[Ich bin ein Christ und schwebe auf dem Ätherpferde]

[370] Ich bin ein Christ und schwebe auf dem Ätherpferde,

Wie einst, empor in hehren Träumesweiten,

Wo es nur Geister giebt und Gottes ewige Heerde.


Ich lasse mich beim Flug von Gluthgefühlen leiten,

Denn Durchempfundenes erreicht sogleich mein Wesen,

Und sehnsuchtslos verwinde ich in mir die Zeiten.


Ich konnte meines Menschengreisenthums genesen:

Das ewige Kind, das Schicksal, das mit Helden tändelt,

Erlaubt mir jetzt, in seinem Siegelbuch zu lesen.


Ich weiß, weshalb es die Erwachsenen gängelbändelt,

Die Morgensorgerthorheit haßt wie eine Räude,

Und freue mich zu sehn, wie alles Trugglück pendelt.


Fürwahr, das Christenthum ist eine Weihnachtsfreude!

Ein ganzer Christ kann nur als Kind zu Grabe gehen,

Und schön ist blos der gläubigen Seele Traumgebäude.


Ich lasse jetzt die Zwillinge in mir entstehen.

Ich liebe diese Heiden, die die Mutter rächten:

Sie werden einst, wie alle Todten, Christum sehen.


Doch heute schon gehören sie zu jenen Mächten,

Die ewig sind und Menschenseelen gottwärts leiten;

Amphion hält die Lyra sanft in seiner Rechten,


Und Zethus scheint das Völkerschicksal zu begleiten.

Sein Spiel setzt heute noch, was rhythmisch ist, zusammen

Und baut uns Festungen, für Gott, den Herrn, zu streiten.


Jetzt sage ich, um klar zu sehn, wem wir entstammen:

Und zieht der Krebs sich noch so weit zurück am Himmel,

Durchschaue ich trotz allem seine Wesensflammen!
[371]

Ganz tief am Horizonte blinkt sein Sterngewimmel.

Das sind die Mächte, die das Gute uns erhalten,

Und auch das Gegenstück zu meinem Lichtsturmschimmel.


Das Lyraspiel der Zwillinge durchpulst ihr Walten,

Und der Medusenblick ist ihre Flammenfratze,

Was soll ich Abgrundsmacht daraus entfalten?


Schon packt den Pegasus der Welten Löwentatze,

Der ewig junge Muth, die Vollblutlust zu leben:

Und bis zum Norden wallt die Tropengluth der Katze.


Mein Gott, ein Christ kann über Sterne Dich erheben,

Die Weltenflammen da sind alles kleine Geister:

Ein freier Mensch braucht nicht an ihrer Wucht zu kleben.


Durch Sterne wird man wohl ein Erdgespenstermeister,

Du kannst durch ihre Hilfe, Berge ganz entweiden,

Doch alles das bleibt widerlicher Ehrgeizkleister.


Ein voller Mann wird nimmer unter Fleischgier leiden,

Für ihn kann deshalb kaum ein Zwischenfall geschehen;

Denn einzig über Weltmacht wird ein Stern entscheiden!


Ich aber sehe Engel ohne Bahnen wehen,

Ein Licht erleuchtet sie, das ich noch nicht ergründe,

Auch das Gesetz bleibt fremd, durch das sie urbestehen.


Noch ferner blicke ich in Tiefen, Himmelschlünde:

Da glüht das Riesenbild der Jungfrau mir entgegen.

Steil vorgewälzt liegt Afrika, das Land der Sünde.


Ich sehe Felsbergkegel mir den Weg verlegen.

Der ganze Atlas halt die Jungfrau fest in Banden.

Ich weiß, noch darf die Weibesseele sich nicht regen.
[372]

Den Heidenlanden kam das Gnadenlicht abhanden,

Es wird da alles mathematisch abgewogen,

Dort wird die Freiheit nimmer aus den Seelen branden!


Ihr Gott, auch unser Gott, verläßt sie hoch im Bogen,

Sie streben nordwärts, überall zu ihm zu dringen,

Doch endlich bleibt Er uns, den Näheren, gewogen.


Des Mittelmeeres Lindwurm muß mein Speer bezwingen!

Der Geist, der dieser See entweht, wird ewig bleiben,

Da wir durch ihn die Taufe und das Heil empfingen.


Das Übel aber, das sie birgt, will ich vertreiben:

Das Weib im Norden sei der Schamwabe teilhaftig,

Die mag sich Seelen, keinen Schleiern einverleiben.


Des Heidenweibes Fleisch ist reizend, reif und saftig.

Ein Nebelschleier brünstiger Gluth und innerer Reinheit

Bedeckt Dich, armes Haremsweib: doch ich entraff Dich


Den Klauen Deines Wurmes: die Geschlechtereinheit

Beginnt dazu, für sich, das größte Volk zu küren,

Die Abschließung des Weibes wird jetzt zur Gemeinheit.


Ich sehe Wege, die zurück zum Weibe führen:

Die Seele aber ist im Weib emporgestiegen:

Und diese Widersprüche wird die Menschheit spüren.


Das Recht zu lieben wird sich an die Achtung schmiegen,

Das Weib soll ehrenvoll den eigenen Mann erwählen,

Wie wird es gehn, so Grundverschiedenes abzuwiegen?


Angelika, Du Engelskind, von Gluthjuwelen,

Von brünstigen Küssen überdeckt, bedrückt, vernichtet,

Der Nonnehülle soll Dein Schleier sich vermählen:
[373]

Angelika, ich habe nicht auf Dich verzichtet!

Ich komme, Weib, mein Weib, ich werde Dich befreien,

Die Schleier hebe ich, die rings das Meer verdichtet.


Ein Meer, ein salziges Meer, sammt allen Wüsteneien,

Wird meine Seele, holdes Kind, leicht überwinden,

Statt Schleiern wird die Wabe Wesen weihen.


Im Norden wird der Mann die Gottheit wiederfinden,

Des Weibes Seele eng an seinen Kraftstamm schmiegen,

Denn was die Nacht getrennt, will sich das Licht verbinden.


Es werden die Geschlechter sich nicht mehr bekriegen,

Die Scham, die tiefernährte aber wird verbleiben,

Die Wabe mag die Wangen weiter überfliegen.


Der Mensch soll sich die Weibesseele einverleiben,

Hat doch der Mann sie weich ins Weib gebettet

Und sich gefreut, zu fühlen wie die Keime treiben.


Vor Mannes Rauheit ward dadurch der Mann gerettet.

Sein Kleinod kann er jetzt vom Weib zurückempfangen:

Der Heide aber hat den Seelenschatz verwettet.


Der Menschengeist muß um das Meer herumgelangen:

Die Wabe voll im Norden aus dem Boden schlagen,

Und ich befreie dann das Weib aus seinen Spangen.


Dort wo die Wogen Sepharat und Afrika benagen,

Wo Herkules dereinst des Atlas Last getragen,

Und wo noch heute seine Säulen aufrecht ragen,


Sieh, dort will ich den Kampf mit einem Drachen wagen.

Des Südens Feuerreste werden überspringen:

Das Weib kann frei sein, und auf Erden wird es tagen.
[374]

Das Menschenwerk soll dort und überall gelingen,

Die Wabe wabbert dann gar machtvoll aus dem Boden,

Den Mittag wird der Norden abermals bezwingen.


Dort wo die Wabewellen sich zusammen roden,

Beginnt man langsam schon, Angelika zu kennen,

Denn ihm Lang d'oc besingen sie die Hofrhapsoden.


Wird nicht das erste Tageslicht jetzt bald erbrennen?

Die kleinsten Sterne scheinen langsam zu ermatten.

Der Stil vergraut. Das Licht muß Einzelheiten nennen.


Wahrhaftig, ich durchschaue blasse Zwielichtschatten,

Durch die rings Prachtgestirne herrlich weiterblinken,

Und Spitzen ragen abermals aus glatten Platten.


Ich muß somit schon wiederum herniedersinken!

Das Meer ist still. Es spiegelt mir das Bild der Schlange.

Nun Muth, mein Herz, Gefahren und bewußte Thaten winken!


Der Weg bis an das Ende scheint noch immer lange!

Wie sich die See verringelt und zum Kopf vermindert:

Sag Ungethüm, wird Dir vor meinem Geiste bange?


Angelika, vermag ich Deine Pein zu lindern,

Oh, kannst Du mich im Taubenflügel fern gewahren?

Der Sieg ist meint kein Lindwurm wird den Wurfverhindern.


Der weiße Tag, der naht, kann Dich vor Leid bewahren,

Dem Geist des Heiles ist sein Wesenswerk gelungen,

Ich habe tausend Jahre tief in ihm erfahren.


Ein Wind ist auf dem Meere hurtig aufgesprungen.

Ein Flimmerpanzer überschimmert die Gestirne:

Wahrscheinlich ist ein Hauch des Geistes hingedrungen.
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Vom Atlas her bedroht mich manche Zornesstirne.

Ihr Kleinod will mir die Sahara vorenthalten.

Was für ein Purpur rieselt über Zinkenfirne?


Ist das die erste Morgengluth auf den Basalten!

Ist das die Wabe, die erwacht, um auf die Spitzen

Hesperias rasch zu springen: sind das Urgewalten?


Ich weiß es nicht, doch sehe ich rings Lichter blitzen

Und dann aufeinmal in der Finsterniß verschwinden,

Ich weiß: jetzt muß ich gleich das Drachenblut verspritzen.


Sieh dort die Silberschuppensee, verkrümmt, sich winden,

Zwei Sterne, die sich drinnen spiegeln, fast wie Blicke,

Mich anblinzeln und dann geblendet, schnell verschwinden.


Da steht Angelika. Ganz gelb! Eng fesseln sie die Stricke,

Mit denen sie der Wurm an blaue Nacht gebunden.

Jetzt sieh, mein Kind: oh, daß mein Anblick Dich erquicke!


Es könnte unsere Nacktheit Deine Scham verwunden,

So bleibe denn im Schatten Deiner Dattelpalme,

Versteck Dich unter dunkelblonden Fruchtrotunden.


Es seufzt das Meer. Die Welle fletscht. Die Drachenqualme

Umwallen mich. Im Walde ächzen alle Wesen.

Ein Hauch entzuckt jetzt jedem Blatte, jedem Halme.


Das ist der Kampf, zu dem der Herr mich auserlesen!

Dem Geiste stemmen Wind und Mitleid sich entgegen:

Doch nein, der Unschuld muß die Nachtnatur genesen!


Ich selbst erkämpfe sie mit meinem Urlichtdegen.

Ich zücke ihn: der Weltstaub zeigt die Flimmerschneide.

Jetzt spritzt die Drachenmilch hervor: ein Silberregen
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Entquillt und säuselt aus dem Lindwurmeingeweide

Und gleicht dem Naß am Stamm der abgebrochnene Feige,

Nun sieh, wie ich das Thier des Schuppengurts entkleide:


Wie Mondblech schwimmt er fort. Ich selber aber steige,

Dem Lichtspeer nach, herab und steche jetzt noch tiefer:

Das Blut huscht auf, und mit dem Drachen gehts zur Neige.


Der Lurch ist todt! Doch rinnt ihm Blut noch aus dem Kiefer.

Der Muth, das Fremde anzugehn, hat Werth! Das Siegen

An sich war leicht. Mir scheints, den halben Kampf verschlief er.


Die Scharlachlaken fangen an, rasch zu versiegen.

Die Dattelpalme hat ein Hauch der Frucht entlastet,

Und wieder kann sie, hoch im Wind, die Krone wiegen.


Angelika, mein Blick hat lang aus Scham getastet.

Wie kann ich, nackt, vor Dich, entblößte Jungfrau, treten?

Doch nein, der Wald ist rings mit Glastqualmen bequastet.


Gerüstet bin ich doch, denn Frühwinde umwehten

Mich sanft: mein Leib ist ganz mit Spiegelthau bekleidet.

Und Du, oh Weib, des Wurmes Milchperlen besäten


Die Schleier Deines Leibes, die mein Schwert entweidet,

Denn Drachenschaum begann sich Dir schlank anzupassen.

Ich sehe Dich, Du Unschuld, die ihr Lämmlein weidet,


Ich grüße Dich und werde Dich sogleich verlassen!
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Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 2, München; Leipzig 1910, S. 370-378.
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