Zweyter Auftritt

[40] Orgon, Geronte, Climene, hernachmals Timant.


ORGON. Stöhre ich Sie vielleicht, so will ich mich den Augenblick entfernen. Gespräche, die Fräuleinsachen betreffen, müssen nicht unterbrochen werden.

GERONTE. Possen! Wenn ich etwas mit meiner Tochter geheim zu reden hätte: so würde ich dich selber fortgehen heißen. Ich habe sie von der Gesellschaft geführet, um ihr von dem, was wir beschlossen haben, Nachricht zu geben.

ORGON. Sollte mein Sohn so unglücklich seyn, daß diese Nachricht eine Ursache der Traurigkeit wäre, die ich in Ihren Blicken sehe? Gnädiges Fräulein, Sie haben geweinet – Fürchten Sie sich nicht, mir es zu entdecken, wenn Sie etwan einen Widerwillen gegen meinen Sohn haben sollten. Ich habe ihn lieb: aber ich würde aufhören, ihn zu lieben, wenn er die Neigungen eines Frauenzimmers durch die Gewalt der Aeltern zu zwingen Willens wäre. Ich weiß gewiß, er denke, wie ich; und er wird lieber durch Ihren Verlust unglücklich werden, als Sie durch eine unüberlegte Leidenschaft unglücklich machen wollen.

GERONTE. Was das nicht für Geschwätz ist! Sie muß, und wenn sie auch nicht wollte: doch ich weiß, sie will. Sie ist ein gutes Kind; nicht wahr, du willst?

CLIMENE. Ja, gnädiger Herr Vater, ich bin bereit, Ihnen zu gehorchen. Glücklich, daß ich eine Gelegenheit finden kann, Ihnen zu zeigen, wie viel die kindliche Liebe Gewalt in meinem Herzen hat!


Zu Orgon.


Auch Sie, gnädiger Herr, sind nun mein Vater! Erlauben Sie mir, Sie mit allem dem Vertrauen einer Tochter anzureden. Verzeihen Sie denen Thränen, die Sie vielleicht, wider meinen Willen, bemerket haben. Es ist allezeit für ein junges Frauenzimmer ein schwerer Entschluß, sich in einen andern Stand zu begeben, den es noch nicht kennet. Ich werde vermuthlich meinen Vater verlassen müssen: Urtheilen Sie also, ob die Schwachheit, die ich durch Weinen begangen habe, zu entschuldigen ist?

ORGON. Ich bin recht bezaubert. Wie glücklich ist mein Sohn nicht! Wie glücklich bin ich, daß ich Sie meine Tochter nennen kann! Wie wird er sich nicht erfreuen, wenn er so eine fröhliche Nachricht hören wird, die er sich noch nicht vermuthet.[41]

GERONTE. Wie, hast du es ihm noch nicht gesagt, daß du um meine Tochter für ihn angehalten hast?

ORGON. Nein, ich habe es ihm noch nicht gesagt; ich habe wohl von etwas dergleichen mit ihm gesprochen. Du weißt, wie er ist, daß man seine wahren Gedanken nicht leicht aus ihm herauslocken kann.

GERONTE. Ja, zum Henker! das heiße ich wunderlich genug! Du weißt nicht, ob dein Sohn meine Tochter haben will, und hältst doch um sie an. Wenn nun alles unter uns richtig ist, so wird er närrische Einfälle haben; die werden alles verderben.

ORGON. Ich weiß aber, daß er deine Fräulein Tochter liebet. Er thut gewiß, was ich haben will; er ist ja sonst so wunderlich nicht.

GERONTE. Wenn du das sagest, so kennest du deinen eigenen Sohn nicht. Er hat ja bisweilen so seltsame Grillen und Einfälle, daß man sich zu Tode ärgern möchte. Neulich giengen wir mit einander durch eine enge Straße. Er lief entsetzlich, weil, wie er sagte, die engen Straßen zu Spitzbübereyen sich am besten schikken. Ich laufe ihm nach; er läuft noch ärger. Wie er endlich nicht mehr laufen konnte, und wir auf dem freyen Markte waren: so gestand er mir, daß er meinem Bedienten nicht getrauet hätte, weil er ein verdächtiges Gesicht habe. Er balbiret sich allezeit selber, aus Furcht, sein Bedienter möchte ihm die Kehle abschneiden. Siehst du nicht dort seine Stubenthüre? die allezeit mit einem Dutzend Vorlegeschlössern versehen ist, und an der er alle Ritzen mit Papiere verklebet hat. Einer von meinen guten Freunden, der mich besuchen wollte, gieng neulich nahe bey seiner Thüre vorbey. Er sprang heraus und fieng Händel mit ihm an, weil er glaubte, er hätte lauschen wollen, was in seiner Stube geredet würde. Und du sagest, er wäre sonst nicht eben wunderlich.

ORGON. So sehr mich meines Sohnes Thorheiten schmerzen, so wollte ich sie alle ruhig anhören. Es wäre mir lieb, sie alle zu wissen, um zu seiner Besserung mehr Waffen wider ihn zu haben. Aber in Gegenwart einer Person, die in kurzem seine Braut seyn wird –

CLIMENE. Verzeihen Sie mir, daß ich Sie unterbreche, gnädiger Herr Vater, ich weiß alle Fehler des mir bestimmten Bräutigams. Ich leugne es nicht, daß mir sein Mistrauen misfalle und mich[42] betrübet. Aber da ich doch einmal für ihn bestimmet bin, so halte ich es für meine Schuldigkeit, seine Fehler zu vertheidigen. Die Pflicht einer vernünftigen Frau ist, die Fehler ihres Gemahls allen anderen zu verhehlen, ihm aber alles offenherzig zu entdecken, und ihn zu bessern zu suchen. Das wird jetzo meine Absicht, das wird meine Pflicht werden. Statt mich abzuschrekken, erfreuet mich die Gelegenheit, meine Schuldigkeit auszuüben. Die Ermahnungen eines so verehrungswürdigen Vaters, und meine Bitten, werden ihm vielleicht die Fehler abgewöhnen, die wirklich nicht seinem Herzen, sondern seiner Einbildung, zuzuschreiben sind.

ORGON. Wie vernünftig redet sie nicht! Wie liebenswürdig macht sie nicht ihre Tugend! Erlauben Sie mir, daß ich Sie mit Freudenthränen umarme. Ich darf es ja thun; Sie sind ja meine Tochter. Ich bin recht entzückt, wenn ich ein so edles Herz finde.


Er umarmt sie. Timant, der gerade in diesem Augenblicke sich hinten in der Scene sehen läßt, erschrickt und bleibt stehen.


GERONTE. So recht, meine Kinder, umarmet euch!

ORGON. O mein Sohn kann unmöglich mehr von Ihnen entzückt seyn, als wie ich! So einer Frau wird er nimmer werth.

GERONTE. Das wäre alles gut: aber daß Timant noch nichts von der Sache weiß, geht mir in dem Kopfe herum! Er möchte närrische Streiche anfangen, wenn er es nicht erfährt.

ORGON. Ach! sey nur zufrieden, ich will es ihm schon sagen.

GERONTE. Nun, so kommt hinein. Bey Tische soll alles richtig werden. Ich will deinen Sohn bitten; es soll schon alles gut gehen. Komm mit!


Geronte und Orgon gehen ab.


Quelle:
Johann Friedrich von Cronegk: Der Misstrauische. Berlin 1969, S. 40-43.
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