Achtes Kapitel:

Rache der Kukumer. Rückkehr ins Schloß.

Was man daselbst vernimmt

[44] Die Trauung sollte eben vollzogen werden, als man dem Prinzen meldete: Die Alte, die er so mißhandelt habe, erbäte sich's zur Gnade und als Vergütung des ihr zugefügten[44] Schadens, in den Tempel zu kommen und der Zeremonie beiwohnen zu dürfen. Er erlaubte dies um so eher, da er willens war, sich wegen des Vorgefallenen bei ihr zu entschuldigen.

Nachdem Saugrenutio dem Großen Affen sehr andächtig ein Rauchopfer gebracht hatte, fing er an, einen Lobpsalm anzustimmen und öffnete, ohne daran zu denken, den Mund so weit, daß Tanzai, der noch immer mit seinem Auftrage beschäftigt war, glaubte, er könne nie eine schönere Gelegenheit finden, ihm den Schaumlöffel hinunterzustoßen. Auch würde es ihm bei dem Enthusiasmus, worin sich der Oberpriester befand, gelungen sein, hätte nicht die Alte in dem Augenblick, da der Stiel fast auf seinen Lippen war, so heftig zu niesen angefangen, daß Saugrenutio aus seiner Ekstase zu sich kam und den üblen Streich gewahr ward, den ihm der Prinz spielen wollte. Um ein Haar hätte er die Zeremonie abgebrochen und die Versammlung auseinander gehen lassen. Doch glaubte er, der Prinz sei dadurch genug gestraft, seine Absicht gescheitert zu sehen, und so entschloß er sich, die Trauung zu beenden.

Er sprach mithin die heiligen Worte laut und ohne scheinbare Verwandlung des Gesichts aus. Die Alte hatte während der Zeit mit leiser Stimme einige barbarische Worte vorgebracht. Kaum hatte Saugrenutio die Trauformel nachgesprochen, als jene sich behende in die Luft schwang und dem Prinzen sowohl als Neadarne ins Gesicht spie: Erinnre dich auf immer deines Schaumlöffels, und winsle beständig über die Rache der Fee Kukumer! – Mit diesen Worten verlor sie sich aus den Augen der Zuschauer. Alle erschraken ob diesem Wunder. Neadarne war einer Ohnmacht nahe. Tanzai, als ein ziemlich schlechter Naturkundiger, behauptete, daß die Alte durch Künste verschwunden sei, die gar nicht übernatürlich wären; und was sie von ihrer Rache gesagt habe, darüber brauche man nicht zu erschrecken,[45] weil weder die Prinzessin noch er Merkmale davon verspürten.

Man stellte sich, als wäre man davon überzeugt; allein der König selbst war höchst betroffen, weniger über die Drohungen der Fee als darüber, daß der Große Affe die ganze Zeit über, als man vor dem Altar gestanden, sich unablässig in den Schwanz gebissen und die linke Lende gekraut hatte.

Man verließ den Tempel. Der Prinz schickte sofort nach dem Logis der Russa, um zu wissen, ob die Alte nach demselben zurückgekehrt wäre. Da vernahm er, daß man sie, gleich als sie aus dem Tempel verschwunden sei, auf einem Wagen, von zwei Schnecken gezogen, bei der Russa habe anlangen sehen. Dies Fuhrwerk, mit erstaunlicher Schnelligkeit durch die Lüfte geflogen, habe sich über dem Logis der Prinzessin niedergesenkt; die Alte habe letztere entführt, und sie wären alle beide verschwunden.

Diese Flucht ging dem König sehr zu Herzen. Er hatte sich geschmeichelt, die Schwarzkünstlerin so lange festzuhalten, bis sie den Zauber aufgehoben hätte, womit sie vermutlich die Neuvermählten belegt habe. Inzwischen ließ er sich von dem, was er hierüber dachte, nichts merken, aus Besorgnis, daß so traurige Mutmaßungen vollends die Freuden eines so erhabenen Festes stören möchten.

Ganz voll von seiner Liebe, nahm Tanzai an der Unruhe seines Vaters wenig teil. Er beobachtete seine teure Neadarne mit jenem feurigen Verlangen, welches die Aussicht, bald glücklich zu sein, einflößte. Die Prinzessin hörte ihm in stiller Bescheidenheit zu, war aber zerstreut, denn sie schien sich mit wichtigen Dingen zu beschäftigen. Aber, Prinzessin, fragte er sie endlich, was macht Euch so nachdenklich? – Ich weiß nicht, ob ich es Euch sagen darf, entgegnete sie. – Sollte meine Besorgnis wohl wahr sein, fuhr er fort, solltet Ihr mir mit Widerwillen Eure Hand gegeben[46] haben? Ach! rief er, indem er sie zärtlich küßte, entledigt mich meiner Besorgnis. Sagt mir, daß Ihr mich noch immer liebt! Wenn Ihr mich dessen nicht ferner versichert, so glaub ich es ferner nicht. Entdeckt mir wenigstens, woran Ihr jetzt denkt.

Es ist schwer zu sagen, versetzte sie. Ich begehre mehr, als ich denke, fügte sie errötend hinzu. Meine Schamhaftigkeit wird durch Eure feurigen Äußerungen beunruhigt und will sich dagegen empören. Um dem Kampf ein Ende zu machen, wünscht ich, daß die Götter diesen Tag verkürzen möchten. Ihr sprecht und ich bewundere. Ich seh Euch an und seufze. Ihr rührt mich an und mein Herz wird beklommen. Der Kuß, den Ihr eben auf meine Hand gedrückt, ist mir bis in die Seele gedrungen. Wenn die Heftigkeit Eurer Begierden Eure Lippen den meinigen nähert, fliegt mein ganzes Herz dahin, ein süßer Schauer bemächtigt sich meiner Sinne und wirft sie durcheinander. Ach Prinz, ach einzige Wonne meines Lebens, gibt es noch größere Wonnen als die, oh! wie kann man sie ertragen, ohne zu sterben? – Ob es noch größere gibt, Beherrscherin meiner Seele? rief er. Ach! Könnt Ihr das nicht an Euren eigenen Begierden merken? Findet Ihr den Beweis nicht in den meinigen?

Es läßt sich schwer bestimmen, was diese Unterredung für ein Ende genommen haben würde, wenn man nicht verkündet hätte, daß es Zeit zur Tafel sei. Tanzai, der lieber die Glocke der Mitternacht als die zum Mittagsessen hätte schlagen hören, begab sich gleichwohl in den Eßsaal, in der Hoffnung, den Oberpriester auf andere Gedanken zu bringen. Letzterer mußte sich zur Tafel einfinden; und wiewohl er bei gegenwärtiger Lage der Dinge darauf rechnen konnte, nicht sehr gut bei Hofe angeschrieben zu sein, so dachte er doch, daß es ihm als einem geschickten Staatsmanne zukäme, seine Entrüstung und Lust, sich zu rächen, zu verhehlen. Der Prinz, der entschlossen war, ihn womöglich[47] durch Güte zu gewinnen, fragte ihn freundschaftlich, als er ihm im Salon begegnete, ob er durch seine Unnachgiebigkeit ihn lebenslang unglücklich machen wollte?

Prinz, versetzte Saugrenutio, ich kann Euch weiter nichts sagen, als was ich Euch schon gesagt habe, daß, außer der damit verknüpften Unschicklichkeit, der Stiel dieses Löffels so dick ist, daß ich nie imstande sein werde, Euch Gehorsam zu leisten. – Das also ist Euer von Euch so oft beteuerter Diensteifer für mich! entgegnete der Prinz. Treuloser Untertan!

Nur keine Schmähungen! versetzte der Priester. Das wird nicht verfangen. Meine Ehrerbietung gegen Euch ist tief; meine Anhänglichkeit aufrichtig; meine Gesinnung rein; allein ich habe nicht geschworen, das Opfer weder von diesen noch von jenen zu werden. Als ich Gehorsam angelobte, war nicht die Rede von einem Schaumlöffel.

Und dennoch sollt Ihr gehorchen, Verräter, rief Tanzai zornentflammt. Ihr sollt gehorchen, setzte er hinzu und ergriff ihn beim Arm. – Ich tue es bei meiner Seele nicht! Ihro Hoheit, rief Saugrenutio. Gewalt wird hier so wenig nützen als Bitten.

Sosehr der Priester sich auch sträubte, so hatte dennoch der Prinz, der stärker war, ihm jenen Unglücksstiel bereits an den Mund gebracht, als der König auf den Lärm hin herbeilief und seinem Sohn vorstellte, daß die Fee ihm ja verboten habe, Gewalt zu gebrauchen, und daß er sich durch die gewaltsame Behandlung des Oberpriesters verhaßt, aber um nichts glücklicher machen würde. Saugrenutio konnte den Göttern danken, daß der König dazugekommen war. Der Prinz ließ ihn fahren und schwur, nicht mehr daran zu denken.

Saugrenutio, wieder beruhigt, setzte sich zur Tafel, sprach das Benedicite über die darauf befindlichen Gerichte, und Freude begann in den Herzen aller aufzuleben. Tanzai[48] aber, der sein Vorhaben nicht aus den Augen verloren hatte und gewiß war, es bewerkstelligen zu können, wenn Saugrenutio sich so berauschte – was ihm oft begegnete –, daß er über der Tafel einschliefe, sorgte dafür, daß ihm mehr Wein eingeschenkt wurde, als die Hälfte der Gäste hätte zu sich nehmen können. Allein diese Vorsicht war vergebens. Saugrenutio aß, sang, trank, plauderte und – ward nicht betrunken.

Endlich wurde die Tafel aufgehoben, und der Rest des Tages verstrich unter den Lustbarkeiten, welche fürstliche Beiläger gemeiniglich zu begleiten pflegen. Wie langweilig waren sie nicht für Tanzai! Wie oft sehnte er sich nach ihrem Ende! Wie lang schien ihm nicht die Komödie, die er gleichwohl selbst veranstaltet hatte. Wie ungern ging er zur Abendtafel. Neadarne, die ihn unablässig ansah, teilte seine Ungeduld. Der König trug aus Unbedacht seinem Sohn an, dem Balle beizuwohnen, allein Tanzai, dem alles zuwider war, nahm die Prinzessin bei der Hand, wünschte dem Cephaes gute Nacht und verfügte sich in seine Gemächer.

Quelle:
Claude Prosper Jolyot Crébillon: Der Schaumlöffel. Leipzig 1980, S. 44-49.
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