Sechster Auftritt

[48] Timant, Philipp.


TIMANT. Hole mir geschwind das gewöhnliche Essen beym Speisewirthe. – Ach, ich werde keinen Bissen essen können; so sehr bin ich niedergeschlagen! Ich muß doch zu einem Entschlusse greifen. Wohin soll ich mich wenden? Wo soll ich Hülfe suchen?[48]

PHILIPP. Ihre traurigen Gebärden machen mir fast Lust, eher zum Arzte, als zum Speisewirthe zu laufen. Ermuntern Sie sich, gnädiger Herr! was ist an so ein wenig Kopfweh gelegen?

TIMANT. Ach, mein Kopfweh war eine Erdichtung und eine geschickte Ausflucht, die mir meine Klugheit eingegeben hat. Sieh, hier lies.


Er giebt ihm das Papier.


PHILIPP. Sie wissen ja schon, daß ich nicht lesen und nicht schreiben kann. Woher haben Sie denn das zerrissene Papier?

TIMANT. Ich fand meines Vaters Brieftasche sorgfältig verschlossen: er muß etwas geheimes darinnen verborgen haben; sonst würde er sie so sorgfältig nicht verschließen. Zum Glücke sah ich, daß ein Stück Papier heraus kuckte; ich las einige Worte, wurde begierig, riß es heraus: aber die eine Hälfte konnte ich nicht heraus bekommen, und der Brief zerriß. Er ist von Cleons Hand, der ein alter Freund von meinem Vater ist. Höre, was darauf steht, und sage mir hernach, ob ich noch Unrecht habe, zu glauben, daß mein Vater mit Climenen verheurathet ist. Der Anfang fehlet.


Er liest.


»Ich wünsche, daß so ein liebes Paar recht lange vergnügt mit einander leben könne. Zweifeln Sie nicht an dem Herzen Ihres Herrn Sohnes! Er wird mit allem zufrieden seyn, wenn Sie es haben wollen; und Sie haben Unrecht gethan, ihm Ihre Absichten, wegen Climenen, so lange zu verschweigen. – Ich bin –« Nun! bist du überzeugt? Kannst du noch ein Wort sagen?

PHILIPP. Gnädiger Herr, die andere Hälfte des Briefes könnte vieles erklären. Ich halte, mit Ihrer gnädigen Erlaubniß, den Beweis noch für zweifelhaft. Bedenken Sie nur, daß in einer so kurzen Zeit, als der Herr Vater hier ist –

TIMANT. Wer weiß, wie lange er sich unbekannt aufgehalten hat? Man sieht doch sonnenklar aus diesem Briefe, daß er Climenen liebet. Ich weiß gewiß, daß er schon mit ihr verheurathet ist; und ich soll dem alten Geronte trauen? Wer weiß, was er an mir findet? Es wäre gut für seine Tochter, wenn mein Vater mich enterbte. – Oder wer weiß, was er sonst für Absichten hat? Lisette kam gewiß bloß deswegen hieher, mich durch ihre Schmeicheleyen zum Hinaufgehen zu bewegen.

PHILIPP. Aber was kann Ihnen denn geschehen?[49]

TIMANT. Ach, allerhand! Ich erinnere mich, daß, wie ich zuvor zum Fenster hinaus sah, einer von Gerontens Bedienten aus der nahen Apotheke kam. – Es könnte doch eine heimliche Bosheit hinter seiner Aufrichtigkeit stecken. Ich kann unmöglich trauen! Wenn ich nur erst wüßte, wie ich mich verhalten sollte! Verwünscht sey doch meine Liebe, meine Zärtlichkeit, meine Art, allzuleicht jedermann zu trauen, Geronte, Climene und ich selber!

PHILIPP. Climene!

TIMANT. Ich werde noch gezwungen werden, zu einem ganz rasenden Entschlusse zu greifen.

PHILIPP. Hier kömmt schon fast die ganze Gesellschaft.


Quelle:
Johann Friedrich von Cronegk: Der Misstrauische. Berlin 1969, S. 48-50.
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