Weg zum Postwirt.
Denn dort hat der Schiermoser das Fuhrwerk eingestellt, und die Bäuerin hätt' gern, daß etliches von dem Gekauften auf den Wagen kommt.
Unterwegs treffen die beiden eine entfernte Base, die sie sogleich mit den Worten begrüßt: »Aha, Basln, habts einkaaft fürn Hochzeiter! Wann is's denn scho? Leicht gar am Kirta?«
Die Schiermoserin vermeint nicht recht gehört zu haben.
»Was is's mitn Kirta?« fragt sie zurück.
»Wann daß d' Hochzat scho is, möcht i wissen!« wiederholt das Basl.
»Was für a Hochzat?«
»No, dee vom Franzl!«
Jetzt muß sie lachen, die Schiermoserin.
»Insan Franzl sei Hochzat? Was redst denn jetzt da für an Schwefe' daher! I glaab gar, du hast es nimmer ganz richti da drobn in dein Hirn!«
Die Base tut beleidigt.
»Geh, Herrschaftseitn! Teats do net gar so verstohln! Warum derf denn dees neamd wissen, daß er heirat't, der Franzl?«
Nun werden sie aber wirklich wild, die beiden Schiermoserinnen.
»Jetzt schaugt nur oa Mensch dees narrisch Weibsbild o!«[724] begehrt die Bäuerin auf. »Die moant jetzt akrat, sie kann oan derblecka! Aber da brennst di, mei Liabe! Da is's weit gfeit!«
Und die Alte meint: »Da müaßat do inseroana aa epps wissen, wenns a so waar! Mir müaßatns überhaupts ehanda wissen wia der Bua selm! Und mir wissen vo koana Hochzeiterin gar nix. Überhaupt gar nix aa! Ham mir no net amal an Gedanka drauf ghabt!«
»Naa, gar nia net!« bestätigt die Junge. »Weils der Bauer no lang net in Sinn hat, 's Übergebn! No lang net! Er net und i net!«
»Und weil si bei ins überhaupts oane schwaar tuat mitn Einaheiratn!« fügt die Großmutter hinzu. »Denn mir stehn net o auf a neue Bäuerin. Warum? Weil sie da is – und i da bin – und d' Deandln da sand.«
»Und solang als der Franzl net selm sagt: ›Jetz möcht i heiratn‹, so lang schaugn mir ins aa net um – um a Hochzeiterin!« sagt die Schiermoserin bestimmt.
Da wird das Baserl nachdenklich, schüttelt den Kopf und meint: »Jetzt da schaug her! Da bin i jetz ganz vürn Kopf gstößn! A so gehts, bal ma an Leutn epps glaabt!«
Die beiden horchen auf.
»Warum dees?«
Die Base ist entrüstet.
»Weils wahr aa is! Verzählt mir heunt d' Kramerzenz, daß der Franzl a so a sauberne Hochzeiterin hat – oane von der Stadt außa – a ganz a bsundere. Habs scho glei net recht glaabn wolln! Aber nachher hats d' Schneiderlies und d' Bäckin und d' Wagnerurschl aa für gwiß und wahrhafti gsagt; – no, nachher hab i's halt do glaabn müassn!«
Die Schiermoserin vermeint in den Erdboden versinken zu müssen bei dieser Enthüllung.
Und die Großmutter hat kein Wort mehr vor Entsetzen.[725] Sie bringt nur noch ein Quieksen und Glucksen heraus und ein in den höchsten Tönen der Entrüstung ausgestoßenes: »Aah! Aah!«
Worauf die Schiermoserin sich langsam erholt und in ein wütendes Schelten ausbricht über dies Geschwätz, über alle Stadtleut, über Scheufleins und besonders über Rosalie.
Und sie verabschiedet sich mit der Drohung: »Dem Gredats mach i a End, dees woaß i! Heut no muaß's mir aus'n Haus, dee Stadtscheesn, die zsammzupfte!«
Während der Schiermoserin dieses widerfährt, hat ihr Eheherr drüben am Viehmarkt ein paar Rösser erstanden und will sie eben einem seiner Knechte übergeben, daß er sie heimweise.
Da klopft ihm jemand auf die Schulter; und als er sich umwendet, steht der Dorfschreiner vor ihm.
»Is guat, daß i di triff, Schiermoser!« sagt er. »Scho lang suach i di alleweil. I hätt epps für di.«
»Für mi?« Der Bauer schüttelt ungläubig den Kopf. »Was eppa?«
Der Schreiner tut vertraulich. »A Einrichtung – a scheene, oachane mit zwoo Spiagel und an Spiaglkastn.«
Der Schiermoser starrt den Schreiner verständnislos an.
»A Einrichtung, sagst? – Ich brauch koa Einrichtung. Mei Haus is eh eingricht. I brauch gar nix.«
»Daß du nix mehr brauchst, dees woaß ma a so. Zwegn deiner sag i's aa net. Aber zwegn dein' Buam, zwegn dein Franzl.«
Der Schiermoser schüttelt den Kopf.
»Xaverl, da bist irr. Mein Franzl braucht aa koa Einrichtung.«
Jetzt wird er deutlicher, der Schreiner.
»Aa net, sagst? Nachher hat leicht sie d' Möbel?«
»Wer, sie?«[726]
»Jessas, jessas naa, konn dir der dumm fragn!« ruft nun der Schreiner ärgerlich aus: »Wer, sie! Wer anderscht als wia d' Hochzeiterin vo deim' Buam!«
Der Schiermoser muß lachen.
»Wia hast jetz gsagt? D' Hochzeiterin von mein' Buam hast gsagt? Mei liaber Xaverl, jetz glaab i's, daß dei Verstand a Loch hat. I woaß nix von ara Hochzeiterin.«
Dies ist dem Schreiner aber denn doch zu viel.
»Also, Schiermoser«, sagt er, »i will dir was sagn: Bal sie d' Sach von der Stadt außa bringt – oder bal eppa der Franzl gar hinei heirat in d' Stadt -, nachher woaß ma ja selm, daß's nix is mit meiner Einrichtung. – Aber verstanden, zwegn dem brauchst oan du no lang net a so für an Narrn z' halten und so saudumm daherz'redn! Dees is ja scho epps Alts, daß dene Stadtmadamen 's Bauernsach hint und vorn net guat gnua is! Und daß enk d' Bauernweibsbilder net fein gnua san! Aber leugna brauchst es net, bals a so is!«
Der Schiermoser hat mit wachsendem Erstaunen zugehört. Plötzlich aber geht ihm die Wahrheit auf.
»Von wem redest denn du?« fragt er heiser, obwohl er sich die Antwort bereits denken kann.
Doch diese letzte Frage erzürnt den guten Schreiner so sehr, daß er keine andere Antwort mehr darauf findet, als: »Jetz, da hört si aber do scho all's auf! A so a scheinheiliger Hansdampf!« Worauf er giftig ausspeit und den Bauern einfach stehen läßt.
Der Schiermoser aber vergißt frei, daß er ja Rösser gekauft hat und daß der Knecht dasteht und wartet.
Er starrt stumpfsinnig für sich hin und fragt sich selber zum soundsovielten Male: »Was hat jetzt der gmoant? Daß insa Bua und d' Stadterin – d' Rosl ... Ja, ist denn der Tropf narrisch!« Der Knecht reißt ihn aus seinem Grübeln und Sinnieren. »Is sinst no epps z'toa, Bauer?«[727]
»Naa«, sagt der Schiermoser und besinnt sich, daß ja die Rösser heim sollen.
»Naa. D' Ross' weis'st hoam und tuast es glei fuattern. Gib eahna aber den hintern Stand, daß s' net zum Fuchsen zuawekemman. Net daß sie si verbeißen.«
Eine Weile schaut er noch gedankenlos dem Gang der Rösser nach, dann wendet er sich langsam dem Postwirtsgarten zu.
»A Maß mag i!«
Das Bier ist nicht schlecht. Aber auch hier hat er bald allerhand Blicke auszuhalten, allerhand Fragen und verdruckte Reden anzuhören, die ihm rasch das Blut gallig machen.
Und so sagt er, da ihn die Kellnerin fragt: »Magst no a Maß, Schiermoser?«, barsch: »Naa. I geh.«
Und macht sich verärgert auf den Weg zum Wagen.
Da findet er schon die Bäuerin samt der Großmutter, blaurot im Gesicht wie zwei Biberhennen und auf ihn losfahrend wie die Hornissen.
»Mach, daß d' einspannst! Daß mir furtkemman von da!« sagt die Junge wild. »I glang jetz. I hab mir gnua ghört!«
Und die Alte fügt bissig bei: »Jetz habts es wenigstens mit enkane Sommerfrischler! Jetzt wißts, was daß dee wolln.«
Der Schiermoser starrt gegen die Dultstände hin.
»Dees is a sauberne Gschicht. Wer hats enk denn verratn?« Aber er hört nicht mehr auf die Antwort hin.
Denn sein Blick hat eben etwas aufgefangen.
Dort vorne, vor dem Stand des Goldschmiedes, da steht sein Sohn, der Franz, hat die Stadtjungfer bei der Hand und zeigt ihr mit dem zuckersüßesten Gesicht einen Ring! Wahrhaftig einen Ring! Der Lottersbub, der miserable!
Die Schiermoserin folgt unwillkürlich den Blicken ihres Eheherrn.
Da sieht auch sie die beiden. Und sie will augenblicklich hin und sie auseinandertreiben! Gleich auf der Stell![728]
Mit Müh und Not kann sie der besonnenere Bauer davon abbringen, durch einen Streit auf dem Markt die Schande auch noch öffentlich zu machen.
Aber nun drängt sie erst recht aufs Einspannen, die Bäuerin.
»I spann glei ei«, sagt er drauf. »Jetzt muaß i alleweil erst warten, bis s' da sand.«
»Zu was?«
»Noo, zum Hoamfahrn halt.«
Die Schiermoserin schnappt nach Luft.
»Was? Dees Weibsbild willst wieder aufsitzen lassen? Dee Stadtflugga? Dees waar ja glei recht! Ha! Und i als Bäuerin dürft laaffa! Naa, mei Liaber! Jetzt tanz' ma amal anderscht uma! Jetzt fahrn mir zwee! Da, Muatta, hock di nur auf! Und i hock mi aa auf. Und bals dir derbarmt, dees Weibsbild, nachher kannst eahm ja a Roß zum Hoamreiten kaaffa!«
Und damit schiebt sie erst die Alte auf den Wagen und setzt sich breit und vollgewichtig mit einem haßerfüllten Blick gegen die beiden nichtsahnenden Menschen auf den Sitz zur Rechten der Großmutter, noch ehe der Bauer das Roß aus dem Stall geholt und eingespannt hat.
Ja, sie läßt nicht einmal mehr ihn aufsitzen! Gebieterisch greift sie nach den Zügeln, nimmt die Peitsche und fährt so scharf an, daß der Braune sich bäumt und die Großmutter laut aufkreischt: »Mariand Josix!«
Und mit fest aufeinandergepreßten Lippen fährt sie davon.
»Narrischer Teife!« murmelt der Schiermoser und schaut ihr nach, bis sie hinter den Häusern verschwunden ist.
Mißmutig wendet er sich darnach zum Gehen, mit den Blicken die beiden suchend, die ihm heute den Tag also verdorben haben.
Aber weder Franz noch Rosalie sind mehr zu sehen.[729]
Und so macht er sich verärgert auf den Heimweg, scheltend über die Leut, über seine eheliche Hausfrau, über die Alte und über die beiden. Was er nur getrieben hat, der Malefizbub, daß die Leut so reden können?
Langsam setzt er einen Rohrstiefel vor den andern, stößt mit dem weichselbaumernen Gehstecken die Steine weg, die ihm in der Bahn liegen, und schaut sinnierend grad vor sich hin auf den Boden.
So kommt er auf die Höhe des Berges.
Da sieht er, wie die Nanndl vom Straßlerbauern mit seinem Sohn, dem Franz, eifrig auf ihn einredend, langsam hinter einem sauberen Fuhrwerk hergeht.
Das frisch lackierte Lederdach der Chaise ist aufgespannt, und so sieht er nicht, wessen Fuhrwerk es ist und wer es lenkt.
Aber daß die Nanndl etwas sehr Gewichtiges mit seinem Sohn verhandelt, das sieht er.
Denn sie redet schier mit dem ganzen Körper!
Und zu guter Letzt schlingt sie gar ihre beiden Arme auf offener Straße um seinen Hals und hängt sich an ihn!
Der Schiermoser pfeift durch die Zähne und wendet sich ab.
Er muß lachen.
»Also a so steht dee Sach mit dem Tropf!« sagt er zu sich selber. »O die Rindviecher da drunt am Markt! Wenns jetzt dees wieder sehng kunnten, nachher hoaßets do morgen ganz gwiß: Der Schiermoserfranzl und d' Straßlernanndl ham si mitnand versprocha! Und dabei is sicherli an dera Gschicht so weng epps Wahrs wia an der andern!«
Er lacht belustigt vor sich hin.
O, er kennt doch seinen Sohn! Der ist doch nicht aus der Art geschlagen!
»Der werds jetzt nachher anderscht macha, als wia's i[730] gmacht hab als a Junga!« murmelt er. »Bal oana a guater Schmied is, nachher legt er si alleweil z'erscht a drei, – a vier Probiereisen ins Feuer, bis er dees fünfte oder sechste amal wirkli schwoaßt! Und nachher is's oft no z'fruah! Recht hat er, der Franzl!«
Langsam dreht er sich wieder den beiden zu und sieht nun, wie das Fuhrwerk vor dem Hof des Straßlerbauern hält, wie die Rosel absteigt und sich bei der Nanndl bedankt, und wie sie darnach lachend und schwatzend mit dem Franzl zu Fuß weitergeht, indes die Nanndl noch eine Weile wie angenagelt am Fleck stehen bleibt, die Fäuste ballt und schließlich dem Gaul etliche derbe Schläge in die Weichen versetzt, so daß er erschreckt auffährt und scheut.
Und wenn nicht der Schiermoser grad rechtzeitig hinkäme zum Anhalten, könnte es wohl leicht geschehen, daß ihr das Roß noch vor der Stalltür durchginge!
So aber verläuft die Geschichte noch gut, und der Schiermoser weist ihr das zitternde Pferd in den Hof, indem er sagt: »Daß d' gar so grob bist, Nanndl! Was hat er dir denn to, mei Franzl, daß d' an solchen Gift hast auf eahm?«
Die Nanndl lacht ein verlegenes, geziertes Lachen.
»Ja freili! Grob wer i nachher sei! Wenn oan der Häuter aufn Hax auffe tritt!«
»Was für a Häuter?« fragt der Alte verschmitzt. »Hoaßt er eppa Franzl?«
»Ah geh, hör auf mit dein Gredats!« erwidert ihm die Nanndl zwischen Lachen und Zorn. »I woaß's gar net, was d' willst mit dein' Franzl!«
»I scho«, meint der Bauer und schickt sich zum Gehen an.
»I woaß's guat, was i will mit eahm. Und jetzt pfüati Good.«
»Du woaßt es freili, du alter Lapp!« murmelt die Nanndl[731] verbissen. »Nix woaßt! Wennst aber wissen tatst, was i will mit dein' Franzl ...«
In tiefes Sinnieren versunken, spannt sie das Roß aus und weist es in den Stall.
Der Schiermoser aber trabt jetzt wieder ganz munter seine Straße dahin.
Also die Nanndl hätt ein Äug auf den Buben!
»Mei, dees ko ma si ja amal a Zeitl überdenka!« meint er für sich. »Und wenn si koa Besserne net findt, nachher is dee aa recht. I schatz s' alleweil auf a dreiß'gtausend Mark, d' Nanndl.«
Er schaut den Weg geradeaus. Dort, ganz vorn an der Martersäule geht er, der Bub.
Und hat die Rosel wahrhaftig um den Leib gefaßt.
So ein Hallodri!
Sogar der Stadtjungfer verdreht er den Kopf!
Ist übrigens schad, daß sie eine Städtische ist, die Rosl.
So ein riegelsames und tüchtiges Weibsbild muß es nimmer gebn landauf und landab!
Weiß der Teufel, wenn sie von den Bauern herstammen tät ... er wär gar nicht so sehr dawider, daß der Franzl und sie ...
Aber sie stammt ja von dieser alten Stadtmadam her!
Und hat sicherlich keinen Pfennig Geld!
Nein, sicherlich nicht.
Aber sonst ist sie ein Weibsbild, wie man sich nur grad eins wünschen kann! Und beim Zeug! In der Arbeit! Am Feld und im Haus, im Stall und mit den Rössern!
»Und gstellt! Sakramentisch guat gstellt!« lobt er, der Alte.
»Die hat net grad Holz bei der Hütten! Da is Reiser aa hiebei!«
Er wird ordentlich jung bei dem Gedanken; und sein Tritt wird immer rascher.[732]
So kommt es, daß er die beiden vorne beim Wegkreuz einholt. Franzl ist einen Augenblick verlegen, da der Alte plötzlich neben ihm hergeht; eine brennende Röte fährt ihm übers Gesicht.
Rosalie aber ist vergnügt und ganz anders als am Morgen.
»Gehts scho hoam?« fragt der Alte wohlwollend.
»Ja«, erwidert ihm Rosalie, »ma hat allemal glei wieder gnua an dera Gaude.«
Und mit einem leisen Lachen fügt sie bei: »Mir gehts mit der Pratermusik und mit dera ganzen Gaude grad wia mitn Kindergschroa: A Zeitl kann i's hörn und nachher nimmer.« Der Schiermoser schielt sie betrachtend an.
»Sakra, is scho a mentisch mannigs Weibsbild!« denkt er.
Laut aber sagt er: »Da derfst aber nachher net ans Heiratn denka, balst 's Kindergschroa net hörn kannst!«
»Ja no, mit dee eigna Kinder is dees wieder epps anders«, erwidert Rosalie, verlegen werdend.
»A so moanst. Werd eppa a so nimma recht lang osteh, bis d' aa ans Heiratn denkst?«
Franz horcht auf. Was hat er denn, der Vater?
Aber Rosalie geht plötzlich ganz ernsthaft auf die Frage des Alten ein und sagt ohne weiteres: »Ende November wird wohl mei Hochzeit sein.«
Jetzt ist es am Schiermoser, aufzuhorchen.
»Was? Du heiratst im November?«
»Ja. D' Mutter meint halt, je ehnder, desto besser.«
»Heiratst oan vo der Stadt?«
Rosalie verzieht den Mund zu einem bitteren ironischen Lächeln. »Natürli an Stadtherrn! Wos moanst denn, Vater! Für an Bauernburschen is doch unseroana nix! Dees werd enk ja in der Schul scho predigt, daß d' Stadtmadeln nix taugn!«
Franz fährt erregt auf. »Red net so grob daher, sag i!«
Und auch der Alte widerspricht ihr.[733]
»Dees is net wahr, Rosl. Dees kimmt ganz drauf o. Bal oana a solcherne kriagn ko, wiast du oane bist, nachher derf er si d' Finger abschlecka, bis zu de Ellabogn hintre! Jawoi! I wollt, mei Franzl bracht mir amal a so a richtigs Leut eina, wias du oans bist!«
Rosalie ist glühend rot geworden. Das sieht ja beinahe aus, als obs dem Schiermoser gar nicht unrecht wär, wenn sie statt ihres Assessors den Franzl als Eheherrn wollte!
Schade, daß man schon bei der Haustür angelangt ist!
Wer weiß, ob nicht doch noch das Schicksal ...
»Wahrhafti kimmt er mit dem Weibsbild daher!« plärrt in dem Augenblick drinnen im Haus die Schiermoserin. »Is no net gnua, daß d' Leut redn über dee Schand – naa, er, der alt Latierl muaß aa no selber mittappen! Aber i hilf enk scho. Allsamm mitanand hilf i enk! Dir und dem Rotzer und dera Stadtscheesn! Und der alten Schmuserin da drobn erscht recht! Heunt no müaßns mir ausn Haus! Heunt no!«
»Ja, was is denn jetz dees ...?«
Die drei sind wie vom Donner gerührt über diese Begrüßung.
Aber die Schiermoserin gibt ihnen Gelegenheit, sich zu sammeln.
Mit einem wilden Scheltwort schlägt sie die Haustür zu und stößt den Riegel vor.
Rosalie ist die erste, die sich fassen kann.
»I moan, die Ursach von dem Wetter kenn i!« sagt sie. »I kann mirs denken, wo der Wind herwaaht! Da is z' Glonn am Markt was ganga! Da hat jemand falsch eingsagt!«
Der Schiermoser ist ärgerlich. »Ah freili! Dees narrisch Weibsbild! Freili hams ihr falsch eingsagt! Und sie, 's Rindvieh, 's alte, glaabt alls. I möcht nur grad wissen, wers aufbracht hat, dees saudumme Gredats!«[734]
»Was für a Gredats?« fragt Franz, dem die Zornröte auf dem Gesicht brennt.
Der Alte wehrt verächtlich ab. »Ah was! Is ja net wert, daß mans nachsagt! Is ja die hellichte Dummheit, was die Karfreitaratschena drunt verzähln!«
Franz will es ungestüm wissen. »Was is nachher dees?«
Der Schiermoser muß lachen.
»Daß du und d' Rosel mitanand versprocha seids! Daß's bald Hochzat machts!«
Franz wird einen Augenblick ganz kreidebleich. Dann schießt ihm abermals brennende Röte ins Gesicht.
»Ja ... und ...?«
Er schaut unsicher auf Rosalie.
Die steht gleich ihm mit heißem, brennrotem Kopf da.
»Und ... was wirds lang ›und‹ sein!« sagt sie rauh. »Des wißts es ja, daß i scho oan hab, an Hochzeiter! Da gibts koa Und und koa Aber. Bloß dei Muatta sollt net 's Troad scho dreschn, bevors g'maaht is, moan i.«
Damit geht sie an die Stalltür, öffnet das Gitter, läuft rasch hindurch und hinein ins Haus, hinauf zur Rätin.
Die alte Dame liegt auf dem Sofa in Weinkrämpfen, und Tante Adele bemüht sich, ihr Linderung zu verschaffen.
»Es ist ein Skandal!« wimmert die Rätin. »Es ist unerhört! Wenn das der Assessor erfährt!«
»Na ja, dann erfährt er's halt«, entgegnet Adele gleichmütig. »Übrigens erfährt er's sicher nicht. Wer soll's ihm denn sagen? Und rauskommen tut der sicher nicht nach Berganger. Davor sind wir sicher.«
Die Rätin schluchzt wie ein Kind.
»Daß ich eine solche Schande erleben muß! Läuft mir das Mädchen als Braut Tag für Tag mit diesem Burschen herum, läßt sich von ihm duzen und tut, als wäre sie seine ... seine ... Magd ... oder ... seine Geliebte! Die Schande! Das Unglück!«[735]
Rosalie steht schon eine Weile an der Tür. Jetzt tritt sie vor.
»Ja, was gibt's denn? Was ist eine Schand? Was ist ein Unglück? Daß ich drunten mithelfe? Daß ich gut auskomm mit dem Vater und den Kindern? Daß ich ein bißl Lieb empfinde für den Franzl? Mein Gott, Mama! So arg ist doch das Unglück nicht! Was ist denn dabei? Und außerdem ist mir der Franzl viel, viel wertvoller und lieber als mancher Stadtherr!«
Die Rätin schreit auf. Aber Tante Adele drückt ihr eine kalte Kompresse aufs Herz.
»Na, na, na, Schwägerin. Nur nicht gleich so aufgeregt. Nur Ruhe! Ich muß schon auch sagen: Ein gar so großes Unglück wär' es sicher nicht, wenn Rosalie statt ihres adeligen Verlobten den reschen Burschen ...«
»Um Gottes willen! Adele! Kein Wort weiter!« ruft die Rätin und vergißt ihren Herzkrampf. »Meine Tochter und ein Bauer! Mein Gott! Wenn das meine armen Eltern erlebt hätten!«
»Dann wärns um vieles leichter gstorbn, glaub ich«, entgegnet ihr Adele lächelnd, »denn dann hättens doch wenigstens die Hoffnung mit ins Grab gnommen, daß es dem Mädl sein Lebtag nicht schlecht geht.«
Die alte Dame hält sich die Ohren zu.
»Mein Gott, mein Gott! Was redest du! Die Schande! Die Schande!«
»Schande!« sagt Adele verächtlich. »Schande. I weiß net, was mehr Schand is: wenn die Rosel als die Frau Gemahlin eines leichtsinnigen Adligen Schulden machen müßt, oder wenn sie als angsehene Bäuerin über fünf, sechs Knechte und über grad soviel Mägd 's Regiment führn könnt! – Ich will ja dein'm Assessor gwiß nix weg tun. Aber, wie gesagt: Wenn der Fall eintreten tät, daß der Franzl die Rosel ...«
»Niemals!« ruft die Rätin in höchster Erregung. »Niemals![736] Solange ich ein offenes Auge habe, gilt unsere Tradition!« Rosalie steht wie mit Purpur übergossen da und weiß keine Antwort, keine Gegenrede, keinen Trost für die Mutter ... für sich selber ...
Und Tante Adele ist plötzlich so grausam gegen die alte Dame; so ohne jegliches Mitleid und Verständnis für ihre Gefühle! Sie lacht!
Lacht, daß ihre altmodischen Ringellocken über den Ohren erzittern, und sie ruft: »Tradition! Sag doch gleich Ahnenstolz! – Und das gute Ding, die Rosel, soll wohl dem ganzen Klimbim auch noch Weihrauch streun und ihr Glück opfern? Nein, meine liebe Schwägerin, das gibt's nicht. Solang ich leb, nicht. Ich weiß genau, was dein Mann, mein Bruder, Gott hab ihn selig, aufm Todbett gsagt hat zu mir: ›Adele‹, hat er gsagt, ›Adele, gib mir aufs Roserl acht. Schau mir auf die Kleine. Laß mir keine Marionette draus machen. Keine Jammerliesl! Sorg du, daß was Gscheits draus wird aus ihr. Und aus den andern. Schaug, daß jede ihr Glück macht‹, hat er gsagt. Bsonders d' Roserl. Also. Bsonders d' Roserl. Was willst denn eigentlich? Was kommen muß, kommt ja doch. Und der ihr aufgsetzt is, den kriegts.«
Aber die Rätin will nichts hören. »Nein, nein, nein!« ruft sie ein übers andere Mal aus. »Und ich dulde es ganz einfach nicht! Rosalie ist die Braut des Assessors, heiratet den Assessor und reist im übrigen am Mittwoch mit mir ab! Soo. Wir wollen sehen, wer hier zu reden hat. Das fehlte mir noch! Meine Tochter mit einem Bauern ...«
Sie steht energisch auf und will an die Tür.
Aber mit einem Schmerzensruf sinkt sie wieder aufs Sofa zurück. Ihre Gicht!
Schon die ganzen Tage her hatte sie Schmerzen gehabt. Aber jetzt, auf einmal, überfällt sie das Leiden mit Gewalt. Und so bleibt ihr nichts anderes übrig, als gebieterisch zu[737] sagen: »Geht. Ich will allein sein!« und darnach wieder weiter zu weinen.
Also verlassen die beiden das Zimmer, Adele vergnügt und selbstzufrieden, Rosalie gedrückt und elend.
Denn sie weiß selber am besten, wie es um sie steht.
Was die Schiermoserin einmal im Kopf hat, das muß sie auch ausführen.
Und da sie einen großmächtigen Zorn auf ihre Sommerfrischler, einen tiefen Groll über die Rätin und ihre Tochter im Herzen hat, so muß sie demselben Luft machen. Gleich auf der Stelle.
Es nützt gar nichts, daß Franz und der Bauer ebenfalls durch den Stall ins Haus gegangen sind und nun der »narrischen Alten« die Leviten lesen; sie macht die alte Rätin nun einmal verantwortlich für allen Ärger; ist davon überzeugt, daß sie ihre Tochter bloß zu dem Zweck nach Berganger gebracht hat, um sie zur Schiermoserin zu machen, und sie muß derselben sagen, was sie sich über sie denkt.
Also rennt sie geraden Wegs hinauf zur Rätin und steht unversehens mitten in deren Stube.
Die alte Dame liegt immer noch leise weinend auf dem Sofa.
»I hab epps z' reden mit enk!« sagt da die Schiermoserin.
Die Rätin fährt in die Höhe: »Frau Schiermoser?!«
Die Bäuerin schluckt ihr wildes Herzklopfen hinunter.
»I frag enk, obs ös koan andern Hochzeiter nimmer gfunden habts für enka Deandl als wia mein Buam?«
»Waas? Was sagen Sie?«
»Obs ös koan andern nimmer gfunden habts zum Heiratn für enka Rosl als wia mein Buam, hab i gfragt!«
Sie steht da, die Bäuerin, wie ein Posaunenengel des Letzten Gerichts.[738]
»Was sagen Sie da? Meine Tochter und Ihr Sohn sollten ...? Ja, aber das ist ja gerade die Ursache ...«
»Was für a Ursach is dös?« fährt ihr die Schiermoserin wild dazwischen. »Dees is überhaupts koa Ursach net! Habts mi verstanden? Überhaupts koane! Indem daß i dees ganz oafach net geduld! Indem daß dees a Niedertracht is! Dees is der Dank dafür, daß ma enk herfuattert den ganzen Sommer über; daß 's oan 's Haus ausschnuffelts und den eigna Buam seine Leut abspensti machts! Eingfadlt habts'n, und enka hoamtuckischs Madl, enka Rosl, wollts eahm ohänga als Bäuerin! Aber oha! I bin scho aa no da! I schiab enk an Riegel für die Tür! Dees glaab i! Dees war freili a gmaahte Wiesen für enk! A reicher Bauernbua und a scheena Hof! Naa, mei Liabe! Da werd nix draus. Da schaugts enk nur wo anderscht um. A anderna Muatta hat aa a liabs Kind. Aber mir zwee ham ausdischbetiert mitanand. Es ist mir liaber, ös schaugts enk wo anderscht um zwegn der Sommerfrischn. Bei mir is koa Platz nimmer für enk, daß ihrs wißts.«
Sie setzt nicht ein einziges Mal ab in ihrer Rede; sie sieht nicht das Entsetzen, die starre Verwunderung der Rätin; sie läßt sie auch nicht zu Wort kommen, da die alte Dame ihr versichern will, sie sei unschuldig an dem Verbrechen, dessen man sie hier zeihe!
»Aber, liebe Frau, ich bin doch selbst ganz der Ansicht, daß es ausgeschlossen ist, daß meine Rosalie ...«
»Dees is mir ganz wurscht, was daß ös für a Ansicht habts. I sag enk grad so viel und net mehra: Solang i a offens Aug hab, kriagt mir der Hof koa anderne Bäuerin als wia dee, dee wo mir paßt. Und es is mir liaber, ös verschwindts bald wieder. Soo. Gredt hab i.«
Und damit ist sie auch wieder draußen. Die Rätin ist so entsetzt und vor den Kopf geschlagen, daß sie sich überhaupt erst besinnen muß, wo sie ist und was eben war.[739]
Erst allmählich formt sich in ihr das Chaos zu einem Ganzen.
Also, diese verrückte Person, diese Schiermoserin, glaubt tatsächlich, daß sie, die Rechtsrätin Scheuflein, ihre Tochter an diesen Sohn, diesen Klotz, diesen Bauern verschachern wollte!
Sie muß trotz Gicht und Ärger lächeln.
»So was kann nur einem Bauerngehirn einfallen! Aber ...«
Sie wird wieder ernst.
»Das kommt davon, weil dies leichtfertige Mädel Tag für Tag bei dem Burschen steckt! Ihm am Ende gar den Kopf verdreht! Schauderhaft! Wenn das der Assessor wüßte ...!«
Sie beginnt, trotz ihrer Schmerzen, in der Stube auf und ab zu humpeln.
»Das hat man nun davon. Am besten ist es, wir reisen so rasch als nur möglich ab. Dann wird gleich Ruhe sein.«
Bei diesem Gedanken wird auch sie selber wieder ruhiger, erinnert sich ihrer Gicht und legt sich seufzend wieder aufs Sofa.
Indes die Schiermoserin drunten in der Kuchel werkt wie ein Gockel, der eben seinen Gegner flügellahm gemacht hat.
Ausgewählte Ausgaben von
Madam Bäurin
|
Buchempfehlung
Pan Tadeusz erzählt die Geschichte des Dorfes Soplicowo im 1811 zwischen Russland, Preußen und Österreich geteilten Polen. Im Streit um ein Schloß verfeinden sich zwei Adelsgeschlechter und Pan Tadeusz verliebt sich in Zosia. Das Nationalepos von Pan Tadeusz ist Pflichtlektüre in Polens Schulen und gilt nach der Bibel noch heute als meistgelesenes Buch.
266 Seiten, 14.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro