Siebzehntes Kapitel:

Tanzais Wonnenacht

[75] Mit so vielem Mut der Prinz sich auch bewaffnet hatte, so schauderte er doch, als er die Kukumer erblickte. Prinz, sagte sie zu ihm, legt Euch wieder nieder und trachtet, Euch entweder Begnadigung zu erwerben oder Euer Unglück zu vergrößern. – Nicht ein Wort weiter! versetzte er mit Ungestüm, das größte Unglück ist, mich hier bei Euch zu befinden, und mein einziger Wunsch ist, Euch so bald als möglich zu verlassen. Also keine Komplimente; sie würden sich nicht ziemen nach dem, was Ihr mir angetan habt. Was für Raserei hat Euch befallen, daß Ihr verlangt, ich soll eine Nacht mit Euch zubringen? Sollte der Widerwille, den ich gegen Euch äußere, nicht imstande sein, Euch davon zu heilen? Wenn ich Euch wirklich Liebe eingeflößt hätte, solltet Ihr Euch jetzt nicht ihrer entschlagen, da Ihr seht, wie schlecht ich Eure Empfindungen erwidere? Wenn Ihr Euch nur wegen des Schaumlöffels zu rächen sucht, müßt Ihr dann Euren Zorn gegen mich auslassen?

Prinz, erwiderte die Kukumer, Ihr redet, so gut man nur immer kann, und Eure Reden würden mich überzeugen, wenn es nur etwas helfen könnte, daß ich davon überführt würde. Weder meine Begierde, Euch zu bestrafen, noch eine Regung der Liebe führt Euch heute in meine Arme; bloß das Schicksal zwingt mich, mich einer Probe zu unterwerfen, die noch erniedrigender für mich als lästig für Euch[75] ist. Glaubt Ihr nicht, daß meine Bescheidenheit darunter leidet, einen Mann so nahe bei mir zu erblicken, den ich nicht aus freier Wahl habe kommen lassen? Denkt Ihr, daß man sich ohne Mißmut den feurigen Ausbrüchen der Liebe eines Mannes überlassen kann, der einem gleichgültig ist? Und gibt es wohl etwas Grausameres für ein gefühlvolles und tugendhaftes Weib, als Liebkosungen zu erdulden, die das Herz nicht genehmigt?

Was jene feurigen Ausbrüche, jene Liebkosungen anbetrifft, entgegnete Tanzai, so kann ich Euch damit verschonen, da sie Euch so lästig fallen. Ich bin nicht so unhöflich, so kostbare Gunstbezeugungen wie die Eurigen Euch rauben zu wollen. – Nicht doch, versetzte die Fee, ich bin dem Willen des Schicksals unterworfen, und meine gänzliche Ergebung in dasselbe wird mir in diesem Kampfe beistehen. – Ihr seid vorhin hitziger gewesen, erwiderte Tanzai, und weniger andächtig. Allein wie dem auch sein mag, man hat mir Neadarnen versprochen, und ich fange nicht eher an, bis ich sie sehe. – Freilich hat man sie Euch versprochen, antwortete die Kukumer, allein Ihr wißt, unter was für einer Bedingung. – Nun wohl denn, so sei's, versetzte der Prinz, der sich gegen seinen Willen wieder aufleben fühlte; allein man muß wirklich sterblich verliebt sein, um sich solchen Bedingungen zu unterwerfen.

Sodann verstopfte er sich die Nase, schloß die Augen und suchte dergestalt sich der ihm vorgeschriebenen Obliegenheit so gut als möglich zu entledigen. Um es ihm leichter zu machen, begann die Fee zärtliche Seufzer auszustoßen, die wollüstigsten Bewegungen zu machen und ihn trotz seiner Gleichgültigkeit mit jenen kosenden Namen zu belegen, welche die Liebe eingibt. Sie ließ Fühllosigkeit mit Wut, Lebhaftigkeit mit Mattigkeit abwechseln. Man versichert sogar, daß sie, um ihm mehr Leidenschaft zu zeigen, mehr denn einmal geflucht habe. Tanzai, um schnell fertig zu[76] werden, hatte die Hälfte seiner Märtyrerarbeit hinter sich gebracht (ein erstaunlicher Umstand und wahrlich nicht der am wenigsten auffallende in dieser Geschichte), und da das Gesundheitswasser Wunder in ihm wirkte, so war er imstande, sich des Rests mit gleicher Schnelligkeit zu entledigen, als ihn die Fee bat, ein wenig innezuhalten, um ihr Erholung zu gönnen.

Nachdem der Prinz ihr hierin eingewilligt hatte, sagte sie zu ihm: Seht Ihr wohl, Prinz, daß ich keine von jenen Frauen ohne Schamgefühl bin, die an einer Mannsperson nur jene Eigenschaft schätzen, von der Ihr eben eine Probe abgelegt habt. Eine zärtliche Unterhaltung voller Gefühl ist mir hundertmal lieber als jene schändlichen Wollüste, von denen gewöhnliche Liebhaber unaufhörlich träumen. Wieviel, sagt Ihr, seid Ihr diese Nacht noch schuldig? – Siebenmal, erwiderte er mit schroffer Stimme. – Ich frage nicht deshalb, entgegnete sie, weil mich das kümmerte. Wenn es nach mir ginge, so hätten Eure Mühen hier ein Ende. Sieben Mal, sagt Ihr, wären noch rückständig? Mir deucht, Ihr irrt Euch. – Wohl möglich, versetzte er, wenigstens nach meiner Rechnung sind gut und gern neun Proben bestanden. – Nach meiner Rechnung aber gar nicht! sagte sie; ich war weniger zerstreut wie Ihr; und ich glaube, daß noch zehn Male fehlen.

Gift und Dolch! das ist falsch! rief Tanzai voll Wut. – Nur nicht böse geworden, mein Sohn! sagte sie zärtlich zu ihm. Darüber wollen wir keinen Streit anfangen. Aber wahrlich! Ihr seid der erstaunenswürdigste von allen Männern! Ich kann mir kaum vorstellen, daß Ihr vor Eurer Bezauberung von solcher Kraft gewesen seid. – Ihr wißt am besten, woher das kommt, entgegnete Tanzai. Das Geschenk, das man mir mit dem Gesundheitswasser gemacht hat, war eine Vorsicht, die Ihr Euretwegen getroffen habt. Aber, im Ernst, solltet Ihr mir den Rest nicht erlassen können? – Das geht[77] nicht, versetzte sie. – In dem Falle, sagte er, begnüg ich mich mit dem, was ich habe. Ich fürcht Euch nicht weiter. – Wir wollen sehen, entgegnete die Kukumer, indem sie ihn anrührte. – Ach, Barbarin, rief der Prinz, der seine Kraft wieder zunehmen spürte, hier ist weniger Bezauberung nötig, als Ihr glaubt. Eure Hand hätte nicht der Magie bedurft, um das zu bewirken, was ich empfinde. – Das war zärtlich gesprochen, sagte die Kukumer, und das ist das Mittel, Begnadigung zu erlangen. – Wenn Ihr nicht wegen mir großmütig handeln wollt, erwiderte Tanzai, so tut es doch Euretwegen. – Ich bin weniger boshaft als Ihr glaubt, versetzte sie, und Ihr sollt sehen, daß ich mit dieser Hand, die Ihr so sehr verachtet, ... – O um Himmels willen, rief Tanzai, rührt mich nicht an! – Ungeachtet dieser Furcht hielt die Fee ihm Wort und er, der nichts sehnlicher wünschte als seinen Dienst zu enden, begann von neuem. Endlich war es bis zum zwölften Male gekommen, ohne daß er Neadarne sah. Er bezeigte hierüber der Fee seine Verwunderung. Vermutlich, sagte sie zu ihm, ist das Erscheinen der Prinzessin mit der geheimnisvollen Zahl Dreizehn verbunden. – Ich sehe zur Genüge, versetzte er, daß man sie nicht wohlfeil angesetzt hat. Doch machen wir der Sache ein Ende!

Nach Vollendung der letzten Arbeit suchte der Prinz Neadarne, allein er sah sie nicht. Was heißt das? fragte er. Weshalb seh ich Neadarne nicht? Sollte man mich betrogen haben? – Ach, Prinz, sagte die Fee, Ihr habt Euch selbst betrogen, habt falsch gerechnet. – O verdammt, rief Tanzai, es hat damit seine völlige Richtigkeit. – Nicht möglich, erwiderte sie; es kann schlechterdings nicht sein. Ihr hättet Neadarne bereits in Eurer Gewalt, wenn es sich so verhielte, wie Ihr sagt. Um Euer selbst willen, teurer Prinz, hütet Euch vor einem Irrtum. – Irrtum? Tod und Hölle! Madame, der ist nicht möglich. – Mit einem Worte, fuhr[78] die Kukumer fort, Ihr werdet durch Eure Hartnäckigkeit Neadarne nicht wiedersehen und durch übel angebrachte Sparsamkeit die Früchte von all dem verlieren, was Ihr bereits getan habt. – O Himmel, rief er, läßt du mich einen Raub der Ungerechtigkeit werden? Und soll ich ... Doch ach! Ihr habt vielleicht recht; ich sehe Neadarne nicht, und ihre Abwesenheit beweist hinlänglich mein Unrecht. Ich muß sehen, wie ich mich herausziehe.

Äußerst abgemattet hatte Tanzai alle Mühe, die ihm auferlegte Verpflichtung zu Ende zu bringen. Er war diesmal nicht glücklicher als die übrigen Male; aber da er einsah, wie unbarmherzig man ihn hintergangen hatte, fiel er wütend über die Kukumer her, gerade da sie ihm einen zweiten Rechenfehler vorwerfen wollte. Die Fee wehrte sich tapfer, schlug mehr denn einmal ihre Klauen in seine Haut und riß sich aus des Prinzen Händen, dessen Leib sie überall zerkratzt hatte. Sodann schwang sie sich zur Decke des Zimmers empor und rief ihm zu: Bilde dir ja nicht ein, meinen Groll je besiegen zu können! Ich werde dich ewig verfolgen. Die Unglücksfälle, die ich dir bisher bereitet habe, sollen weder die letzten noch die schrecklichsten deines Lebens sein. Zwar hab ich dir das wiedergegeben, was du mit so vieler Inbrunst begehrtest; aber hüte dich, daß es dir nicht unnütz sei, und erinnere dich lange an deinen höllischen Schaumlöffel.

Verräterin, entgegnete Tanzai, was für Schläge kannst du nach dem, was du mir angetan hast, für mich noch aufheben? – In dem Augenblick verschwanden Fee und Palast aus seinen Augen, und er, durch dies Liebesglück ebenso beschämt als ermüdet, fand seine Kleidung, seinen Schaumlöffel und sein Pferd in dem Walde wieder, wo er die ›Fee mit dem Kessel‹ getroffen hatte. Er kleidete sich schnell wieder an, entwarf in der Zeit tausenderlei fruchtlose Projekte, sich an der Kukumer und der Eule zu rächen, und[79] machte sich wieder auf den Weg nach Scheschian, fest entschlossen, Neadarne beständig treu zu bleiben, weil die verstohlenen Freuden ihm so übel bekommen waren.

Quelle:
Claude Prosper Jolyot Crébillon: Der Schaumlöffel. Leipzig 1980, S. 75-80.
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