Neunter Auftritt.

[14] DON RODRIGO.

Ich steh' erstarrt, ins tiefste Herz

von unverhofftem bitterm Weh betroffen,

elender Rächer so gerechter Sache,

so ungerechter Härte Gegenstand;

und es erliegt die schmerzensmatte Seele

dem tödlich schweren Schlage.

So nah war ich, mein Glück gekrönt zu sehn!

O Gott, welch herbes Leiden![14]

Schimpflich gekränkt mein Vater – und es ist

dein Vater, der ihn so gekränkt, Chimene!

In meinem Innern – welcher Kampf!

Die Liebe wird zum Gegner meiner Ehre,

den Vater muß ich rächen, die Geliebte

verlieren! Er schürt meinen Mut, und sie

hält meinen Arm. Verrat an meiner Liebe

oder ein ehrlos Leben

bleibt mir zum Wahl – und beides trag' ich nicht!

O Gott, welch herbes Leiden!

Soll ungestraft den Schimpf ich lassen? Soll

ich deinen Vater strafen, o Chimene?

Pflicht, hart und edel, holder Zwang!

O Vater! O Geliebte! Ehre! Liebe!

Tot alle Freuden – oder hin die Ehre –

Elend macht dies – jenes unwert des Lichts!

Grausame, teure Hoffnung meiner Seele

voll Mut, doch auch entflammt von Liebe,

du meines höchsten Glückes würd'ger Feind,

Stahl, Ursach' meiner Leiden,

gab, daß die Ehr' ich räche, man dich mir?

Oder daß mir durch dich geraubt Chimene?

Eh'r ziemt es, in den Tod zu gehn.

Ich schuld' es der Geliebten wie dem Vater.

Ihr Haß, ihr Zorn trifft mich, wenn ich mich räche –

verachten muß sie mich, räch' ich mich nicht!

Eins macht mich treulos meiner liebsten Hoffnung,

ihrer unwert das andre!

Mein Leiden wächst, da ich es heilen will;

alles vermehrt die Qualen!

Auf, meine Seele! Da ich sterben muß,

sterb' so ich, daß du nicht gekränkt, Chimene!

Sterben, bevor ich mich gerächt!

Solch Ende, tödlich meiner Ehre, suchen?

Dulden, daß Spanien mein Gedächtnis schmähe,

weil meines Hauses Ruhm ich schlecht gewahrt?[15]

Für eine Liebe, welche meine Seele

doch als verloren muß betrachten!

Hinweg Gedanke, der mich schmeichelnd lockt,

doch meinen Gram nur nährt!

Auf! Auf mein Arm! Rett mindestens die Ehre,

da ich dich doch verlieren muß, Chimene!

Ja, meine Seele war verirrt:

Dem Vater schuld' ich mehr wie der Geliebten,

und, ob im Kampfe, ob aus Gram ich sterbe,

rein, wie ich es empfing, fließ' hin mein Blut!

Schon schelt' ich mich, daß ich zu träg gewesen.

Zur Rache! Auf! Zur Rache!

Und, tief beschämt, daß ich also geschwankt,

mach' es mir keine Sorge,

daß, da mein Vater heut so schwer gekränkt,

der ihn gekränkt, dein Vater ist, Chimene!

Quelle:
Corneille, Pierre: Der Cid. Leipzig 1945, S. 14-16.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Cid
Three Masterpieces:
Le Cid and the Liar (Paperback) - Common
Le Cid (German Edition)
Le Cid
Der Cid

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