Achter Auftritt

[52] Timant, Philipp.


TIMANT. Hast du es gehört, hast du es gesehen, mit was für einer Verstellung, mit was für Bosheit sie mich haben überreden wollen? Auch Damon war dabey! Ich habe längst vermuthet, daß er von allem weiß! Aber so weit hätte ich nicht geglaubt, daß Menschen Bosheit reichen könne! Treuloser Geronte! Was soll ich thun?

PHILIPP. Nach einem Arzte schicken!

TIMANT. Ja, du hast nicht ganz unrecht. Ich habe zwar heute noch nichts gegessen; ich wüßte nicht, was ich sollte bekommen haben; es müßte in meinen Handschuh etwas gekommen seyn; ich will es nicht hoffen; es kann mir niemand in meine Stube. Ich glaube aber doch, ich thäte wohl daran, wenn ich etwas von dem Gegengifte einnähme, das ich beständig bey mir trage. Wie soll ich es anfangen, mich so vielen drohenden Gefahren zu entziehen? Ich muß doch einmal zu einem verzweifelten Entschlusse greifen!


Er steht in Gedanken.


PHILIPP. Beruhigen Sie sich doch, gnädiger Herr! Es ist mir ganz bange! Hat das Kopfweh irgend ärger zugenommen?

TIMANT. Ja, meine Entschließung ist fest! Ich will fliehen! Ich will mich den Nachstellungen eines grausamen Vaters, des treulosen Gerontens, und des betrügerischen Damon entziehen! Philipp! hole mir geschwind einige Gerichte bey dem Speisemeister, und bestelle mir so heimlich, als möglich, ein Pferd.

PHILIPP. Und ungeachtet Ihres Kopfwehes wollen Sie spazieren reiten?

TIMANT. Ich will mich in ein Dorf begeben, in dem ich am wenigsten ausgekundschaftet werden kann: dort will ich als ein Bauer[52] unbekannt, unglücklich, verachtet, aber doch vor den Nachstellungen der Hinterlist gesichert leben.

PHILIPP. Wahrhaftig, ein schöner Entschluß! Ich habe mir einmal aus einem großen Buche so etwas vorlesen lassen, ich glaube, es heißt Amadis aus Frankreich! Von was wollen Sie denn leben?

TIMANT. Von einigem wenigem Gelde, das ich bey mir trage, von der Arbeit meiner eigenen Hände. Lieber als ein Tagelöhner geboren, lieber Hungers gestorben, als beständig in so großer Gefahr, und unter solchen Leuten zu leben! Mich deucht, daß ich gehört habe, daß ein Werbeofficier sich in einem nahen Flekken aufhält; da will ich mich unterhalten lassen, und mein Leben lieber als ein gemeiner Soldat in einer Schlacht wagen, ehe daß ich es hier als ein feiger und unvorsichtiger Mensch verliere.

PHILIPP. Bedenken Sie doch –

TIMANT. Keine Widerrede! Thu, was ich dir befohlen habe! Bestelle das Pferd, und laß dir, so lieb dir dein Leben ist, ja nichts abmerken. Ich will an alle meine treulosen Freunde schreiben; du sollst ihnen nach meiner Abreise die Briefe bringen. Hole mir nur noch vorher ein wenig Essen. Geh hin, mein lieber Philipp, du bist der einzige Mensch in der Welt, dem ich traue; ich verlasse mich auf dich; hintergeh mich ja nicht! Ich will hinein gehen und geschwind schreiben: doch nein, bringe mir Tisch, Feder und Dinte heraus.

PHILIPP. Warum? Sie können ja in Ihrem Zimmer bequemer, als in Ihrem Saale, seyn.

TIMANT. Nein, man muß sich auf alles gefaßt machen. Du weißt, daß ich die Fenster meiner Stube mit einem Gegitter habe versehen lassen. Wenn ich hier irgend sollte angegriffen werden: so kann ich mich durch das Fenster retten. Hole mir den Tisch! – Ich fürchte immer, dieser Verräther möchte meinen Vorsatz meinen Feinden entdecken; ich muß mir zu helfen suchen.


Er zieht den Degen; Philipp bringt den Tisch.


Philipp! Siehst du diesen Degen?

PHILIPP zitternd. Ach, ach, gnädiger Herr, ich sehe ihn, ich sehe ihn! O nun bin ich des Todes!

TIMANT. Diesen Degen will ich dir durch das Herz stoßen, wenn du jemanden meinen Vorsatz entdeckest; und diesen Beutel mit Ducaten sollst du haben, wenn du mir treu bist. Wähle![53]

PHILIPP. Ach, gnädiger Herr, ich habe schon gewählt! Stecken Sie nur den Degen ein; es thun mir die Augen von seinem Glänze weh!

TIMANT. Nun, so schwöre mir bey allem, was heilig ist, niemanden etwas zu sagen. Tritt näher her, lege die Hand auf den Degen, und schwöre.

PHILIPP. Ich schwöre, ich schwöre bey meiner Ehrlichkeit: bey meinem Kopfe: bey meiner Furcht, ich will verschwiegen seyn, und thun, was Sie haben wollen.

TIMANT. Nun, so geh und hole mir zu essen! So bald ich auf das Pferd steige, sollst du den Beutel haben.

PHILIPP. Ich gehe den Augenblick; ich werde nicht vergessen, das Pferd zu bestellen; ich wünsche Ihnen Glück auf die Reise.

TIMANT. Allein, ich habe doch nicht recht gethan; ich hätte ihn nicht erschrecken sollen. Wer weiß, was er nun thut? Ich sollte ihm wohl nachschleichen: doch nein, es gehe, wie es gehe, ich muß schreiben.


Er setzet sich an den Schreibtisch, schreibt, und liest, was er schreibt, laut; sieht sich aber immer furchtsam dabey um, und springt manchmal erschrocken auf.


Zuerst muß ich an Climenen schreiben!


Er schreibt.


Gnädige Frau Mutter! Wenn ich eher gewußt hätte, daß ich Ihnen diesen Titel geben sollte; so würden Sie die Beschwerlichkeiten, die Ihnen meine allzuzärtliche Liebe verursachet hat, ersparet haben. Ich schreibe Ihnen nicht, um mich über Sie zu beklagen: mein Brief würde sonst zu weitläuftig werden. Eine Zärtlichkeit, wie die meinige, hätte wohl mehr Aufrichtigkeit von Ihnen verdienet. Ich nehme nun auf ewig von Ihnen Abschied. Ich wünsche es selbst, daß mich mein Vater enterben möge, um Ihnen mein Vermögen zu lassen. Leben Sie glücklich, und vergessen Sie Ihren unglückseligen Stiefsohn, Timant. – Das wäre nun genug! Von meinem Vater muß ich nun Abschied nehmen.

PHILIPP. Gnädiger Herr, ich habe das Essen schon fertig gefunden; in einer halben Stunde soll das Pferd hier seyn. Wo soll ich den Tisch decken?

TIMANT. Setze mir das Essen geschwind hieher.


Er steht auf, geht auf und ab, überliest seinen Brief.
[54]

PHILIPP bringt ein Gericht. Hier ist schon die Suppe: gleich soll mehr kommen.


Geht ab.


TIMANT. Es wird doch im Essen nichts seyn!


Er sieht ernsthaft in die Schüssel.


PHILIPP kömmt wieder mit einer Flasche Wein. Wollen Sie sich nicht zu Tische setzen?

TIMANT. Nein, ich habe keinen Hunger. – Versuche doch einmal und sieh, ob diese Speisen recht zugerichtet sind! Ich weiß, du verstehst dich darauf.

PHILIPP fängt an zu essen. Recht gut, recht gut, versuchen Sie nur! (Ich will wetten, er glaubet, ich hätte ihm Mäusepulver hineingestreuet.)

TIMANT nimmt die Flasche. Der Wein sieht, wie mich dünkt, heute sehr trübe aus.

PHILIPP. Befehlen Sie, daß ich ihn auch versuchen soll?

TIMANT. Ja, versuche ihn, und sage mir, wie er schmecket.

PHILIPP. O vortrefflich! Ihr hohes Wohlseyn, gnädiger Herr.


Er trinkt.


TIMANT. Die Flasche muß nicht recht ausgespület seyn. Mich dünkt, am Grunde bemerke ich etwas trübes. Trink sie nur gar aus; ich will weder essen, noch trinken.


Er geht auf und ab. Philipp ißt und trinkt, und sieht ihm zu.


PHILIPP. Nur aus Mistrauen Hunger leiden, ist eine seltsame Sache. Doch, was geht es mich an? Desto besser für mich!

TIMANT. Was sagest du?

PHILIPP. Nichts, gnädiger Herr; ich war nur mit meiner Flasche beschäfftiget. Dero Vergnügen, gnädiger Herr.


Er trinkt.


TIMANT. Räume hier alles weg, ich will hineingehen, und mich zur Reise fertig machen; ich will unten im Garten auf das Pferd warten, und meine Briefe vollends schreiben, die du übergeben sollst.

PHILIPP. Wenn ich nur kein schlimmes Bothenlohn bekomme!


Geht ab.
[55]

TIMANT. Unglücklicher Timant, folge deinem Verhängnisse, und entflieh! Flieh, wenn es möglich ist, in eine Wüste, da du von dem Umgange der Men schen getrennet, den Rest deines traurigen Lebens hinbringen kannst. Dein Herz ist zu gut für die Welt – Doch wer weiß, ob ich mich nicht selbst betriege? Man muß keinem Menschen in der Welt trauen, dem Vater, der Liebsten, dem besten Freunde nicht, sich selbst aber am allerwenigsten.

Quelle:
Johann Friedrich von Cronegk: Der Misstrauische. Berlin 1969, S. 52-56.
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