Zweiundzwanzigstes Kapitel:

Was den Prinzen in Zorn setzt

[101] Der König war noch in tiefem Schlaf, als der Prinz die Vorhänge von seinem Bette wegzog. Ei, du Heiliger Dreifaltiger Affe! rief der alte Monarch, was wollt Ihr denn um diese Zeit? Schickt sich das wohl, mich aufzuwecken? Warum bleibt Ihr nicht bei Neadarne? Ich an Eurer Stelle ... – O an meiner Stelle, erwiderte Tanzai mit Ungestüm, würden Ew. Majestät vielleicht noch früher als ich aufgestanden sein. – Wieso? entgegnete der König. Seid Ihr etwa mit der Prinzessin unzufrieden? Es ist immer eine heikle Sache! Sie hat immerhin die prinzessinmäßigste Erziehung der Welt gehabt.

Ach! Beim heiligen Zagel! davon ist die Rede nicht, antwortete der Prinz, der dabei beinahe die Geduld verlor. Neadarne hat nichts, und was ich habe, ist für sie unnütz;[101] die Pforte der Freuden ist vermauert. – O Himmel! was sagt Ihr? rief der König. Wir wollen unverzüglich den Staatsrat versammeln.

Und was soll dieser Staatsrat, Herr Vater? entgegnete Tanzai. Euer Sekretär würde operieren wollen und Saugrenutio befehlen, den Affen um Rat zu fragen. Das letztere scheint mir das beste. Doch ist es besser, wenn der Affe bei verschlossenen Türen um Rat gefragt wird. Ich mag nicht, daß jemand dies Unglück erfahre, wir werden am Ende aller Welt zum Gespötte. Laßt den Oberpriester wissen, daß wir inkognito den Tempel aufsuchen werden, wir haben uns beim ersten Orakel nicht übel befunden, können also wohl zum zweiten unsere Zuflucht nehmen. Allerdings würde ich nicht damit zufrieden sein, wenn er Neadarne solchen Proben wie mich aussetzte.

Und was machte Euch das aus, entgegnete der König, wenn Neadarne wie Ihr träumte? Dem sei nun, wie ihm wolle, sagte der Prinz, wir wollen versuchen, ihr diesen Traum zu ersparen. Ich weiß, daß, um all dem Kram ein Ende zu machen, nichts weiter nötig wäre, als Saugrenutio dahin zu bringen, daß er den Schaumlöffel lecke. Wie soll man aber dies anfangen? Gütliches Zureden hilft bei ihm nicht, und Gewalt ist verboten.

Saugrenutio, den der König hatte rufen lassen, trat jetzt ins Zimmer. Die Kukumer war schon bei ihm gewesen und hatte ihm den Orakelspruch angegeben, den er erteilen sollte. Mithin war die Mühe, die der Prinz sich gab, ihn zu unterrichten, sehr unnötig. Nachdem Saugrenutio den Prinzen bis zu Ende angehört hatte, riet er, daß man sogleich in den Tempel gehen solle, weil der Affe in der Stadt keine Orakel zu erteilen pflege. Man fuhr augenblicklich hinaus, und der Affe erteilte nach den gewöhnlichen Zeremonien folgenden Ausspruch, in Prosa, damit er auch jedem verständlich wäre:[102]

Die Prinzessin wird sich nicht eher in ihrem vorigen Zustande wieder erblicken, als bis der große Genius Maulwurffresser nach seinem heiligen Willen mit ihr verfahren ist.

Nach seinem heiligen Willen! rief der Prinz, außer sich vor Wut. Ich glaube nicht, daß das je geschehen wird. – Du bist auch gleich immer ohne Grund in Angst! sagte der König. Vor deiner Abreise warst du genauso, und was ist dir schließlich begegnet? Weißt du denn, worin der Wille des Genius besteht? Und gesetzt, er bestände in dem, was du dir einbildest, würde es nicht weit besser sein, sich ihm zu unterwerfen, als Neadarne immer so bleiben zu lassen, wie sie ist? – Nein, um Gottes willen nicht! rief Tanzai. Ich will, ein für allemal sei's gesagt, weit lieber, daß Neadarne auf immer so bleibe, als daß sie sich in den Armen eines andern befindet. – Das ist falsches Feingefühl! versetzte Saugrenutio; denn kommt es nicht im Grunde auf eins heraus? Wegen eines eingebildeten Übels bringen sich Ew. Königliche Hoheit um Ihr wahres Glück.

Potz Affen Element, Herr! rief Tanzai, kümmert Euch um Eure Angelegenheiten! Wenn man die Priesterin, die bloß Eure Konkubine ist, hinschicken woll te, wo man meine Frau hinschicken will, würdet Ihr darüber vielleicht ebenso ungehalten sein wie ich. – Laßt ihn schreien, sagte der König, und unterrichtet mich. Wer ist dieser Maulwurffresser? Mich dünkt, ich habe in meinem ganzen Leben noch nichts von ihm gehört.

Es ist ein mächtiger Genius, versetzte Saugrenutio, ein naher Anverwandter der Kukumer. Unstreitig nimmt er sich der Verdrießlichkeiten an, die sie gehabt hat. Er ist von sehr verliebtem Temperament, und die Insel, wo er sich gewöhnlich aufhält, ist ein einziges Serail, das aus den schönsten Frauenzimmern der Welt besteht. Alle diejenigen, die bei ihm zu tun haben, müssen wenigstens eine[103] Nacht in seinem Palaste zubringen. Man weiß zwar nicht mit Gewißheit, was sie dort tun, allein wenn man den Frauenzimmern glauben darf, die von dort zurückgekommen sind, so ist es der ehrerbietigste höchste Genius. Ew. Majestät sehen wohl ein, wieviel sich davon glauben laßt; inzwischen haben doch die Männer das Vergnügen, daß sie stets im Zweifel bleiben, und in dergleichen Fällen ist das immer das beste Zufluchtsmittel.

Freilich befriedigt es am meisten, unterbrach ihn Tanzai, doch ich schwöre Euch, daß ich dessen nicht bedürfen werde. – Kann wohl sein, erwiderte Saugrenutio, und es gibt ein beinahe sicheres Mittel, ihn zu besänftigen. Je mehr Maulwürfe man ihm verschafft, desto huldreicher wird er. Vor beinahe zehn Jahren ist er auf die Grille gekommen, welche zu essen; und jetzt ist dies beinahe seine einzige Speise.

Schön! sagte der König, damit können wir ihm zum Glück hinlänglich dienen; und mir geschieht überdies damit ein großer Gefallen. Alle meine Gärten werden von den vermaledeiten Maulwürfen verheert, mein Reich ist so glücklich, eine ungeheure Anzahl dieser Tiere liefern zu können. Ich will noch heute eine Verordnung ergehen lassen, daß jeder meiner Untertanen wenigstens zehn Stück zu bringen hat. Doch wie kommt man nach der Schonkiljen-Insel? – Auf ebendem Wege, fuhr Saugrenutio fort, den Ihro Königliche Hoheit genommen haben, wofern man sich nur links wendet, wenn man aus dem Walde ist.

Das alles ist sehr unnötig, unterbrach ihn Tanzai. Neadarne soll nicht das Königreich verlassen. Ich habe sie nicht geheiratet, damit sie Mätresse des Maulwurffressers werde. – So verstoßt sie, nahm der König das Wort. Unsere Landesgesetze würden Euch dazu nötigen, wenn sie binnen Jahresfrist dem Reiche keinen Erben gebärte. – Dieser letzte Grund machte den Prinzen stumm; er ergab sich endlich.[104]

Man beschloß, den Anlaß der Reise niemandem zu entdecken und sie nicht länger aufzuschieben, als es Zeit erfordern würde, alle Maulwürfe aus dem ganzen Lande mitzunehmen.

Sorgt Euch nicht, gnädiger Herr, sagte Saugrenutio zum Prinzen, der Affe hat Euch eben seine Hand gereicht, und ich bin nach diesem Zeichen sicher, daß die Reise glücklich ablaufen und der Prinzessin nichts begegnen wird. Der Affe hat eine natürliche Abscheu, sowohl gegen die Leute, die zu der Schmach bestimmt sind, wegen der Ihr Euch ängstigt, als auch gegen diejenigen, denen diese Schmach schon widerfahren ist.

Er hat Euch auch die Hand gereicht, so gut wie mir, versetzte der Prinz; ich glaube, daß er damit nichts sagen will. Doch wir wollen den Tempel verlassen und wieder zu Neadarne gehen und ihr die Reise kundtun.

Wie Tanzai und sein Vater in Neadarnens Zimmer traten, fanden sie diese höchst unruhig; sie wurde es noch mehr, als man ihr den Orakelspruch und die geplante Reise bekanntmachte. Es ist vergebens, sagte sie zu ihrem Gemahl, daß wir diesen Palast verlassen; ich würde in der Schonkiljen-Insel mich in keinem anderen Zustande befinden als hier. Ich, in den Armen eines andern? Glaubt das ja nicht. Lieber will ich Zeit meines Lebens so bleiben, wie ich bin, als diesen Genius einmal ansehen! – Ei, wir zweifeln nicht an Eurer Tugend, sagte der König; weinet nicht gleich, Saugrenutio versichert, daß Euch nichts Übles begegnen wird.

Mit einem Wort, sagte der Prinz, wir müssen die Reise machen. Eine Ahnung scheint mir zu sagen, daß wir beide damit zufrieden sein werden. Befehlt, daß man die Anstalten zu unserer Reise trifft, ich beschwöre Euch, gnädiger Herr Vater. Ich bitte ergebenst um Verzeihung, daß ich Euch damit lästigfalle, allein ich bin jetzt so beunruhigt,[105] daß ich unmöglich alles selbst veranlassen kann. – Der König ging und ließ Tanzai vergebliche Versuche anstellen, ob es nicht möglich sei, die Reise der Prinzessin überflüssig zu machen.

Quelle:
Claude Prosper Jolyot Crébillon: Der Schaumlöffel. Leipzig 1980, S. 101-106.
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