Zwölftes Kapitel:

Orakel des Affen. Abreise des Prinzen

[58] Das Unglück des Prinzen war eine zu treffliche Weide für Saugrenutios Rachgier, als daß er daraus keinen Nutzen gezogen hätte. Da es bei ihm stand, die Aussprüche des Affen zu schmieden oder sie wenigstens nach seinem Gutdünken auszulegen, beschloß er die Gelegenheit zu nutzen. Dieser Entschluß verriet nichts weniger als ein mitleidiges Herz;[58] allein Saugrenutio war im Angesicht eines ganzen Volkes beleidigt, aufs bitterste beschimpft worden; und um sich dafür mit mindern Gewissensbissen zu rächen, hatte er den Affen bei dem ihm widerfahrenen Schimpf zur Hälfte interessiert. Nicht mehr verfolgte er den Prinzen, sondern die Gottheit, die, ruhig und demütig verehrt in ihrem Tempel, sich im Grunde wenig um die Verdrießlichkeiten bekümmerte, die ihren Priestern widerfuhren. Saugrenutio war bereits in das Heiligtum des Tempels getreten, sehr verlegen über die Wendung, die er dem Orakel geben sollte, als ihm die Fee Kukumer erschien: Ich teile Deine Rachgier, sagte sie zu ihm. Wir haben beide einerlei Schmach zu ahnden. Sei unbesorgt; ich selbst will den Orakelspruch abfassen. Verlaß Dich auf meinen Schutz. Ich räche Dich, Priester. – Saugrenutio, so andächtig er war, dankte der Kukumer aufs herzlichste und war eben im Begriff, sie wegen ihres guten Herzens zu preisen, als der König in den Tempel trat. Sogleich brachte der Priester dem Affen das Rauchopfer und fragte ihn ganz laut, was der Prinz tun solle? Kukumer, den Augen aller unsichtbar, sprach, scheinbar durch den Mund des Affen, folgende Worte: Er gehe, reise, schlafe, komme wieder.

Der König gab sich vergebliche Mühe, dies Rätsel zu enthüllen, es ging ihm wie zuvor; er eilte, diesen Ausspruch dem Prinzen zu bringen, der, immer mit seiner Bezauberung beschäftigt, Neadarne umsonst ermüdete. Was will dies Orakel sagen? fragte Tanzai, nachdem er es vernommen hatte. – Ich verstehe es nur zu gut, sagte Neadarne. Wollten doch die grausamen Götter geben, daß es mir so dunkel wäre als Euch. – Und worüber ängstigt Ihr Euch, Prinzessin? entgegnete Tanzai. – Zuerst, sagte sie, will das Orakel, daß Ihr mich verlassen sollt; das ist nicht das einzige Unglück, das meine Liebe bekümmert. Ihr sollt auch unterwegs schlafen ...[59]

Neadarne, rief der Prinz, kannst du wohl in dem Zustand, worin ich bin, diese Besorgnis hegen? Du weinst, da das Schicksal mir ein Mittel anzeigt, unserem Unglück ein Ende zu machen? Du befürchtest, ich möchte treubrüchig gegen dich werden? Denkst du, daß ich dich vergessen könnte, selbst wenn man die Göttin der Liebe mir anböte; daß Neigung mich in ihre Arme führen, daß nicht dein Bild mir vorschweben würde und daß ich ohne diese holde Phantasie wieder genesen könnte?

Neadarne weinte und schwieg. Der Prinz, so gerührt er von ihren Tränen auch war, gab dennoch Befehl zu seiner Abreise. Nach den zärtlichsten Umarmungen und den lebhaftesten Versicherungen unverbrüchlicher Treue und der schnellsten Rückkehr verließ er ganz allein und zu Pferde den Palast. Sein Schaumlöffel machte ihm beim Reiten nicht wenig Verlegenheit; endlich gelang es ihm, denselben seinem Rosse zwischen die Ohren zu legen. Vor seiner Abreise hatte er seinen Vater nochmals gebeten, die Stände und die Geistlichkeit seines Reiches zu versammeln, um Saugrenutio zum Schaumlöffel zu verdammen, im Fall er davon befreit würde.

Quelle:
Claude Prosper Jolyot Crébillon: Der Schaumlöffel. Leipzig 1980, S. 58-60.
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