[Ganz erschöpft vom Bacchanale findet Nero keinen Schlaf]

[158] Ganz erschöpft vom Bacchanale findet Nero keinen Schlaf,

Und es dringt aus fernen Räumen sanft verklingende Musik

Bis zum Kaiser noch herüber, weil sie keine Thüren traf.

Und da flüchtet das Gewölke. Neros Träumemosaik

Zeigt ihm Rom im Purpurkleide, aufgebaut aus Abendpracht.

Das Gestöhns ferner Flöten hat den Dunst nun ganz verzweigt.

Und in Neros Traumregionen ist ein grauser Schwarm erwacht,

Der aus seinen Seelenkerkern zügellos und wild entsteigt.

Freches Lachen, schrille Schreie, wie das raschelt, wie das klingt,

Wie das Zittern straffer Saiten Schloß und Riegel rasch bezwingt,

Wie es Fieberfeuer schürt, selber nun als Lohe glüht,

Bis im Traumgluthstrom des Kaisers mancher Feind als Schatten brüht!

Nero folgt nur seiner Neigung, ob er fiebert oder tobt,

Schrecklich ist das Machtbedürfniß im tiberischen Geschlecht,

Nero kann es nicht vertragen, wenn man Kaiser Claudius lobt,[158]

Weil sich der an fernen Fürsten noch im Innern Roms gerächt.

Viel zu weit sind jetzt die Grenzen im vollstreckten Römerreiche,

Und so feiern Satrapien selber ferne den Triumph.

Es entwachsen Kolonien ringsum schon dem Urbsbereiche,

Und es blühen Freudenstätten ferne zwischen Wald und Sumpf.

Nero aber will, trotz allem, Großes seinen Römern bieten,

Und da glaubt er plötzlich, es entspricht des Volkes Appetiten,

Fängt er an die Traumgestalten wirklich durch die Gluth zu hetzen,

Ganz entschieden, denkt er, wird man mich dafür unendlich schätzen,

Denn es schläft kein Weltbeherrscher, immer schwelgt er nur und träumt!

Es umschleichen ihn stets Schleier, wie ein schnellverträumter Trug.

Plötzlich sieht er Fürsten taumeln, ihr Gewand war roth gesäumt,

Und er sah auch, wie aus Wunden furchtbar grell ein Feuer schlug.

Dieses Bild hat ihn gereizt, und er denkt nun mit Gefallen,

Wie besiegte Völkerstämme furchtbar enge Fesseln tragen,

Wie auf einmal, aus der Höhe, Flammenmassen niederfallen

Und die Menschen rasch vertilgen, weil sie ihm nicht mehr behagen.

Ja, er sieht nun blasse Sklaven sich durch Feuerschlangen winden,

Endlich auch die Senatoren, die ihm immerhin noch trotzen,

Und die ganzen Menschenknäule dann im Flammendunst verschwinden,

Plötzlich aber andere Fratzen aus den Nebelfalten glotzen,

Doch es grämt ihn, daß das Feuer gar so wuchtig weiterschwoll

Und der Rauch so schnell entfauchte, ihm den Marterreiz zu nehmen.

Plötzlich gellt ein heiseres Lachen. Nero hört, man nennt ihn toll.

Und es kreischen schon und kichern, rings um ihn, vermummte Schemen.

Flammen werden wohl erscheinen, wenn die Masken niederrollen,

Denkt der Kaiser. »Aber nein doch, seht, es sind die frechen, tollen

Christen!« ruft er: »Die statt meiner, Rom, die Welt beherrschen wollen!

Nero wagt man toll zu nennen, mich, den größten Römerkaiser?«

Brüllend hat er sich erhoben, und er schreit nun: »Spottet leiser!«

Und er sieht, zum Traum gewendet: »Kreischt doch nicht mit schrillen Stimmen,[159]

Denn die Welt könnte Euch hören!« Da ihn jene fort ergrimmen,

Will er jetzt im eigenen Inneren Rauch und Dunst heraufbeschwören,

Denn die Christen, dieser Auswurf, dürfen keine Allmacht stören!

Solche Qualen der Beschimpfung kann ein Kaiser nicht ertragen,

Und so laßt er Lästerchristen rasch aus ihren Höhlen holen

Und sie rings auf hohe Kreuze für ihr freches Höhnen schlagen.

Darauf läßt er Holz entzünden, denn sie sollen schnell verkohlen.

Dieses Schauspiel findet Anklang, die verdroßenen Weltbesieger

Lassen, unterm Boden Romas, ringsum nun nach Menschen scharren,

Nach dem Maulwurf suchen emsig jetzt Hyänen, Hund und Tiger,

Und man zwingt auch viele Sklaven mitzubrüllen: »Wir sind Narren,

Denn wir glauben an die Marter, spannt uns vor die Judenkarren!«

Ja, es müssen schwarzverhüllte, todtgeweihte Karawanen

Wechselweise ihre Wagen, voll von Christen, vorwärts ziehen,

Und da giebt es ganz verschiedene Bürger, Freie, Unterthanen,

Aber Keinem wird von allen Gnade oder Recht verliehen.

Wie ein Wurm wird nun die Sekte aus dem Darme Roms gerissen.

Doch es trauern nicht die Christen, denn ganz rein ist ihr Gewissen.

Sie bemerken kaum die Feinde, sie vernehmen kein Gekicher,

Ihr Gebet giebt ihnen Starke, denn nun müssen sie verscheiden.

Und sie ziehen fest und tapfer, ihres Martertodes sicher,

Hin zur Stätte ihrer letzten, gottgefälligen Erdenleiden.

Viele glauben es genügt nicht, um zu Gott sich aufzuschwingen,

Stark und gläubig auszuharren, und Verlästerung und Qual

Scheinen ihnen viel zu wenig, um den Himmel zu erringen,

Und sie singen Gott bestürmend fromme Lieder im Choral.

Fieberangstdurchzuckt erreicht nun dieser Wurm die Marterstätte,

Hurtig werden schon die Christen auf die Kreuze angenagelt,

Und man ruft, wie einst bei Christo: »Bittet Gott, daß er Euch rette!«

Und von hohen Flammenstößen sieht man, wie es Funken hagelt.

Rom, besonders um das Forum, wird durch diesen Brand bedroht.

Doch man schürt das Feuer weiter, hocherfreut, daß etwas loht![160]

Niemand denkt jetzt an Gefahren, mit Gejubel und mit Johlen

Sieht der grausam rohe Haufen jene Christen dort verscheiden.

Alle brüllen, klatschen Beifall, daß die Feinde nun verkohlen,

Denn man liebt es, sich an Leiden anderer Menschen frech zu weiden.

Ach, die wilde Feuermarter, wie sie einreißt, wie sie schneidet!

Doch Gedanken und Gefühle voll von Liebe, Todgeweihte,

Die Ihr für den Henkerkaiser und sein feiges Krongeleite,

Hoch zu Gott empor gerichtet, weil er mit der Schöpfung leider,

Heben Euch zu Dessen Rechten, Nero noch zur linken Seite!

Wie aus Weltenessen stäuben stets lebendige Gedanken,

Und sie legen, wo sie können, Feuer in den Hirnen an.

Heute aber prasseln sichtbar Bäume mit Raketenranken

Und entzünden in den Seelen, was sich nur empören kann.

Glühend rother Bast wie Zunder löst sich los von todten Christen

Und entschwebt ihnen wie Tauben, denn so niedrig ist sein Flug,

Und es kann auch dieses große Gluthgefieder ringsum nisten:

»Feuer!« hört man plötzlich rufen, wo der Sturm den Zug hinschlug!

Eingeäschert ist schon manches jämmerliche Backsteinhaus,

Jeder Brand aber bringt Freude, denn man weiß doch, Nero baut

Jedem gerne neue Häuser und drum giebt es Saus und Braus.

Trunken tanzt man um Ruinen, Rohheit wird nun ringsum laut,

Leichtsinn ist die nächste Folge, mit dem Feuer kann man spielen!

So ein Brand ist doch ein Schauspiel, wie es niemand früher kannte,

Nichts ist schöner als ein Feuer, wenn die morschgewordenen Dielen

Funkenstiebend rasch verprasseln und die Balken imposante

Wuth entflammen; traurig ist nur, wessen Haus nicht mitverbrannte!

Trunken und im Trubel drängen sich die Massen hin zum Kaiser,

Der erleuchtet durch der Kreuze helles, grelles Fackelflackern

Sich das Marterschauspiel ansieht. Viel zu schrill jedoch und heiser

Gellt ihm jetzt das wilde Schreien von so dünkelhaften Rackern!

Ja, er glaubt ein Machtbewußtsein aus dem Volksgebrüll zu hören –

Gar nichts aber, denkt er, darf durch Lob des Kaisers Allmacht stören.[161]

Jetzt erstürmt der böse Pöbel plötzlich Neros schöne Gärten.

Durch des Pincios holde Haine tollt die angetrunkene Menge

Und entleert sich vor den Büsten von Heroen und Gelehrten,

Und vor Virgils Marmorstandbild lallt der Haufen Lottersänge.

Ringsum fahndet er nach Christen, um sie rasch ans Kreuz zu schlagen,

Da man aber keine findet, fängt man an darum zu losen.

Kreuze sind schnell aufgerichtet, tausend Mordgesellen tragen

Schon ein todgeweihtes Mädchen, das sie erst noch lüstern kosen,

Jetzt zum rasch geschaffenen Richtplatz. Keinem Opfer hilft sein Brüllen.

Heute müssen Ungezählte noch als Ruß die Nacht erfüllen!

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 1, München; Leipzig 1910, S. 158-162.
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