Siebenter Auftritt.

[60] Don Ferdinand. Don Diego. Don Arias. Don Sancho. Don Alonso. Chimene. Elvira.


CHIMENE.

Sire, nicht brauch' ich ferner zu verbergen,

was ich trotz aller Müh' nicht konnt' verhehlen:

Ihr wißt, ich liebte, doch, um meinen Vater

zu rächen, fordert' ich ein teures Haupt,

und Eure Majestät selbst konnte sehn,

wie meine Liebe ich der Pflicht geopfert;

doch starb Rodrigo, und sein Tod verwandelt

die Feindin in die trauernde Geliebte.

Ich war dem Vater diese Rache schuldig,

und schuld' jetzt meiner Liebe diese Tränen.

Kämpfend für mich, macht elend mich Don Sancho,

und ich bin Lohn des, der mein Elend schuf!

Sire, ich bitt' Euch, widerruft! – kennt Mitleid

ein König – solch ein hart Gebot! Als Preis

des Siegs, wodurch mein Liebstes ich verloren,

lass' ich mein Gut ihm – lass' er mich mir selbst,

daß ich in Klostermauern meinen Vater

und den Geliebten ewig kann beweinen.

DON DIEGO.

Sire, sie liebt und hält nicht mehr für Sünde,

rechtmäß'ge Liebe offen zu gestehn.[60]

DON FERDINAND.

Chimene, dein Geliebter ist nicht tot;

Don Sancho, der besiegt, bracht' falsche Kunde.

DON SANCHO.

Sire, nicht vorsätzlich täuschte sie mein Eifer;

ich wollt' des Kampfes Ausgang ihr berichten.

Der edle Krieger, dem ihr Herz gehört,

sprach, als er mich entwaffnet: »Fürchte nichts;

eh'r ließ den Sieg ich ungewiß, eh' ich

das Blut, das sich Chimenen weiht', vergösse;

doch da mich Pflicht zum König ruft, geh du

statt meiner, ihr von diesem Kampf zu sagen,

und bring das Schwert des Siegers ihr.« Ich kam,

und dieser Umstand täuschte sie, denn, weil

ich wiederkehrte, glaubte sie mich Sieger,

und schnell verriet ihr Zorn laut ihre Liebe,

mit solcher Ungeduld und Heftigkeit,

daß ich unmöglich konnt' Gehör erlangen.

Doch preis' ich mich, wenngleich besiegt, noch glücklich

und freu' mich, büßt mein liebentflammtes Herz

sehr viel auch ein, doch meiner Niederlage,

die solcher edlen Liebe Glück verschönt.

DON FERDINAND.

Erröte nicht ob deiner schönen Neigung,

noch such sie zu verleugnen, meine Tochter;

fruchtlos treibt edle Scham dazu dich an.

Genügt hast du der Ehre, deine Pflichten

erfüllt, versöhnt den Vater, denn du gabst

so oft Rodrigo preis, um ihn zu rächen.

Anders fügt es der Himmel! Da für ihn

so viel du tatst, tu etwas auch für dich,

und sträube dich nicht gegen meinen Willen,

der dir einen geliebten Gatten schenkt.


Quelle:
Corneille, Pierre: Der Cid. Leipzig 1945, S. 60-61.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Cid
Three Masterpieces:
Le Cid and the Liar (Paperback) - Common
Le Cid (German Edition)
Le Cid
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