Erster Auftritt

[57] Damon. Lisette.


DAMON. Verlaß mich, Lisette!


Er wirft sich in einen Lehnstuhl.


Laß mich wieder zu mir selbst kommen! Meine Schwachheit und meine Verzweifelung wären fast ausgebrochen. Ich weiß nicht, wo ich bin, und eine tödtliche Schwäche benebelt alle meine Sinnen.

LISETTE. Befehlen Sie ungarisch Wasser? Sie erschrecken mich recht! Ich kann es Ihnen nicht verdenken, wenn Sie diese Nachricht bestürzt. Ich bin selbst darüber erschrocken. Aber trösten Sie sich nur. Jetzo ist zur Verzweifelung noch nicht Zeit. Wer weiß, was noch geschieht? Mein gnädiges Fräulein ist ja noch nicht verheurathet; sie liebet Sie, und –

DAMON. Halt ein, ich beschwöre dich darum! Halt ein! suche nicht, mir wieder eine falsche Hoffnung einzuflößen. Die Hoffnung war es, die mein Herz überwältiget hatte, die jetzt an meiner Verzweifelung Schuld ist. Sie ist es, die die Ursache meiner Schwachheit ist, die ich mir selbst vorwerfe. Ich hoffte, geliebet zu seyn. Ich glaubte, Timant würde anderwärts verheurathet glücklich seyn können. Ehe ich hoffte, geliebt zu seyn, hatte ich mich in mein Unglück ergeben. Ich war schon dazu bereit, mein Leben einsam und traurig durch zu seufzen. Ich war fest entschlossen, meine Schwachheit in mich zu verschließen. Aber die Hoffnungen, die du mir gabest, diese annehmlichgrausamen Hoffnungen, die mich einige Augenblicke lang glücklich machten, vermehrten mein Unglück. Ich stellete mir lauter angenehme Sachen vor; ich war in meinen Gedanken der Glücklichste in der Welt; ich saß bey Tische neben Climenen, als unvermuthet Geronte seinen Entschluß, sie mit Timanten zu verheurathen, entdeckte. Ich wurde betäubet; ich glaubte, zu träumen; ich glaubte, zu versinken; ich sah Climenen an; sie gab mir einen Blick, o Himmel! einen unvergeßlichen Blick! Sie schien gerühret, ich sah eine langsame Thräne – o Himmel, ich kann nicht mehr![57]

LISETTE. Ich werde bald mit Ihnen weinen. Ich sah es freylich Ihnen allen beyden an, was Sie dachten. Es ist nur gut, daß Sie eine plötzliche Ueblichkeit zum Vorwande brauchten, um hinaus zu gehen. Die Veränderung in Ihrem Gesichte hätte sonst alles verrathen.

DAMON. O Lisette, ich kann es nicht ausdrücken, was ich empfinde! Sie liebet mich, und ich verliere sie. Bald wird sie in andern Armen seyn; sie wird mich vergessen, ich wünsche es. Das ist das letzte, um was ich sie bitten will. Wenn sie mich vergißt, so ist sie vielleicht glücklich. Ich werde sie nicht vergessen. So lange ich lebe, werde ich ihren Verlust beweinen. Ich hoffe, es wird auch nicht mehr lange seyn. Zu sehen wünschte ich sie noch einmal, sie zu sehen, und dann zu sterben. O Climene, liebste Climene, lebe wohl! sey glücklich! glücklich ohne mich! und denke nach meinem Tode bisweilen daran, daß ich dich über alles geliebet habe!


Lisette trocknet sich die Thränen ab.


Du weinst? Der Himmel segne dich wegen deines Mitleidens. Sage Climenen nichts von meiner Verzweifelung; sie möchte sich betrüben. Lebe wohl!


Er will abgehen.


LISETTE. Bleiben Sie doch! Ich kann Sie in diesem Zustande unmöglich weggehen lassen. Rufen Sie alle Ihre Stärke, alle Ihre Tugend zurück. Alle Hoffnung ist noch nicht verloren. Sie redeten ja vorher so herzhaft, Sie hielten sich stark genug, Ihrem Freunde, was Sie liebeten, abzutreten.

DAMON. Ja, du hast Recht, mir meine Schwachheit vorzuwerfen. Ich schäme mich meiner selbst. Ich weiß es, wie niederträchtig es ist, bey seines Freundes Glück aus Neid und Betrübniß zu verzweifeln. Ich bin der Freundschaft, der Tugend, mir selbsten ungetreu: ich bin der unglücklichste der Menschen; und ich bin es werth, ich weiß es. Aber ich kann meinen Schmerzen nicht widerstehen. Ich wäre vielleicht stark genug, meinem Freunde Climenen abzutreten: aber ihren Verlust zu überleben, geht über meine Kräfte.

LISETTE. Und das müssen Sie doch thun! Ich rathe Ihnen, wenn ja etwas aus der Heurath werden sollte, wegzureisen, und mein Fräulein nimmer zu sehen. Sie haben ihr noch nichts von Ihrer Liebe gesagt. Sie hat Ihnen die ihrige verborgen. Suchen Sie sich zu beruhigen, um was Sie lieben, nicht unglücklich zu machen.[58]

DAMON. Ja, du hast Recht! Ich will es thun; ich will es versuchen; ich will standhaft seyn; ich will eher sterben, als mich meiner Schwachheit überlassen.

LISETTE. Das gnädige Fräulein kömmt! Nehmen Sie allen Ihren Muth zusammen.

DAMON. O Tugend! O Himmel! stehet mir nur dießmal bey, helfet mir meinen Schmerz dießmal nur bezwingen, und hernach lasset ihn, mich zu tödten, stark genug werden!


Quelle:
Johann Friedrich von Cronegk: Der Misstrauische. Berlin 1969, S. 57-59.
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