[»Asketisch ist das Wesenswachsthum ohne Wüste!«]

[317] »Asketisch ist das Wesenswachsthum ohne Wüste!«

Das höre ich synthetisch jetzt in mir erklingen

Und sehe unter mir bereits die wuchtige Satansbüste,

Mit selbsterkannten und geprägten Werdensringen.


Ein großes Schlangenhaupt wälzt sich zu meinen Füßen.

Polypenarme stürzen Bilder, die ich stets verehrte.

Lichtgötter seh ich stumm in einem Gluthpfuhl büßen:

Und gleicher Glast verschmilzt die kaum getrennten Werthe.


Natur, ich hab von Deiner guten Gluth getrunken,

Oh gieb, daß ich auch das, was da verkrampft, erfasse:

Doch nimmer sollst Du mich in Schmutz und Satanspfützen tunken,

Denn solches widerstrebt der Wallfahrt meiner Rasse.
[317]

Unsagbar ist was ich von Deiner Macht erschaute,

Denn Kraft und Kunst entstrotzen meinen vollen Zornesadern,

Du weißt was meiner Männlichkeit gelang: ich baute

Das Albschloß, ja den ganzen Ararat, aus Quadern.


Heil Ararat, Du Schlummerwort in meinen Werken!

Jetzt mögen alle Spuk und Höllenhunde kleffen:

Mein Werk, den Berg, wird sich die Menschheit lange merken:

Heil Ararat, wo sich die Rassen übertreffen!


Noch einige Blöcke will ich aneinander reimen,

Mich senkrecht übers Schlangenhaupt zu stellen,

Dabei wirkt sicherlich ein Fieber im Geheimen

Und wird mein Können plötzlich in die Wolken schnellen.


Den Wüstengeist verschütteten die Pyramiden,

Bis die Saharamannbarkeit dem Sand entragte:

Ra hat das Nilthal zwar nach der Geburt gemieden,

Doch zeugt der Ararat, daß er im Delta tagte.


Der Ararat krampft sich als Weltgrab steil zusammen:

Ein Pyramidenbau, wie keiner ihn erschaute!

Verkrüppelt auch der Mensch dabei, dem wir entstammen,

Erreicht der Geist die Pracht ererbter Mutterlaute!


Zum Ararat hinan klimmt mühsam der Iraner.

Dem Arier folgt ein andrer Arier, der verkrüppelt.

Voran steigt stets im Purpur der Geschlechtsermahner,

Wo Blutverlust, als Schmuck, das Bauernwamms betüppelt.


Die Kunst kann nur aus unserm Herzblute erfrieren.

Der Geist will seines Fatums Ararat erstiegen.

Gelingt es nicht, die Welt mit Blut zu zieren,

So wird der fertige Ararat uns unterliegen.
[318]

Hinan, hinan, Iraner, werdet nichts als Männer,

Um RaJehovah für die Rasse zu erringen!

Empor zu Gott, ihr tapfern Felsberenner,

Es gilt die Götzen in sich selber zu bezwingen.


Du Feuer aus dem Süden, glühe westwärts weiter,

Erfasse auch das Wüstenwesen der Semiten.

Herbei, herbei, ihr freien Araratbeschreiter,

Ein einziger Gott soll auf der Welt gebieten.


Auch ohne, daß die Welt verwüste und verkrampft,

Kann Metaphysischschlankes nur zur Sonne reifen:

Am Ararat wird niemand mehr die Saat zerstampfen:

Wir werden Gott auch ohne Angst begreifen.


Doch herrsche Gottesfurcht stets über Weltgeboten:

In ihr allein bewältigt Licht den Schimmel.

Vergißt Du sie, so loht aus frommen Sonnzeloten

Der Racheglast der Ararats furchtbar zum Himmel.


Die Sonnenmacht, die uns zum Licht emporgewoben,

Und, abgesteckt, in uns das Zeitliche geboren,

Den Sonnenkult will ich in uns vor allem loben,

Da er das ewige Gottgefühl im Menschengeist beschworen.


Die Wabe will ich frei und weise preisen,

Denn, selbst Urewiges, bezwingt sie alle Maaße:

Sie hilft und treibt uns weiter auf den Pilgerreisen,

Und allseits ins Unendliche führt jede Rassenstraße.


Heil Ararat, auf dem sich Ewigkeit erkannte!

Du heilige Urgeburt der Seele und des Geistes,

Selbst aus dem Schlangenhaupte schöpf ich das Verwandte

Und leiste freisynthetisch jetzt mein Meistes.
[319]

Ich fühle, wie ich mich bereits verjünge:

Das Hydrahaupt dort unten muß verrunzeln!

Ich sehe Fratzen über meine Sprünge,

Vor Spottlust, wieder grün zusammenschmunzeln.


Ein geiles Lachen seh ich sich verflachen:

Ein einzig Maul hält Satan höhnisch offen,

Die Kronen laß ich über mir erwachen:

Der Teufel hört, vereinsamt, auf zu hoffen.


Die Schlangengluth ist in mich selbst gefahren,

Und wabelos verkrümmen sich die Reste,

Nur Lurche kann ich um das Haupt gewahren,

Doch fürcht ich nichts, denn ich begriff das Beste.


Mein Geist wird jetzt die Ewigkeit erkennen!

Dazu wirst Du verschiedentlich gelangen:

Mein Triebinstinkt war das Geschlechtertrennen,

Wobei der Seele Leibesfesseln sprangen.


Ich fühle, wie ich auf mir selbst beruhe:

Die Ewigkeitsellipse kann sich schließen.

Ich weiß, daß ich nicht einen Traum verthue,

Da Zeit und Raum erst aus mir selber fließen.


Ich kann jetzt ganz Kleinasien frei gewahren.

Ein Araratserak tragt mich ins Maaßlosferne.

Ach, kam ich los: könnt ich der Zeit entfahren!

Mein Seelensprungfels schnelle mich ins All der Sterne!


Ich seh ein Riesenmeer mein Vaterland benagen,

Es scheint sich wie ein Wurm in Asien einzubeißen,

Doch wird die Fluth, als Lava, aus Vulkanen schlagen

Und nimmermehr die holde Weibeswabe heißen.
[320]

Um dieses Meer herum muß unsere Seele steuern.

Hier gilt es ja, den eigenen Geist zu spalten:

Den Feuern winkt ein Kampf mit Wasserungeheuern,

Drum mußt Du Längstzergliedertes zusammenhalten.


Die runde Raumgestaltung hab ich überwunden,

Seit ich die Flugelipse, Ewigkeit, durchschaue.

Unheimlich wirkt bereits auf mich die Flucht der Stunden,

Da ich befahl, daß jedes Zeitmaaß dumpf vergraue.


Und nun beherrsch ich beide und bestimme mächtig:

»Zu meinen Diensten sollt Ihr jetzt erscheinen!«

Und sieh, ein Riesenrumpf verkrümmt sich mitternächtig,

Und runde Rücken, Buckel wuchten aus den Steinen.


Ich höre über mir die Weltakkorde tosen:

Im Orgelton erschallt eine Planetoktave.

Ich seh den Berg sich ruckweise bemoosen,

Und merke schon: der ganze Raum dient mir als Sklave.


Die Zeit war tief in mir als Melodie gebändigt

Und fängt Vorstellung an, in Form zu kleiden:

So wird mir bald die Raumgewalt klar eingehändigt:

Ich kann bereits, was naht, als Rappen unterscheiden.


Der braust empor und bäumt sich auf! Ich wittre:

Der Hengst, der über Felsen klimmt, braucht Schwingen!

Ich fühle auch, wie ich, durch ihn berückt, erzittre,

Und wie die Sterne erst den Zeitgesang vollbringen:


Er rast, mir nah, empor: und eingefroren

Scheint mir der Weltenraum in seiner Wirbelsäule.

Der Zeitpalast verblaßt. Ich blick aus Tongoldthoren

Ins All, ins All und fühle Lautrauschgäule.
[321]

Ich fühle nun, was ich bereits erkannte:

Das Raumfreie in der Musik ist stumm das Große.

Und, daß der Rappen mich ganz maaßlos überrannte,

Vermags, daß ich, was zeitlich ist, jetzt von mir stoße.


Mit Wuth und Wucht stürzt die Musik sich auf den Rappen

Und überwältigt seine Formen wechsellüstern,

Und trotzdem kann das Roß nach Athem weiterschnappen

Und wiehert wild, beharrungsbrünstig aus den Nüstern.


Doch merke ich genau: der Strauß ist ausgerungen!

Es wollen Raum und Zeit versöhnt zusammenfallen,

Nach Freiheit schnuppert nun mein Gaul aus vollen Lungen,

Und aus den Schultern hör ich Flugakkorde schallen.


Mein Roß hat sich an Gluthmusik in Rausch getrunken.

Ich sehe seine hellen Lenden rhythmisch wild sich regen

Und braune Flecken auf dem dunkeln Grunde prunken,

Und fühle mich dabei auf meinem Gaule aufwärtsfegen.


Den Erdschlund unter mir besiegte meine Steilheit.

Ein Satanslacken kann ich noch im Schacht gewahren,

Es wirkt wie einer Dirne Grinsen, wenn die Geilheit

Sie nochmals packt, weil Fremdlinge sich mit ihr paaren.


Mein Roß jedoch wird kühn ins Raumlose emporgetragen

Und es entwischt den Schlangen, die es geil umzischen,

Als Flügel kann uns die Musik hoch überragen,

Und Schweiß scheint jeden Hautfleck wegzuwischen.


Der Raum und selbst die Zeit sind endlos überwunden.

Auf blondem Rosse konnt ich beiden stolz entjagen.

Vom Leib befreit, wird meine Seele jetzt gesunden:

Ich lasse mich vom Isabellenpferde tragen!
[322]

Das erdbefreite Sonnenhöchste glüht im Rosse,

Das durch und durch musikdurchtränkt nach oben wuchtet.

Mein Weib allein blieb unten in der dumpfen Gosse:

Entschluchzt ihr nie ein Ruf der Gluth, die sie durchschluchtet?


Mein Weib, mein Weib, ich habe Dich um Licht verlassen!

In einem Harem mußt Du jetzt in Schmach verschmachten.

Des Leibes Geilheit wird den Seelenstolz verprassen,

Du wirst im Sterngeschmeid den Geist durch Lust umnachten.


Zu Dir, zu Dir, mein Weib, will ich durch Wolken reiten,

An Deiner Freiheit ist mir alles jetzt gelegen!

Musik, versuch Dich sturmsteil auszubreiten

Und laß mein Roß durch Nacht sich weibwärts regen.


Ein Stern hat irgendwo sein ganzes Herz erschlossen,

Sein volles Sein soeben in die Welt ergossen,

Und ein Komet davon kommt auf uns zugeschossen,

Und meines Pferdes Schwingen sind beinah zerflossen.


Jetzt loht die Erdensymphonie aus meinem Rosse,

Als zwei Kometenflügel, stolz empor zum Himmel:

Ganz Asiens Prachtsynthese steigt vom Parsenschlosse

Weiß, erdbefreit und lichtbeschwingt hervor als Erdenschimmel.


Empor, empor! Es reißt im weißen Nacktkolosse

Ein Stern der Ewigkeit sich los vom Erdgewimmel:

Als Perseus stieg ich, gleich dem leichten Pfeilgeschosse,

Ertönend hoch empor zum großen Sterngebimmel!


Empor, empor! Der letzte Fels wird überwunden.

Er stürzt, von meines Hengstes hellen Wunderhufen

Zertrümmert, in die Tiefe, deren Schauderwunden

Gluthblutend jetzt um Heil und Hülfe rufen.
[323]

Ich bin nun aller dumpfen Erdenlast entbunden,

Bewältigt sind die harten Araratgratstufen,

Die Erde ist beinahe stumm in Nacht verschwunden,

Und nur die Welten funkeln, die sich selbst erschufen.


Jäh unter uns verrunzelt unsere Muttererde.

Ich merke nicht, wie ich mich jetzt beim Flug geberde,

Ich fühle nur, Musik glüht tief aus meinem Pferde,

Sodaß ich schon von seinem Schweiß berieselt werde!


Von ewigem Grundmuß wird nunmehr mein Roß beleuchtet.

Das Nebelnaß, der Schweiß, der unsern Stern befeuchtet,

Umglänzen jetzt die allerklarsten Regenbogen,

Von allen Farben scheint mein Nachtkrystall umzogen.


Die Wolken, die aus meines Rosses Nüstern keuchen,

Verwandelten sich bald in lauter laue Lenze,

Die hoch am Ararat den Gletscherfrost verscheuchen,

Und gleich am Rand des Sternes stattern Flammenkränze.


Ich weiß, daß ich in einem Weltbrillant erglänze:

Sechs Regenbogen spielen ihre Farbentänze:

Mein Freibewußtsein kennt jetzt keine Innergrenze:

Die Selbstbegreifung sprüht Kometenschwänze.


Mein Rappe braucht schon lange nimmer fortzutraben,

Er kann sich flügelleicht im jungen Sein gehaben,

Jetzt seh ich mich! – Im Sterne gleich ich einem Knaben –

Und ach, ich bin im Schacht des Ararat begraben!


Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 2, München; Leipzig 1910, S. 317-324.
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