Fünfter Auftritt.

[57] Chimene. Elvira.


CHIMENE.

Was leid' ich, und – wie bin ich zu beklagen!

Nur hoffen kann ich, und befürchte alles.

Kein Wunsch regt sich, den ich zu bill'gen wage,[57]

und nichts erfleh' ich, was ich nicht bereu'!

Zwei Nebenbuhler waffnet' ich für mich –

Der glücklichste Erfolg verheißt mir Tränen –

Denn ist – wenn hold das Schicksal – ungerächt doch

mein Vater – oder mein Geliebter tot!

ELVIRA.

In beiden Fällen seh' ich Euch befriedigt.

Ihr habt Rodrigo oder seid gerächt,

und was Euch das Geschick auch bringt – es wahrt Euch

die Ehre oder schenkt Euch einen Gatten.

CHIMENE.

Wie! Einen, der mir Haß weckt oder Zorn!

Rodrigos oder meines Vaters Mörder!

In beiden Fällen würd' mir ein Gemahl,

gefärbt mit Blut, das mir das liebste war.

In beiden Fällen schaudert meine Seele,

mehr wie den Tod, fürcht' ich des Kampfes Ausgang!

Schweigt Rache, Liebe, die mein Herz durchwogen,

um solchen Preis seid Ihr nicht süß für mich!

Und du, allmächt'ger Urheber des Loses,

das tief mich beugt', end ohn' Erfolg den Zweikampf,

keiner von beiden sei besiegt noch Sieger!

ELVIRA.

Das wär' zu hart für Euch. Nur neue Qual

würd' dieser Kampf Euch bringen, ließ er ferner

Euch noch verpflichtet, Recht zu fordern; stets

noch diesen stolzen Groll zu zeigen und

Eures Geliebten Tod stets zu erstreben!

Weit besser, wenn sein Heldenmut, umkränzend

sein Haupt, Euch schweigen machte, Eure Seufzer

das Kampfgesetz erstickte und der König

Euch zwänge, Euren Wünschen nachzugeben.

CHIMENE.

Glaubst du, ich füg' mich, wenn er siegt? Zu mächtig

ist meine Pflicht und mein Verlust zu groß!

Und Kampfgesetz nicht, noch des Königs Wille,

vermögen ihre Mahnung zu betäuben.

Er kann Don Sancho mühlos überwinden,

doch nicht mit ihm zugleich Chimenens Ehre,[58]

und, was ein Herrscher für den Sieg verhieß,

mein Stolz erweckt ihm tausend neue Feinde.

ELVIRA.

Wahrt Euch, daß nicht zur Strafe dieses Stolzes,

der Himmel doch zuläßt, daß man Euch rächt.

Wie! Weist Ihr noch das Glück zurück, das endlich

zu schweigen Eurer Ehre jetzt erlaubt?

Was fordert ihre Pflicht? Was hofft sie? Gibt

Euch des Geliebten Tod der Vater wieder?

Genügt ein Unglück Euch nicht? Muß Verlust

denn auf Verlust und Schmerz auf Schmerz sich häufen?

Geht! Ihr verdient in Eures Grolles Starrsinn

nicht den Geliebten, den man Euch bestimmt,

und der gerechte Zorn des Himmels wird

durch seinen Tod Don Sancho Euch vermählen.

CHIMENE.

Duld' ich doch schon genug der Qual, Elvira,

mehr sie durch solchen düstern Ausspruch nicht!

Ich will – kann ich – sie beide fliehn, wenngleich

in diesem Kampf ich für Rodrigo bete.

Nicht, weil mich töricht Leidenschaft ihm neigt,

doch ich gehört', würd' er besiegt, Don Sancho –

Nur diese Furcht erzeugte meinen Wunsch.

Was seh' ich? Ärmste! O es ist geschehen!


Quelle:
Corneille, Pierre: Der Cid. Leipzig 1945, S. 57-59.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Cid
Three Masterpieces:
Le Cid and the Liar (Paperback) - Common
Le Cid (German Edition)
Le Cid
Der Cid

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Fantasiestücke in Callots Manier

Fantasiestücke in Callots Manier

Als E.T.A. Hoffmann 1813 in Bamberg Arbeiten des französischen Kupferstechers Jacques Callot sieht, fühlt er sich unmittelbar hingezogen zu diesen »sonderbaren, fantastischen Blättern« und widmet ihrem Schöpfer die einleitende Hommage seiner ersten Buchveröffentlichung, mit der ihm 1814 der Durchbruch als Dichter gelingt. Enthalten sind u.a. diese Erzählungen: Ritter Gluck, Don Juan, Nachricht von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza, Der Magnetiseur, Der goldne Topf, Die Abenteuer der Silvester-Nacht

282 Seiten, 13.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon