Achtundzwanzigstes Kapitel:

Bosheit des Schonkilje. Wie die Zwickelbart daraus Nutzen zu ziehen weiß

[140] Die Zwickelbart, die nun ihre letzten Hoffnungen schwinden sah und wohl wußte, daß sie Tanzai nicht dahin bringen würde, Neadarnen nach der Insel des Schonkilje reisen zu lassen, beschloß, statt sich länger mit vergeblichen Bitten[140] aufzuhalten, alles aufzubieten, was in ihrer Macht stand, ihren Prinzen zu befreien. Ob Tanzai dabei verlor, war ihr gleichgültig. Die geringe Achtung, die er gegen sie hegte, die Widerreden, die sie von ihm ausgestanden hatte, und das dringende Bedürfnis für sie, daß Neadarne dem Genius in die Hände fiele, überwogen jede andere Rücksicht. Ohne hiervon das Geringste zu äußern, sann sie auf Mittel, sich aus ihrer Verlegenheit zu ziehen. Die Nacht brach an, und noch sann sie darüber nach.

Das junge Ehepaar hatte sich gleich nach dem Souper niedergelegt und Tanzai seine Absicht abzureisen noch einmal wiederholt. Die Fee ließ sie schlafen und suchte vergeblich nach einer List, die ihr zustatten käme, als sich plötzlich ein fürchterliches Geräusch in der Stadt erhob. Gütiger Affe! was hör ich? rief der Prinz, der voll Schreck aus dem Schlafe fuhr. – Ach! sagte die Zwickelbart, die mittels ihrer Kunst von dem Vorfall sofort unterrichtet war, dieser Schonkilje ist sehr schrecklich! – Was hat er denn getan? fragte Tanzai.

Ihr müßt wissen, nahm die Zwickelbart wieder das Wort, er war in eine der schönsten Frauen dieser Stadt verliebt. Entrüstet durch den Widerstand, den sie seinen Begierden entgegensetzte, hat er sie in ein Ungeheuer verwandelt. Mit dieser Strafe nicht zufrieden, hat er seine Rache über alle hübschen Frauenzimmer hier erstreckt und beschlossen, sie sollen so lange häßlich bleiben, bis sie eine Reise nach seiner Insel gemacht haben. Dies ist die Ursache von dem Lärm, den Ihr vernehmt. Die Tremissen möchten ihre Frauen nicht gern in ihrem gegenwärtigen Zustande sehen, allein die Bedingung, unter der ihnen der Genius ihre Schönheit wiedergeben will, dünkt ihnen noch unerträglicher als der beständige Anblick ihrer Häßlichkeit.

Die Stadt scheint mir sehr bevölkert, versetzte Tanzai, und der Genius wird nicht wenig zu tun haben, wieder gutzumachen,[141] was er verdorben hat. – Wie, Wollust meines Lebens! sagte Neadarne zu ihm, glaubt Ihr, daß es Frauen geben sollte, die ihre Tugend der Wiederherstellung ihrer Schönheit opfern könnten? – Verhüten die Götter, daß ich so schlecht dächte! erwiderte Tanzai; ich möchte aber nicht, wenn ich Frau wäre, daß man mich auf die Probe stellte. Wie dem auch sein mag, ich gehe eine Wette ein, daß, ehe noch zwei Tage vergangen sind, von Schonkiljens Rache keine Spur mehr zu sehen sein wird.

Ein gräßlicher Schrei, den Neadarne ausstieß, unterbrach hier das Gespräch. Was habt Ihr denn so zu schreien? rief Tanzai. Ach, antwortete die Prinzessin, ich müßte mich sehr irren, wenn meine Nase nicht wenigstens einen halben Fuß länger ist als sonst. Der Prinz, hierüber voll Verzweiflung, holte eines von den Lichtern, die im Zimmer brannten. Als er aber Neadarnens scheußliches Gesicht erblickte, ließ er es vor Schreck fallen. Das fehlte gerade noch! rief er. – Gebt mir einen Spiegel, sagte die Zwickelbart, und nehmt ein anderes Licht. Der Prinz brachte beides mit Zittern, und Neadarne fand sich so schrecklich häßlich, so alt, so bucklig, daß sie ihre Tränen nicht zurückhalten konnte.

Die Fee Kukumer hätte jetzt mit ihr einen Wettstreit beginnen können, was ihre gegenseitigen Reize betraf.

Warum seid Ihr so traurig? sagte der boshafte Maulwurf; ein Übel, wofür man ein zuverlässiges Hilfsmittel weiß, ist nicht so ernst zu nehmen. – Eben dies Mittel setzt mich in Verzweiflung, antwortete der Prinz; und wenn es mich auch nicht kränkte, glaubt Ihr, daß Neadarne es sich erlauben wird, davon Gebrauch zu machen? – Ach Prinz, sagte Neadarne, die durch so viele Unglücksfälle ganz niedergeschlagen war, ich will nichts tun, worein Ihr nicht willigt. Und Ihr, fuhr sie fort, wobei sie sich an die Zwickelbart wandte, Ihr, die Ihr mir Euren Schutz versprochen[142] habt, wann soll ich dessen teilhaft werden? In der jetzigen Lage bedarf ich seiner gerade am nötigsten. – Mich setzt hierbei nichts mehr in Erstaunen, antwortete der Prinz, als daß Neadarne die Rache des Genius mitbetrifft. Sie sollte doch nur auf die Einwohnerinnen dieser Stadt fallen, was haben Fremde mit alldem zu tun?

Die Zwickelbart hätte, wenn sie gewollt, besser als irgend jemand anderes Tanzai davon unterrichten können, weil sie allein Neadarnens Verwandlung bewirkt hatte. Vor Verzweiflung über die Hartnäckigkeit des Prinzen, Neadarne nicht zu Schonkiljen zu schicken, wodurch ihr Scholuchern nicht befreit werden konnte, hatte sie die Rache des Genius ausgenutzt, in der Hoffnung, daß Neadarnens ausnehmende Häßlichkeit Tanzai leichter bewegen würde, sie nach der Insel des Schonkilje gehen zu lassen.

Der Prinz verlor sich inzwischen in Wehklagen. Die Fee, um ihm wieder Mut zu geben, sagte, der Genius hätte sicher seine Rache nicht genug überlegt gehabt. Da so viele Frauen sich darin verwickelt fänden, würde er genötigt sein, dem größten Teile von ihnen ihre Schönheit wiederzugeben, ohne dafür ihre Unterwürfigkeit zu verlangen. Daß man diese Zeit nutzen und ihm die Prinzessin schicken müßte, weil sie dann besseren Kaufs davonkommen würde. – Ja freilich, versetzte Neadarne, schöner werde ich wieder zurückkommen. Wer wird mir aber das wiedergeben, was die Kukumer mir genommen hat? Wir haben diese Reise nur zur Herstellung von einem Übel unternommen, und ich habe jetzt deren zwei, wovon das eine beinahe ebenso gräßlich ist wie das andere. Obwohl das Mittel, das man mir vorschlägt, für beide unfehlbar ist, so kann ich mich dennoch keines von beiden bedienen. Genau überlegt, ist es für meinen Gemahl besser, wenn ich häßlich bleibe. Meine jetzige schreckliche Gestalt wird meine vorige bei ihm in Vergessenheit bringen; er wird mich nicht[143] mehr lieben; allein um mich seiner Zärtlichkeit würdig zu machen, muß ich seine Achtung verlieren.

Erbärmliche Logik! antwortete die Zwickelbart. Wo ist da eigentlich ein Verbrechen? Bloß die Einwilligung. Ihr wünscht nicht, in Schonkiljens Armen zu sein, folglich könnt Ihr auch nicht Verbrecherin sein. Euer einziger Wunsch ist bloß, Eure vorige Gestalt wieder zu erlangen. Nur Eures Gemahls wegen bedauert Ihr diesen Verlust; und wenn Ihr Euch dem unterwerft, was Euch davon befreien kann, so geschieht das nur seinetwegen; mithin kann er nicht an ders, als Euch um so höher schätzen, da Ihr ihm Eure Abneigung aufopfert. Ist dem nicht so, Prinz? – Ich weiß nicht, antwortete er, ob Eure Überlegung richtig ist; aber bei all den Unglücksfällen, die mich zu Boden drücken, scheint mir der Vorschlag der beste, der mich am ehesten davon befreit. – Wenn sie diese Unterredung auch fortgesetzt hätten, so ist doch der Erzähler zu verständig, um sie dem Leser völlig mitzuteilen.

Inzwischen nahm das Getöse in der Stadt so mächtig zu, daß Neadarne und die Zwickelbart den Prinzen baten, ein wenig auf den Straßen umherzugehen und Erkundigung einzuziehen, was vorginge. Bei seiner Zurückkunft meldete er ihnen, daß kaum die Rache des Genius ausgebrochen sei, als alle Frauen scharenweise nach der Insel des Schonkilje gereist wären. Die Königin selbst, die ihre Häßlichkeit nicht einen Augenblick länger ertragen konnte, hätte diesen Entschluß zuerst ergriffen. Allein bei ihrer Rückkehr habe sie der König erwürgt und es wären nur wenige Männer in der Stadt, die es mit ihren Weibern nicht ebenso gemacht hätten.

Dies hält die Hiergebliebenen nicht ab, setzte er hinzu, auch dahin reisen zu wollen, und ich bin fest versichert, daß, ehe der Tag zu Ende, keine Frau mehr hier zu finden ist, die noch Merkmale vom Zorn des Genius trägt. Das[144] wußte ich wohl, daß bei den Frauenzimmern die Eitelkeit, schön zu sein, die Zufriedenheit überwiegt, tugendhaft zu bleiben.

Die Schuld der Männer! entgegnete die Zwickelbart. Laßt sie der Tugend bei den Frauenzimmern so geflissentlich nachstreben wie der Schönheit, lasset jene ihnen von so vielem Nutzen sein wie diese, so werdet Ihr sehen, daß wir ebensogern tugendhaft als schön sein wollen. Doch davon nichts weiter! Wozu werdet Ihr Euch endlich entschließen, Prinz?

Neadarne reisen zu lassen, so bald die Morgenröte den Tag verkündet haben wird; morgen wird sie Schonkiljen sehen, und morgen werde ich vor Schmerz sterben. Einer der Unglücksfälle, die sie erduldet, ist wahrlich schon zuviel für sie, und ich würde mir am Ende den Vorwurf gefallen lassen müssen, sie nur um meiner selbst willen geliebt zu haben.

Es liegt wenig daran, zu erfahren, wie der Rest dieses Tages verfloß. In beständig neuen Besorgnissen bei dem Prinzen, in wiederholten Versicherungen der Treue von Neadarne, in Versprechungen der Zwickelbart an den Prinzen, daß Neadarne so von der Insel zurückkommen würde, wie sie hingegangen sei, ihre Heilung ausgenommen, die durch Feenkünste bewirkt werden würde und die ihrer Tugend nichts kosten sollte, in festem Beharren des Prinzen bei seinem Unglauben, der, wie's schien, viel Behagen daran fand, den allerschlimmsten Fall anzunehmen. Über dem allen brach endlich die Nacht an. Tanzai, der am Tage wohl zwanzigmal seine Meinung geändert hatte, legte sich mit dem Entschluß nieder, die Prinzessin reisen zu lassen. Die Zwickelbart, die Neadarnen einige Sachen von Belang zu sagen hatte, brachte, als sie sah, daß der Prinz vor Gram nicht schlafen konnte, es durch Zauberei dahin; dann begann sie wie folgt:

Quelle:
Claude Prosper Jolyot Crébillon: Der Schaumlöffel. Leipzig 1980, S. 140-145.
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