[31] Chimene. Elvira.
CHIMENE.
So bin ich endlich denn befreit und kann
dir meines Schmerzes Ausbruch zwanglos zeigen,
kann meinen Seufzern freien Lauf gestatten,
mein Herz – all meinen Jammer dir eröffnen!
Tot ist mein Vater, und sein Lebensfaden
ward durch das erste Schwert, mit dem Rodrigo
sich waffnete, zerschnitten! Augen, weint!
Zerfließt in Tränen! Meines Lebens Hälfte
stieß ja ins Grab die andre Hälfte, zwingt mich,
die hin ist, an der, die mir blieb, zu rächen!
ELVIRA.
O gönnt Euch Ruh', Senhora!
CHIMENE.
Ach! Zur Unzeit
sprichst du in solchem Mißgeschick von Ruhe!
Was mildert jemals meinen Schmerz, wenn ich
die Hand nicht hassen kann, die ihn verschuldet,
und was darf ich, als ew'ge Qualen, hoffen,
verfolg' ich eine Schuld und lieb' den Schuld'gen!
ELVIRA.
Ihr liebt ihn noch, der Euch den Vater raubte?
CHIMENE.
Ihn lieben! Ich vergöttre ihn, Elvira![31]
Die Leidenschaft liegt mit dem Groll im Streit.
Ich find' den Feind in dem Geliebten – fühle,
wie, meinem Zorn zum Trotz, in meinem Herzen
Rodrigo noch mit meinem Vater kämpft.
Er greift ihn an – bedrängt ihn – weicht – verteidigt
bald heftig sich, bald schwach, bald siegreich – aber
des Zorns, der Liebe harter Kampf zerreißt
mein Herz wohl – doch erweicht nicht meine Seele.
Und welche Macht auch Liebe auf mich ausübt,
ich frag' sie nicht, gilt es der Pflicht zu folgen,
gehorch' der Ehre Mahnung – schwanke nicht!
Rodrigo ist mir wert, sein Los betrübt mich;
mein Herz spricht laut für ihn, allein ich weiß
wohl, wer ich bin – und daß mein Vater tot.
ELVIRA.
So wollt Ihr ihn verfolgen?
CHIMENE.
Grausam ist's
zu denken – grausam, ihn verfolgen müssen!
Ich will sein Haupt und fürcht' es zu erhalten;
mein Tod folgt seinem – und ich muß ihn strafen!
ELVIRA.
Gebt diesen düstern Vorsatz auf, Senhora,
erlegt Euch solch ein hart Gebot nicht auf!
CHIMENE.
Wie! Starb in meinen Armen doch mein Vater,
schrie Rache doch sein Blut, und ich – ich sollt' es
nicht hören! Sollt', schmachvoll von anderm Zauber
bestrickt, ihm armselige Tränen nur
zu schulden glauben? Dulden, daß die Liebe
durch Schweigen meine Ehre feig ersticke?
ELVIRA.
Glaubt mir, solch seltnen Mann Euch zu erhalten,
den Ihr so liebt, Senhora, wär' verzeihlich.
Ihr spracht zum König – das genügt. Beeilt
die Folgen des Gesprächs nicht allzusehr,
und wahrt so streng nicht diese finstre Stimmung.
CHIMENE.
Ich muß mich rächen, es gilt meine Ehre;
und lockt auch Liebe schmeichelnd, großen Seelen
gilt jede Ausflucht stets als tiefe Schmach.
ELVIRA.
Ihr liebt Rodrigo, könnt ihn niemals hassen.
CHIMENE.
Ich geb' es zu.[32]
ELVIRA.
Was denn wollt Ihr beginnen?
CHIMENE.
Die Ehre wahrn – mein Leiden enden – ihn
verfolgen – ihn verderben – nach ihm sterben.
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