Achtzehntes Kapitel.

[228] Sogleich kam Galatea wieder zum Vorschein mit einem kleinen gebückten Mann, der viel älter aussah als seine vierzig Jahre. Kluge, aber allzu scharfe Züge, das stechende Auge, der bartlose, eingekniffne Mund – alles machte den Eindruck unangenehmer Pfiffigkeit.

Theodora nickte leicht auf seine kriechende Verbeugung; Galatea begann ihr die Augenbrauen zu malen.

»Kaiserin,« hob der Alte ängstlich an, »ich staune über deine Kühnheit. Wenn man mich hier sähe! Die Klugheit von neun Jahren wäre durch einen Augenblick vereitelt.«

»Man wird dich aber nicht sehen, Petros,« sagte Theodora ruhig. »Diese Stunde ist die einzige, da ich vor der zudringlichen Zärtlichkeit Justinians sicher bin. Es ist seine Betstunde. Ich muß sie ausbeuten, so gut ich kann. Gott erhalte ihm seine Frömmigkeit! Galatea, den Frühwein. Wie? Du fürchtest doch nicht, mich mit diesem gefährlichen Verführer allein zu lassen?« Die Alte ging mit häßlichem Grinsen und kam gleich zurück, einen Henkelkrug süßen gewärmten Chierweins in der einen Hand, Becher mit Wasser und Honig in der andern.

»Ich konnte heute unsre Unterredung nicht, wie gewöhnlich, in der Kirche veranstalten, wo du in dem dunkeln Beichtstuhl einem Priester täuschend ähnlich siehst. Der Kaiser wird dich noch vor der Kirchenzeit zu sich bescheiden und du mußt zuvor genau unterrichtet sein.«[228]

»Was ist zu tun?«

»Petros,« sagte Theodora, sich behaglich zurücklehnend und langsam das süße Getränk schlürfend, das Galatea mischte, »heute kam der Tag, der unsere langjährige Mühe und Klugheit lohnen und dich zum großen Mann machen wird.«

»Zeit wär' es,« meinte der Rhetor.

»Nur nicht ungeduldig, Freund. (Galatea, etwas mehr Honig.) Um dich für das heutige Geschäft in die rechte Stimmung zu versetzen, wird es gut sein, dich an das Vergangne, an die Entstehungsart unsrer – Freundschaft zu erinnern.«

»Was soll das? Wozu ist das nötig?« sagte der Alte unbehaglich.

»Zu mancherlei. Also. Du warst der Vetter und Anhänger meines Todfeindes Narses. Folglich auch mein Feind. Jahrelang hast du im Dienste deines Vetters mir entgegengearbeitet, mir wenig geschadet, dir selbst aber noch weniger genützt. Denn Narses, dein tugendhafter Freund, setzt seine Ehre und seine Schlauheit darein, nie etwas für seine Verwandten zu tun, daß man ihn nie, wie die andern Höflinge dieses Reiches, des Nepotismus zeihen könne.

Aus lauter Vorsicht und eitel Tugend ließ er dich unbefördert. Du darbtest und bliebst einfacher Schreiber. Aber ein feiner Kopf wie du weiß sich zu helfen. Du fälschtest, du verdoppeltest die Steuerausschreiben des Kaisers. Die Provinzen zahlten neben der von Justinian verlangten noch eine zweite Steuer, die Petros und die Steuererheber untereinander teilten. Eine Weile ging das vortrefflich. Aber einmal –«

»Kaiserin, ich bitte dich –«

»Ich bin gleich zu Ende, Freund. Aber einmal hattest du das Unglück, daß einer von den neuen Steuerboten die Gunst der Kaiserin höher anschlug als den von dir verheißnen Teil der Beute. Er ging auf deinen Antrag ein, ließ sich die Urkunde von dir fälschen und – brachte sie mir.«[229]

»Der Elende,« murrte Petros.

»Ja, es war schlimm,« lächelte Theodora, den Becher wegstellend. »Ich konnte jetzt meinem boshaften Feind, dem Vertrauten des verhaßten Eunuchen, den schlauen Kopf vor die Füße legen, und ich muß gestehen: es lüstete mich sehr danach, sehr! Aber ich opferte die kurze Rache einem großen, dauernden Vorteil. Ich rief dich zu mir und ließ dir die Wahl, zu sterben oder fortan mir zu dienen. Du warst gütig genug, das letztre zu wählen und so haben wir, vor der Welt nach wie vor die heftigsten Feinde, insgeheim seit Jahren zusammen gewirkt: du hast mir alle Pläne des großen Narses im Entstehen verraten und ich hab es dir wohl vergolten: du bist jetzt ein reicher Mann.«

»O, nicht der Rede wert.«

»Bitte, Undankbarer, das weiß mein Schatzmeister besser. Du bist sehr reich.«

»Wohl, aber ohne Rang und Würde. Meine Studiengenossen sind Patrizier, Präfekten, große Herren in Morgen- und Abendland: so Cethegus in Rom, Prokopius in Byzanz.«

»Geduld. Vom heutigen Tage an wirst du die Leiter der Ehren rasch erklimmen. Ich mußte doch immer etwas zu geben behalten. Höre: du gehst morgen als Gesandter nach Ravenna.«

»Als kaiserlicher Gesandter?« rief Petros freudig.

»Durch meine Verwendung. Aber das ist nicht alles.

Du erhältst von Justinian ausführliche Anweisungen, das Gotenreich zu verderben, Belisar den Weg nach Italien zu bahnen.«

»Diese Anweisungen – befolg' ich oder vereitl' ich?«

»Befolgst du. Aber du erhältst noch einen Auftrag, den dir Justinian ganz besonders ans Herz legen wird: die Tochter Theoderichs um jeden Preis aus der Hand ihrer Feinde zu retten und nach Byzanz zu bringen. Hier hast du einen Brief[230] von mir, der sie dringend einladet, an meiner Brust ein Asyl zu suchen.« –

»Gut,« sagte Petros, den Brief einsteckend, »ich bringe sie also sofort hierher.«

Da schnellte Theodora wie eine springende Schlange vom Lager auf, daß Galatea erschrocken zurückfuhr.

»Bei meinem Zorn, Petros, nein. Dich send' ich deshalb. Sie darf nicht nach Byzanz, sie darf nicht leben!«

Bestürzt ließ Petros den Brief fallen. »O Kaiserin,« flüsterte er – »ein Mord!«

»Still, Rhetor,« sprach Theodora mit heiserer Stimme und unheimlich funkelten ihre Augen. »Sie muß sterben.«

»Sterben? O Kaiserin, warum?«

»Warum? das hast du nicht zu fragen. Doch halt: – du sollst es wissen, es gibt deiner Feigheit einen Sporn – wisse –« und sie faßte ihn wild am Arme und raunte ihm ins Ohr: »Justinian, der Verräter, fängt an, sie zu lieben.«

»Theodora!« rief der Rhetor erschrocken und trat einen Schritt zur Seite.

Die Kaiserin sank auf die Kline zurück.

»Aber er hat sie ja nie gesehen!« stammelte sich fassend Petros.

»Er hat ihr Bild gesehen: er träumt bereits von ihr, er glüht für dieses Bild.«

»Du hast nie eine Rivalin gehabt.«

»Ich werde dafür wachen, daß ich keine erhalte.«

»Du bist so schön.«

»Amalaswintha ist jünger.«

»Du bist so klug, bist seine Beraterin, die Vertraute seiner geheimsten Gedanken.«

»Das eben wird ihm lästig. Und« – sie ergriff wieder seinen Arm »merke wohl: sie ist eine Königstochter! eine geborne Herrscherin, ich des Löwenwärters plebejisch Kind. Und – so wahnwitzig lächerlich es ist! – Justinian vergißt[231] im Purpurmantel, daß er des dardanischen Ziegenhirten Sohn. Er hat den Wahnsinn der Könige geerbt, er, selbst ein Abenteurer, er faselt von angebornen Majestät, von dem Mysterium königlichen Bluts. Gegen solche Grillen hab' ich keinen Schutz: von allen Weibern der Erde fürchte ich nichts: aber diese Königstochter – –«

Sie sprang zürnend auf und ballte die kleine Hand.

»Hüte dich, Justinian!« sagte sie, durchs Gemach schreitend. »Theodora hat mit diesem Auge, mit dieser Hand Löwen und Tiger bezaubert und beherrscht: laß sehen, ob ich nicht diesen Fuchs im Purpur in Treue erhalten kann.« Sie setzte sich wieder.

»Kurz, Amalaswintha stirbt,« sagte sie, plötzlich wieder kalt geworden.

»Wohl,« erwiderte der Rhetor, »aber nicht durch mich. Du hast der blutgewohnten Diener genug. Sie sende; ich bin ein Mann der Rede. –«

»Du bist ein Mann des Todes, wenn du nicht gehorchst. Gerade du, mein Feind mußt es tun: keiner meiner Freunde kann es ohne Verdacht.«

»Theodora,« mahnte der Rhetor sich vergessend, »die Tochter des großen Theoderich ermorden, eine geborne Königin – –«

»Ha,« lachte Theodora grimmig, »auch dich Armseligen blendet die geborne Königin. Narren sind die Männer alle, noch mehr als Schurken! Höre, Petros, an dem Tage, da die Todesnachricht aus Ravenna eintrifft, bist du Senator und Patricius.«

Wohl blitzte des Alten Auge. Aber Feigheit oder Gewissensangst war doch mächtiger als der Ehrgeiz. »Nein,« sagte er entschlossen, »lieber lasse ich den Hof und alle Pläne.«

»Das Leben läss'st du, Elender!« rief Theodora zornig. »Oh, du wähntest, du seiest frei und ungefährdet, weil ich damals vor deinen Augen die gefälschte Urkunde verbrannt? Du Tor! es war die rechte nicht! Sieh her – hier halte ich dein Leben.«[232]

Und sie riß aus einer Capsula voller Dokumente ein vergilbtes Pergament. Sie zeigte es dem Erschrocknen, der jetzt willenlos in die Kniee brach.

»Befiehl,« stammelte er, »ich gehorche.«

Da pochte man an die Haupttüre.

»Hinweg,« rief die Kaiserin. »Hebe meinen Brief an die Gotenfürstin vom Boden auf und bedenk es wohl: Patricius, wenn sie stirbt, Folter und Tod, wenn sie lebt. Fort.«

Und Galatea schob den Betäubten durch den geheimen Eingang hinaus, drehte den bronzenen Justinian wieder an seine Stelle und ging, die Haupttür aufzutun.

Quelle:
Felix Dahn: Ein Kampf um Rom. Erstes bis fünftes Buch, in: Gesammelte Werke. Erzählende und poetische Schriften, Band 1, Leipzig und Berlin [o.J.], S. 228-233.
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