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[429] Also stand ich an jenem Tag, es war im Erntemond des Jahres 1804, nachdenklich auf der Innbrucken und wußte nicht, wo aus und was tun, als drei Handwerksburschen die Straße daherzogen und fröhlich sangen:
»Steh auf, steh auf, du Handwerksgsell,
Die Zeit hast du verschlafen!
Die Vöglein singen im Grünen,
Die Fuhrleut tun schon blasen.
[429]
Was kümmert mich der Vögelein Sang
Und auch der Fuhrleut Blasen!
Ich bin ein fröhlicher Handwerksmann
Und ziehe meiner Straßen.
In der Schlossergassen im roten Hahn,
Da ist eine Herberg zu finden.
Da wollen wir singen und lustig sein,
Da wollen wir singen und trinken!«
Und da sie an mir vorüberkamen, tat einer einen hellen Juchschrei, eilte auf mich zu und schloß mich in seine Arme.
»Mathiasle!« schrie er; »ja, wie kommst denn du da her? – Willst etwan gar ins Wasser hupfen, daß d' so sinnierst?«
Eine heftige Freude durchfuhr mich: Es war mein Ziehbruder, der Fritz; und er lud mich ein, mit ihm und seinen Genossen durchs Bayerland und gegen die Münchnerstadt zu wandern.
Voll Verwunderung fragte ich ihn, wie er zu solcher Wanderschaft und in diese Kameradschaft käm – als Bauernknecht; da lachte er und sagte: »Zwegn der Kost, Bruderherz! Zwegn der Kost! – Allweil oa Suppen frißt der Bauer nit, dös woaßt ja selm! – No ja, – und dös ewige hausbacherne Brot – dös wachst oan am End aa zum Hals raus! – 's Zunftbrot schmeckt aa nit schlecht, sagt mein Freund, der Loabischmied!«
Zugleich rief er seinen zwei Genossen, die derweil langsam weitergegangen waren, nach: »He, Loabischmied! – He, Magister! – Geh, warts a wengl!«
Und indessen diese zögernd auf uns zukamen, hatte ich ihm mit wenig Worten meine Abenteuer berichtet und gesagt, daß ich gern mit ihm ginge, wenn ich nur etwelche Kundschaft oder einen Paß hätte.[430]
Da ließ sich der älteste von den dreien, ein dicker, glattrasierter Mensch mit feinen Manieren, den sie Magister nannten, vernehmen: »Was? – Er möcht ein Pfiffges sein und durch die Märtine holchen, und hat keine Flebbe?«
Ich sah ihn wie ein blaues Wunder an und konnt mir gar nicht denken, was er meinte; doch der ander, der Bäcker oder Loabischmied, half mir drauf: »Ob du auch als Handwerksbursch durch die Märkt laufen willst, ohne daß du Briefe oder Papiere hast?«
Da sagte ich: »Ich hab noch nie ein Papier besessen; hab auch keins vonnöten gehabt auf meinen Reisen. – Wo kann man denn so was bekommen?«
»Auf der Polizei halt!« erwiderte mir der Fritz.
Der Magister aber wollt nicht viel davon wissen und brummelte: »Narr, einfältiger! Läßt den Kaffer zur Schmiere laufen! – Daß die grünen Hunde von mir Wind bekommen und mich einkasteln! Bist wohl verrückt – he!«
Dabei tat er ganz scheu und sah bald hinter sich, bald vor sich, ob nicht schon ein Schürge käme.
Die andern aber lachten und spotteten über seine Furcht, so daß er wieder munter wurde und mich, nachdem er gefragt, ob ich nichts am Kerbholz hätt, ebenfalls einlud, mitzugehen; für meine Papiere wolle er schon sorgen.
»Holch nur mit, Kotem!« sagte er; »brauchst nicht so grandig Bauser scheften! – Wir holchen jetzt durch die Mokum, fechten darnach in die Fede, achlen und schwächen grandig und josten uns darnach aufs Rauscher, bis die Glanzer unterholchen!«
Ich konnte ihn wieder auf keine Weise verstehen und fragte den Fritz, was der Gsell damit gemeint hätt und was das für eine seltsame Sprache wär.
»Das ist welsch«, sagte mein Ziehbruder. »Das versteht bloß der, welcher uns wohl gesinnt ist; für die andern ist die Sprach ausländisch. Ganz ausländisch. – Also, daß du's[431] weißt: er meint, du sollst nur mitgehen, Kind, und nicht so viel Angst haben! – Wir gehen in die Stadt, betteln, und darnach in die Herberg, essen und trinken tüchtig und legen uns darnach aufs Stroh, bis die Stern untergehn. – Ich versteh ihn ganz gut; aber selber komm ich noch nicht bsunder zrecht mit dem Zeugs!«
»So ists auch bei mir«, fiel ihm der Bäcker ins Wort; »verstehen tu ich ihn gut, den Magister; – aber mit dem Nachsagen – da hats seinen Haken!«
»Nur Geduld!« sagte da der Magister väterlich; »Ihr lernts noch bald genug. Aber vor dem Bürschl da will ich wieder eine Weil deutsch parlen. – Wie heißt er denn, der Kaffer?«
»Mathias«, erwiderte ich; »Mathias Bichler.«
»Seine Profession?« fragte er weiter.
Ich kunnt ihm nichts antworten; denn was verstand ich zu der Zeit von solchen fremdklingenden Namen!
Dafür gab ihm der Fritz den Bescheid, daß ich gleich ihm bei den Bauern gearbeitet hätt und zuletzt bei einem Maler gewesen wär.
»Das ist schon eher was Zünftigs«, meinte auf diesen Bericht hin der Magister; »als Malergsell kann er die ganze Welt durchplatteln! – Kein Teufel schert sich drum! – Bloß muß er hie und da so dergleichen tun, als möcht er gern schanzen. – Braucht ja nicht lang bei einem Meister zu bleiben, wenn ihm grad ein Haar oder sonst was Unlustigs in die Suppen käm. – Aber jetzt wollen wir wieder eins singen, daß die Leut ein gerührts Herz kriegen für uns arme Mucken!«
Damit stimmte er ein frisches Burschenlied an, und wir zogen alle vier durch die Gassen dahin und walzten also den ganzen Tag bis zum Abend durch die ganze Rosenheimerstadt als vier arme, reisende Handwerksburschen und sprachen bald hier, bald da um Arbeit zu; darauf dann[432] die Frau Meisterin oder der Meister in die Tasche griff und einen Zehrkreuzer herfürzog.
Waren eine saubere Gesellschaft, wir vier: der bleiche Loabischmied mit seiner mehlbestäubten Ballonhaube und dem fadenscheinigen Habit, – der Fritz in seinem blauen Fuhrknechtskittel und dem federgeschmückten Spitzhut, – der leichtlich seine vierzig Jahr alte, feiste Magister in seiner städtischen Gewandung, seidenen Strümpfen und dem abgeschabten Dreispitz, den er weit ins Gesicht setzte, ein feins spanischs Rohr in der Hand und ein mageres Felleisen umgehängt; – und dazu ich armseliger, kurzgestiefelter Zwack, der in der gleichen Zeit, da die andern einen Schritt machten, leichtlich seine drei haxelte.
Wo wir gingen, liefen Kinder hinter uns drein und reichten uns kleine Päcklein mit Kupfermünz; Männer nickten uns wohlwollend zu, und die Weiber und jungen Mädchen sahen neugierig aus den Häusern und blickten uns lange nach.
Abends machten wir endlich vor einem grauen, verwitterten Hause halt, und der Magister führte uns durch einen dunklen Gang in ein niederes Lokal, das von Rauch und Qualm, von Lärmen und Geschrei erfüllt war.
Bei unserm Eintreten wandten sich die meisten der an langen, schmutzigen Tischen sitzenden Gäste blitzschnell nach uns um; etliche zogen sich eilends in einen dämmerigen Winkel hinter dem mächtigen Ofen zurück und blickten scheu und forschend nach uns.
Der Magister aber begann sogleich, diesen oder jenen in seiner welschen Sprache zu begrüßen, schob uns eine Bank zurecht und verlangte vom Herbergsvater befehlend Speis und Trank.
Warf auch gleich einen Gulden auf den zinnernen Teller am Schanktisch und begehrte ein Nachtlager für alle vier.
Der Wirt, ein buckliger, alter Tropf mit rinnenden Augen[433] und langen Krallen an den Fingern, kam schlürfend in einem schmierigen Leinenkittel aus seinem Verschlag und stellte jedem von uns ein Glas Branntwein hin, langte einen Brotlaib aus dem Wandschrank und sagte: »Was is gfällig, meine lieben Leut? – Frische Gselchte hab i, oder Fleischknödl; a Voressen oder a Bröckerl Käs is aa no da. – Geht wohl so alles auf eine Rechnung, Herr Magister?«
»Aber freilich, Vater Kaspar!« rief da der Gsell; »solang wir grandig Kis scheften, ist jeder unser Brißger!«
Da stieß mich der Bäcker an: »Hast es ghört, Hiasl! Solange er hübsch Geld hat, sagt er, ist jeder sein Bruder! – Alle Hochachtung vor unserm Kameraden! – Alle Hochachtung!«
Mein Ziehbruder, der Fritz, aber sagte gar nichts, betrachtete die Gesichter der Burschen, die hier herumsaßen und standen, aßen und tranken, schwatzten, würfelten oder sich sonst unterhielten, und aß darnach mit gutem Hunger etliche Würste.
Also tat ich auch desgleichen, nachdem ich noch jedem gesagt hatte, daß ich ganz ohne Kreuzer Gelds war; darauf aber alle drei nur ein lustigs Lachen hören ließen und mich ermahnten, gut zuzugreifen.
Nach solchem Mahl reckte der Magister behaglich seine Beine unter den Tisch, zündete sich eine kurze Pfeife an und schloß die Augen; doch verlor er kein Wort der Unterhaltung und gab jedem, der über den Tisch was fragte, sogleich Bescheid.
Da schwirrten die welschen Reden durchs Lokal, daß selbst meine Kameraden Müh hatten, sie zu verstehen und mir zu verdeutschen.
Endlich aber wurden wir müd und ließen uns das Nachtlager zeigen, dabei uns der Magister noch wohl ermahnte, nichts von Wert unverwahrt liegen zu lassen; so ein lakerer Koluf hätt seine Scheinling die ganze Zeit über bei uns[434] herüben gehabt. Was soviel bedeuten sollt, als daß so ein falscher Hund seine Augen auf unsere Ranzen geworfen hätte.
Also legte jeder sein Sach unters Haupt, und ich konnt nicht umhin, einen Stoßseufzer zu unserer lieben Frau vom Birkenstein zu schicken, ehe ich die Glieder streckte und entschlief.
Hab nicht gar bsunder wohl geruht, die selbige Nacht; denn da wimmelte es in meinem Strohsack von allerlei Getier, so daß ich den andern Morgen am ganzen Leib voller Binkel und roter Fladen war und mir vor Jucken und Beißen kaum mehr zu helfen wußte.
Wär auch gern in ein Schaff kalts Wasser gesprungen, um mich darin eine Weil zu baden, eh ich wieder in meinen Habit schloff; das aber leider nicht geschehen kunnt, weil bloß ein armseligs Näpflein für alle Gäst bereit stand zum Waschen.
Waren ihrer nicht allzu viel, die sich in der trüben Brüh abwuschen, und der Magister riet mir, auch damit zu warten, bis wir unterwegs ein Orts einen Bach fänden; denn für Krätz und Läus sei ich noch zu jung. Die wären besser für die älteren Lumpen und Strolche.
Darnach gab er mir insgeheim ein schmals Büchlein und ein Päcklein Papiere, indem er sagte: »Hab gut acht drauf und weis sie nur vor, wanns gar nicht anders geht! Ich hab sie gestern noch für dich eingehandelt!«
Ich besah mir die Papiere darnach an einem geheimen Ort und erschrak nicht wenig, als ich las, daß ich der zwanzigjährige Malergesell Johannes Schröckh aus Traunstein sein sollt.
Ging also hinein und sagte zum Magister: »Ihr müßt Euch geirrt haben! Ich heiß Mathias Bichler und bin aus ...«
Aber der alt Spitzbub hielt mir sogleich das Maul zu und fuhr mich halblaut an: »Haarbogen, dummer! – Halt dein[435] Bonum! – Sei froh, daß du überhaupt was bist! – Ohne Kundschaft kommst du nicht weit im Land herum, das merk dir! – Da werden sie dich bald krank zopfen, und du kannst etliche Wochen hinter Schloß und Riegel brummen. – Oder sie fegen dich aus und schieben dich nach dem Nest ab, aus dem du stammst! – Die werden ja schauen, wenn du wieder kommst als ausgefegter Pfiffges!«
Damit ließ er mich stehen, ordnete sein Felleisen und mahnte den Bäcker und meinen Ziehbruder, die eine braune Zwiebelsuppe auslöffelten und Branntwein dazu tranken, zum Aufbruch.
»Avanti!« sagte er. »Schmust nicht lang; holcht, daß wir bald aus dem Bais und ins Flach stieben! – Mir ists, als sei die Schmier im Anzug! Ich habs nicht mit der kistigen Kontrolle!«
Da machten sich die beiden geschwind fertig, indessen ich einen harten Kampf mit mir ausfocht, ob ich sollt unter falschem Namen weiter wandern oder aber als der, welcher ich wirklich war, in Not und Elend kommen, von den Schürgen aufgegriffen und nach Sonnenreuth abgeschubt werden.
War mir gar nicht wohl bei solchem Überlegen, und ich hätt gern gewünscht, daß ich wieder bei dem alten Fegfeuer in dem Zigeunerwagen gesessen wär als ihr Sohn.
Aber in dem Augenblick faßte der Fritz meinen Arm, schüttelte mich und sagte: »Also, Hiasl, wannst mitwillst, mußt gleich gehen! Über eine Weil ists schon zu spät, – die Wach kommt um Sechse zum Visitieren!«
Da raffte ich mich auf, schnallte mein Ränzel um und folgte ihnen, ohne mich noch viel zu bedenken; darüber der Magister sehr erfreut schien und mir bei allen Zufällen seine Hilfe versprach.
Also zogen wir hinaus zum Tor und dahin durchs Gau, kamen in allerlei Ortschaften, da man uns mißtrauisch betrachtete,[436] die Häuser verriegelte oder aber uns scheltend von der Tür jagte; besuchten Dörfer und Märkte, daselbst einer oder der ander auf eine Zeit Arbeit und Lohnung fand oder von guten Bauern mit Zehrung reich versehen wurd, und hielten dabei fest zusammen als gute Kameraden, die gern und willig miteinander teilen, was sie haben; sei's nun Geld oder Speis, Quartier oder Unterstand, oder der magere Inhalt des Felleisens.
Der Magister insbesonders tat mit uns gar brüderlich; hatte auch immer Geld, oder, wie er es nannte, Kis, obgleich er am wenigsten sich plagte oder lange wo arbeitete.
Doch dacht ich auch über dies nicht viel nach und vertraute ihm als einem weitgereisten und welterfahrenen Mann, der mir zwar als ein Vagabundus, niemals aber als ein wirklicher Spitzbub fürkam und grad für mich eine schier zärtliche Neigung hegte.
Er stammte aus gutem Hause und war der Sohn eines rheinischen Gutsbesitzers. Die harte Zucht im elterlichen Haus ließ ihn schon als vierzehnjährigen Knaben den Entschluß fassen, heimlich davonzugehen. Er packte also einen Anzug, Geld und sonstige notwendige Dinge zusammen, versteckte den Pack in einem alten Boot am Rheinufer und ließ nach solchen Vorbereitungen noch einige Zeit verstreichen, ehe er verschwand.
Man wähnte, daß er im Rhein beim Baden ertrunken wär, weil man nachher seine alten Kleider daselbst gefunden hatte, und ließ ihn aus der Liste der Lebenden streichen, dieweil er mit einem Kaufschiff rheinaufwärts fuhr und schließlich in Basel längeren Aufenthalt nahm, ein Student wurde und durch seine Geniestreiche bald unter der Burschenschaft großen Ruhms und Ansehens genoß.
Lebte also flott und in Saus und Braus, machte Schulden, bis ihm kein Mensch mehr borgte, und kehrte schließlich[437] im Jahr 1790 als ein etwa fünfundzwanzigjähriger Studiosus der schönen Wissenschaften Basel den Rücken; doch nicht, ohne noch seine Hauswirtin, eine mannstolle Wittib, durch das Märchen, er sei als Hofrat zu der Fürstin von Taxis nach Regensburg beordert worden und brauche dazu Geld und anständige Kleider, um ein schöns Sümmchen Geldes zu prellen. Sie gab ihm willig fünfhundert Gulden, nachdem er sie seine liebe Braut genannt und ihr versprochen hatte, sie zur Frau Hofrätin zu machen.
Darnach zog er lange Zeit in der Welt herum, tat gar fein und anhabisch, so daß man ihn überall als einen großen Herrn mit Hochachtung und Ehrfurcht behandelte, bis er eines Tages unter Rücklassung großer Schulden und etlicher trauernder Mädchen wieder verschwand.
Im Jahr 1800, da er eben ohne jeden Kreuzer Gelds in der ärmlichen Dachstube einer Vorstadt Wiens saß, fiel ihm ein Gedicht in die Hände, das auf einem Fetzen Papier stand, darein ihm die Mamsell vom Krämerladen sein Stück Speck gewickelt hatte. Es war eine Lobhymne auf den großen Fritz, den Preußenkönig.
Sogleich ging er nun daran, etwas Ähnliches auf einen österreichischen Herzog zu machen, widmete es »Seiner Durchlaucht alleruntertänigst« und erhielt dafür von dem alten Herrn, der sich durch den schwülstigen Lobgesang nicht wenig geschmeichelt fühlte, ein ansehnliches Geldgeschenk, ein huldvolles Handschreiben und eine silberne Dose mit fürstlicher Widmung.
Da ihm also solches so wohl geglückt war, machte er das Lumpenstück sogleich auch in Deutschland und dichtete bald diesen, bald jenen hohen Herrn an; doch folgte dieser einen großen Auszeichnung leider keine zweite mehr, und die deutschen Fürsten hatten höchstens einen Ordensstern oder ein paar trockene Dankesworte für ihn.
Noch einmal kehrte er nach Wien zurück, empfahl sich[438] aber nach verschiedenen Streichen bald wieder, und schließlich erwischte ihn die Polizei, als er eben ohne Bezahlung seiner Zechschuld aus einem Gasthof zu Nürnberg verschwinden wollte.
Im Polizeigewahrsam hingen sich bald etliche zünftige Gauner an ihn; er lernte ihre welsche Sprache, und nachdem er wieder in Freiheit gesetzt war, zog er mit allerhand reisendem Gesindel durch die Gaue, um sich schließlich doch wieder von ihnen zu trennen.
Und so war er am End bis in die Berge gekommen und hatte in der Gegend von Kufstein den Bäcker und meinen Ziehbruder getroffen, mit denen er nun der Münchnerstadt zu wollte, um daselbst als Schreiber irgendwo unterzukommen.
Also tappte ich mit ihm und den beiden andern dahin, indes die Felder kahl wurden, die Obstbäume überall voll schwerer Früchte hingen und ein scharfer Wind durch die Äste der fahlen Buchen und Birken strich und auch uns durch die leichte Kluft fuhr.
Aus den Scheunen aber erscholl wieder das gleichmäßige Lied der Drischeln und gemahnte mich an jene glückhaften Tage im Weidhof, also daß ich gemach immer stiller wurd und im Innersten meines Herzens ein tiefes Weh nach jener Zeit und Weil verspürte.
Da schickte es sich, daß wir eines Abends so um Kirchweih durch ein größeres Bauerndorf nahe bei Ebersberg zogen und daselbst um Speis und Nachtquartier herumbettelten, als ein großmächtiger Blachenwagen aus dem Schupfen eines Wirtshauses gezogen, mit allerhand Kisten, Körben und Säcken beladen und mit zwei starken Rössern bespannt wurde.
Der Magister war sogleich zu dem Fuhrknecht hingegangen, sah ihm eine Weil zu und fragte ihn dann herablassend: »Wo aus noch mit der Fuhr, lieber Freund?«[439]
Darauf der Bursch, ohne aufzuschauen, erwiderte: »Auf Münga. – Dös is 's Botenfuhrwerk.«
Nun stand der Magister noch eine Zeit, ohne ein Wort zu reden, sah dem andern beim Eingeschirren zu und wandte sich darnach an uns, die wir gleich ihm um das Fuhrwerk herumstanden.
»Ihr wollt wohl auch nach München?« fragte er uns scheinbar neugierig.
»Freilich wohl!« erwiderten wir frisch und machten, daß uns der Knecht plötzlich erstaunt und mißtrauisch ansah.
»Nix da!« sagte er unwirsch; »da kunnt jeder kommen und mitfahren wollen! – Habs nit mit solchen Gästen, wies ihr seids!«
»Das kann ich mir denken«, meinte der Magister halb lächelnd, halb mitleidig; »Ihr wollt halt auch nicht grad umsonst jeden fahren, der kommt. – Jawohl. – Da habt Ihr auch nicht so unrecht, lieber Mann! – Aber – wie wärs, wenn Ihr – natürlich gegen gutes Fahrgeld – mich mitnehmen würdet? – Ich habe droben beim Herrn Pfarrer amtshalber zu tun gehabt und hab leider die Post versäumt.«
Er tat, als sähe er auf seine Taschenuhr, dabei er doch nur eine Zwiebel an dem Band hängen hatte, und wiederholte: »Jawohl. – Leider. – Viel zu spät!«
Der Knecht geschirrte ruhig weiter, indes er ab und zu einen schnellen Blick auf den Magister warf und gleichmütig sagte: »So – beim Herr Pfarrer, sagts! – Mhm. – Ja, – müaßts halt aufsitzen, wanns Euch nit z' hart is. – Mhm. – Dees kost nachher nit viel für Euch ... Dees wißts ja selber!...«
Da zog der Magister mit fürnehmer Gebärde einen Gulden, den letzten, den er noch hatte, aus dem Sack und hielt ihn dem Knecht hin.
Der aber wollt von solchem reichen Fuhrlohn nichts wissen: »Naa, naa, gnädiger Herr!« sagte er; »a so tean ma[440] nit! Um dees fahr i ja den ganzen Pfarrhof bis auf Münga! – Naa, so viel nimm i nit o! – So viel scho überhaupts nit!« Da blinzelte der Magister zu uns herüber und meinte gutherzig: »Ihr seid ein braver Kerl. – Aber ich will Euch was sagen: ich geb Euch den Gulden, und dafür erbarmt Ihr Euch über die armen Brüder da und nehmt sie um Gottswillen mit in die Stadt. – Ich werde nicht versäumen, dem Herrn Pfarrer von Eurer Gutherzigkeit zu schreiben!...«
Da lag er drin – der Gimpel! – »No ja«, sagte er wieder langsam und gleichmütig; »nachher laß i s' halt aufsitzen, die drei. – Aber i hoff, daß s' Enk koan Unmuß nit machen!«
Und wandte sich an uns: »Also – nachher kinnts scho aufhocken!«
Gab ihm also der Magister den Gulden, – der Knecht bedankte sich untertänigst, – und wir stiegen fröhlich ein und freuten uns über die Keckheit des Magisters.
Der aber ließ sich fein »Gnädiger Herr« titulieren, setzte sich auf die weiche Decke, die ihm der Knecht noch gegeben hatte, und wünschte sich und uns eine gute Reis, indes der ander draußen den Handgaul beim Zaum faßte, lustig mit der Geißel knallte und aus dem Dorf fuhr.
Unterwegs, da die Pferde gemächlich in der einbrechenden Nacht dahinstapften und der Knecht pfeifend und singend nebenherschritt, lachten wir noch viel über diesen wohlgelungenen Streich und lobten die Schlauheit des Magisters.
Der aber erwiderte schmunzelnd: »O, das ist noch gar nichts! Da hab ich früher schon feinere Stückln geliefert!«
Und erzählte uns also die verschiedensten Streiche, die er als Studiosus, als Reisender und als Vagabund schon ausgeführt.
So ging er einmal bei Sturm und Regen, ohne einen Knopf[441] im Sack, hungrig und durstig der Stadt Wien zu und dachte darüber nach, wie er es anstellen möcht, daß er sich ohne größere Ausgaben einmal wieder ordentlich satt essen und seinen äußeren Menschen ein wenig vorteilhafter gestalten kunnt, als ihm etwas einfiel.
Er lief also eilends zum Tor hinein, indem er dem Wächter eins jener huldvollen Handschreiben aus fürstlicher Feder unter die Nase hielt und sagte: »Es eilt, mein Lieber! – Seine Durchlaucht wollen mich sprechen!«
War also glücklich drinnen in der Stadt und begab sich sogleich in einen Gasthof, daselbst er ein Zimmer begehrte, den Brief mit dem herzoglichen Siegel vorwies und sagte: »Wenn seine Durchlaucht nach mir senden sollte, dann meldet, daß ich momentan unpäßlich sei. Ich werde in zwei, drei Tagen kommen!«
Fragte auch gleich, wann die Wechselbank geöffnet sei, und befahl, man möchte sofort nach einem Schneider und zwei Schustern schicken; denn er sei unterwegs in den Platzregen gekommen und hätte im Augenblick kein Gepäck bei sich.
Man beeilte sich sogleich respektvollst, die Wünsche »Seiner Gnaden« zu erfüllen, wies ihm ein nobles Zimmer mit Kabinett an und bewirtete ihn reichlich; ja – der Besitzer des Gasthofs ließ ihm sogar ein Paar feiner Staatshosen, neue Strümpfe und trockene Wäsche bringen, damit dem »Herrn Baron« nichts Unpäßliches zustoße.
Nacheinander kamen nun die Meister, und er ließ sich einen feinen Anzug nebst zwei Paar Schuhen anmessen, sagte, daß er die Sachen bestimmt in zwei Tagen haben müßte, holte aus dem alten Rock die Briefe der Fürstlichkeiten und legte sie offen auf den Tisch; sein altes Gewand aber schenkte er einem Armen.
Am übernächsten Tag kam zur bestimmten Stunde erst der Schneider; der Magister probierte die feinen Stücke[442] und bemerkte, daß ihn die Hosen ziemlich spannten; darum sagte er: »Ich glaube, Ihr müßt die hintere Naht seichter nehmen, lieber Freund! Bedenket doch, daß ich als Gast des Herzogs viel Komplimente machen muß! – Aber bringt mir die Hosen ganz bestimmt um sechs Uhr wieder! – Den Rock und das Leibstück könnt Ihr hier lassen; – das paßt.«
Mit tiefen Verbeugungen verschwand der Schneider.
Nun trat der erste Schuster ein.
Sogleich probierte der Magister die fürnehmen Staatsschuhe und fand, daß ihn die linke kleine Zehe schmerze.
»Ach«, sagte er zu dem devot vor ihm knienden Meister; »schlagt ihn doch noch zwei Stunden über den Leist, den linken! – Und um drei Uhr bringt Ihr ihn wieder; der andere paßt wie angegossen!«
Unter vielen Entschuldigungen ging der gute Mann, und gleich darauf erschien der andere Schuster.
Wieder probierte der Magister und gab den rechten Schuh mit dem Wunsch zurück, daß er noch ein wenig ausgeraspelt werden sollte; denn beim Auftreten steche ihn ein Stiften in die große Zehe. Doch müsse er den Schuh bestimmt bis zwei Uhr wieder haben, da er beim Herzog zur Tafel geladen sei.
»Gewiß, Euer Gnaden! – Schamster Diener!« sagte der Meister und ging.
Nun begab sich der Magister wohlausstaffiert hinab zum Wirt und fragte, ob die Bank jetzt offen sei, er müsse sich Geld holen.
»Jawohl, Herr Baron! Gerade gehts noch!« sagte der Wirt; »aber ich will Euer Gnaden doch lieber ein Pferd geben. Reiten geht schneller denn gehen, und der Bankportier kann ihn ja derweilen halten, den Gaul, bis Euer Gnaden fertig sind!«
Ließ also einen sauberen Fuchsen satteln, – und der Magister[443] ritt fröhlichen Herzens zum Tor hinaus und bedauerte nur, daß er die Gesichter der Geprellten nicht mehr sehen konnte, wann sie es merkten, daß der Vogel ausgeflogen war mit ihren Federn. –
Unter solchen Erzählungen des Magisters waren wir schier die halbe Nacht gefahren, als uns endlich der Schlaf überfiel und wir uns auf die harten Kisten und Säcke streckten.
Da gab es dem Wagen plötzlich einen Ruck. Wir rissen die Augen auf, sahen uns schlaftrunken an und krochen dann neugierig unter der Blache hervor.
Da stand das Fuhrwerk vor dem Haus des Zolleinnehmers, und der Knecht klopfte eben ans Fenster des Beamten.
»Holla!« sagte da der Magister halblaut; »jetzt ists aber Zeit, daß wir verschwinden; sonst kommts auf, was ich für ein Vogel bin!«
Damit sprang er vom Wagen und rief dem Knecht zu: »Die armen Kerle suchen Arbeit; nun will ich sie einmal schnell zu meinem Vetter, dem Pfarrer von Maria Hilf, führen; der hat hübsch Holz zum Machen. – Also adjes, guter Freund! – Ich werde nicht versäumen!«
Der Knecht zog ehrfürchtig seine Haube und grüßte den Magister devot; wir aber liefen frisch dahin.
Es war ein schöner Morgen; über den Fluren und Wiesen lag ein glitzernder Reif, feine Nebel stiegen auf und nieder, und unter uns in einem Tal lag die Münchnerstadt wie ein Schattenriß mit ihren Türmen und Giebeln, Mauern und Zinnen.
Ein breites, dampfendes Wasser, das der Isarfluß war, floß rauschend zwischen herbstlich buntgefärbten Bäumen und Büschen dahin, und aus dem Nebelschleier ragten die mächtigen, grünlich schimmernden Kuppeln der Türme vom Dom unserer lieben Frau.
Glockengeläut tönte zu uns herüber, das Rufen und Juchzen[444] der Flößer drang vom Fluß herauf, und aller hand Fuhrwerke und Leut bewegten sich auf den zwei Brücken, die unter uns über die Isar nach dem Tor der Münchnerstadt führten.
Also trabten wir den Rosenheimer Berg hinab, vorbei an niedern Häusern mit kleinen Gärten und geraniengeschmückten Fenstern, und schritten über die Brucken, darunter der Fluß mit wilden, grüngelben Wassern dahinfloß.
Vor dem Tor waren überall noch grüne Wiesen mit Schafherden; Gänse und Enten tummelten sich in Bächen, aus einer Kaserne ritten bunte Soldaten, im Wirtshaus zum Postgarten blies ein Postillon etliche Landlermelodien, und unter dem Isartor hobelte und schnitzte der Stadtwagner an der Deichsel einer fürstlichen Karosse; der Messerschmied daneben ließ die Funken von seinem Schleifstein sprühen, und ein Schlosser stieß eben seine glühende Eisenstange ins kalte Wasser und schlug und hämmerte sie zur kunstvollen Schnecke.
Vor dem Zollwächterhaus aber stand ein alter Soldat der Polizei, fragte nach unsern Papieren und machte, daß ich mich in diesem Augenblick elender fühlte als zu jener Stund, da ich alles verloren hatte.
Ausgewählte Ausgaben von
Mathias Bichler
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