Achter Gesang

[314] Es pflegte wahnbetört die Welt zu glauben,

Daß, sich im dritten Epizykel drehend,

Die schöne Göttin Cypern's Liebe strahle.

Drum taten ihr die alten Völker Ehre

Im alten Irrtum, nicht nur durch Gelübde

Und feierliche Opferdienste, an,

Nein, sie verehrten so Dionen, wie

Cupido: sie als Mutter, ihn als Sohn,

Der, sagten sie, geruht in Dido's Schoße.

Und diesen Stern, der, bald der Sonne folgend,

Bald ihr voraus, ihr nah bleibt, nannten sie

Nach ihr, mit welcher oben ich begonnen.

Nicht ward gewahr ich, daß zu ihm ich aufstieg;

Doch die vermehrte Schönheit meiner Herrin

Gab mir Gewißheit, daß ich in ihm sei.

Und wie man Funken in der Flamme wahrnimmt,

Wie Stimme man von Stimme unterscheidet,

Wenn die den Ton hält, jene auf- und absteigt,

So sah in diesem Licht ich andre Leuchten

Sich drehn mit größerer und mindrer Schnelle,[314]

Wohl nach dem Maße ihrer ew'gen Einsicht.

Ein Windstoß fuhr aus kalter Wolke nimmer,

Ob sichtbar oder nicht, so rasch hernieder,

Daß der nicht langsam ihn und säumig fände,

Der mitgesehn, wie schnell die heil'gen Lichter

Den Tanz, der mit den hohen Seraphinen

Begonnen war, abbrechend, zu uns eilten.

Und »Hosianna!« tönt' aus deren Mitte,

Die wir zunächst sahn, uns so süß entgegen,

Daß stets seitdem ich's neuzuhören wünschte.

Dann kam das ein' uns näher und begann

Allein: Wir alle sind dir zu Gefallen

Bereit, damit du unsrer dich erfreuest.

Mit jenen Himmelsfürsten haben wir

Den Kreis, das Kreisen und den Durst gemeinsam,

Zu denen einst dort in der Welt du sagtest:

»Die ihr erkennend dreht den dritten Himmel.«

So lieberfüllt sind wir, daß dir zu Liebe

Nicht minder süß uns deucht, etwas zu ruhen. –

Nachdem mein Aug' in Ehrfurcht meiner Herrin

Sich dargeboten, und Befriedigung

Wie Zuversicht von ihr erhalten hatte,

Kehrt' ich zum Lichte, das so viel verheißen,

Mich um, und mit dem Ausdruck heißen Wunsches

In meiner Stimme sprach ich: Sag', wer seid ihr? –

Wie sah ich da vor neuer Freudigkeit,

Die zur bisher'gen als ich sprach hinzutrat,

Vergrößern sich dies Licht und heller leuchten.

So glänzend sprach es: Kurze Zeit besaß mich

Die Welt dort unten, aber manches Übel,

Das sein wird, wäre nicht, blieb ich am Leben.

Eb macht die Freudigkeit, die mich umstrahlet,

Mich dir unkenntlich und verbirgt mich dir,

Wie sich der Wurm in seine Seide einhüllt.

Du hast mich sehr geliebt und hattest Ursach;

Denn, starb ich nicht so bald, so zeigt' ich dir[315]

Von meiner Liebe mehr als nur die Blätter.

Das linke Ufer, das der Rhodan netzt,

Nachdem er mit der Sorgue sich vermischt hat,

Erwartete als seinen Herrn mich künftig.

Italiens Horn auch, das von wo der Tronto

Und Verde sich in's Meer ergießt, mit Bari

Gaeta und Catona sich bevölkert.

Schon leuchtete auf meiner Stirn die Krone

Des Landes, das der Donaustrom bewässert,

Nachdem die deutschen Ufer er verlassen.

Trinakrien auch, das schöne, das in Qualm

Sich einhüllt vom Pachynus zum Pelorus,

Am Busen, den der Ost am schlimmsten heimsucht,

Weil Schwefel dort entsteht, nicht durch Typhoeus,

Es würde die durch mich von Karl und Rudolph

Gezeugten Kön'ge noch erwartet haben,

Wenn nicht die schlechte Herrschaft, welche immer

Der Untertanen Groll erweckt, Palermo

Zum Todesrufe aufgestachelt hätte.

Erkennte dies mein Bruder, sicher mied' er

Die geizige Ärmlichkeit der Catalonen

Schon jetzt, damit er sie nicht mehr erbittre.

Denn wahrlich Not tut's, daß auf seinen Nachen

Er selber achte, oder jemand für ihn,

Daß die schon schwere Last sich nicht vermehre.

Sein Wesen, das sich von freigeb'gem Ursprung

Zum Geiz gewandt, bedürft' ein Kriegsheer,

Das andres trachtete, als Geld zu sammeln. –

Indem ich glaube, daß die hohe Freude,

Dir mir dein Wort gewährt, o teurer Herr,

Du dort erblickst, wo alles Guten Anfang

Und Ende ist, wie ich sie selbst erblicke,

Ist sie mir wert, und dadurch um so werter,

Daß du sie siehst, indem in Gott du schauest.

Du gabst mir Freude, gib mir nun auch Klarheit,

Weil deine Rede Zweifel in mir weckte,[316]

Wie süßer Same Bittres zeugen kann. –

So ich zu ihm, und er: Wenn ich die Wahrheit

Dir kund getan, so wird, wie jetzt dein Rücken,

Dein Antlitz zugewandt sein deiner Frage.

Das Heil, daß dieses Reich, in dem du aufsteigst,

Befriedigt und bewegt, läßt seine Fürsicht

Zur Kraft in diesen großen Körpern werden.

Und in dem Geiste, der in sich vollkommen,

Vorhergesehn sind, nicht nur die Naturen

An sich, mit ihnen ist es auch ihr Heil.

Darum, was immer dieser Bogen abschießt,

Das trifft, vorherbedacht, bereites Ziel,

Wie alles, was gelangt, wohin es sollte.

Wenn anders sich's verhielte, so erzeugte,

Den du durcheilst, der Himmel, solche Früchte,

Daß sie nicht Kunstwerk, nein, Ruinen wären.

Das aber kann nicht sein, sind nicht die Geister,

Die diese Sterne lenken, mangelhaft

Und mangelhaft der mangelhaft sie schuf.

Willst du noch mehr erklärt sehn diese Wahrheit? –

Und ich: O, nein; wohl seh' ich, daß unmöglich

Natur in dem ermüden kann, was not ist. –

Drauf er: Sag' an, ob Schlimm'res für den Menschen

Auf Erden wär', als Bürger nicht zu sein? –

Nein, sagt' ich; keinen Grund dafür bedarf ich. –

Und kann er Bürger sein, lebt man dort unten

Verschieden in verschiednen Ämtern nicht?

Gewiß nicht, hat eu'r Meister recht geschrieben, –

So schritt schlußfolgernd er bis hierher fort;

Zum Schlusse kam er dann: Verschieden müssen

Die Wurzeln dessen, was ihr wirkt dann sein.

Der kommt zur Welt als Solon, der als Xerxes,

Der als Melchisedek, der als der Künstler,

Der fliegend durch die Luft den Sohn verlor.

Die kreisende Natur, die gleich dem Siegel,

Dem Wachs der Menschen ist, übt ihre Kunst,[317]

Doch unterscheidet sie nicht Haus vom Hause.

Daher geschieht's, daß schon im Mutterleibe

Sich Jacob trennt von Esau, und Quirin

So niedrig abstammt, daß man Mars' ihn zuschreibt.

Mit den Erzeugern würde die erzeugte

Natur stets auf demselben Pfade wandeln,

Wenn Gottes Vorsicht hier nicht überwöge.

Was dir im Rücken war, siehst du nun vor dir.

Doch, daß du spürst, wie ich an dir mich freue,

Geb' einen Zusatz ich dir zum Gewande.

So oft Natur ihr feindlichen Geschicken

Begegnet, bringt sie üble Frucht hervor,

So wie der Samen tut auf falschem Boden.

Wenn auf den Grund, den die Natur gelegt hat,

Acht haben wollte eure Welt, so könnte

Ein wohlgeartetes Geschlecht sie haben;

Ihr aber zwingt zum Ordenskleide manchen,

Den die Natur bestimmt, das Schwert zu tragen,

Und macht zum König, der zum Pfaffen taugt;

Drum muß eu'r Weg abirren von der Straße.

Quelle:
Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Berlin [1916], S. 314-318.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie
La Commedia / Die göttliche Komödie: I. Inferno / Hölle Italienisch/Deutsch
Inferno: Die göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie
Die Göttliche Komödie (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Tschechow, Anton Pawlowitsch

Drei Schwestern. (Tri Sestry)

Drei Schwestern. (Tri Sestry)

Das 1900 entstandene Schauspiel zeichnet das Leben der drei Schwestern Olga, Mascha und Irina nach, die nach dem Tode des Vaters gemeinsam mit ihrem Bruder Andrej in der russischen Provinz leben. Natascha, die Frau Andrejs, drängt die Schwestern nach und nach aus dem eigenen Hause.

64 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon