Fünfzehntes Kapitel:

Wie man sich oft in seinem Wahne täuscht

[67] In diesem Augenblick meldete man dem Prinzen, daß seine Göttin ihn bald empfangen würde. Bei dieser Nachricht kam sein Herz in Wallung; Neugier und ein noch lebhafteres Gefühl setzten es in Aufruhr. Er ließ sich von den Käuzlein auskleiden, ohne ein Wort hervorzubringen. Nachdem sie ihm einen Schlafrock angelegt hatten, führten sie ihn in ein prächtiges Gemach, wo die köstlichsten Spezereien, die in goldenen Räucherpfannen brannten, die Luft durchdufteten und die wollüstigsten Aromen verbreiteten. Voller[67] Unruhe und Begierden kam er, nachdem er durch fünf oder sechs große Räume gegangen war, endlich in das Schlafzimmer, wo die Göttin lag. Ein mit reichsten Edelsteinen und Rubinsäulen geschmücktes Bett barg dieses wunderreiche Wesen.

Den Prinzen blendete und fesselte anfänglich ein so glänzendes Schauspiel, indes unterließ er doch nicht, jenes so gepriesene Meisterstück endlich mit den Augen zu suchen. Er sah von weitem sich etwas im Bett bewegen, das war aber ein so ungestaltes Geschöpf, daß er nicht zweifelte, es müsse die Meerkatze der Göttin sein. Er näherte sich, das Käuzlein verließ ihn, nachdem es ihm eine angenehme Ruhe gewünscht hatte. Von Begierden verzehrt, von Schüchternheit aber zurückgehalten, blieb Tanzai auf der Stelle stehen, wo ihn das Käuzlein verlassen hatte. Kommt, Prinz, sagte man zu ihm, und verliert keinen von den kostbaren Augenblicken, die die Liebe Euch schenkt. Er gehorchte und warf sich schnell ins Bett.

Wie er sich daselbst befand, drehte man sich um. Wie groß war sein Erstaunen, als er unter dem Weiß und Rot, dem Bändergeflatter und blonden Gekräusel die Fee Kukumer erkannte. Sie war es in der Tat, die, um ihn mit mehr Anstand zu empfangen, ihre Eulenohren mit den schönsten Brillantohrringen geschmückt hatte. Ihr Glatzkopf war mit einem blonden Haarturm aus großen Locken bedeckt, und mit einer Girlande von Rubinen geziert. Und wiewohl sie – wie sich's auch nicht anders schickte – im halben Negligé war, hatte sie doch, um ihre Reize noch rührender zu machen, über der Girlande ein weißes, rosa gesprenkeltes Häubchen angebracht, welches unter dem Kinn mit einer ungeheuren Schleife zugebunden war. Mitten in dieser reizenden Maskierung befand sich eine Art von Gesicht, an dem man rote, triefende und von Krähenfüßen umringte Augen gewahrte. Ihre ungeheure warzenreiche Nase sank[68] zärtlich in einen eingefallenen schlaffen Mund ein, von dem veilchenblaue Lippen lieblich herabhingen, die ganz entblößte Kiefern zeigten, die durch den Strom der Zeit sogar ein wenig ihr natürliches Kolorit eingebüßt hatten. Ihre hängenden Backen breiteten sich sanft über die Kopfkissen aus. Eine unzählige Menge Schönheitspflästerchen verschiedenster Art bedeckten eine schwarze und gesprenkelte Haut, deren Runzeln und Grüngelbheit durch den Glanz einer öligen Pomade hervorbrachen, die sie verbergen sollte. Ein schwarzes Band mit einem Kollier, reich mit Brillanten garniert, hing bis auf den Busen hinab. Ihre Brüste, die geschmeidig genug waren, wenigstens anderthalb Fuß lang herabzuhängen, quollen aus einem Mieder von der Farbe bluthäutigen Atlases hervor, das mit einem schwarzen Sammetbande umgürtet war, welches wiederum eine Brillantschnalle festhielt.

Bei diesen wunderbaren Anblick geriet Tanzai aus aller Fassung. Er wäre geflohen, wenn der Schreck, den ihm dies Scheusal einjagte, ihm Kraft dazu gelassen hätte. Überdies wurde er durch einen unerträglichen Gestank erstickt, der ungeachtet der wohlriechenden Salben, womit die Fee sich belegt hatte, die ganze Kammer anfüllte. O Himmel! sagte er bei sich selbst, das ist also der Gegenstand, den man mir bestimmt hat! O Neadarne! also hat das Scheußlichste, was die Natur je schuf, dir den Besitz meines Herzens streitig gemacht, ja, was sag ich? Dich völlig aus demselben verdrängt! Gerechter Affe! wie groß ist mein Glück in der Liebe! – Wäre der Prinz mehr herumgekommen, so hätte er gewußt, daß das Glück bei Damen, womit unsere jungen Stutzer sich so brüsten, dem seinigen oft gleich ist.

Noch hatte sich Tanzai von seinem Ekel und Schreck nicht erholt, als eine rauhe und gebrochene Stimme aus diesem Furchtgerippe folgende süßen Worte an ihn richtete: Ihr seht, Prinz, was ich Eurethalben tue und wie überschwenglich[69] groß meine Güte gegen Euch ist. Ihr würdet Euch nie haben vorstellen können, daß nach der höchst kränkenden Beschimpfung, die Ihr mir zugefügt habt, nach der Strafe, die darauf folgte, meine Rache damit enden würde, Euch Zutritt in mein Bett zu gestatten. Eben die Hand, die Euch Tränen auspreßte, ist jetzt bereit, sie Euch zu trocknen. Ihr würdet Euch den gräßlichsten Gefahren ausgesetzt haben, um das wieder zu werden, was Ihr wart, und seht, Ihr werdet jetzt im Schöße der Freuden Eure erste Gestalt wieder erlangen. Ich weiß nicht, ob mich zuviel Eigenliebe täuscht und mir Euer Glück zu groß schildert; ob die Entzückungen aller der Sterblichen, die mich gesehen, mir zu hohe Einbildungen von meinen Reizen eingeflößt haben; allein ich habe Ursache zu glauben, daß es keinen Fürsten und Fürstensohn auf der Welt gibt, der das Schicksal, dessen ich Euch teilhaft machen will, nicht wünschen, nicht sogar mit seinem Leben zu bezahlen erbötig sein sollte. Ich dränge Euch nicht, meine Gunst zu verdienen, denn ich lese bereits in Euren Augen die größte Ungeduld; ich entdecke darin mit der innigsten Freude, daß Ihr die Heftigkeit Eurer Begierden nicht länger ertragen könnt. Überlaßt Euch ihnen denn, teurer Prinz, die meinigen stehen Euch für Eure Glückseligkeit! Kommt, Tanzai, meine Schamhaftigkeit kann dies Schauspiel nicht länger ertragen. Eilet, sie aufs ärgste in die Enge zu treiben! Ach! muß die Tugend noch in so süßen Augenblicken ihre Gewalt spüren lassen! Schlagt die Vorwürfe nieder, die meine Sittsamkeit in mir laut werden läßt! In Euren Armen soll sie ihr Grab finden ...

Tanzai, der ganz unbeweglich geblieben war, hatte nicht die Hälfte von dem gehört, was die Kukumer ihm gesagt hatte, und würde unstreitig in dieser Lethargie erstarrtgeblieben sein, wenn er nicht auf seiner Hand eine krumme Klaue gespürt hätte, die die Fee ihm reichte. Sogleich schoß es ihm durch den Kopf, die Alte zu erwürgen; aber bedenkend,[70] daß die Macht der Kukumer sie vor dieser Rache schützen würde und daß er dafür auf immer in dem Stande bliebe, worin er sich befand, ließ er die Idee fahren, so verführerisch sie auch war. Er wußte zuletzt nicht, wozu er sich entschließen sollte, als die Fee ihm zärtlich ihre Klauen in die Hand grub.

Wie, Prinz, sagte sie zu ihm, Ihr seid ganz außer Fassung? Ich verzeihe der Liebe die Erstarrung, worin ich Euch erblicke, allein sie hätte bereits dem Ungestüm Eurer Flamme und meiner Zärtlichkeit Platz machen sollen. Ich muß also alles tun, kleiner Undankbarer, setzte sie schmachtend hinzu. Sind die Reize, die ich dich habe sehen lassen, nicht mächtig genug, dich wieder zu dir zu bringen, so wollen wir versuchen, ob die, die mir noch übrig sind, dich nicht wieder ins Leben zurückrufen können.

Mit diesen Worten zerrte sie voller Leidenschaft das Wenige weg, das ihre noch nicht wahrgenommenen Schönheiten verbarg. Ihr Auge rollte wild umher und sie sagte seufzend: Sieh, Barbar, sieh alles das, was meine Liebe Dir überläßt. – O Barmherzigkeit! rief der Prinz. Ihr großen Götter, wo bin ich? Damit entriß er sich den Klauen, die ihn zurückhalten wollten, sprang aus dem Bette und suchte zu entfliehen; allein es verhinderte ihn etwas, was der Leser im folgenden Kapitel erfahren wird.

Quelle:
Claude Prosper Jolyot Crébillon: Der Schaumlöffel. Leipzig 1980, S. 67-71.
Lizenz:

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Cardenio und Celinde

Cardenio und Celinde

Die keusche Olympia wendet sich ab von dem allzu ungestümen jungen Spanier Cardenio, der wiederum tröstet sich mit der leichter zu habenden Celinde, nachdem er ihren Liebhaber aus dem Wege räumt. Doch erträgt er nicht, dass Olympia auf Lysanders Werben eingeht und beschließt, sich an ihm zu rächen. Verhängnisvoll und leidenschaftlich kommt alles ganz anders. Ungewöhnlich für die Zeit läßt Gryphius Figuren niederen Standes auftreten und bedient sich einer eher volkstümlichen Sprache. »Cardenio und Celinde« sind in diesem Sinne Vorläufer des »bürgerlichen Trauerspiels«.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon