9.

[187] O köstliche Stille der Einsamkeit!

Es schweigen Nähe und Weite ...

Doch in mir wogt es und braust es wie Sturm –

Klingt es wie Glockengeläute! ...
[187]

Glückauf! Die große, die herrliche Zeit

Strömender Frühlingsgefühle:

Wieder bricht sie mit Macht herein –

Lädt mich zum Waffenspiele ...


Den Zelter schnür' ich – ich schärfe mein Schwert:

Noch spür' ich Jugendgemutung!

Die Winterklage sei abgetan –

Die Sehnsucht nach stiller Verblutung!


Nicht sterben will ich im Dämmerasyl,

Umkreuzt von Nebelphantasmen –

Nicht sterben will ich verwelkt und zermürbt,

Umdünstet von Fiebermiasmen!


Wo aus feuchter Scholle des Frühlings Blut

Treibt lichtgrüne Ranken,

Will ich mich betten und atmen tief –

Atmen des Frühlings Gedanken! ...


Will lauschen der Wiesenwasser Gesang –

Will wiedergeboren mich heben:

Im Auge Flammen, den Muskel gestrafft –

Will leben, leben, leben!


Weißt du, verschüchterte Kreatur,

Was Leben heißt und bedeutet?

In den blühenden Frühling tritt hinaus,

Wo die Welt dem Auge sich weitet! ...


Da wird dir so groß, so siegreich ums Herz –

Da fühlst du ein köstlich Erbeben –[188]

Ein Hauch von der Größe der Schwärmerzeit –

Ein einziges Schwellen und Leben! ...


Dann sprengst du die Bande! Dann reckst du dich weit!

Dann fühlst du es wogen und gären!

Dann fühlst du, wie sich in wildem Drang

Eine neue Welt will gebären! ...


Und jauchzend schreist du dein Dankgebet,

All-eins mit den Weltengewalten:

Fühlst du dich selig, fühlst du dich stark –

Spürst du die Kraft zum Gestalten! ...


Zurück, ihr Schemen der Alltagswelt!

Zerfließt vor dem Frühlingswunder! ...

Was ich geschaut, ist Unsterblichkeit –

Ihr aber seid nichtiger Plunder! ...


O wonnige Stille der Einsamkeit –

Es schweigen Nähe und Weite ...

Doch in mir – in mir klingt es wie »Sieg!« –

Tönt es wie Ostergeläute! ...

Quelle:
Hermann Conradi: Gesammelte Schriften, Band 1: Lebensbeschreibung, Gedichte und Aphorismen, München und Leipzig 1911, S. 187-189.
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