[Ein blendendes Treppenhaus hält mich umfangen]

[242] Ein blendendes Treppenhaus hält mich umfangen.

Ich weiß nicht, wie recht durch die Knäule und Schlangen

Von Masken und Schleppen zum Saal zu gelangen.

Treppauf und treppab seh ich Dominos stiegen

Und riesig gewandt, sich in Festgruppen schmiegen.

Das wirbelt und plaudert. Das blendet die Sinne.

Das funkelt und flunkert von flüchtiger Minne.

Das fächelt mit rosigem Fächer noch Scham

Ins blasse Gesicht eines alternden Gecken,

Der eben sich etwas zu eifrig benahm.

Ich sehe mit Küssen sich Arme bedecken.

Dort wirft eine Dame den Handschuh zurück;

Ein Jüngling berührt ihre Spitzen voll Glück;

Und niemals bemerkte ich Kleider, Geschmeide,

So sehr, als wenn Larven die Züge verhüllen.

Jetzt heben sich Finger behandschuht zum Eide,

Erwünschtes verspricht man sich bald zu erfüllen!

Es ist das ein Vorspiel in rauschender Seide.

Ich selbst aber sehne mich weg von den Stiegen

Und trachte mich langsam ins Innere zu schmiegen.

Es schweift nun mein Auge durch flimmernde Zimmer,

Rings spiegelt sich Flitter und Lüsterlichtschimmer.

Ein Walzer fängt an manches Paar zu beschwingen

Und rhythmisch den festlichen Saal zu durchklingen.

Jetzt wirbelt und tanzt alle Welt durcheinander,

Im Umkreise protzen verlaßene Matronen.

Es streift mich soeben ein Prachtsalamander.

Ein Zwiegespräch könnte sich allerdings lohnen.

Doch ist er bereits unter Feen verschwunden.

Nun faß ichs, es handelt sich hier um Sekunden!

Die nächste Entstiegene lohender Gluthen

Wird sicherlich gleich, wo es sei, angehalten;[242]

Vergnüg ich sie dann blos auf kurze Minuten,

So fürchte ich nimmer die rothen Gewalten!

Ein Domino, schwarz wie die Nacht in den Meeren,

Trägt Perlen im Haare. Ich sah ihn schon früher.

Vielleicht sind das Schnüre urkünftiger Zähren.

Wer weiß? Er ist lustig, denn viele Bemüher

Und junge Erglüher umschwirren ihn heiter.

Nun lassen wir sie, und lustwandeln wir weiter.

Die Kerzen umschimmern schon flimmernde Schleier,

Und Wandspiegel geben sie kugelhaft wieder;

Fürwahr, oben hangen jetzt durchsichtige Eier

Und gießen ihr Irislicht rieseldicht nieder.


Kurz nur treffen sich die Blicke,

Jedes denkt an heitere Dinge.

Knüpft durch eine Zufallsschlinge

Hier der Augenblick Geschicke?

Ist ein Ansturm wo geglückt,

Plötzlich wird dort hell gelacht.

Ward ein Fall ans Licht gebracht?

Jede Laune wird zerpflückt!

Skepsis ist des Faschings Wesen,

Seine Freude Medisance,

Lauter kleine Antithesen

Geben Witzen Resonance:

»Seht im Spiegel jene Damen

Haben Häubchen wie ein I,

Passen wirklich in den Rahmen!«

Lacht ein Täubchen mit ésprit.

Hier ist alles Rokoko,[243]

Blüthenbüschel schlüpfen sacht

Aus der Zierrat blasser Pracht.

Engel sitzen ohne Tracht

Hoch auf Wolken irgendwo.

Feen schweben im Trikot,

Über unserem Erdniveau.

Alle sind galant und froh,

Masken geben Rendezvous,

Vor der Hand, nur Fuß an Fuß,

Gottseidank inkognito.

Überall wird kokettiert,

Herzen brennen lichterloh,

Jeder Witz ist unmaskiert,

Wehe jedem, der sich ziert!

Hier kommt alles apropos,

Nur! wo bleibt mein Domino?

Schwupps! da huscht er durch den Saal!

Maske, hab ich dich einmal!

Muth, mein zugereister Mann!

Sprechen wir sie höflich an:

»Magst Du Maske, mir Vertrauen schenken,

Möchte mich um Deine Gunst bemühen,

Laß den Blick in Deine Seele senken

Und den Fall der Larve hold verfrühen.

Wenn zwei Menschen Gleiches denken,

Kann ein Blick ein Ja versprühen,

Unser Fühlen hold zur Liebe lenken,

Und die Herzen aneinanderglühen!«

Meine Kühnheit hat gefallen,

Denn ich bin schon eingeladen,

Plaudernd auf und ab zu wallen,

Und nach heitern Promenaden,[244]

(Kann ich wirklich amüsieren)

Ernste Themen zu riskieren.

Doch vor allem will ich loben:

»Holde Maske, Du bist prächtig,

Deine Schönheit mitternächtig,

Perlen, die Du rings verwoben,

Gleichen Deine trauten Augen,

Die nicht für die Erde taugen.«

»Nicht so schnell, das Paradies,«

Heißt es jetzt: »ist furchtbar weit,

Und da man mich draus verstieß,

Trag ich jetzt als brave Maid

Muthig jedes Erdenleid!«

»Oh es ist die Einsamkeit,«

Fall ich ein: »Voll Bitterkeit,

Täglich schlag ich eine Schlacht,

Mein Alleinsein giebt mir Macht,

Du jedoch bist wie die Nacht,

Weib und schwarz und voller Pracht!«

»Müßte Dich erst ganz erproben

Kannst bestimmt auch Andere loben!«

»Oh, bewundern kann ich Viele,

Manche,« sag ich: »hat Geschmack,

Helles paßt zum Faschingstile,

Schwarz jedoch zu meinem Frack!«

»Schließe nicht nach dem Gewand!«

Hör ich: »Mann aus fremdem Land,

Oft verbirgt die schwarze Hülle

Weiser Schönheit Überfülle!«

»Ganz und gar nicht, glaube mir,«

Fall ich ein: »Gewand und Zier

Sprechen offener als ein Mund:[245]

Deine Seele ist ein Schlund.

Weißes Fleisch ist ein Geschenk.

Deine Schönheit Dir zu eng.

Durch die Larve, nicht die Haut,

Hab ich ganz in Dich geschaut!«

»Was Du sprichst ist zwar gewagt,«

Wird als Antwort mir gesagt:

»Doch es freut mich immerhin,

Deine Worte haben Sinn.

Willst Du mit mir plaudern gehn?

Hier wo sich die Paare drehn,

Die Musik von Liebe girrt,

Wird man ganz und gar verwirrt!«

»Auf ein recht vertraulich Wort,«

Sag ich: »geh ich gerne fort,

Hier im Saal ist es so warm:

Schlanke Mohrin, Deinen Arm

Und zugleich die kleine Hand,

Als ein erstes Freundschaftspfand!«

»Alma dürfen Sie mich nennen,

Doch von nun an, bitte: Sie.

Sollen lieber gleich mich kennen,

Denn Sie haben Phantasie.

Stellen Sie sich wenig vor,

Schließen Sie nach meinem Ohr,

Das ist klein und etwas rund,

Und so ungefähr der Mund!«

»In die allerliebste Muschel«,

Sag ich: »wispert man kein Sie,

Du und Du wirkt im Getuschel

Voll von dunkler Harmonie!«

»Nun so muß die Larve fallen!«[246]

Heißt es nun mit Energie.

Was nun folgt, kann mir gefallen,

Dieses Weib hat Poesie!

»Werthe Dame, Ihre Blicke

Gaben mir den ersten Stich,

Doch ich glaube an Geschicke,

Und verstehe manchen Schlich.

Wollte mir daher vertrauen:

Frauen sind nicht fürchterlich,

Doch gesteh ich, Ihre Brauen

Triumphieren über mich!«

Kaum bin ich damit zu Ende,

Reicht sie mir vergnügt die Hände:

»Dem Besiegten«, sagt sie: »Gnade,

Sein wir offen und gerade,

Eben noch voll Prüderie,

Hab ich jetzt schon Sympathie!«

»Nun so wandern wir denn weiter,

Flüchten wir von Saal zu Saal!«

Meine ich vergnügt und heitert

»Menschen sind mir eine Qual,

Sehn wir lieber durch das Fenster,

Hinterm riesigen Krystall,

Auf die silbernen Gespenster,

Dort beim großen Wolkenball!«

»Oh da bin ich gern dabei,

Was ist, bitte, Poesie?

Sehe sie in allerlei,

Doch ihr Wesen saß ich nie!«

Wie mich das die Dame frägt,

Sage ich ihr unentwegt:

»Treue Freunde, Traumgebilde,[247]

Jeder Ahnung Wahrgestalt,

Unseres Wanderns Mondgefilde,

Gar kein Ziel, ein innerer Halt!

Lebenshauche unserer Lieder,

Frühjahre der Seelennacht,

Hier an Ihrer Brust der Flieder,

Der mich bang und froh gemacht,

Aller Dinge Melodie,

Nicht der Glanz, doch das Genie,

Tiefste Wirbelharmonie,

Ist ganz greifbar Poesie!«

»Jene Dame dort im Saale

Scheint mir schön geschmückt zu sein,

Ja, es ist mir, als verstrahle

Sie den klarsten Sonnenschein,

Ihre Tagsmaragden leuchten

Und ich sagte gern, befeuchten

Wie ein helles Quellengrün

Wiesen, wo Narzissen blühn!«

In die Rede stimm ich ein:

»Sehn Sie dort, im Kerzenschein,

Ruht ein Weib fast mitternächtig,

Nur Rubine und Granaten

Übersprühn es urbedächtig:

Skeptisch gegen Tagesthaten

Scheuen sie fast jeden Laut!

Doch auf Ihrem Haare graut

Schon des Morgens Perlenschimmer,

Oh sie tagen, tauen immer!«

Ihre Larve fällt herab,

Scham und erstes Morgenroth

Sah und haschte ich noch knapp,[248]

Und ich weiß was mich bedroht!

»Kommen Sie, doch vor den Leuten

Bleibt es noch beim alten Du!

Dieses Sie darf nichts bedeuten!«

Meint die Maske voller Ruh,

»Nun das sei, um Mitternacht,

Sag ich so wie so dann Sie,

Maske, durch Deinen Esprit

Wird die Zeit mir kurz gemacht!«

Kaum erst ist das ausgesprochen,

Werden laut wir unterbrochen.


Es wirbeln und rascheln im Saal Tamburellen,

In Seide gekleidete Masken umtollen,

Als Eidechsen, Falter, Insekten, Libellen,

Bacchantinnen, die ihre Spenden entrollen.


Mit Reben umgeben sie Fenster und Thüren,

Satyre verschenken Orangen und Nüsse,

Silen will die lieblichste Nymphe verführen,

Und Kinder mit Lichtflügeln werfen uns Küsse.


Jetzt tritt Aristophanes selbst auf das Podium

Und ruft die italischen Masken ins Leben;

Wir sehn lauter Frauen voll Kampflust und Odium,

Und Männer sich weiblichen Launen ergeben.


Rosaura hat eben den Hausstand zerschlagen,

Es kann Harlekin sich darüber nicht trösten,

Doch auch Pantalon nicht den Jammer ertragen,

Er läßt bei Brighella rasch Trostäpfel rösten.
[249]

Das alles erklärt von olympischer Warte

Ein Weib, das verzückt aus dem Chore getreten;

Es sagt uns, es sei die Commedia dell' arte

Das letzte Hellenenthum junger Poeten.


Nun schenken uns Faune ganz reizende Düten;

Wir öffnen sie, tosten und schneiden Gesichter,

Wir möchten das bittere Geheimniß behüten,

Doch schwatzt schon und lacht das Paniskengelichter.


Das Weib am Kothurne entschuldigt sich heiter

Und schwört uns bei Bacchus, das seien die Reste

Des attischen Salzes und fahrt munter weiter,

Was wir nun besorgten, sei weitaus das Beste


Aus Hellas, homerisches Riesengelächter!

Wir sollten es tief aus den Bauchhöhlen holen,

Denn Dionysos liebt alle frohen Geschlechter!

Und nun schlagen Kobolde laut Kapriolen.


Auf einmal erscheinen im Saale Laternen.

Wer trägt sie und schwingt sie? Ganz weiße Gestalten,

Pierrots mit hellflimmernden, blendenden Sternen,

Beginnen jetzt schweigsam beim Feste zu walten.


»Sie sind dem eleusischen Dunkel entstiegen

Und kennen die Paare, die bald sich vermählen,

Und werden sich gleich an die Glücklichen schmiegen!«

Beginnt nun die Pythia mit Schwung zu erzählen.


Nun wird meine Maske, dann ich von Laternen

Und stummen Geberden umschwirrt und umgaukelt,

Und trotzdem die Lichter sich endlich entfernen,

Ists beiden, als würden wir förmlich geschaukelt.
[250]

Gottlob, die Prophetin fährt fort: »Die Laterne

Hat Diogenes diesen Pierrots hinterlassen,

Doch auch seine Tonne, – ich zeige sie gerne –,

Ist da, sie kann heimliche Insassen fassen!«


Es will meine Maske nicht wegsehen. Verlegen

Erwarten wir beide recht peinliche Scherze.

Doch nein! Ein gefälliger Gott ist zugegen

Und tritt mit dem veilchenumwundenen Märze,


Der Blumen verstreut, rasch im Pantherfell auf.

Das Faß wird gewendet; es sprudelt der Wein

Wie Gold aus dem Spund; seinen schäumenden Lauf

Durchkreuzen und dämmen nur Trinkbecher ein.


Verschiedene Zwerge mit kreischenden Stimmen

Und sprechende Vögel erscheinen im Saal;

Sie thuen, als würden sie neidisch ergrimmen

Und machen im Fistelton argen Skandal.


»Folge mir aus diesem Saal,

Hier ist alles zu konfus,

Das wird fast ein Bacchanal!«

Sagt die Maske: »Billigst Dus?«


»Nein, ich gehe gerne fort,«

Sage ich sogleich erfreut:

»Sprechen wir ein trautes Wort,

Sinnlos, aber doch gescheit!«


»Sehn wir jetzt dem Windfest zu!.«

Sagt die Maske überrascht,[251]

Wie sie plaudernd, ganz im Nu,

Eine Mondvision erhascht.

Hinterm Fenster sehen wir

Wolkenrosse Leichen ziehen,

Und ein helles Silberthier

Glotzt in Chaosharmonien.

»Willenlose Wirbel sind

Wilde Beute ohne Herrn,«

Meint die Maske: »jedem Wind

Folgen, geben sie sich gern.«

»Flockenwolken stocken dort!«

Fall ich in die Rede ein:

»Scheuen sich in einem fort,

Formen oder Gischt zu sein.«

»Nebeldüten öffnen sich,

Weiße Kelche gehen auf,«

Meint die Maske feierlich:

»Sieh den dichten Irishauf!«

»Welches fabelhafte Gold,

Welche große Pollenwuth,«

Sag ich: »sich dort hoch entrollt

Und dann überm Monde ruht!«

»Gehn wir weiter, möchte jetzt

Eigentlich am Meere sein!«

Sagt die Maske: »denn zuletzt

Sah ich es im Mondenschein.

Ringsum perlte der Kies,

Lauter Wünsche huschten auf,

Alles zerrte, schwirrte, stieß

Ohne Anfang und Verlauf.«

»Habe ich nicht recht geahnt,

Als ich sagte, daß Dein Geist[252]

Dich an dunkle Hüllen mahnt?«

Frage ich die Maske dreist,

Sie erwidert: »Sicherlich

Hast Du recht, zu recht gehabt,

Doch ich fühle, innerlich

Wird die Trauer weggeschabt.«

»Nun, so wollen wir im März«,

Ruf ich froh, »aufs Land hinaus,

Ja es pocht bereits mein Herz

Mit dem wilden Meergebraus,

Oh, der Lenz kommt ungehemmt,

Fühlst Du ihn nicht aufwärtsziehn?

Windeswogen überschwemmt,

Wittert ihn der Appenin.

Jeder Wuchtcharakter beugt

Endlich sich vor Lust und Föhn,

Jede Wandlung, die er zeugt,

Macht den Leichtsinn wunderschön.

Hat doch alte Erdenkraft,

Mit der Sonne hold vermählt,

Den Planeten umgeschafft,

Das er selbst den Gott erwählt,

Der sich ihm als Rausch entrafft.«

»Deinen Fels erklimm ich nicht,

Meine Seele liebt die See,

Dir zu folgen wird mir Pflicht,

Doch bedenk auch Du mein Weh!

Unser Urgeburtenmeer

Zog mich fast zurück zu sich.

Schon ward alles ringsum leer,

Und die Leere fürchterlich.

Doch man hat mich aufgefischt,[253]

Die Erinnerung aber war

Schon im Busen aufgefrischt,

Und nun wird mir völlig klar

(Weiß ich auch nicht recht warum),

Daß ich nichts entfalten darf.

Irgend etwas wehrt es stumm,

Damals aber sah ichs scharf!

Doch ich liebe noch das Meer,

Wenns dem Nichts entgegenschäumt

Und erbärmlich hin und her

Sich verschlagt und wild verträumt!

Schäumt es, glaub ich fast, es sträubt

Etwas sich, nur Wind zu sein,

Doch sowie es ganz zerstäubt,

Gischtet es dann frei und rein!«

»Ja, es sträubt, es bäumt die See

Gegen das Zerstäuben sich,

Schäumend schluchzt sie noch Ade,

Und enthaucht dann bitterlich!«

Fall ich ein, dann faß ich mich:

»Schwarze Maske, lasse das,

Komm aus diesem Witterstrich,

Ohne wirklichen Verlaß,

Rasch zurück zum Maskenfest!

Tritt ans Fenster! Monderhellt

Stehn dort Wesen felsenfest,

Blicke in die äußere Welt!«

»Siehst Du jenen Tropenbaum,

Sterne spähn durch sein Geäst,

Goldig sah ich ihn im Traum,

Und darauf ein Schlangennest!«

Sagt das schwarzverhüllte Weib,[254]

Athmet tief und fährt dann fort:

»Gar nichts hatte seinen Leib,

Ringsum wogte Gottes Wort.

Früchte bunt und schlangenrund,

Sah ich ohne Zeit und Ort,

Eine führte ich zum Mund,

Und da war ihr Ast verdorrt.

Ich verbiß in Felsen mich,

Durch die Zähne troff die See,

Und der Erde Vipernstich

Fühl ich noch als großes Weh!«

»Komme fort und sieh mich an,

Weg von Dir uud jener Welt!

Hänge Dich an Deinen Mann,

Sieh in ihm ein Lichtgezelt.

Was man schaut und rings erfährt,

Das bestätigt was man ist!«

Sage ich: »Denn man bewährt

Tiefer sich als Ziel und Frist!

Wenn man wirklich innig liebt,

Braucht man keinen Wunsch zu fliehen,

Was ein einzger Mensch vergiebt,

Hat schon Gott durch ihn verziehen!«

»Sei mein Freund und steh mir bei,

Nimm den Ring von meiner Hand,

So! Nun bin ich endlich frei!«

Sagt ein Weib mir urverwandt!


Mitternacht! Mitternacht! Die Larven fallen.

Mitternacht! Man erkennt sich, jubelt laut.

Mitternacht! Walzer wallen durch die Hallen.[255]

Mitternacht! Keinem Gaste bangt und graut.

Mitternacht! Die Isis wird bewußt

Und entschleiert sich der Sonnenwelt.

Jubel sprudelt aus der Göttin Brust:

Ihre tiefe Einsicht überwellt

Urgesuchte, weltverliebte Lust.

Wollust wird zu Gott geschnellt.

Mitternacht! Ich beschenke Dich mit Blumen.

Mitternacht! Du trinkst mir zu, man wünscht und hofft.

Mitternacht! Blüthenreif bedeckt die Krumen.

Mitternacht! Der Nordwind geistert und erschreckt uns oft.

Mitternacht! Was sieht nimmt einen Flor.

Völker überziehen sich mit Scham.

Ostern glüht jetzt überall empor.

Geist entsteht. Wer weiß woher er kam!

Mitternacht! Mein Weib und ich sind eins,

Eins im ewiggroßen Weltgebraus,

Glücklich unseres Zusammenseins,

Ruhen wir vom langen Wandern aus!


»Alles Fühlen, alles Denken

Ist ein fremdes oder fernes

Insichselbstsichtiefversenken!«

Sag ich: »Jeder Mensch erlern es.

Doch vor allem soll es gelten,

Sich persönlich zu verschenken,

Licht aus seinen Innerwelten

In die Nächsten zu versenken.

Alles Sehen, alles Lieben,

Ist an sich das wahre Leben,[256]

Blos die Hoffnung ist geblieben,

Die Ereignisse entschweben!«

»Das Gebrause, das ich höre,

Ist wahrscheinlich wirklich wahr,

Lauter unsichtbare Chöre

Singen uns als trautes Paar.

Winde walzen Wolkenwogen

Unaufhörlich himmelwärts,

Für die Liebe ausgezogen

Wuchtet auch in uns der Schmerz.

Dieses Ineinanderbranden,«

Sagt mein Weib: »ist wunderbar,

Oft geht da der Blick abhanden,

Doch auf einmal wird es klar:

Immer neue Wünsche winden

Tief sich in ein Urgemüth,

Können nie das gleiche finden,

Da es sich zu dauern müht

Und in stillen Freiheitspeichern,

Immer fester sich erfaßt,

Und so glaub ich, wir bereichern

Uns auch fort und ohne Rast!«

»Willst Du nicht zum Fenster treten?«

Frag ich: »doch dann sprich nur weiter,

Siehst Du jene Statue beten?

Oh, die Mondnacht ist nun heiter!«


Der Mond umfaßt die Glieder eines Knaben

Und seinen Leib bedecken Perlenschnüre.

Ist das Ekstase, starres Lustgehaben?

Die Schatten dauern still wie Liebesschwüre!
[257]

Der Mond will sich am weißen Marmor halten,

Als Weltruine liebt er kalte Gesten:

Das Felsgestirn sucht weithin in den Spalten

Der Erdromantik stets nach hehren Resten!


Der Grieche scheint die Mystik einer Seele

Dem todten Lichte völlig darzubringen,

Dafür empfängt sein holder Leib Juwele,

Die aus der Geisterwelt herüberklingen.


Ein Schein wie Milch umfließt die weißen Glieder,

Und Iristropfen schimmern aus dem Steine.

Selene steht und tritt zum Jüngling nieder,

Es ist, als ob sie küssend ihn beweine.


Nun scheint das Licht sich schweigsam zu beleiben

Und fast die stillen Glieder zu erweichen;

Es wollen beide stumm in Glück verbleiben,

Und blos in einem Liede sich erreichen.


»Schwermuthwolken kann ich wittern,

Gehn wir nicht zurück zum Fest?

Träume wollen uns erschüttern,

Werde mein und halt mich fest.

Furchtbar fühl ich schon die Stunden,

Da man lebt wie jeder lebt!«

Sagt mein Weib: »ich liebe Kunden,

Wo der Mensch sich überhebt!«

»Meinst Du jene Lichtsekunden,

Da man selber sich entschwebt,

Da die Mühe überwunden,

Immer tiefer niederstrebt?[258]

Ja, mit jedem Flügelschlage

Schließt man Gräber unter sich,

Denn die Zukunft aller Tage

Wirkt in Dichtern innerlich!

Doch für heute laß das gehn,

Höhen hat die Erde auch,

Und ihr Wesen ist Gestehn!

Doppelspiel ist Frauenbrauch!

Worte«, sag ich: »kann man zügeln,

Sterne aber scheinen wahr,

Blicke kann man kaum erklügeln,

Immer sind sie offenbar!«

»Nun, so komm, wir wollen schweigen,

Glücklich lehnt sich Traum an Traum,

In uns selber aber steigen

Traute Stunden aus dem Raum.«

»Siehe«, spricht mein Weib: »wie innig

So ein Saal sich selbst beseelt,

Wie sich alles still und sinnig,

Minnig fast in Pracht vermählt.

Oh, der Raum fängt an zu sagen!

Ruht er schon vom Feste aus?

Schweigen ist das tiefste Fragen,

Horch! es lispelt jetzt das Haus!«


Marmorsäulen sind mit reicher Steinmetzarbeit dicht umlaubt,

Tragen dumpf der Fenster Bögen. Karyathiden halten Wacht,

Bleich im Narrenspiel der Menschen, stumm im Wechselspiel der Nacht,

Und die kleinen Nischensäulen sind gewunden und geschraubt.


Oh Ihr weiten, fernen Zeiten! In der Seele wachgerufen,

Taucht Ihr auf, Euch zu empfinden, und lebt fort, wenn Ihr mich rührt.[259]

Altumwandet kommt das Neue, und wir werden so verführt,

Als Erprobtes zu verwenden, was wir eben selber schufen.


Große Römervillen werden Ruheplätze der Natur,

Wo sich tausend Elemente unserm Menschenwillen beugten.

Wesen, die fast abgeschlossen von den Schollen, die sie zeugten,

Geistig und sich selber lebten, wandelten auf freier Spur!


Im Gedanken freie Schwärmer, Philosophen, Forscher, Dichter,

Allen Lebens Feuerblüthen, starke Seelen voller Glanz,

Immer schlürft Ihr, wie Kometen, Pollengold vom Sternenkranz,

Ahnt Ihr aber auch die Gründe ewiglich verschiedener Lichter?


Sterne und ihr Nachtgefolge ziehen durch ein stummes All,

Ihre Sehnsucht weckt das Leben, keine Strahlen gehn verloren,

Denn die Ewigkeit ist innig: und in uns bereits geboren,

Wird der Geist, der sie durchleuchtet, jung beseelt als Widerhall!


Stille Treue zu den Sternen ist das Leben der Planeten,

Und die Sonnensehnsucht zeigt sich als Kometen in der Welt,

Und auch diese werden endlich frei auf ihre Gluth gestellt.

Suchen sie dann selbst die Ruhe, können Welten sich verkneten.


Aller Sterne Feuerblüthen schleift in sich der Weltkomet,

Denn sein Schooß empfängt beim Wandern lauter Sternenelemente,

Doch wir selbst erschaun sein Wurzeln blos auf kurze Glücksmomente,

Wenn er Liebesworten ähnlich seine Feuerschnuppen sät.


»Sieh, im Tanzsaale die Paare!

Hofft dort jemand was wir fanden?

Denn was ich nun tief verwahre,

Hab ich früher nie verstanden.[260]

Sage Du mir,« spricht mein Weib:

»Wie soeben alles kam,

War ich Dir blos Zeitvertreib?

Sage, wie ich mich benahm.«

»Nun wir haben traut geplaudert,«

Gebe ich zur Antwort: »Endlich

Hat man nimmermehr gezaudert,

Alles schien uns unabwendlich!

Holde Anmuth Deines Wesens

Hat mich innerlich bewegt

Und die Ahnung des Genesens

Plötzlich in mein Herz gelegt.

Traut beginnen meine Lieder

Bis ich Höhenlust erwühlt,

Schwer nur faß ich mich dann wieder,

Doch so wie ich Dich gefühlt,

Holdes Weib, blieb ich hienieden,

Deine Augen hielten Wacht,

Riefen mich und strahlten Frieden.

War das meine letzte Nacht?«

»Deine letzten finstern Stürme!«

Sagt mein Weib: »An Deiner See,

Bau ich unsere festen Thürme,

Daß ich Dich beruhigt seh!«

»Richtig,« ruf ich: »Deine Blicke

Senkten gleich sich in mein Sein,

Lenkten schon unsere Geschicke,

Denn ich fuhr im Hafen ein.

Wahrlich, so ist es gewesen,

Jetzt entsinn ich mich vielleicht,

Oh, ich war ein wirres Wesen,

Habe nie mein Ziel erreicht.[261]

Schifflein waren unsere Reden,

Wiegenspiele munterer Fahrt,

Mit der Flagge eigener Art,

Sollten ernst sie sich befehden.

Gut gerüstet als Piraten,

Haben meine aufgepaßt,

Deine sollte Dich verrathen,

Da Du Dich verkleidet hast!«

»Ja, die Wimpel meiner Laune«,

Sagt das Weib: »Verrieten mich!

Wirklich wahr, ich denke, staune:

Alle ließen mich in Stich!«

»Ich verfolgte sie im Treffen,

Hofft ich doch, daß ich verlor,

Ließ oft andere Segel reffen,

Sieh, und endlich kam ich vor!

Hinterm Damme Deiner Zähne,«

Mein ich: »Rüstetest Du fort,

Plötzlich fiel da eine Thräne,

Auf das flinkste Kaperwort.

Oh, da ist es gleich gesunken,

Beide tauchten wir danach,

Alle Mannschaft ist ertrunken,

Unsere Schlacht ward unsere Schmach;

Jene Perle liegt im Meere,

Und wir denken noch an sie,

Todt sind unsere munteren Heere,

Alles schweigt aus Harmonie!«

»Bleib in meinem sicheren Hafen,«

Sagt mein Weib: »ich halte Wacht,

Selbst die Träume sollen schlafen,

Ferne braust die dunkle Nacht!«
[262]

Die Putten, mit den schweren Fruchtgewinden,

Die heute lauter Schelmerei erlauscht,

Sind fröhlich, denn nun haben sie verstanden

Was Liebe ist und wie uns Lust berauscht.


Die Spiegel, die Gestalten wiedergeben

Und die dem Saale seinen Prunk verleihn,

In denen scheinbar lauter Paare schweben,

Sind bald bestimmt, ganz blind zu sein.


Erinnerungen werden wiederkehren.

Und tausendfach erträumt sich dann der Saal,

Gleich Spiegeln können ihn Visionen mehren,

Und ringsum wimmeln Nischen holder Wahl.


Doch werden hier die Sammtgardinen rasten,

Im Mondlicht schimmert bald ihr Purpur halb,

Die prachtvollen und schweren goldenen Quasten

Umbaumeln sie darauf gleich einem schweren Alb.


Die Gäste fangen an nach Haus zu gehen.

Die Edelsteine hüllen sich in Nacht.

Aus Sammt und Seide wird bald Wärme wehen

Und feenhaft entschwebt sich selbst die Pracht.


Nun heißt es scheiden und zufrieden bleiben,

Ich nehme vieles Glück vom Feste mit.

Der Abschied drängt: wozu noch Kurzweil treiben,

Zum Wiedersehen wagen wir den ersten Schritt!


Nur lose Blumen darf ich jetzt verschenken,

Sie sind so bunt wie es beim Feste war,

Ich selber will blos an die Freuden denken,

Es wird in Blüthen jeder Frühling wahr!
[263]

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 1, München; Leipzig 1910, S. 242-264.
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