Fünfundzwanzigstes Kapitel.

[274] Die Regentin Amalaswintha stand in der Zeit nach der Beseitigung der drei Herzoge in einer abwartenden Haltung.

Hatte sie durch den Fall der Häupter des ihr feindlichen Adels etwas mehr freie Hand gewonnen, so stand doch die[274] Volksversammlung zu Regeta bei Rom in naher Aussicht, in der sie sich von dem Verdacht des Mordes völlig reinigen oder die Krone, vielleicht das Leben, lassen mußte. Nur bis dahin hatten ihr Witichis und die Seinen ihren Schutz zugesagt. Sie spannte deshalb ihre Kräfte an, ihre Stellung bis zu jener Entscheidung nach allen Seiten zu befestigen.

Von Cethegus hoffte sie nichts mehr: sie hatte seine kalte Selbstsucht durchschaut; doch vertraute sie, daß die Italier und die Verschwornen in den Katakomben, an deren Spitze ja ihr Name stand, ihre römerfreundliche Herrschaft einem aus der rauhen Gotenpartei hervorgegangenen König vorziehen würden. Sehnlich wünschte sie das Eintreffen der vom Kaiser erbetenen Leibwache herbei, um für den ersten Augenblick der Gefahr eine Stütze zu haben: und eifrig war sie bemüht, unter den Goten selbst die Zahl ihrer Freunde zu vermehren.

Sie berief mehrere der alten Gefolgsleute ihres Vaters, eifrige Anhänger des Hauses der Amaler, greise Helden von großem Namen im Volk, Waffenbrüder und beinahe Jugendgenossen des alten Hildebrand, zu sich nach Ravenna, besonders den weißbärtigen Grippa, den Mundschenk Theoderichs, der dem Waffenmeister an Ruhm und Ansehn kaum nachstand: sie überhäufte ihn und die andern Gefolgen mit Ehren, übertrug Grippa und seinen Freunden das Kastell von Ravenna und ließ sie schwören, diese Feste dem Geschlecht der Amaler sicher zu erhalten.

Wenn die Verbindung mit diesen volkbeliebten Namen eine Art von Gegengewicht wider Hildebrand, Witichis und ihre Freunde schaffen sollte – und Witichis konnte die Auszeichnung der Freunde Theoderichs nicht als staatsgefährlich verhindern – so sah sich die Königin auch gegen die Adelspartei der Balten und ihrer Bluträcher nach einer Stütze um. Sie erkannte diese mit scharfem Blick in dem edeln Hause der Wölsungen, nach den Amalern und Balten der dritthöchsten[275] Adelssippe unter den Goten, reich begütert und einflußreich in dem mittleren Italien, deren Häupter dermalen zwei Brüder, Herzog Guntharis und Graf Arahad, waren. Diese zu gewinnen, hatte sie ein besonders wirksames Mittel ersonnen: sie bot für die Freundschaft der Wölsungen keinen geringern Preis als die Hand ihrer schönen Tochter. –

Zu Ravenna in einem reich geschmückten Gemach standen Mutter und Tochter in ernstem, aber nicht vertraulichem Gespräch hierüber.

Mit hastigen Schritten, fremd ihrer sonstigen Ruhe, durchmaß die junonische Gestalt der Regentin den schmalen Raum, manchmal mit einem zornigen Blick das herrliche Geschöpf messend, welches ruhig und gesenkten Auges vor ihr stand, die linke Hand in die Hüfte, die Rechte auf die Platte des Marmortisches gestützt.

»Besinne dich wohl,« rief Amalaswintha heftig, plötzlich stehen bleibend, »besinne dich anders. Ich gebe dir noch drei Tage Bedenkzeit.«

»Das ist umsonst: ich werde immer sprechen wie heute,« sagte Mataswintha, die Augen nicht erhebend.

»So sage nur, was du an Graf Arahad auszusetzen hast.«

»Nichts, als daß ich ihn nicht liebe.«

Die Königin schien dies gar nicht zu hören. »Es ist doch in diesem Fall ganz anders als damals, da du mit Cyprianus vermählt werden solltest. Er war alt und – was in deinen Augen vielleicht ein Nachteil« – fügte sie bitter hinzu – »ein Römer!«

»Und doch ward ich um meiner Weigerung willen nach Tarentum verbannt.«

»Ich hoffte, Strenge würde dich heilen. Mondelang halt' ich dich ferne von meinem Hof, von meinem Mutterherzen« –

Mataswintha verzog die schöne Lippe zu einem herben Lächeln.[276]

»Umsonst! ich rufe dich zurück« –

»Du irrst. Mein Bruder Athalarich hat mich zurückgerufen.«

»Ein andrer Freier wird dir vorgeschlagen. Jung, blühend schön, ein Gote von edelstem Adel, sein Haus jetzt das zweite im Reich. Du weißt, du ahnst wenigstens, wie sehr mein rings bedrängter Thron der Stütze bedarf: er und sein kriegsgewalt'ger Bruder verheißen uns die Hilfe ihrer ganzen Macht: Graf Arahad liebt dich und du – du schlägst ihn aus! Warum? Sage warum?«

»Weil ich ihn nicht liebe.«

»Albernes Mädchengerede. Du bist eine Königstochter – du hast dich deinem Hause, deinem Reiche zu opfern.«

»Ich bin ein Weib,« sagte Mataswintha, die blitzenden Augen aufschlagend, »und opfre mein Herz keiner Macht im Himmel und auf Erden.« –

»Und so spricht meine Tochter! Sieh auf mich, törichtes Kind. Großes hab' ich erstrebt und erreicht. Solange Menschen das Hohe bewundern, werden sie meinen Namen nennen. Ich habe alles gewonnen, was das Leben Herrlichstes bietet und doch hab' ich –«

»Nie geliebt. Ich weiß es,« seufzte ihre Tochter.

»Du weißt es?«

»Ja, es war der Fluch meiner Kindheit. Wohl war ich noch ein Kind, als mein geliebter Vater starb: ich wußte es nicht zu sagen, aber ich konnte es empfinden, damals schon, daß seinem herzen etwas fehle, wenn er seufzend, mit schmerzlicher Liebe, Athalarich und mich umfing und küßte und wieder seufzte.

Und ich liebte ihn darum desto inniger, daß ich fühlte, er suchte Liebe, die ihm fehlte. Jetzt freilich weiß ich längst, was mich damals unerklärlich peinigte: du wardst unsres Vaters Weib, weil er nach Theoderich der nächste am Thron: aus Herrschsucht, nicht aus Liebe, wardst du sein und nur kalten Stolz hattest du für sein warmes Herz.«[277]

Überrascht blieb Amalaswintha stehen: »Du bist sehr kühn.«

»Ich bin deine Tochter.«

»Du redest von der Liebe so vertraut – du kennst sie besser scheint's mit zwanzig als ich mit vierzig Jahren – du liebst!« rief sie schnell, »und daher dieser Starrsinn.«

Mataswintha errötete und schwieg.

»Rede,« rief die erzürnte Mutter, »gesteh' es oder leugne!«

Mataswintha senkte die Augen und schwieg: nie war sie so schön gewesen.

»Willst du die Wahrheit verleugnen? Bist du feige, Amelungentochter?«

Stolz schlug das Mädchen die Augen auf:

»Ich bin nicht feige und ich verleugne die Wahrheit nicht. Ja, ich liebe.«

»Und wen, Unselige?«

»Das wird mir kein Gott entreißen.«

Und so entschieden sah sie dabei aus, daß Amalaswintha keinen Versuch machte, es zu erfahren.

»Wohlan,« sagte sie, »meine Tochter ist kein gewöhnlich Wesen. So fordere ich das Ungewöhnliche von dir: dein Alles dem Höchsten zu opfern.«

»Ja, Mutter, ich trage im Herzen einen hohen Traum. Er ist mein Höchstes. Ihm will ich alles opfern.«

»Mataswintha«, sprach die Regentin, »wie unköniglich! Sieh, dich hat Gott vor Tausenden gesegnet an Herrlichkeit des Leibes und der Seele: du bist zur Königin geboren.«

»Eine Königin der Liebe will ich werden. Sie preisen mich alle um meine Weibesschönheit: wohlan: ich hab' mir's vorgesteckt, liebend und geliebt, beglückend und beglückt, ein Weib zu sein.«

»Ein Weib! ist das dein ganzer Ehrgeiz!«

»Mein ganzer. O wär' es auch der deine gewesen!«

»Und der Enkelin Theoderichs gilt das Reich und die Krone nichts? Und nichts dein Volk die Goten?«[278]

»Nein, Mutter,« sagte Mataswintha ernst: »es schmerzt mich beinahe, es beschämt mich: aber ich kann mich nicht zwingen zu dem, was ich nicht fühle: ich empfinde nichts bei dem Worte, ›Goten‹: vielleicht ist es nicht meine Schuld: du hast von jeher diese Goten verachtet, diese Barbaren gering geschätzt: das waren die ersten Eindrücke: sie sind geblieben. Und ich hasse diese Krone, dieses Gotenreich: es hat in deiner Brust dem Vater, dem Bruder, mir den Platz fortgenommen. Diese Gotenkrone, nichts ist sie mir von je gewesen und geblieben als eine verhaßte, feindliche Macht.«

»O mein Kind, weh mir, wenn ich das verschuldet hätte! Und tust du's nicht um des Reiches, o tu's um meinetwillen. Ich bin so gut wie verloren ohne die Wölsungen. Tu's um meiner Liebe willen.«

Und sie faßte ihre Hand. –

Mataswintha entzog sie mit bittrem Lächeln: »Mutter, entweihe den höchsten Namen nicht. Deine Liebe! Du hast mich nie geliebt. Nicht mich, nicht den Bruder, nicht den Vater.«

»Mein Kind! Was hätt' ich geliebt, wenn nicht euch!«

»Die Krone, Mutter, und diese verhaßte Herrschaft. Wie oft hast du mich von dir gestoßen vor Athalarichs Geburt, weil ich ein Mädchen war und du einen Thronerben wolltest. Denke an meines Vaters Grab und an –«

»Laß ab,« winkte Amalaswintha.

»Und Athalarich? Hast du ihn geliebt, oder vielmehr sein Recht auf den Thron? O wie oft haben wir armen Kinder geweint, wenn wir die Mutter suchten und die Königin fanden.«

»Du hast mir nie geklagt. Erst jetzt, da du mir Opfer bringen sollst.«

»Mutter, es gilt ja auch jetzt nicht dir, nur deiner Krone, deiner Herrschaft. Leg' diese Krone ab und du bist aller Sorgen frei. Die Krone hat dir und uns allen kein Glück, nur Schmerzen[279] gebracht. Nicht du bist bedroht: dir wollt' ich alles opfern – nur dein Thron, nur der goldne Reif des Gotenreichs, der Götze deines Herzens, der Fluch meines Lebens: nie werd' ich dieser Krone meine Liebe opfern, nie, nie, nie!«

Und sie kreuzte die weißen Arme über ihrer Brust, als wollte sie die Liebe darin beschirmen.

»Ah,« sagte die Königin zürnend, »selbstisches, herzloses Kind! Du gestehst, daß du kein Herz hast für dein Volk, für die Krone deiner großen Ahnen – du gehorchst nicht freiwillig der Stimme der Ehre, des Ruhmes deines Hauses – wohlan, so gehorche dem Zwang. Du sprichst mir die Liebe ab, so erfahre meine Strenge. Zur Stunde verläßt du mit deinem Gefolge Ravenna.

Du gehst als Gast nach Florentia in das Haus des Herzogs Guntharis: seine Gattin hat dich geladen. Graf Arahad wird deine Reise begleiten. Verlaß mich. Die Zeit wird dich beugen.«

»Mich?« sprach Mataswintha, sich hoch aufrichtend: »keine Ewigkeit!«

Schweigend blickte ihr die Königin nach: die Anklagen der Tochter hatten einen mächtigeren Eindruck auf sie gemacht als sie zeigen wollte. »Herrschsucht?« sagte sie zu sich selbst. »Nein, das ist es nicht, was mich erfüllt. Ich fühlte, daß ich dies Reich schirmen und beglücken konnte, darum liebte ich die Krone. Und gewiß, ich könnte, wie mein Leben, so meine Krone opfern, verlangte es das Heil meines Volks. Könntest du das, Amalaswintha?« fragte sie sich, zweifelnd die Linke auf die Brust legend.

Sie ward aus ihrem Sinnen geweckt durch Cassiodor, der langsam und gesenkten Hauptes eintrat.

»Nun,« rief Amalaswintha, erschreckt von dem Ausdruck seiner Züge, »bringst du ein Unglück?«

»Nein nur eine Frage.«[280]

»Welche Frage?«

»Königin,« hob der Alte feierlich an, »ich habe deinem Vater und dir dreißig Jahre lang gedient, treu und eifrig, ein Römer den Barbaren, weil ich eure Tugenden ehrte, und weil ich glaubte, Italien, der Freiheit nicht mehr fähig, sei unter eurer Herrschaft am sichersten geborgen: denn eure Herrschaft war gerecht und mild. Ich habe fortgedient, obwohl ich meiner Freunde Boëthius und Symmachus, Blut fließen sah, wie ich glaube, unschuldig Blut: aber sie starben durch offnes Gericht, nicht durch Mord. Ich mußte deinen Vater ehren, auch wo ich ihn nicht loben konnte. Jetzt aber –«

»Nun, jetzt aber?« fragte die Königin stolz.

»Jetzt komme ich, von meiner vieljährigen Freundin, ich darf sagen, meiner Schülerin –«

»Du darfst es sagen,« sprach Amalaswintha weicher.

»Von des großen Theoderich edler Tochter ein einfach schlichtes Wort, ein Ja zu erbitten. Kannst du dies Ja sprechen – ich flehe zu Gott, daß du es könnest – so will ich dir dienen treu wie je, solang es dieses greise Haupt vermag.«

»Und kann ich's nicht?«

»Und könntest du es nicht, o Königin,« rief der Alte schmerzlich, »o dann Lebewohl dir und meiner letzten Freude an dieser Welt.«

»Und was hast du zu fragen?«

»Amalaswintha, du weißt ich war fern an der Nordgrenze des Reichs, als hier der Aufstand losbrach, als jene furchtbare Kunde, jene furchtbare Anklage sich erhob. Ich glaubte nichts – ich flog hierher von Tridentum. – Seit zwei Tagen bin ich hier und keine Stunde vergeht, keinen Goten spreche ich, ohne daß die schwere Klage mir schwerer aufs Herz fällt. Und auch du bist verwandelt, ungleich, unstet, unruhig – und doch will ich's nicht glauben. – Ein treues Wort von dir soll all diese Nebel zerstreuen.«[281]

»Wozu die vielen Reden,« rief sie, auf die Armlehne des Thrones sich stützend, »sage kurz, was hast du zu fragen?«

»Sprich nur ein schlichtes Ja: bist du schuldlos an dem Tode der drei Herzoge?«

»Und wenn ich es nicht wäre – haben sie nicht reichlich den Tod verdient?«

»Amalaswintha, ich bitte dich: sage ja.«

»Du nimmst ja auf einmal großen Anteil an den gotischen Rebellen!«

»Ich beschwöre dich,« rief der Greis auf die Kniee fallend, »Tochter Theoderichs, sage ja, wenn du kannst.«

»Steh auf,« sprach sie finster sich abwendend, »du hast kein Recht, so zu fragen.«

»Nein,« sagte der Alte ruhig aufstehend, »nein, jetzt nicht mehr. Denn von diesem Augenblick an gehör' ich der Welt nicht mehr an.«

»Cassiodor!« rief die Königin erschrocken.

»Hier ist der Schlüssel zu meinen Gemächern in dieser Königsburg: du findest darin alle Geschenke, die ich von dir und Theoderich erhalten, die Urkunden meiner Würden, die Abzeichen meiner Ämter. Ich gehe.«

»Wohin, mein alter Freund, wohin?«

»In das Kloster, das ich gegründet zu Squillacium in Apulien. Fortan werd' ich, fern den Werken der Könige, nur die Werke Gottes auf Erden verwalten: längst verlangt meine Seele nach Frieden, und jetzt hab' ich auf Erden nichts mehr, was mir teuer. Noch einen Rat will ich dir scheidend geben: lege das Zepter aus der blutbefleckten Hand: sie kann diesem Reiche nicht mehr Segen, nur Fluch kann sie ihm bringen. Denke an das Heil deiner Seele, Tochter Theoderichs: Gott sei dir gnädig.«

Und ehe sie sich von ihrer Bestürzung erholt, war er verschwunden.[282]

Sie wollte ihm nacheilen, ihn zurückrufen, aber an dem Vorhang trat ihr Petros, der Gesandte von Byzanz, entgegen.

»Königin,« sagte er rasch und leise, »bleib' und höre mich. Es gilt ein dringendes Wort. Man folgt mir auf dem Fuß.«

»Wer folgt dir?«

»Leute, die es nicht so gut meinen mit dir als ich. Täusche dich nicht länger: die Geschicke dieses Reiches erfüllen sich: du hältst sie nicht mehr auf, so rette für dich was zu retten ist: ich wiederhole meinen Vorschlag.«

»Welchen Vorschlag?«

»Den von gestern.«

»Den der Schande, des Verrats! Niemals! Ich werde diese Beleidigung deinem Herrn, dem Kaiser, melden und ihn bitten, dich abzurufen. Mit dir verhandle ich nicht mehr.«

»Königin, es ist nicht mehr Zeit, dich zu schonen. Der nächste Gesandte Justinians heißt Belisar und kommt mit einem Heere.«

»Unmöglich!« rief die verlassene Fürstin. »Ich nehme meine Bitte zurück.«

»Zu spät. Belisars Flotte liegt schon bei Sizilien. Den Vorschlag, den ich dir gestern als meinen Gedanken mitteilte, hast du als solchen verworfen. Vernimm: nicht ich, der Kaiser Justinian selbst ist es, der ihn ausspricht als letztes Zeichen seiner Huld.«

»Justinian, mein Freund, mein Schützer, will mich und mein Reich verderben!« rief Amalaswintha, der es schrecklich tagte.

»Nicht dich verderben, dich erretten! Wiedergewinnen will er dies Italien, die Wiege des Römischen Reichs: dieser unnatürliche, unmögliche Staat der Goten, er ist gerichtet und verloren. Trenne dich von dem sinkenden Fahrzeug. Justinian reicht dir die Freundeshand, die Kaiserin bietet dir ein Asyl an ihrem Herzen, wenn du Neapolis, Rom, Ravenna und[283] alle Festungen in Belisars Hände lieferst und geschehen läßt, daß die Goten entwaffnet über die Alpen geführt werden.«

»Elender, soll ich mein Volk verraten, wie ihr mich? Zu spät erkenne ich eure Tücke! Eure Hilfe rief ich an und ihr wollt mich verderben.«

»Nicht dich, nur die Barbaren.«

»Diese Barbaren sind mein Volk, sind meine einzigen Freunde: ich erkenne es jetzt, und ich stehe zu ihnen in Tod und Leben.«

»Aber sie steh'n nicht mehr zu dir.«

»Verwegner! fort aus meinen Augen, fort von meinem Hof.«

»Du willst nicht hören? Merke wohl, o Königin, nur unter jener Bedingung bürg' ich für dein Leben.«

»Für mein Leben bürgt mein Volk in Waffen.«

»Schwerlich. Zum letztenmal frag' ich dich«

»Schweig. Ich liefere die Krone nicht ohne Kampf an Justinian.«

»Wohlan,« sagte Petros zu sich selbst, »so muß es ein andrer tun. – Tretet ein, ihr Freunde,« rief er hinaus. –

Aber aus dem Vorhang trat langsam mit gekreuzten Armen Cethegus.

»Wo ist Gothelindis? wo Theodahad?« flüsterte Petros.

Seine Bestürzung entging der Fürstin nicht.

»Ich ließ sie vor dem Palast. Die beiden Weiber hassen sich zu grimmig. Ihre Leidenschaft würde alles verderben.«

»Du bist mein guter Engel nicht, Präfekt von Rom,« sprach Amalaswintha finster und von ihm zurückweichend.

»Diesmal vielleicht doch,« flüsterte Cethegus, auf sie zuschreitend. »Du hast die Vorschläge von Byzanz verworfen? Das erwartete ich von dir. Entlaß den falschen Griechen.«

Auf einen Wink der Königin trat Petros in ein Seitengemach.[284]

»Was bringst du mir, Cethegus! Ich traue dir nicht mehr!«

»Du hast, statt mir zu trauen, dem Kaiser vertraut und du siehst den Erfolg.«

»Ich sehe ihn,« sagte sie schmerzlich.

»Königin, ich habe dich nie belogen und getäuscht darin: ich liebe Italien und Rom mehr als deine Goten: Du wirst dich erinnern, ich habe dir dies niemals verhehlt.«

»Ich weiß es und kann es nicht tadeln.«

»Am liebsten säh' ich Italien frei. Muß es dienen, so dien' es nicht dem tyrannischen Byzanz, sondern euch, der milden Hand der Goten. Das war von je mein Gedanke, das ist er noch heute. Um Byzanz abzuhalten, will ich dein Reich erhalten: aber offen sag' ich dir, du, deine Herrschaft läßt sich nicht mehr stützen. Rufst du zum Kampfe gegen Byzanz, so werden dir die Goten nicht mehr folgen, die Italier nicht vertrauen.«

»Und warum nicht? Was trennt mich von den Italiern und von meinem Volk?«

»Deine eignen Taten. Zwei unselige Dokumente, in der Hand des Kaisers Justinian. Du selbst hast zuerst seine Waffen ins Land gerufen, eine Leibwache von Byzanz!«

Amalaswintha erbleichte: »Du weißt –«

»Leider nicht nur ich, sondern meine Freunde, die Verschworenen in den Katakomben: Petros hat ihnen den Brief mitgeteilt: sie fluchen dir.«

»So bleiben mir meine Goten.«

»Nicht mehr. Nicht bloß der ganze Anhang der Balten steht dir nach dem Leben: – die Verschworenen von Rom haben im Zorn über dich beschlossen, sowie der Kampf entbrennt, aller Welt kund zu tun, daß dein Name an ihrer Spitze stand gegen die Goten, gegen dein Volk. Jenes Blatt mit deinem Namen ist nicht mehr in meiner Hand, es liegt im Archiv der Verschwörung.«

»Ungetreuer!«[285]

»Wie konnte ich wissen, daß du hinter meinem Rücken mit Byzanz verkehrst und dadurch meine Freunde dir verfeindest? Du siehst: Byzanz, Goten, Italier, alles steht gegen dich. Beginnt nun der Kampf gegen Byzanz unter deiner Führung, so wird Uneinigkeit Italier und Barbaren spalten, niemand dir gehorchen, und dies Reich hilflos vor Belisar erliegen. Amalaswintha, es gilt ein Opfer: ich fordere es von dir im Namen Italiens, deines und meines Volkes.«

»Welches Opfer? ich bringe jedes.«

»Das höchste: deine Krone. Übergib sie einem Mann, der Goten und Italier gegen Byzanz zu vereinen vermag und rette dein Volk und meines.«

Amalaswintha sah ihn forschend an: es kämpfte und rang in ihrer Brust: »Meine Krone! Sie war mir sehr teuer.«

»Ich habe Amalaswinthen stets jedes höchsten Opfers fähig gehalten.«

»Darf ich, kann ich deinem Rate trauen!«

»Wenn der dir süß wäre, dürftest du zweifeln. Wenn ich deinem Stolze schmeichelte, dürftest du mißtrauen: aber ich rate dir die bittre Arznei der Entsagung. Ich wende mich an deinen Edelsinn, an deinen Opfermut: laß mich nicht zuschanden werden.«

»Dein letzter Rat war ein Verbrechen,« sagte Amalaswintha schaudernd.

»Ich hielt deinen Thron durch jedes Mittel, solang er zu halten war, solang er Italien nützte: jetzt schadet er Italien, und ich verlange, daß du dein Volk mehr liebst als dein Zepter.«

»Bei Gott! Du irrst darin nicht: für mein Volk hab' ich mich nicht gescheut, fremdes Leben zu opfern« – sie verweilte gern bei diesem Gedanken, der ihr Gewissen beschwichtigte –, »ich werde mich nicht weigern, jetzt – aber wer soll mein Nachfolger werden?«[286]

»Dein Erbe, dem die Krone gebührt, der letzte der Amaler.«

»Wie? Theodahad, der Schwächling?«

»Er ist kein Held, das ist wahr. Aber die Helden werden ihm gehorchen, dem Neffen Theoderichs, wenn du ihn einsetzest. Und bedenke noch eins: seine römische Bildung hat ihm die Römer gewonnen: ihm werden sie beistehen: einen König nach des alten Hildebrand, nach Tejas Herzen würden sie hassen und fürchten.«

»Und mit Recht,« sagte die Regentin sinnend: »aber Gothelindis Königin!«

Da trat Cethegus ihr näher und sah ihr scharf ins Auge: »So klein ist Amalaswintha nicht, daß sie kläglicher Weiberfeindlichkeit gedenkt, wo es edler Entschlüsse bedarf. Du erschienst mir von jeher größer als dein Geschlecht. Beweis' es jetzt. Entscheide dich!«

»Nicht jetzt,« sprach Amalaswintha, »meine Stirne glüht, und verwirrend pocht mein Herz. Laß mir diese Nacht, mich zu fassen. Du hast mir Entsagung zugetraut: ich danke dir. Morgen die Entscheidung.«[287]

Quelle:
Felix Dahn: Ein Kampf um Rom. Erstes bis fünftes Buch, in: Gesammelte Werke. Erzählende und poetische Schriften, Band 1, Leipzig und Berlin [o.J.], S. 274-288.
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