XV.

[324] – Und die Thür that sich auf. –

»Herr Doctor Irmer zu sprechen?« fragte Adam das Mädchen mit halblauter, stolpernder Stimme.

Das Gefühl beherrschte ihn ganz, daß er im nächsten Augenblicke vor seinem Richter stehen würde. Es war so altfränkisch, dieses anklagende, beängstigende Gefühl, Adam empörte sich auch ganz gewaltig gegen das Rudiment aus seinen Kindertagen, wie er es affektirt geringschätzig nannte, aber es war doch da, war doch in ihm, es ließ sich weder durch einen brutalen Gewaltakt des Willens noch durch ein logisches Raisonnement hinwegdisputiren. Adam hatte alles Selbstbewußtsein, alle Ueberlegenheit verloren. Er abstrahirte allerdings aus der Erinnerung, daß er seine ganze Sicherheit wiedergewinnen würde, sobald er erst mitten im Feuer stände und es zu starken Individualitätsreibungen gekommen wäre – er hatte diese seelische Erscheinung so oft schon an sich erlebt. Nur das Unklare, Ungewisse erregte ihn, wühlte ihn so auf, machte ihn so ängstlich und furchtsam. Seine Phantasie trieb Alles auf, zog sogleich die letzten Schlußfolgerungen, zeigte Alles von der unerträglichsten[325] Seite, malte Schwarz in Schwarz. Adam hatte auf dem Boden seiner Natur sehr bedeutende Neigungen für ein beschauliches Künstlerleben. Ader früh war er in allerlei Mißverhältnisse gerathen, die seinen anfangs ziemlich schwachen, nachher immermehr gewachsenen Widerspruch herausgefordert. Wenn es irgend anging, lebte er mit der Welt am Liebsten in Frieden, das heißt: hielt er sich diese feudale Welt zehn Schritt vom Leibe –: um damit den erforderlichen, günstigen Beobachtungsstandpunkt zu gewinnen, wie er sich mit liebenswürdiger Schalkhaftigkeit vorlog. Aber zugleich war doch in seine Natur ein heftiger, fahriger, unruhiger, widerspruchssüchtiger, bekehrungswüthiger Zug gekommen, der ihn immer wieder mitten in die Dinge hineinriß ... und mit der Zeit seiner ganzen Persönlichkeit immermehr etwas Herausforderndes, abweisend Kritisches, Aetzendes gegeben hatte. Ein gewisser Leichtsinn, dessen Keim Adam jedenfalls von seinem Vater ererbt; eine behende Sorglosigkeit ermöglichten es ihm dann öfter, eine Weile seelenvergnügt in Verhältnissen auszuhalten, die sehr unerquicklich und peinlich werden mußten, wenn sie sich zuspitzten. Adam war sich dieses unangenehmen Endes auch klar bewußt. Seine Phantasie war ja sehr werklustig und übertreibungskundig, sehr ausmalungsbeflissen. Aber er hielt es nicht der Mühe für werth, Versuche zu machen, um jenes unangenehme Ende abzuwenden oder, war das nicht möglich, wenigstens abzuschwächen. Er war nicht einmal im Stande, sich auf widerwärtige fünfte[326] Akte vorzubereiten, wenn sie durchaus unvermeidlich waren. Er ließ sie, öfter beinahe etwas wie Neugier und Gespanntheit in der Seele, getrost an sich herankommen. Dann fiel er ihnen zunächst zum Opfer, indem er, unmittelbar vor ihnen stehend, heftig zurückschrak. Schließlich wurde er mitten in einen solchen fünften Akt hineingeschoben ... und machte sich's mit der Zeit ganz bequem darin. Alle Widerstandskräfte wurden in ihm ausgelöst, er hatte sich allenthalben zu verantworten, zu vertheidigen, er mußte erklären und aufklären – und that das im vollen Bewußtsein seiner geistigen Fülle, Kraft und Ueberlegenheit. Er sah ja immer tiefer und schärfer, fühlte stärker und klarer, als alle die Kreaturen, die es für ihre Pflicht hielten, sich mit breitspuriger Wichtigthuerei an ihm abzuwursteln. Er lachte auf die Zwerge herab, mußte sich aber ihren läppischen Resultaten fügen ... so oft fügen ... wenn er eben auch die äußere Möglichkeit behalten wollte, ab und zu den Riesen zu spielen.

Nun stand Adam wieder einmal, in gewisser Hinsicht ein »unsicherer Kantonist«, vor einer Entscheidung. Sie war ihm überaus lästig und unbequem. Er bebte vor ihr zurück. Wer konnte wissen, welche Folgen diese Auseinandersetzung mit Hedwigs Vater für ihn haben würde! Wenn Alles sehr mißlich für ihn ablief – zu verwundern war's nicht. Gar nicht. Wenn er nur vorher wüßte, ob Irmer ihm recht aufgebracht entgegentreten würde! Geschähe das – nun! dann würde er schon zu antworten[327] wissen. Explosionen liebte Adam. Sie erleichtern so ... und bleiben in der Regel so hübsch in der ungefährlicheren Peripherie ... machen so oft den Kern einer Sache – einer »Schuld«, die gesühnt; einer »Sünde«, die gerächt werden soll – ganz vergessen. Explosionen sind sehr praktisch. –

»Ich weiß nicht, ob der Herr Doctor –« begann das Mädchen zögernd, beklommen. – Adam bemerkte unwillkürlich, daß sein Gegenüber recht bekümmert, wie starkverweint um die Augen herum, aussah. Es hatte so gar keine deutlicheren Farben im Gesicht.

»Ist er sehr leidend –? Dann könnte ich ja – wenn auch – – es wäre mir doch wichtig – –«

»Ja! Der Herr Doctor ist sehr leidend – er liegt zu Bett – er hat sich wieder hinlegen müssen – aber Sie kommen gewiß von wegen unseres Freileins – –«

»Ja! Ja! Nun machen Sie doch! Führen Sie mich an sein Bett – oder – Hedwig wartet – –«

»Hed ... Mein Gott! Dann kommen Sie nur! Aber ich wills doch lieber dem Herrn Doctor erst sagen – bitte treten Sie so lange ein –«

Und nun stand Adam wieder in dem Zimmer, in welchem er gestern Abend so Vieles erlebt hatte, was für ihn bedeutsam und entscheidend geworden war.

Dort an dem Fenster – nein! es war doch eigentlich zu närrisch! – dort hatte er sich seine ... seine Braut erobert. Es hatte ihn Mühe genug gekostet. Nun! Er hatte ja seinen Lohn dahin.[328] Er hatte erreicht, was er halb bewußt, halb unbewußt gewollt hatte.

Aber nein! Das konnte sich ja unmöglich Alles so ereignet haben, wie er da glaubte – das wäre ja der pure, blanke Wahnsinn gewesen –!

Quatsch! Seine Phantasie war wieder einmal mit ihm durchgegangen. Sie hatte doch sonderbare Passionen, diese merkwürdige Phantasie! Manchmal wurde sie ganz unheimlich. Diese Vexierspiele streiften schon an .... an – natürlich an Verrücktheit ...

Adam strich sich mit der Hand über Augen und Stirn. Und doch – aber nein! nein! Und noch zehntausendmal nein! Er wartete ja auf das gnädige Fräulein, dem er einen conventionellen Besuch ... eine ganz formelle, gleichgültige Visite machen wollte – na! die Prinzessin ließ ein Wenig lange auf sich – auf sich ... »warten« – nun könnte sie doch eigentlich ... nun könnte sie doch eigentlich kommen! Was dachte sie sich denn? Er stahl doch wahrhaftig seine Zeit nicht –

Adam fühlte sich arg beleidigt. Er wollte es ihr schon zu verstehen geben, dieser – –

Da öffnete sich die Thür und Doctor Irmer trat ins Zimmer, langsam, ganz langsam. Es machte ihm sichtbar Mühe, die Thür hinter sich nachzuziehen.

Adam starrte den Eintretenden wie eine räthselhafte, ganz unerklärliche Erscheinung an. Was war denn das? Nun sollte er sich auf einmal zwischen[329] Traum und Leben entscheiden. Was sollte er denn für Leben, was für Traum halten?

Unwillkürlich paßte Adam Auge, und Intellekt mehr und mehr dem Phänomen, das er da vor sich sah, an. Ob es nun Täuschung, ob es Wahrheit war – er kam schließlich doch so weit, daß er so ziemlich unverworren mit der Thatsache, die sich ihm grell aufdrängte, die er sich aber doch noch nicht ganz zu eigen machen konnte, rechnete

Irmer hielt sich den um ihn herumschlotternden Schlafrock in der Bauchgegend mit der linken Hand zusammen. Die ganze Gestalt war geknickt, gebrochen, überaus hülflos. Der Kopf hing auf die Brust herab, wie von der Klammer eines unwiderstehlichen Zwanges heruntergepreßt. Das Gesicht war bleich und welk, seine Furchen und Falten traten erschreckend scharf hervor. Das spärliche, mehr wasserfarbene als graublonde Haar stand in ungeordneten Büscheln auf dem Scheitel herum. Dazu müde, todte Augen und rothentzündete Lider.

»Herr Doctor« – – begann Adam leise, stockend, ganz rathlos ... und trat einen Schritt zur Seite.

Irmer nickte nur schwer mit dem Kopfe, ein Nicken wie das eines Blödsinnigen, der nicht wußte, was man von ihm wollte. Der schwerleidende Mann schlich quer durch das Zimmer nach der Ecke hin, wo sein Schreibtisch stand. Langsam ließ er sich in seinen breiten, wackeligen Sessel fallen.

»Sie kommen –« knüpfte er mit seiner müden,[330] amorphen, hökrig-verschleierten Windstimme an, nachdem er einige Male schwer, pfeifend geathmet hatte –

»Ich komme, Herr Doctor, um Ihnen Nachricht von Ihrer Tochter zu bringen – Hedwig ist bei mir – –«

»Ist – bei – Ihnen – so! So –!«

»Ja! Und nun verzeihen Sie uns, Herr Doctor – mir und meiner Braut –«

»Ihrer – Braut! Hm! Ja! – Ja! – Mein armes Kind –«

»Herr Doctor –!«

Adam athmete wie von einem schweren Drucke befreit auf. Gott sei Dank! Nun schien es doch zum offenen Kampfe kommen zu wollen. Da erhielt er ja unter Umständen Gelegenheit, seine ganze Dialektik zu entfalten. Nur sich nicht so wehrlos von halb verschwiegenen, halb angedeuteten Vorwürfen, von Anklagen, die tropfenweise durchsickern, martern lassen müssen – –

»Mein armes Kind! Sie haben es mir genommen – –«

»Ja! Ich weiß es. Und ich nehme auch alle Schuld auf mich. Ich werde zu sühnen versuchen, was ich verbrochen habe – wenn das, was ich gethan, wirklich ein Verbrechen war –«

Adam war trotzig geworden. Das schleppte sich so langsam hin. Die Flamme fraß sich so widerstrebenden Zahnes, wie störrisch-gelangweilt, unter der Oberfläche fort. Das war alles so neblig, so schleimig. Er mußte seinen Gegner durch eine Kühnheit, ja! durch eine – Unverschämtheit herausfordern, wenn[331] Schwung und Stil in diese vage Abrechnung kommen sollte.

Irmer hob seine linke Hand, die schielend und unbestimmt auf dem Schreibtische gelegen, schwerfällig in die Höhe und ließ sie schnell wieder niederfallen, als besäße er keine Macht mehr über Muskel und Gelenk. Dazu schüttelte er ein Wenig den Kopf, sagte aber weiter Nichts.

»– 's scheint Ihnen nichts daran zu liegen, Herr Doctor, daß wir uns näher aussprechen –« nahm Adam wieder das Wort, einen hochfahrenden Ton in der Stimme. »Ich hatte allerdings erwartet, daß – nun! vielleicht ist es besser, wenn wir einfach mit der vorliegenden Thatsache rechnen. Ich bin auch damit zufrieden. Die Frage ist jetzt also die, ob Sie gestatten, daß Hedwig so lange zu Ihnen zurückkehrt, bis ich in der Lage bin, sie als mein eheliches Weib ... – also ... meinetwegen –: heimzuführen ... Das kann noch eine Weile dauern – darüber können noch einige Monate hingehen – ich muß mir erst eine Situation schaffen, die mir erlaubt – –«

»Mein Kind! Mein Kind! Meine einzige Hoffnung – meinen einzigen Halt nehmen Sie mir, Herr Doctor ... haben Sie mir genommen ... was soll ich nun noch hier? Es ist ja Alles für mich vorbei – Alles werthlos geworden. Blut und Jugend sind stärker gewesen, als alle meine Einflüsse ... als alle Erfahrungen und Erkenntnisse, die ich Hedwig einzuflößen gesucht, durch die ich sie[332] mit der Zeit immermehr gefeit glaubte. Ich habe ja doppelt ... Doppeltes verloren. Ich mache Ihnen keinen Vorwurf. In dieser langen, schlaflosen Leidensnacht, die ich hinter mir habe – möge Ihnen das Schicksal solche Nächte ersparen, Herr Doctor! – in dieser Nacht ist mir auch wieder so Manches eingefallen, was Sie gestern Abend in unserem Gespräche geäußert ... da ist mir erst klar geworden, wie Sie Verschiedenes eigentlich gemeint haben. Vieles wird so verständlicher. Was zwischen Ihnen und meinem armen Kinde sonst noch vorgefallen ist – das mögen Sie vor sich selber verantworten ... beide ... gegenseitig. Ich will wenigstens versuchen, Herr Doctor, Ihnen zu vertrauen. Man urtheilt ja immer nur aus der Enge bestimmter, vorliegender Verhältnisse heraus. Wenn Hedwig von mir gehen will – und sie hats ja bewiesen, daß sie 's kann – – ich muß mein Kind ziehen lassen – ich habe nicht das Recht zu verlangen, daß es bei einer Ruine, die man nur studiren, aber nicht anbeten soll, wie Sie gestern Abend sagten, Herr Doctor – daß es da noch mehr verkümmern soll, als es vielleicht schon ist. Ich bin heute Nacht, als ich ... beim Ausbruch des Gewitters ... nach meiner Tochter rief – und sie nicht kam – und ich dann entdecken mußte, daß sie mich verlassen hatte – – – nachher dann – da habe ich – da kamen dann Stunden, wo ich um Vieles wieder menschlicher geworden bin, wenn ich so sagen darf ... Auch mein Trost in der[333] Philosophie – meine Gewißheit, durch philosophisches Denken und Anschauen erlöst zu sein, die Phänomene des Lebens überwunden zu haben, war wohl ein schwerer Irrthum, eine furchtbare Illusion, eine grausame Selbsttäuschung ... Es ist ja Alles nur Nervenanlage. Bion – Seneka – Spinoza – sie forderten – nichts Unnatürliches von ihrem Organismus, wenn sie entsagen wollten ... sie waren darauf gestimmt. Wir Modernen sind Stümper, Materialisten, Epikureer ... und wir bleiben es, mögen wir uns nun drehen und wenden, wie wir wollen. Wenn wir in späterem Alter auf Dieses und Jenes verzichten, so sind wir eben zu stumpf geworden, um es noch begehren zu können. Das hat Alles seine natürlichen, psychophysiologischen Gründe. Nun ich mein Kind verloren habe, bin ich ganz wehrlos geworden für's Leben. Und wenn Hedwig auch wieder zu mir zurück kehrte – ich habe doch das Gefühl eines ungeheueren Risses, der durch unser Verhältniß gegangen ist und der nicht zu heilen wäre. Um gegen Sie aufstehen zu können, Herr Doctor ... um Ihnen leidenschaftlich zürnen – mit Ihnen um mein verlorenes Kind kämpfen zu können – dazu bin ich zu müde und schwach geworden. Es ist nichts mehr mit mir. Ich habe keine Kraft mehr in Leib und Seele – – höchstens noch so viel, um diesem Jammer ein schnelles Ende machen zu können. Und so weit bin ich heruntergekommen, daß ich es nicht einmal mehr aus Liebe zum Tode, sondern nur aus Furcht vor dem Leben thun würde.[334] Das schmerzt auch. Noch ein anderer Grund kommt hinzu. Da ein Brief – ich soll – – aber das verliert ja dann auch seine Berechtigung, wenn – – es ist ganz gut, Herr Doctor, daß Sie sich Hedwigs annehmen ... Sie mögen sehen, wie Sie beide zusammen mit dem Leben fertig werden ...«

Irmer brach ab. Er hatte die letzten Sätze mit fast ganz unverständlich gewordener Stimme gesprochen, nur noch mühsam aus sich heraussickern lassen. Adam hatte mit aller Macht aufmerken müssen, um seinen ... Schwiegervater auch nur einigermaßen zu verstehen. Er war nun doch so etwas wie erschüttert und ergriffen. Zugleich aber auch skandalös verstimmt. Hm! Hatte er denn nicht, allerdings nur ganz im Stillen gehofft, daß es zu einem regelrechten Kampfe um Hedwig zwischen diesem Manne da und ihm kommen würde? – Und hatte er nicht die ... die teuflische Absicht gehabt, in diesem Kampfe – freiwillig zu unterliegen? Ja! Gewiß! Diese Absicht wäre teuflisch gewesen und ruchlos – warum auch nicht? – wenn er sie verwirklicht hätte. Aber er hätte sich in seiner sehr gefährlichen Situation kaum anders helfen können. »Liebte« er denn Hedwig? War ihr Besitz denn eine »Lebensfrage« für ihn? Scheibenschießen! Und nun war von einer ehrlichen Auseinandersetzung keine Rede. Der Herr da verzichtete, er begnügte sich mit einer Reihe sentimentaler Lamentationen und wehmüthiger Betrachtungen – und Adam sah sich durch die Zusammenknotung der Verhältnisse mit einem Male gezwungen, das Leben von einer Seite ernst zu nehmen, mit[335] der seine sublim vibrende Natur bis dahin nur gespielt; über die sie nur gespöttelt; die sie nur sehr aus der Entfernung herausgefordert hatte. Das war recht fatal. Aber andrerseits war es doch unmöglich, daß er jetzt plötzlich zurückhalte, andere Saiten aufzog und seinem liebenswürdigen, willfährigen Schwiegerpapa in ausführlicher Rede zu Gemüthe führte, daß es für beide Parteien wahrlich am Besten wäre, wenn er auf die Ehre, eben sein Schwiegerpapa zu werden, verzichtete – nicht? das war doch ganz unmöglich! Adam wurde dem alten, hülflosen, gebrochenen Manne ernstlich gram. Er schalt ihn den ärgsten Egoisten von der Welt. Denn wenn er nicht immer nur an sich und seine eigenen Schmerzen dachte, mußte er doch einsehen, daß eine Ehe ... und selbst nur eine auf längere Dauer gemünzte »wilde Ehe« ... zwischen seiner Tochter und diesem unzuverlässigen Weltkinde nach Allem, was dieses Weltkind mit naiver Offenheit über sich ausgeplaudert und verrathen hatte – wenn nicht eine direkte Unmöglichkeit, so doch mindestens eine Verrücktheit erster Güte sein würde ... ein Stückchen unglaublich geschickt inscenirter Unnatur! Aber das begriff der Mann nicht ... und Adam besaß nicht den Muth, es ihm klarzumachen. So blieb ihm vorläufig nichts weiter übrig, als in den sauern Hering zu beißen, der ja eine ganz vortreffliche Katerspeise abgeben soll. Aber vielleicht wollte und wußte das »Schicksal« doch noch eine andere Lösung dieses pikanten Problems. Es galt sich in Geduld zu fassen ... und zunächst in der Maske des beschränkten[336] Biedermanns weiterzutragiren. Aber zugleich verspürte Adam trotzdem ein gewisses Mitleid mit diesem Manne, dem er sein Kind genommen hatte ... ein Mitleid, das ihm allerdings sehr unbequem war. Denn ob es ihm auch nur mit leichtem, losem Geschnür die Gelenke umhing – es hemmte ihn doch, es destillirte ihm eine peinliche Unsicherheit ab, es nöthigte ihm eine tolpatschige Arroganz auf und machte sein Auftreten halb frei und hochfahrend-zwanglos, halb eckig, verlegen und beklommen.

»So gestatten Sie denn, Herr Doctor, daß Hedwig – –«

»Ja! Ja! Ich will mein Kind doch noch einmal wiedersehen, ehe – –«

»Es wird noch Alles gut werden –« versuchte Adam lauen Herzens zu trösten ... und fuhr dann lauter, bestimmter fort: »Und nun geben Sie mir die Hand – und lassen Sie mich die Ueberzeugung mitnehmen, daß Sie uns verziehen haben, Herr Doctor ... Und nehmen Sie in diesem Sinne Ihr Kind, meine Braut ... unsere Hedwig auf – Sie werden sehen: wenn ich erst der Dritte in Ihrem Bunde bin – das wird ein neues, sonniges Leben geben! . Und wenn Sie dann noch durchaus weitermachen wollen in Ihrer Entsagungsphilosophie – nun! dann helfe ich Ihnen dabei nach bestem Wissen und Gewissen, Herr Doctor –«

Adam lächelte. Er war zu Irmer hingetreten und streckte ihm, von heiß aufquellender Sympathie übermannt, seine beiden Hände zum Abschiedsgruße[337] entgegen. Langsam kam dieser mit den mageren, knochigen Fingern seiner rechten Hand herbei: einen Augenblick lagen die Hände ineinander. Ein zahmer, fleischloser Druck. Ueber Irmers dürre, furchige, rechte Backe lief flink wie ein Mäuslein eine kleine kugelrunde Thräne. – –

Adam sagte sich, daß er sich nach diesem unerquicklichen Speech wohl einen kleinen »Abschwiff« zur Aufbesserung seiner Stimmung gönnen dürfte. Hedwig erwartete ihn zwar. Aber was verschlug's! Ob ihr eine Viertelstunde früher oder später das bittersaure Chinin des Resultats eingelöffelt wurde – das war schließlich egal. Nein! Jetzt gleich die ganze Geschichte noch einmal von vorn bis hinten durchzukauen – das konnte kein Mensch von ihm verlangen ... das war entschieden grausamer, als neben einem Lastwagen hergehen müssen, der mit schmunzelnder Behaglichkeit über holpriges Pflaster durch eine stille Straße knarrt ...

Adam suchte absichtlich die prallbrütende Mittagssonne auf. Ach! Diese Glut war so wohlthuend! So ganz, so massiv, so angenehm prickelnd und discret durchbratend dabei! Der Herr Doctor hatte sein nervöses Frösteln immer noch nicht ganz überwunden.

Schließlich lief er in Café Cäsar ein. Er ließ sich eine Flasche Sodawasser und einen kleinen Cognac bringen und vertiefte sich in das leckere Literaturgetändel des Gil Blas. –

Und nun saß Adam wiederum auf der schreiend rothen Damastcauseuse neben seiner Hedwig und spielte mit den schlanken, weißen Fingern ihrer linken Hand.[338]

»Aber lange, Adam!« – hatte ihm Hedwig stockend und mit ängstlich-vorwurfsvollem Blicke entgegengerufen, als er endlich zur Thür hereingetreten war.

»Lange? – Ach nee! Ich komme direkt von Papa –«

»Und –?« Ein gepreßtes Athmen. Sodann, leise, beklommen: »Und verzeiht er mir, Adam –?«

Der warf seinen Hut auf den nächsten Stuhl und setzte sich zu seiner Braut.

»Natürlich, Kind! Und warum sollte er auch nicht? Papa ist vernünftig. Ich habe ihm erklärt, wie Alles gekommen ist. Gott! Mir erscheint die ganze Geschichte heute immens harmlos. Was haben wir denn weiter verbrochen! Ein paar kleine ... nun! meinetwegen ein paar pikante Fakta, die man sonst erst nach der Hochzeit zu erledigen pflegt – die haben wir schon in die Ouvertüre verlegt. – c'est tout! Dein Papa ist Sprachphilosoph genug, um das Wesen einer Prolepsis zu verstehen –«

»Ja! . Aber – –« meinte Hedwig ängstlich –

»Komm!« forderte Adam aus. »Ich will Dich hinbegleiten, Kind – Du bleibst noch eine kleine Weile bei Papa – wir haben schon Alles geordnet – nachher gründen wir uns ein eigenes Nest – nicht wahr? Ich werde schon einen tüchtigen Baumeister abgeben – paß auf –!«

Hedwig senkte den Kopf. Adam starrte gedankenabseits vor sich hin. Nun hob das Weib das Gesicht zu seinem Geliebten auf ... und viel Hingebung, Sanftmuth, natürliche Unterordnung,[339] guter Wille und viel zärtliches Flehen lag jetzt in den Zügen dieses bleichen, schmalen Gesichts.

Adam küßte sein Weib. –

Und er geleitete Hedwig zu ihrer Wohnung. Sie standen vor der Hausthür. Hedwig zögerte. Sie fürchtete sich jetzt am hellen, leuchtenden Tage vor den Räumen, die sie zum letzten Male in später, nächtiger Stunde betreten hätte. Und nachher oben ihr Vater – das erste Sich-Gegenüberstehen – die ersten Worte – –

Adam wurde ungeduldig. Er wußte ganz genau, was in Hedwig vorging. Aber Alles drängte in ihm danach, endlich einmal frei aufzuathmen. Immer und ewig Schleim und Leim und Angst, Kopfhängerei, Unsicherheit – zum Kuckuck – er hatte genug! So wurde er mitleidslos, fast brutal.

»Also adieu, mein Lieb! Und nun sei recht sanft zu Papa! Ich komme, wie gesagt, heute Abend ... spätestens morgen früh. Wir wollen uns jetzt recht oft sehen – nicht wahr –?«

»Ja! .« Hedwig seufzte tief auf. Die beiden trennten sich endlich. –

Als Adam die Straße hinunterschritt, warf er, unbekümmert um die verwunderten Gesichter der vorüberwandelnden Mittagsmenschen, seine Arme von sich und prüfte seine Muskeln. Er reckte und dehnte sich nach allen Seiten, knirschte sich gleichsam mit starkem körperlichem Wohlbehagen um seine eigene Axe herum. Hei! das war eine Lust! Und dieses Freiherausschnaufendürfen aus voller, tiefer Brust![340] Hei! das that wohl! Noch einmal so nachdrücklich setzte Adam seine Füße auf das Pflaster. Unwillkürlich horchte er an sich hernieder. Nein! Nein! Es klirrten da unten noch keine Ketten um seine Knöchel. Noch war er frei. Und er wollte frei bleiben. –

Er stand über Allen, die da an ihm vorübergingen. Er war nicht verpflichtet, ein Opfer ihrer lächerlichen Subalternmoral zu werden ... Nein! Bei Gott nicht! Er stand über Allen. Und darum, glaubte er, hätte er ein Recht zu seiner Freiheit.

Quelle:
Hermann Conradi: Adam Mensch. Leipzig [1889], S. 324-341.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Droste-Hülshoff, Annette von

Ledwina

Ledwina

Im Alter von 13 Jahren begann Annette von Droste-Hülshoff die Arbeit an dieser zarten, sinnlichen Novelle. Mit 28 legt sie sie zur Seite und lässt die Geschichte um Krankheit, Versehrung und Sterblichkeit unvollendet.

48 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon