[176] In immerhin ziemlich prägnantem Einsiedlerstyle durchlebte Adam die nächsten Tage und Wochen. Der zeitweilige Verkehr mit Emmy, die ihn öfter besuchte, und mit welcher er ab und zu kleinere Spaziergänge machte, hatte für ihn kaum etwas Anschraubendes, Bestimmendes, Ablenkendes, Hinauszwingendes. Emmy war doch ganz feinfühlig und zurückhaltend.
Wohl gestand sich der Herr Doctor mit leisem Bedauern ein, daß ihm in dieser Zeit der Stille und Ebbe alles geistig Größere, Bedeutendere, Imposantere fern und versagt blieb. Aber dieses Bedauern war doch schließlich nur ein sehr nüchternes und oberflächliches. Adam verspürte zuweilen einen Mangel, den er sich halb unwillkürlich, halb künstlich, aus Erinnerungen und zufälligen Vergleichen zwischen früheren, bewegteren Tagen und dem gleichmäßigeren Jetzt zusammenbuk. Das war aber mehr eine correkte, etwas wehmüthig angesprenkelte Abstraktion, denn ein redlicher Vollschmerz.
Adam hatte sich zwar vorgenommen, die Beziehungsfäden zu Lydia nicht leichtsinnig zu verschleppen ... aber wie er so von Tag zu Tag[177] in seinem Gefühls- und Gedankenleben vereinsamte ... selbstinniger und intimer wurde; wie er die Kreise immer enger zog; wie sich ihm die äußere Welt mehr und mehr zum Accidenz vereinfachte, das verhältnißmäßig nur selten von Emmy wieder zum gleich- oder mehrwerthigen, unmittelbaren Object zurückgemünzt und ausgeglichen wurde; wie er sich stets eingehender und reicheren Gewinn schöpfend in das Motiv der bewußten »modernen Bibel« versenkte: da trat unwillkürlich das persönliche Gefühl, das Verständniß, das Interesse für die Frau bedeutend zurück, verlor an Kraft und verblaßte – für die Frau, die ihm jenes Motiv in einer loseren Stunde überantwortet – wie eine für sie reizlose Frucht in den Schooß geworfen hatte. Ideen, nicht zu alltägliche, nicht zu wohlfeile, dämmerten ihm auf, gewannen Ausdruck und Umriß ... und in dem specifisch modernen Momente des wiedergefundenen Germanenthums glaubte er sich des bewegenden und entscheidenden Gegensatzes der neuen Bibel zu dem semitischen Grundelemente der alten bemächtigt zu haben. Eine bedeutende Reihe neuer, interessanter Perspektiven ergab sich nun ... eine überreiche Fülle von Gedankenkeimen schoß auf – eine Ernte von originellen, neuen Anschauungen, Auffassungen, zeitweilig recht merkwürdigen Ahnungen, welche aber Adam mehr mit der diskreten Zurückhaltung eines raffinirten Gourmand behandelte – eines Gourmand, der im unklaren Bewußtsein seines Reichthums schwelgt – und die er deshalb nur lässig,[178] fast gegen seinen Willen, weiterentwickelte und fortbildete ... Zugleich verstand er es aber auch, eben als vorzüglich geschulter Gourmand, jene Scheu vor dem klaren Wissen um seinen Besitz als ein neues, pikantes Reizmoment in den Kreis seiner geistigen Lust zu ziehen. –
Eines Tages war Adam wieder einmal von Emmy um die Mittagsstunde abgeholt worden. Sie pflegten dann zusammen zu speisen ... aus Pietät und Anhänglichkeit in jenem Café, in dem sie sich kennen gelernt, eine Tasse Melange zu trinken ... und nachher eine Weile zu promeniren. Sie tändelten und plauderten mit einander ... sie erzählten sich Dies und Das ... sie langweilten sich fast ... und waren doch eigenthümlich angeregt, wenn auch sanft nur und verhalten. Ab und zu ließ Adam, mehr zufällig denn absichtlich, ein ernsteres Wort fallen, das Emmy mit drolliger Gewichtigkeit aufnahm und manchmal zum selbständigen Gesprächsmotiv zu machen versuchte. Adam verstand das kleine Weib und mußte lächeln. O! Emmy wußte die Ehre zu schätzen ... die Ehre, mit Herrn Doctor Mensch verkehren zu dürfen. Sie war nicht unbeanlagt und gewiß geistig nicht ganz bedürfnißlos. Oefter schon hatte sie Adam, halb im Ernste, halb im willkommenen Spaße, den Vorwurf gemacht, daß er sie zu geringschätzig behandelte ... zu sehr die Geliebte ... zu wenig den Menschen in ihr sähe. Aber war sie denn im Stande, den Untergrund seines Gedankenlebens aufzuwühlen? Wenn sie zu[179] ihm komme, sehe er immer so ernst aus und sei so wortkarg, hatte sie sich beklagt, und studire immer in so vielen Büchern oder kritzele auf einem großen Blatte Papier herum – mit ihr aber plaudere er stets nur loses, leichtes Zeug – warum lese er ihr denn nicht einmal aus einem seiner Bücher vor –? Emmy war wirklich zeitweilig ein zu spaßiges Ding. Einmal hatte Adam sie auf jenen Vorwurf hin in die Sophaecke gedrückt ... hatte sehr sonderbar gelächelt ... ihre dünnen, schmalen Lippenbänkchen unzweideutig versessen geküßt ... und dann begonnen, an den Brustknöpfen ihres Jaquets zu nesteln –: das war seine ganze Antwort gewesen. O! Emmy hatte verstanden – – ja! ja! Sie wußte wohl, daß sie ihm gefiel ... und das freute sie auch tüchtig, denn ihr gefiel dieser Herr Doctor nicht minder – aber ein klein Wenig hatte sie es doch geärgert, daß er öfter so gar nicht auf sie eingehen wollte ... Nun! es war immerhin schon viel, daß er sie mit feinstem Zartgefühl behandelte ... nicht ... gar nicht, als wäre sie auch ... auch »so Eine« – »so Eine«, wie sie es ... im Grunde ja doch war.
Nun ja! Kellnerin war sie gewesen – und jetzt »privatisirte« sie. Aber jeden Augenblick konnte sie wieder irgendwo Stellung nehmen – schließlich wieder in ein Geschäft als Verkäuferin eintreten ... oder als Putzmacherin, Maschinennähterin, »kalte Mamsell« oder so etwas Aehnliches »gehen« – jedoch ... war dazu nicht immer noch Zeit? Warum denn nicht? Jetzt lebte[180] sie »so« entschieden freier ... und Noth litt sie nicht. Sie hatte sich als Kellnerin einige Batzen erspart – und ganz verdienstlos war das »Privatisiren« schließlich doch auch nicht. Adam allerdings ... Adam war nicht besonders freigebig gegen sie. Er bezahlte ja sehr oft für sie ... er machte ihr kleine Geschenke – aber der arme Kerl schien selbst nicht Allzuviel in die Milch brocken zu können. Und dann hatte er selbst starke Bedürfnisse, brauchte einen ganz netten Haufen ... und ... und verstand es überdies keine Idee, ein Bischen haushälterisch zu sein. Wie? wenn – sie – ihm die – hm! – also die ... die Kasse – führte? Dann müßten sie aber zusammenwohnen – und das – ob das Adam wollte –? O! Emmy hatte schon öfter daran gedacht. Ihr wäre es gewiß recht gewesen. Sie hatte den Punkt auch schon einige Male zur Sprache bringen wollen – und es war ihr doch schließlich immer wieder nicht über die Lippen gegangen. Warum nur nicht? Und er, Adam, schien mit keinem Gedanken daran zu denken. Er machte sich wohl überhaupt nicht besonders viel aus ihr – sonst hätte er doch darauf wahrhaftig schon kommen müssen! Er konnte sich doch an fünf Fingern abzählen, daß er nicht der Einzige war, mit dem sie verkehrte ... Aber das schien ihm Alles furchtbar gleichgültig zu sein. Emmy that es sehr weh, daß sie für Adam keine größere Bedeutung besaß. Und unwillkürlich hing sie sich in ihrem Innern um so fester an ihn, beschäftigte sich um so intimer mit ihm – rupfte[181] zeitweilig mit großer, naiver Gewissenlosigkeit andere Männer um so nachdrücklicher, da ihr der, welcher ihr der liebste war, nichts Entscheidendes, nichts Entschiedenes »bieten« kannte. O! Eine starke, zärtliche Neigung für Adam war allmählich in der Brust Emmys emporgewachsen.
Und nun promenirten sie heute in dem kleinen Stadtpark. Nach dem Walde waren sie lieber nicht hinausgegangen. Es sah aus, als ob es jeden Augenblick regnen wollte. Die Luft ging kühl ... ganz gewiß zu kühl für die letzten Maitage. Die Natur machte ein halb bekümmertes, halb gleichgültiges Gesicht. Adam erschien sie wie verwittwet, wie verwaist. Da hatten alle Quellen eines ehelichen Sonnenlebens zu sprudeln aufgehört – ernst und zurückhaltend, wie in windstillen Oktobertagen, stand Baum und Strauch da ... nur die prahlerischen Farbensymphonie'n des Herbstes fehlten – aber Adam war es zu Sinn, als ob dieses schwere, stumpfe, glanzlose Grün nicht echt – als ob es von den Cypressen der ganzen Welt zusammengeborgt wäre ....
Der Herr Doctor war heute wieder einmal sehr schweigsam. Die Sprödigkeit und Neutralität der Natur zwangen ihn noch mehr in sich zurück. Es lastete kaum ein besonderer Druck auf ihm. Und doch konnte er es nicht über sich gewinnen, sich in ein längeres, zusammenhängendes Gespräch mit Emmy einzulassen. Ab und zu fiel ein Wort, welches aber mehr aus dem Bedürfniß heraus, das Peinliche und Drückende dieser Stille zu vermindern, gesprochen[182] wurde, als weil es an sich bedeutend und berechtigt gewesen wäre. Nicht im Banne irgend eines tieferen Gedanken-oder Gefühlsmotivs befand sich Adam Allerlei krauses Zeug, an dem er herumspann, war ihm nahe ... er kaute geistig an diesem und jenem Einfall ... eine heiße Sehnsucht packte ihn jetzt nach einer großen, gesammelten Stimmung ... nach einem intimen seelischen Erlebniß ... Erinnerungen keimten auf ... er konnte nicht begreifen, wie er plötzlich hierher käme ... er wußte nicht, was er mit diesem Weibe an seiner Seite eigentlich zu schaffen hätte ... er hatte doch ganz andere Pflichten zu erfüllen ... eine ganz andere Mission war ihm doch geworden – ha! aber welcher Art waren denn diese »Pflichten« –? Und welcher Art war denn diese merkwürdige »Mission« –?
»Adam! Du bist heute unausstehlich! ...« Emmy hatte nicht länger an sich halten können.
»Hm! . Unausstehlich ... warum, Kind? Ich träumte nur wieder einmal allerlei dummes Zeug zusammen ... Du kennst ja meine Schwäche ... Aber wir wollen bald umkehren – ja? Ich möchte, solange es Tag ist ... so ... -lange es ... Tag ist – hm! ... Emmy, weißt Du: die Sonne ist eigentlich ein furchtbar überflüssiges Möbel – –«
»Aber Adam! ...«
»Was denn? . Sieh mal, wenn – also wenn – – denke Dir zunächst 'mal einen Laubfrosch – –«
»Einen Laubfrosch? ... Das wird ja immer hübscher –« Emmy lachte sehr aufgeräumt.[183]
»Und dann denke Dir eine Perrücke – –«
»Eine Perrücke? Adam! Ich glaube, Du bist – –«
»Und denke Dir drittens eine Schale Spargelsalat – –«
»Aber nein! – sei still! ... das ist ja zum Verrücktwerden! ...«
»Ja! – also – aber Du hast mich ganz aus dem Konzept gebracht – nun hör' zu: wir setzen den jrasjrünen Laubfrosch in den Spargelsalat und decken die Perrücke darüber – jetzt rathe 'mal, was das ist? .«
»Ich halte mir die Ohren zu ... sei still ... sei still! ...« Emmy drückte die Finger gegen ihre allerliebsten Ohrmuscheln und trippelte mit komischer Eile einige Schritte voraus. Nun mündete der schmale Spazierpfad, auf dem die beiden bis jetzt hingeschritten waren, in den breiten Hauptweg des Parkes aus.
Quer über den Alleedamm kam ein Herr auf das Paar zu.
»Ah! Herr Doctor! . Habe ich endlich einmal wieder das Vergnügen – ich dachte, Sie wären längst nach unseren Kolonie'n als kaiserlich deutscher Dolmetscher oder mit sonst 'nem Ulke chargiert ausgewandert ... Und nun ... hier ... auf altem Boden noch – dazu in reizender Damenbegleitung –«
Herr von Bodenburg hatte den Hut gezogen, mit eleganter Verbeugung seine rechte Hand Adam entgegengestreckt und zugleich, ein Lächeln des Erstaunens und der Genugthuung im Gesicht, einen kurzen, prüfenden Blick auf Emmy geworfen.[184]
»Ich begrüße Sie, Herr von Bodenburg – meine kleine, reizende Frau – Herr Referendar von Bodenburg –« stellte Adam jetzt mit drolliger Ernsthaftigkeit vor.
»Helfen Sie mir, Herr Referendar – ich suchte meine Frau soeben über die inneren Beziehungen, in welchen ein Laubfrosch zu einer Schüssel Perrückensalat steht, aufzuklären – aber sie will mich durchaus nicht verstehen –«
»Hm! hm! ...« lächelte Herr von Bodenburg wohlwollend, herablassend, als hätte er recht gut verstanden, »daß es sich um einen barocken Spaß handelte – ›Perrückensalat‹ – nicht übel, Herr Doctor –!«
»Nicht wahr – Sie wissen, was ich meine? ... Natürlich wissen Sie's – dann können Sie's mir vielleicht sagen, Herr Referendar? Ja? Ich bin mir nämlich in diesem Augenblick selbst ein riesiges Räthsel ... Ich weiß absolut nicht, was ich mir unter ›Perrückensalat‹ vorstellen soll – Goethe sagt zwar, die Welt sei ein Sardellensalat, aber – aha! Lassen Sie uns nachdenken, meine Freunde! . Wir finden sie – ich sage Ihnen: wir finden sie, die Lösung nämlich dieses Räthsels ... wir finden sie – ich wette um einen Korb Röderer, Herr Referendar, daß wir sie finden, die verdammte Hexe –!«
Adam lachte aus vollem Halse, unangenehm energisch, dröhnend. Er schüttelte sich und lachte, daß ihm die Thränen über die Backen liefen. Ein[185] nervöser Lustigkeitskrampf war jäh über ihn gekommen. Emmy blickte erschrocken zu ihm hinüber. Herr von Bodenburg machte ein ehrlich verblüfftes Gesicht, in welches zugleich ein paar Unmuths- und Aergerslinien hineingeritzt waren. »Eine merkwürdige Unterhaltung –« murmelte er.
»Also, meine Freunde – es wird Zeit, daß die Götterdämmerung endlich losgeht! – Ich ersticke an diesem tristen Zuschauerjargon, den man immer radebrechen muß ... Emmy! Sehen Sie, Herr Referendar – das ist nun auch ›so Eine‹ ... ich habe das kleine, entzückende Weib neulich Abend einem überflüssigen Laffen abgejagt – aber glauben Sie wohl, daß es bisher zum geringsten tragischen Konflikte zwischen uns ge kommen wäre? . Keene Spur, Verehrtester! Es ist so blutig langweilig auf der Welt – die Leidenschaft ist todt – und die großen Gefühle sind pensionirt ... Lassen wir wir uns dito pensioniren, lieber Mitmensch – –«
»Sie sind heute in einer eigenartigen Stimmung, Herr Doctor!«
»Was hast Du nur, Adam –?«
»Ich? Nichts, Kind! Gar Nichts! Aber wollen wir nicht heimwärts ziehen, wie die ... nun! ... Wie die bewußten Schwalben im Herbst? ... Meine Stunde wenigstens ist gekommen ... Sie begleiten uns vielleicht, Herr Referendar –?«
»Wenn Sie gütigst gestatten –«
»Bitte sehr –«
Die drei kehrten um. Da kam ihnen ein offener,[186] zweispänniger Wagen in ziemlich scharfem Trabe entgegengefahren. Adam schnäuzte sich gerade mit ostentativer Umständlichkeit. Er wischte sich eben zum letzten Male unter der Nase weg, als der Wagen an ihm vorüberfuhr. Unwillkürlich blickte er zu ihm hin. Ah! Teufel! Das war ja Lydia!
Mit verlegener Hast grüßte Adam. Er hatte im Augenblicke keine Zeit, über die Frage nachzugrübeln: Warum er denn jetzt nicht dort neben dieser schönen Frau säße ... neben dieser schönen Frau, die – die – hm! ... na ja! – und so weiter ...
Er fühlte das Auge Emmys auf sich liegen, nun lasten. Doch da setzte das Pferdegetrappel plötzlich aus. Adam sah sich um, ungewollt und halb unbewußt erfreut, daß er eine Gelegenheit erhielt, die unvermeidliche Frage Emmys noch hinauszuschieben. Aber er war ihr doch eigentlich gar keine Rechenschaft schuldig. Der Wagen hielt in einiger Entfernung ... und der Herr Doctor bemerkte, wie sich Frau Lange über den Schlag lehnte und ihn zu sich heranwinkte. Er war unschlüssig. Er wurde aufs Neue verlegen. Er warf scheue Blicke auf Emmy und Herrn von Bodenburg, die ihn fragend, erstaunt ansahen.
»Erlaube, Emmy! .« stieß er endlich heraus – »Pardon, Herr Referendar – ich – ich ... bin sogleich zurück –«
»Sind Sie frei, Herr Doctor? ...« redete ihn Frau Lange an und streckte ihm ihre kleine, volle, schwarzbehandschuhte Rechte entgegen. »Dann steigen[187] Sie bitte ein – ich muß Ihnen einen Capitalspaß erzählen –« Lydia machte ein sehr vergnügtes Gesicht, ihre Augen blitzten, ihr ganzes Wesen athmete Füllung, Angeregtheit, den Drang: sich ausströmen, sich mittheilen zu dürfen.
Adam war in peinlichster Verlegenheit. Er konnte doch Emmy unmöglich stehen lassen. Aber – nein! – das ging auch nicht! – zugeben durfte er doch auch nicht, daß er ... er der Ritter ... der Liebhaber dieser Dame wäre – – er zögerte, er wurde immer befangener – »gnädige Frau –« stammelte er – –
»Ach so, Herr Doctor – nun ... wenn Sie engagirt sind – natürlich – dann verzichte ich – – Ihre Dame – –«
»Pardon! . Davon kann wohl keine Rede sein – ich begegnete vorhin dem Herrn in Begleitung der Dame – ein Bekannter von mir, Referendar von Bodenburg – aber ich ... ich ... ich müßte mich doch erst entschuldigen und verabschieden, ehe ich Ihrer liebenswürdigen Aufforderung folgen dürfte – gestatten Sie also, gnädige Frau –«
»Bitte! ...« Das klang sehr gleichmüthig ... es war eben nur mit den Achseln gezuckt, kaum mit dem Munde gesprochen. Lydias frische, volle Stimmung schien einen herzhaften Sprung erhalten zu haben.
Als Adam vom Wagen Frau Langes zu Emmy und Herrn von Bodenburg, die, vielleicht absichtlich mit feiner Diskretion, vielleicht unabsichtlich, in entgegengesetzter[188] Richtung weitergegangen waren, zurückschritt, freute er sich im Stillen gar sehr, daß er Lydia gegenüber immerhin doch so schnell seine Verlegenheit überwunden hatte ... und daß es ihm allem Anschein nach vorzüglich geglückt war, sich durch eine kräftige Lüge aus der Klemme zu ziehen. Ein zart nuancirtes Lächeln umkräuselte seinen Mund. Hm! Wenn das Emmy wüßte! Nun! am Ende verstand sie ihn vielleicht ... begriff sie vielleicht sehr gut, daß man eine ... eine »Freundin« ... »une bonne camerade« unter Umständen einmal verleugnen muß ... verleugnen muß einer Dame »von Welt« ... einer Dame »aus der feineren Gesellschaft« ... einer Dame »aus den höheren Ständen« gegenüber .... Adam hatte Lust, vor Emmy jetzt sogleich die Karten aufzudecken. Der dumme, kleinliche Gedanke verursachte ihm ein köstliches Behagen. Aber nun fürchtete er doch hemmende Weitläufigkeiten – und so entschuldigte er sich sehr kurz: er müßte leider aus Höflichkeit einer Einladung der Dame, – die er übrigens sehr gut kenne – einer Einladung, in ihren Wagen zu steigen, Folge leisten – nun! ... Herr von Bodenburg würde wohl die Güte haben, Emmy nach der Stadt zurückzubegleiten –
Emmy sah mit einem halb ironischen, halb traurigen Blicke Adam an. Natürlich! Sie hatte ihn verstanden. Der Herr Referendar war entzückt. Ihm gefiel das kleine Weib ausnehmend. Ha! . »So Eine« – Schwerebret! – »so Eine« war schließlich auch einmal für ihn zu Hause. –[189]
»Haben Sie dem armen Mädchen den Laufpaßgegeben? Sie Grausamer! ...« Lydia lächelte wirklich beleidigend spöttisch und sah ihrem Nachbar fest ins Gesicht.
»Gnädige Frau! –«
»Lügen Sie mir doch nichts vor, Herr Doctor! . Ich erkannte Sie längst, bevor Sie mich sahen ... Sie gingen auf der linken Seite der Dame – das sagt doch genug – nicht wahr?«
»Wenn Sie eine Zufälligkeit – eine pure Zufälligkeit – nun ja doch! ... so besonders schwer ist es ja nicht, einen Menschen zu verdächtigen –« Adam hielt es für praktisch, den Beleidigten zu spielen. Mit verschränkten Armen so dastehen ... sich nicht vertheidigen, obwohl man alles Recht auf seiner Seite hat ... sich ruhig abschlachten lassen im süßen Vollgefühl, daß der Gegner ein schreiendes Unrecht begeht, indem er sotanes Abschlachten eben vollbringt: oh! . auch das kann Wollust ... beißende, betäubende Wollust sein ...
»Herr Doctor – ich bitte Sie! ... Aber lassen wir das! . Was ... was gehen mich Ihre Neigungen – Ihre ... Ihre Gewohnheiten – Ihre sonstigen ... Beziehungen an! ... Ich wollte Ihnen einen famosen Spaß erzählen, den ich heute früh erlebt habe – nun ... um es gerade heraus zu sagen: ich – ich habe mich – heute früh verlobt ... Was? das ist doch göttlich – nicht? Und Sie sehen, wie glücklich ich bin! ... Ich sage Ihnen: wie neugeboren! da weiß man doch wenigstens[190] wieder, wozu man auf der Welt ist! Da hat man doch wieder einen vollen Lebenszweck – und nun gratuliren Sie mir, lieber Freund –«
Adam war doch zusammengefahren. Das hatte er nicht erwartet. Einen Augenblick dachte und fühlte er nichts. Wie gelähmt war er. – Dann zischte das Leben wieder gewaltig in ihm auf. Eine scharfe Blässe bedeckte sein Gesicht, an welchem jetzt alles Ungleichmäßige, was es besaß, in greller Klarheit hervortrat. Nun wurde er glühend roth, er zitterte an allen Gliedern, die Sprache versagte ihm, er athmete gepreßt, der Blick seines Auges wurde unsicher ... es war ihm, als ob in seiner Brust eine Faust in die Höhe wachse und sich mit aller Wucht in den Kehlkopfpresse – und doch sagte er sich, daß er sich beherrschen ... gewaltsam zur Ruhe zwingen müßte, wenn er sich nicht vor Lydia unsterblich blamiren wollte – er ärgerte sich wüthend über sich ... er verachtete sich ... er bemerkte entsetzt, daß sich all' seine Willenskraft plötzlich vollkommen machtlos erwies – endlich knirschte er ein heiseres, kaum verständliches »Lydia –!« hervor.
Frau Lange hatte den Eindruck, den ihr Geständniß auf den Herrn Doctor gemacht, sehr genau beobachtet. Sie freute sich zunächst außerordentlich über diese erschütternde Wirkung. Dann wurde sie sehr ernst. Wenn Adam von der Nachricht, daß sie sich verlobt habe, so furchtbar angefaßt wurde dann – – nun dann mußte sie für ihn ... mußte sie in seinem Leben doch eine größere Bedeutung[191] besitzen, als sie bisher geglaubt hatte. Diese Folgerung erfüllte sie mit einem gewissen Stolze. Sie wuchs vor sich ... und zugleich wuchs, vertiefte und veredelte sich ihre Theilnahme für Adam. Sie dachte an jene bewegte Stunde zurück, da er vor ihr auf den Knieen gelegen und um ihre Liebe geworben ... Sie konnte jetzt nicht begreifen, daß sie ihn damals so spöttisch abgewiesen ... so souverän-mütterlich behandelt ... daß sie selbst in jener Scene so oberflächlich und äußerlich gefühlt hatte. Sie hätte ihn jetzt am Liebsten an die Brust gezogen und geküßt. Da war kein Zweifel mehr: er liebte sie – und sie? – Nun! sie liebte ihn auch, diesen wunderlichen Menschen – sie liebte ihn, trotzdem er ein ziemlich loser und unzuverlässiger Gesell zu sein schien. Plötzlich war es ihr klar geworden ... und von dem ungestümen Drange ihrer Gefühle ließen sich alle Zweifel und Bedenken bequem in eitel Dunst zerblasen. Die ganze Lebhaftigkeit ihrer Natur machte sich geltend und war im Begriff, entscheidend zu wirken. Allein! sie war doch zu feinfühlend ... und zu rücksichtsvoll gegen die »gute Sitte« ... war zu sehr Weltdame, um sich hier auf offener Landstraße, in Gegenwart ihres Kutschers, zwanglos gehen lassen zu können. Der Druck der Situation engagirte sie und löste beinahe wieder eine ironische Stimmung in ihr aus. Sie wußte nicht, daß Adam zumeist deshalb von ihrem Geständniß so betroffen war, weil ihm damit im selben Augenblick eine ganze Zukunftswelt[192] verkrachte. Er hatte sich mit jäher Ueberstürzung daran erinnern müssen, daß er unendlich Viel einbüßte, wenn ihm Lydia verloren ging. Nun ja doch! Er hatte durchaus nicht mit zäher Energie sein Ziel verfolgt. Er hatte, gewiß seiner Natur gemäß, mehr mit dem Gedanken gespielt, daß Lydia eines Tages sein Weib werden könnte. Sie hatte ihm ein heimliches, volles Behagen verursacht, diese unklare, lienienverschwommene Zukunftsreserve ... Er war viel zu gleichgültig gegen seine Zukunft, als daß er unmittelbar für sie einzutreten, für sie zu arbeiten vermocht hätte. Sein Gedanken- und Gemüthsleben war viel zu differenzirt, als daß er nicht eng an die Gegenwart hätte anknüpfen müssen. Und doch war es ihm jetzt zu Sinn, als hätte er Etwas verloren, was schon ganz sein eigen gewesen ...
»– Herr Doctor –!« Lydia wußte nicht recht ... sie war erschrocken, verlegen, fast bekümmert – aber Alles nicht ganz rein, es zweifelte etwas Unklares in ihr –
Adam hatte sich gefaßt. Seine Stimme klang noch gepreßt und stockend, aber äußerlich nahm er sich doch bedeutend kühler und ruhiger aus.
»Sie haben Recht, gnädige Frau – da bleibt mir wirklich nichts weiter übrig, als Ihnen meine herzlichsten Glückwünsche auszusprechen –«
»Ich danke Ihnen verbindlichst, Herr Doctor! .« Lydia lächelte schelmisch-ironisch.
Dann schwiegen beide eine kleine Weile. Nun begann Lydia wieder, einen schmollend-vorwurfsvollen Ausdruck in der Stimme: »Aber Sie fragen ja gar[193] nicht, wer mein Auserwählter ist?! Nehmen Sie in der That so wenig Antheil an mir? ...«
»Ich bitte Sie, gnädige Frau! Einem armen Burschen, der todeswund am Boden liegt, ist es so ziemlich gleichgültig, wer ihm die Kugel in die Brust gejagt hat – er weiß nur, daß man ihm das Aufstehen verleidet hat –« antwortete Adam mit affektirter Trauer und Resignation.
»Na – nehmen Sie's nur nicht zu tragisch, Herr Doctor! . Sie thun ja gerade so, als ob ... nun! – jedenfalls sind Sie wieder einmal auf dem besten Wege, Ihnen und mir Etwas vorzulügen –«
»Sie sind doch eine unverbesserliche Zweiflerin, Lydia! .« Das hatte Adam in ehrlichstem Ernste, wirklich bekümmert, gesprochen.
»Ich will Ihnen reinen Wein einschenken, lieber Freund! Die Geschichte von der Verlobung war natürlich nur ein Scherz ... Ich habe heute früh allerdings einen Heirathsantrag erhalten – von – aber das ist Ihnen ja gleichgültig ... Ein Major außer Dienst – nebenbei Weinhändler und Agent einer Lebensversicherungsgesellschaft – natürlich von Adel – übrigens 'n ganz passabler Mensch – nur 'n Bissel zu alt ... 'n Bissel zu unbedeutend und ... und 'n Bissel zu verschuldet – hat mich schon seit Jahr und Tag mit seinen Aufmerksamkeiten verfolgt – ist mir nachgereist – u.s.w. – u.s.w. – aber – pardon! – das interessirt Sie ja nicht – also ... nun! – ich habe für die Ehre gedankt, Frau von ... von X oder Y zu werden ... Mein[194] Name gefällt mir zu gut ... und meine Freiheit gefällt mir noch besser ... Sie werden mich verstehen, Herr Doctor –«
»So? – Glauben Sie, gnädige Frau? –«
Adam hatte sehr kalt und gleichmüthig geantwortet. Er vermied es, Lydia anzusehen. Er wandte sich ab und schien die ihm gegenüber liegende Front des Parkes mit außerordentlicher Aufmerksamkeit zu betrachten. Seine Finger trommelten mit nervös schwirrendem Nachdruck auf dem Wagenschlage herum.
Der Wagen hatte das ganze Gehölz durchfahren und näherte sich jetzt – auf einer anderen Seite – der Stadt. Die ersten Tropfen eines leichten Regens rieselten nieder.
Lydia war empört. Eine verworrene Fülle von Gedanken und Gefühlen durchgährte sie. Sie wußte nicht, wie sie ihrem Aerger, ihrer Erbitterung auf eine besonders maliziöse Weise Luft machen sollte.
Man kam der Stadt immer näher.
»Gestatten Sie, daß ich hier aussteige, gnädige Frau –« begann Adam jetzt und sah Lydia von der Seite an ...
»Ah! – Fräulein Irmer ... gewiß mit ihrem Vater! . Der Mann sieht sehr leidend aus – er scheint doch recht hinfällig zu sein –«
Adam wandte sich schnell um ... und bemerkte, wie Herr Doctor Irmer, von Hedwig geführt, langsam ... sehr langsam, zusammengebückt, mit dem Stocke in der linken Hand unsicher vor sich hintastend, herankam. Adam grüßte mit zufahrend pathetischer[195] Höflichkeit ... und wurde dabei doch wieder ein wenig verlegen. Aber zugleich machte ihm der harmlos-einfältige Gedanke wollüstiges Vergnügen, daß für Hedwig die Thatsache, ihn in einem offenen Wagen an der Seite Frau Lange's gesehen zu haben, zu einem neuen Grunde, sich mit ihm zu beschäftigen, werden mußte – und daß andrerseits sein auffallend höflicher Gruß gegen Irmers nicht ohne Eindruck auf Lydia bleiben konnte.
»Gestatten Sie, daß ich hier aussteige, gnädige Frau! ...« wiederholte Adam, als der Wagen kaum noch hundert Schritt von dem Ausgang des Parkes entfernt war – »und« – fügte er leiser hinzu – »wann werden Sie einmal für mich zu Hause sein, Lydia? Das geht so nicht weiter – das ertrage ich nicht länger – die Sache muß zur Entscheidung kommen – – oder – ja! – das ist besser – ich schreibe Ihnen –«
»Wie Sie wollen, Herr Doctor. Ich weiß übrigens nicht, was Sie mir – doch – nebenbei bemerkt – ich verreise demnächst auf einige Wochen –«
Frau Lange ließ halten. Adam stieg aus und zog den Hut.
»Adieu! ...« Das klang entsetzlich kurz und schroff.
Der Wagen rollte davon. Es regnete stärker.
Adam schlug die Richtung nach seiner Wohnung ein. Das leise Prickeln und verhaltene Stechen der Regentropfen that ihm fast wohl. Bei einer solchen Naturstimmung fliegen keine großen Gedanken[196] auf. Da kann man, in sich zusammengezogen, still vor sich hindenken, behaglich vor sich hinbrummeln. Und Adam bemühte sich, eine reine, köstliche Heiterkeit im Gemüth, über das soziale Verhältniß nachzugrübeln, in dem ein Laubfrosch zu einer Perrücke und einer Schale Spargelsalat steht. Ein Schwarm drolliger und putziger Gedankenbilder umgaukelte ihn. Der Schlapphut hatte zwar eine tüchtige Portion Nässe geschluckt ... nichtsdestoweniger kam der Herr Doctor sehr angeregt und aufgeräumt nach Hause. Lydia war ihm schauderhaft gleichgültig. –
Er fand einen Brief von seinem Bruder vor, welcher schrieb, daß er sich verlobt hätte. Adam las die nichtssagende, umständlich-unbeholfene Epistel flüchtig durch und warf sie in den Papierkorb. Was ... wer war ihm sein Bruder? Er hatte ihn seit Jahren nicht gesehen. Adam besaß so gar kein Talent, verwandtschaftliche Instinkte bei sich zu pflegen.
Aber noch ein Brief war angekommen: eine sehr liebenswürdige Einladung von Irmers für übermorgen Abend: »Zu einer Tasse Thee«. »Ah! So kommst Du also wieder einmal an die Reihe, geliebte Hedwig –« versetzte halblaut vor sich hin dieser Mensch, um den sich ... andere Menschen zu »reißen« schienen, »sieh da! das ist hübsch von Dir! ...« Ihr wechselt Euch fürwahr sehr nett ab, Kinder! »Lydia – Hedwig – Emmy – Emmy – Hedwig – Lydia – Hedwig – Lydia – Emmy –:[197] ganz annehmbar! Uebrigens – Emmy! Hm! Ich traue diesem Herrn von Bodenburg doch nicht recht – er wird doch ... wird doch keinen ... Unsinn machen mit meiner ›kleinen reizenden Frau‹ –? Zu dumm, daß Emmy ein so emancipatives Wesen ist – zu dumm!« Zum ersten Male war Adam so etwas wie eifersüchtig ... wie eifersüchtig auf die unvermeidlichen, anderen Liebhaber seiner »kleinen, reizenden Frau« ...
In der folgenden Nacht schlief er sehr unruhig. Er wachte öfter auf – und so oft er aufwachte, mußte er daran denken, daß dieser dumme Kerl von Referendar und seine Emmy jetzt wohl in süßem Minnespiel beieinander wären. Es war zum Rasendwerden.
»Wahrhaftig! Nächstens werde ich mich auch noch in die Hure verliebt haben ...« knurrte er einmal erbost vor sich hin. –
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