Fünfter Auftritt

[34] Herr Orgon, Timant, Philipp.


HERR ORGON. Bist du allein, mein Sohn? Es ist mir lieb, dich einmal besonders sprechen zu können. Ich habe dich lange nicht gesehen. O wie viel habe ich dir nicht zu sagen! Ich muß mein ganzes Herz vor dir ausschütten. Wie hast du denn gelebt, seit dem ich dich nicht gesehen habe? Wie gefällt es dir hier? Es freuet mich, daß ich überall Gutes von dir höre.

TIMANT. Ich bin von Ihrer Liebe und Zärtlichkeit auf das Aeußerste gerühret.


Zu Philippen.


Er muß bey allen diesen Fragen eine Absicht haben.

HERR ORGON. Du bist nunmehr schon lange erwachsen; du bist mein einziger Sohn; ich wollte alles in der Welt geben, um dich glücklich zu machen. O! wie wollte ich mich erfreuen, wenn ich einmal eine liebenswürdige Schwiegertochter bekommen, und in euch beyden das Bild meiner Jugend wieder sehen könnte! Du wirst blaß und siehst verwirrt aus! Hast du dir schon etwas ausgesehen? Nun, ich weiß, daß du dir nichts ausgesehen haben wirst, das uns Schande machen könnte. Entdecke mir dein Herz; sey gegen mich nicht mistrauisch; ich bin dein Vater; niemand kann dich mehr lieben, als ich. Sage mir, wen du liebest?

TIMANT verwirrt. Glauben Sie ja nicht – gnädiger Herr Vater, daß die Liebe – an meiner Verwirrung Schuld ist. Man hat Ihnen vielleicht etwas zu meinem Nachtheil berichtet – und Sie wollen mich bestrafen –


Zu Philippen.


Seine Zärtlichkeit hätte mich fast gerühret; ich muß mich in Acht nehmen; ich weiß seine Absicht noch nicht.

HERR ORGON. Mir sollte etwas zu deinem Nachtheile berichtet worden seyn! Nein, liebster Sohn, glaube es nicht; ich traue dir alles Gutes zu. Die Liebe ist ja kein Fehler, dessen sich ein Jüngling zu schämen hat. Eine vernünftige Leidenschaft zeiget allezeit ein gutes Herz an. Gesteh mir nur deine Gesinnungen frey. Ich weiß, daß es hier in der Stadt liebenswürdige Schönen giebt. Zum Exempel, was ist Fräulein Climene, die hier im Hause wohnet, nicht für ein verständiges, gesittetes Mägdchen! Sie ist reich, sie ist schön; ihre Blicke, ihre Reden, ihre kleinsten Handlungen[35] zeigen ein vortreffliches Herz. Wie glücklich wird ihr Bräutigam nicht seyn?

TIMANT zu Philipp. Himmel! ich sehe, mein Argwohn war gegründet.

HERR ORGON. Du schweigst, und redest leise mit deinem Bedienten? Fürchtest du dich denn, mir dein Herz zu entdecken? Du betrübest mich. Kannst du glauben, daß ich es nicht gut mit dir meyne; so bist du meiner Liebe nicht werth. Bist du etwan schon versprochen? Gesteh es nur! ich bekräftige alles zum voraus; ich verzeihe dir alles; sey nur einmal offenherzig gegen mich!

TIMANT. Ich bin noch nicht versprochen; das kann ich Sie versichern. Ich rede ja offenherzig; ich fürchte nur – ich fürchte, es möchte uns jemand belauschen.

HERR ORGON. Es ist niemand da, als Philipp. Rede nur frey! Willst du mir die Freude machen, dich glücklich durch eine liebenswürdige Gattinn zu sehen? Oder bist du zum Ehestande nicht geneigt? Du hast in allem deine Freyheit. Sage selbst, habe ich deine Neigungen jemals zwingen wollen? Entdecke mir dein Herz nur!

TIMANT. Gnädiger Herr Vater, dieser Schritt ist so wichtig, daß ich unmöglich mich so entschließen kann, ob ich heurathen oder ledig bleiben soll. Ich bin dem Ehestande nicht feind.

HERR ORGON. Also willst du dich verheurathen?

PHILIPP stößt ihn. Ja, so sagen Sie doch ja.

TIMANT zu Philipp. Ach, ich hätte mich fast zu bloß gegeben! Zu Orgon. Ich bin noch zu nichts entschlossen. In einem Paar Tagen kann ich vielleicht mehr Vorsichtigkeit anwenden, und meinen Entschluß entdecken. Zürnen Sie mir nicht!

HERR ORGON. Auch damit bin ich zufrieden! Bedenke dich, thu, was du willst; ich bin mit allem zufrieden, wenn ich dich nur glücklich sehe. Ich will zur Gesellschaft hineingehen; ich gehe gar zu gern mit dem alten ehrlichen Geronte und mit seiner Fräulein Tochter um. Das Mägdchen hat so was bezauberndes an sich, das mich selbst rühren würde, wenn ich in deinen Jahren wäre. Was dünket dich davon?

TIMANT verwirrt. Daß – daß alles wahr ist – alles, was Sie belieben.


[36] Bey Seite.


Welche Marter!

HERR ORGON. Es ist schon ein Mägdchen, dem ich einen Bräutigam wünschete, der ihrer werth wäre. Ich bin recht von ihren Verdiensten entzückt. Du redest nicht, als wenn sie dir gefiele: Es ist mir leid, daß du nicht so eingenommen von ihr bist, als ich. Ich hatte sonst eine gewisse Absicht, eine Absicht, die ich dir schon einmal sagen werde.

TIMANT. Mit Climenen!

HERR ORGON. Ja, mit Climenen! Ich kann dir nichts verbergen. Ich hatte sie dir zur Braut zugedacht: aber du redest, als wenn sie dir nicht gefiele. Gesteh es, liebest du sie? und erzürne mich nicht durch Verstellungen und Mistrauen.

TIMANT. Ob ich sie liebe? Climene ist reizend! Es kömmt alles auf sie an; ich verstelle mich nicht; ich würde strafbar seyn, wenn ich so vieler Güte nicht trauen wollte. Und –

PHILIPP. O nun wird es einmal herauskommen.

HERR ORGON. Fahre fort!

TIMANT. Und ich – ich bitte mir unterthänig nur einige Stunden Bedenkzeit aus – ehe ich antworten darf.

HERR ORGON. Alles, was du willst, will ich auch. Bedenke dich, ich verlasse dich auf kurze Zeit, um zu der Gesellschaft zu gehen.


Orgon geht ab.


PHILIPP läuft ihm nach, und saget ihm. Er liebet sie auf mein Wort. Handeln Sie, als wenn er alles gestanden hätte.


Quelle:
Johann Friedrich von Cronegk: Der Misstrauische. Berlin 1969, S. 34-37.
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