Siebenter Auftritt

[22] Timant, Damon.


TIMANT. Bleiben Sie noch ein wenig da! Ich muß mich erst von meiner Bestürzung erholen, ehe ich zur Gesellschaft gehe. Ich habe nöthig, mich zu bedenken, und meinen Plan von der Art zu machen, mit dem ich meinem Vater begegnen will. Er verstellet sich ganz gewiß! Seine Freude schien mir zu groß, um nicht gekünstelt zu seyn. Ich verdiene nicht, daß er mich so sehr lieben sollte! Er hat es ganz gewiß nur gethan, mich treuherzig zu machen.

DAMON. Hören Sie doch einmal auf, sich selbsten zu quälen, liebster Freund! Hören Sie auf, ein Feind Ihrer eigenen Ruhe zu seyn! Kein Mensch suchet, Sie zu hintergehen; Sie selbst hintergehen sich.[22]

TIMANT. Ich! ich betriege mich gewiß nicht! Mein Vater hat gewiß einen gefährlichen Anschlag. Haben Sie nicht bemerket, wie er Climenen lobete, und mich dabey starr ansah? Er sagte, er wäre von ihr entzückt! Sollte das nicht etwas zu bedeuten haben? Sollte er nicht vielleicht selbst mein Nebenbuhler – Doch nein, ich will es nicht hoffen.

DAMON. Und wer kann Climenen sehen, ohne entzückt zu seyn? Wer kann von ihr reden, ohne sie zu loben? Verbannen Sie einmal Ihren quälenden Argwohn.

TIMANT. Sie suchen allezeit, mir meinen Argwohn auszureden; Sie vertheidigen jedermann gegen mich.

DAMON. Also suche ich vielleicht auch, Sie zu hintergehen! Ich weiß es, daß Sie auch in Ihrem Herzen an meiner Freundschaft zweifeln. Ich darf Sie nicht meinen Freund nennen, aus Furcht, Sie möchten es für eine Verstellung halten. Sie betriegen sich, Timant! Sie kennen mein Herz noch nicht, und Sie beleidigen meine Zärtlichkeit.

TIMANT. Verzeihen Sie – Aber was sollen wohl Gerontens Reden bedeuten? Werden Sie ihn auch vertheidigen?

DAMON. Daß er sich verstellet, läßt sich gar nicht denken. Seine übel angebrachte Aufrichtigkeit ist sein größter Fehler; und ich dächte, wenn ein Mensch in der Welt lebet, der fähig ist, die Krankheit Ihres Gemüths zu heilen, so müßte er es seyn. Verzeihen Sie, wenn ich Ihr Mistrauen nicht anders nennen kann!

TIMANT. Ja, wenn es ohne Ursache wäre, so verdiente es diesen Namen. Aber ich habe zu viel in der Welt gesehen, um nicht argwöhnisch zu seyn. Ich habe Recht, niemanden zu trauen. Der Argwohn ist heute zu Tage eine der nöthigsten Tugenden.

DAMON. Ja, aber wenn er zu weit getrieben wird, wird er das Gegentheil.

TIMANT. Wir müssen zur Gesellschaft gehen. Sie möchten sich vielleicht jetzo gerade beschäftigen, einen gefährlichen Anschlag wider mich zu schmieden; wir müssen sie stören. Glauben Sie mir, mein Freund, daß ich niemals ohne Ursache mistrauisch bin. Ich bin es durch Vernunftschlüsse und durch Nachdenken geworden.


Geht ab.


DAMON. Unglücklicher Freund! – Doch noch tausendmal glücklicher, als ich! Was wird das Glück noch mit uns beyden machen? Armer Damon! leide, schweig, und wenn du unglücklich seyn mußt, so sey es als ein Opfer der Tugend.

Quelle:
Johann Friedrich von Cronegk: Der Misstrauische. Berlin 1969, S. 22-23.
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