Neunter Auftritt.

[26] Don Ferdinand. Don Diego. Chimene. Don Sancho.


CHIMENE.

Sire! Gerechtigkeit!

DON DIEGO.

Hört uns, o Sire!

CHIMENE.

Seht mich im Staube!

DON DIEGO.

Eure Knie umfass' ich!

CHIMENE.

Ich fleh' um Recht!

DON DIEGO.

Vernehmt, was mich verteidigt!

CHIMENE.

Straft eines kühnen Jünglings Übermut!

Er warf die Stütze Eures Thrones nieder,

erschlug den Vater mir!

DON DIEGO.

Er rächt' den seinen!

CHIMENE.

Recht fordert Untertanenblut vom König!

DON DIEGO.

Gerechte Rache heischet keine Strafe.[26]

DON FERDINAND.

Steht beide auf, und sprecht mit Ruhe. Teilen

seht Eure tiefe Trauer mich, Chimene.

Mein Herz auch ist von gleichem Schmerz erfüllt.

Sprecht Ihr nachher; stört ihre Klagen nicht!

CHIMENE.

Mein Vater, Herr, ist tot. Ich sah sein Blut

sprudelnd aus seiner edlen Seite fließen;

dies Blut, das Eure Mauern oft beschützt,

dies Blut, das so viel Schlachten Euch gewonnen,

dies Blut, das, hingeströmt, von Zorn noch rauchte,

verspritzt sich seh'nd für andre statt für Euch,

das selbst der Krieg nicht wagte zu vergießen,

tränkt durch Rodrigo Eures Hofes Boden;

als Probestück raubt' sein unwürd'ger Frevel

solch feste Stütze Eurem Staate, nahm

die Zuversicht so Euren besten Kriegern

und richtete des Feindes Hoffnung auf!

Ich flog zum Kampfplatz – kraftlos – bleich – ich fand

ihn leblos! O verzeiht dem Schmerze, Sire,

mir fehlen für den traurigen Bericht

die Worte – mehr wohl sagen Seufzer, Tränen!

DON FERDINAND.

Mut, meine Tochter, wiss', daß jetzt dein König

statt seiner dir als Vater dienen will.

CHIMENE.

Dem Jammer folgt zu große Ehre, Sire.

Ich fand ihn leblos, sagt' ich, seine Seite

durchstochen, und, mich mächt'ger noch zu rühren,

schrieb mir sein Blut im Staub vor meine Pflicht.

Laut sprach zu mir sein Mut in solchem Zustand

durch seine Wunde – rief zur Rache, lieh',

der Könige Gerechtestem durch meinen

betrübten Mund verständlich hier zu werden,

sich meine Stimme! Sire, duldet nicht,

daß, wo Ihr herrscht, man solche Frechheit wage,

daß so die Tapfersten tollkühnen Streichen

straflos sei'n ausgesetzt; verwegne Jugend

besiege ihren Ruhm, in ihrem Blut[27]

sich bade und ihr Angedenken schmähe!

Ein Held, wie der, den man Euch nahm, erstickt,

wenn nicht gerächt, für Euch den Diensteseifer,

kurz, Rache will ich für des Vaters Tod,

mehr Euretwegen als für mich zur Lindrung.

In ihm verlort Ihr Großes durch den Tod;

rächt ihn durch eines andern, Blut durch Blut!

Opfert – für mich nicht – doch für Eure Krone,

für Eure Macht, für Euch und für das Wohl

des Staates, sag' ich, opfert alle, Sire,

die solche Freveltat mit Stolz erfüllt!

DON FERDINAND.

Verteidigt Euch, Don Diego!

DON DIEGO.

Zu beneiden

ist, wer das Leben mit der Kraft verliert,

denn welch unselig Los schafft tapfern Männern

an ihrer Laufbahn Schluß ein hohes Alter!

Ich, dessen langes Wirken voller Ruhm,

ich, dem einst Sieg auf allen Schritten folgte,

ich seh' mich heut, weil ich zu lang gelebt,

beschimpft und überwunden! Was kein Kampf,

kein Sturm, kein Hinterhalt jemals vermochte,

was Arragonien nicht, noch Granada,

noch Eure Feinde oder meine Neider

vermocht, erzielt an Eurem Hof der Graf,

fast Euch vor Augen, nur aus Eifersucht

ob Eurer Wahl, stolz auf den Vorteil, welchen

ihm meines Alters Ohnmacht gönnte. Sire,

so stiegen dies im Helm gebleichte Haar,

dies Blut, so oft in Eurem Dienst vergossen,

der Arm, des Feindesheeres Schrecken einst,

beschimpft ins Grab, lebt' mir kein Sohn, mein würdig

und würdig seines Landes, seines Königs.

Er lieh mir seine Hand, erstach den Grafen,

stellt meine Ehre her, wusch ab die Schmach.

Wenn Mut und Zorn zu zeigen, einen Schlag

zu rächen, strafenswert, so treffe mich

der Wetterstrahl; man zücht'ge, weil der Arm[28]

gefehlt, das Haupt dafür. Ob es Verbrechen,

ob nicht, weshalb wir streiten, ich, mein König,

ich bin das Haupt – er ist der Arm nur. Klagt,

daß er den Vater ihr erschlug, Chimene –

er hätt' es nie getan, wenn ich's gekonnt!

Nehmt drum dies Haupt, das bald ein Raub der Jahre,

und wahrt den Arm Euch, der zum Dienst noch nützt;

ja, stellt Chimene durch mein Blut zufrieden:

Ich widerstrebe nicht, duld' gern die Strafe,

und, fern zu murren, ob zu strengem Spruch,

sterb' klaglos ich, weil unentehrt ich sterbe.

DON FERDINAND.

Sehr wichtig ist die Sache und verdient,

daß man im Großen Rat sie wohl erwäge.

Don Sancho, führt Chimene jetzt nach Hause!

Don Diego dien' mein Hof, so wie sein Wort

als Haft. Man ruf' den Sohn! Recht soll Euch werden!

CHIMENE.

Gerecht ist's, König, daß ein Mörder stirbt!

DON FERDINAND.

Besänft'ge deinen Schmerz, sei ruhig, Tochter.

CHIMENE.

Mir Ruh' gebieten, heißt mein Unglück mehren!

Quelle:
Corneille, Pierre: Der Cid. Leipzig 1945, S. 26-29.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Cid
Three Masterpieces:
Le Cid and the Liar (Paperback) - Common
Le Cid (German Edition)
Le Cid
Der Cid

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