Achtes Kapitel.

[107] Noch am nämlichen Tage fand sich Cethegus bei den Frauen ein. Er war in wichtigen Geschäften von Rom herbeigeeilt und kam soeben aus dem Regentschaftsrat, der in des kranken Königs Gemach gehalten wurde. Verhaltner Zorn lagerte auf seinen herben Zügen.

»Ans Werk, Kamilla,« sprach er heftig. »Ihr säumt zu lang. Dieser vorlaute Knabe wird immer herrischer. Er trotzt mir und Cassiodor und seiner schwachen Mutter selbst. Er verkehrt mit gefährlichen Leuten. Mit dem alten Hildebrand,[107] mit Witichis und ihren Freunden. Er schickt Briefe und empfängt Briefe hinter unsrem Rücken. Er hat es durchgesetzt, daß die Königin nur noch in seiner Gegenwart den Rat der Regentschaft beruft. Und in diesem Rat kreuzt er all unsre Pläne. Das muß aufhören. So oder so.« – »Ich hoffe nicht mehr, Einfluß auf den König zu gewinnen,« sagte Kamilla ernst. – »Weshalb? hast du ihn schon gesehen.« Das Mädchen überlegte, daß sie Athalarich versprochen, seinen Ungehorsam nicht an die Ärzte gelangen zu lassen. Aber auch sonst widerstrebte es ihrem Gefühl, die Begegnung dieses Morgens zu entweihen, zu verraten.

Sie wich daher der Frage aus und sagte: »Wenn der König sich sogar seiner Mutter, der Regentin, widersetzt, wird er sich nicht von einem jungen Mädchen beherrschen lassen.« – »Goldne Einfalt!« lächelte Cethegus und ließ das Gespräch ruhen, solang das Kind anwesend war. Aber insgeheim trieb er Rusticianen, zu veranlassen, daß ihre Tochter den König fortan häufig sehe und spreche.

Dies ward möglich, da sich dessen Befinden jetzt rasch besserte. Und wie äußerlich, wurde er innerlich zusehends männlicher, fester und reifer: es war, als ob das Widerstreben gegen Cethegus ihm Leib und Seele kräftige.

So verbrachte er bald wieder viele Stunden in den weiten Anlagen des Gartens. Dort war es, wo ihn seine Mutter und die Familie des Boëthius in den Abendstunden häufig trafen.

Und während Rusticiana die Huld der Regentin mit voller Freundschaft zu erwidern schien und aufmerksam ihren vertrauenden Mitteilungen lauschte, um sie wörtlich dem Präfekten wiedererzählen zu können, wandelten die jungen Leute vor ihnen her durch die schattigen Gänge des Gartens.

Oft auch bestieg die kleine Gesellschaft eine der leichten Gondeln in jenem Hafen und Athalarich steuerte wohl selbst[108] eine Strecke ins blaue Meer hinaus, nach einer der kleinen, grünbuschigen Inseln, die nicht weit vor der Bucht lagen. Auf dem Heimweg aber spannte man die purpurnen Segel auf und ließ sich von dem frischen Westwind, der sich bei Sonnenuntergang zu erheben pflegte, langsam und mühelos zurücktragen. –

Oft waren es auch der König und Kamilla allein, die, nur von Daphnidion begleitet, sich dieser Wanderungen im Grünen und auf den Wellen erfreuten.

Wohl sah Amalaswintha darin die Gefahr, dadurch die Neigung ihres Sohnes, die ihr nicht entgangen war, zu steigern. Aber vor allen andern Erwägungen segnete sie dankbar den günstigen Einfluß, den dieser Umgang augenscheinlich auf ihren Sohn übte: er wurde in Kamillas Nähe ruhiger, heiterer, und war dann auch weicher gegen seine Mutter, der er sonst oft heftig und schroff gegenübertrat.

Auch beherrschte er sein Gefühl mit einer Sicherheit, die bei dem reizbaren Kranken doppelt befremdete: und endlich würde die Regentin, im Fall sich diese Liebe ernster geltend machte, sogar einer Verbindung nicht abgeneigt gewesen sein, die den römischen Adel völlig zu gewinnen und jedes Andenken einer unseligen Bluttat auszulöschen versprach. –

In dem Mädchen aber ging eine wundersame Wandlung vor. Täglich mehr fühlte sie ihren Groll und Haß schwinden, wie sie täglich klarer die edle Zartheit der Seele, den schwungvollen Geist, das tiefe, poesiereiche Gemüt des jungen Königs sich entfalten sah. Nur mit Anstrengung konnte sie gegen diesen wachsenden Zauber sich immer wieder das Schicksal ihres Vaters als Talisman ins Andenken zurückrufen: immer mehr kam sie dazu, unter den Goten und Amalern, die jenes Schicksal herbeigeführt, mit Gerechtigkeit zu unterscheiden: immer bestimmter sagte sie sich, wie unbillig es sei, Athalarich um eines Unglücks willen zu hassen, das er nur nicht verhindert[109] hatte und wohl schwerlich hätte verhindern können. Längst hätte sie ihn am liebsten völlig freigesprochen: aber sie mißtraute dieser Milde: sie scheute sie wie eine schwarze Sünde gegen Vater, Vaterland und eigne Freiheit.

Mit Zittern nahm sie wahr, wie unentbehrlich dies edle Menschenbild ihr wurde, wie mächtig sie sich sehnte, diese melodische Stimme zu hören und in dies dunkle, sinnige Auge zu blicken. Sie fürchtete die frevelhafte Liebe, die sie sich nur schwer noch verhehlen konnte, und die einzige Waffe, mit der sie sich noch dagegen wehrte, der Vorwurf seiner Mitschuld an des Vaters Untergang, wollte sie sich nicht entwinden lassen. So schwankte sie in wogenden Gefühlen, desto unsichrer, je rätselhafter ihr Athalarichs geschlossene Sicherheit blieb. Sie konnte ja nicht daran zweifeln, daß er sie liebe, nach allem was geschehen – aber doch!

Nicht eine Silbe, nicht ein Blick verriet diese Liebe: jene Äußerung, mit der er sie damals am Venustempel rasch verlassen, war das bedeutsamste, ja das einzige bedeutsame Wort, das ihm entschlüpfte.

Sie ahnte nicht, was die hochwogende Seele des Jünglings durchgekämpft und durchgelitten, bis seine Liebe zwar nicht erlosch, aber entsagte, und noch weniger, in welch neuem Gefühl er die männliche Kraft solcher Entsagung gefunden. Ihre Mutter, die ihn mit aller Schärfe des Hasses beobachtete und darüber das eigne Kind zu überwachen vergaß, schien noch mehr erstaunt über seine Kälte. »Aber Geduld,« sprach sie zu Cethegus, mit dem sie oft hinter Kamillas Rücken Beratung pflog, »Geduld, bald, binnen drei Tagen, wirst du ihn verwandelt sehen.« – »Es wäre Zeit,« meinte Cethegus; »aber auf was vertraust du?« – »Auf ein Mittel, das noch nie getäuscht hat.«

»Du wirst ihm doch kein Liebestränklein brauen?« lächelte der Präfekt. – »Allerdings, das werd' ich tun; das hab' ich[110] schon getan.« – Jener sah sie spöttisch an: »Auch bei dir solcher Aberglaube, bei der Witwe des großen Philosophen Boëthius! In Liebeswahn sind alle Weiber gleich!«

»Nicht Wahn und Aberglaube,« sagte Rusticiana ruhig. »Seit mehr als hundert Jahren lebt das Geheimnis in unsrer Familie. Ein ägyptisch Weib hat es dereinst am Nil meine Ureltermutter gelehrt. Und es hat sich bewährt. Kein Weib unseres Hauses hat ohne Erhörung geliebt.« – »Dazu braucht's keinen Zauber,« meinte der Präfekt: »ihr seid ein schönes Geschlecht.« – »Spare deinen Spott. Der Trank wirkt unfehlbar, und wenn er bis heute nicht wirkte –« – »So hast du wirklich – Unvorsichtige! wie konntest du unvermerkt?« – »Am Abend, wann er vom Spaziergang oder von der Gondelfahrt mit uns zurückkommt, nimmt er einen Becher gewürzten Falerners. Der Arzt hat es ihm verordnet: es sind Tropfen arabischen Balsams darin. Der Becher steht immer bereit auf dem Marmortisch vor dem Venustempel. Dreimal schon gelang es, den Trank hineinzuschütten.« – »Nun,« meinte Cethegus, »es hat bis jetzt nicht sonderlich gewirkt.« – »Daran ist nur deine Ungeduld die Ursache. Die Kräuter müssen im Neumond gebrochen werden – ich wußte das wohl. Aber, gedrängt von deinen Mahnungen, versucht' ich's schon im Vollmond und du siehst, es wirkte nicht.« – Cethegus zuckte die Achseln. – »Aber gestern nacht trat Neumond ein. Ich war nicht müßig mit meiner goldnen Schere und wenn er jetzt trinkt –« – »Eine zweite Locusta! Nun, mein Trost sind Kamillas schöne Augen. Weiß sie von deinen Künsten?«

»Kein Wort zu ihr! Sie würde das nie dulden. Stille, sie kommt.« Das Mädchen trat ein in lebhafter Erregung, die lieblichen Wangen gerötet, eine Flechte des dunklen Haares war losgegangen und spielte um den feinen Nacken.

»Saget mir, ihr, die ihr klug seid und menschenerfahren, sagt mir, was soll ich denken? Ich komme aus dem Schiff.[111] O, er hat mich nie geliebt! der Hochmütige, er bemitleidet, er bedauert mich! Nein, das ist nicht das rechte Wort. Ich kann es mir nicht deuten.« Und in Tränen ausbrechend, barg sie das Haupt am Halse der Mutter. – »Was ist geschehen, Kamilla?« fragte Cethegus. – »Schon oft,« begann sie tiefaufatmend, »spielte ein Zug um seinen Mund, sprach eine Wehmut aus seinem Auge, als sei er der tief von mir Gekränkte, als habe er uns edel zu vergeben, als habe er mir ein großes Opfer gebracht –« – »Unreife Knaben bilden sich immer ein, es sei ein Opfer, wenn sie lieben.« Da blitzte Kamillas Auge, sie warf den schönen Kopf zurück und wandte sich heftig gegen Cethegus: »Athalarich ist kein Knabe mehr und man soll ihn nicht verhöhnen.« Cethegus schwieg, ruhig die Augen senkend. Aber Rusticiana fragte erstaunt: »Hassest du den König nicht mehr?« – »Bis zum Tode. Man soll ihn verderben, nicht verhöhnen.«

»Was ist geschehen?« wiederholte Cethegus. – »Heute stand jener rätselhafte, kalte, stolze Zug deutlicher als je auf seinem Antlitz. Ein Zufall äußerte ihn in Worten«. Wir waren eben gelandet. Ein Käfer war ins Wasser gefallen: der König bückte sich und zog ihn heraus: das Tierchen aber wehrte sich gegen die mildtätige Hand und biß mit den Zangen des Kopfes in den Finger, der ihn hielt. »Der Undankbare,« sagte ich. – »Oh,« sprach Athalarich, bitter lächelnd, und er setzte den Käfer auf ein Blatt: »man verwundet die am meisten, die am meisten für uns getan.« Und dabei flog sein Blick mit stolzer Wehmut über mich dahin. Doch rasch, als ob er zuviel gesagt, schritt er kalt grüßend hinweg. »Ich aber«, und ihre Brust wogte, ihre fein geschnittenen Lippen schlossen sich – »ich aber trage das nicht mehr. Der Stolze! er soll mich lieben – oder sterben.« – »Das soll er,« sagte Cethegus kaum hörbar, »eins von beiden.«

Quelle:
Felix Dahn: Ein Kampf um Rom. Erstes bis fünftes Buch, in: Gesammelte Werke. Erzählende und poetische Schriften, Band 1, Leipzig und Berlin [o.J.], S. 107-112.
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