Achtundzwanzigster Gesang

[397] Der jammervollen Menschheit jetz'ges Leben

So richtend, hatte, die zum Paradiese

Den Geist erhebt, mir Wahrheit offenbart.

Und wie, wer einer Fackel Licht, das ihm

Im Rücken strahlt, und das zuvor er weder

Gesehn, noch sich gedacht, im Spiegel wahrnimmt,

Sich umkehrt, zu erkennen ob das Glas

Die Wahrheit spricht, und dann es so entsprechend[397]

Ihr findet, wie das Lied und seine Weise,

So sagt mir mein Gedächtnis, daß ich tat,

Als ich geblickt in jene schönen Augen,

In deren Schlinge Amor mich gefangen.

Als ich mich umgewandt, fühlt' ich die meinen

Vom dem getroffen, was aus jener Wölbung

Stets leuchtet, sieht man recht in ihren Kreis.

Ein Pünktlein sah ich, das so helles Licht

Ausstrahlte, daß die Augen, die's entflammet

Sich schließen müssen ob der großen Schärfe:

Mit ihm verglichen, wie man Stern bei Sterne

Am Himmel sieht, erschien' in Mondesgröße

Sogar der Stern, der uns der kleinste dünket.

Vielleicht so nahe, als ein Hof das Licht

Das in die Luft ihn zeichnet, dann umgürtet,

Wenn dicht die Dünste, die ihn tragen, sind,

Bewegte sich um jenen lichten Punkt

Ein Feuerkreis so eilig, daß die Drehung

Des höchsten Himmels diese nicht erreichte.

Umgeben war er rings von einem andren,

Vom dritten der, vom vierten wieder dieser,

Der vierte dann vom fünften, der vom sechsten.

Dann folgt' ein siebenter von solcher Weite,

Daß Juno's Botin in der vollen Rundung

Nicht weit genug, ihn zu umspannen wäre.

So auch der acht' und neunt, und es bewegte

Langsamer jeder sich, im Maße wie er,

Der Zahl nach sich, vom ersten mehr entfernte.

An Lauterkeit des Lichtes überwog

Der minder abstand von dem reinen Funken;

Wohl weil ihn dessen Wahrheit mehr durchdringt.

Und meine Herrin, die mich schwer befangen

In Zweifel sah, begann: Es hängt der Himmel

Sowie das Weltall ab von diesem Punkte.

Sieh auf den Kreis nun, welcher ihm am nächsten

Verbunden ist, und wisse, er bewegt sich[398]

So schnell ob seiner heißen Liebe Glut. –

Und ich zu ihr: Wär' in der gleichen Ordnung

Wie diese Räder sind die Welt gegliedert,

So würde was du sagest mich befried'gen.

Doch sieht man in der Welt, die unsre Sinne

Erkennen, um so göttlicher die Kreise,

Je weiter sie vom Mittelpunkte abstehn.

Drum, wenn mein Wunsch gelangen soll zum Ziele

In diesem wunderbaren Engelstempel,

Der Lieb' und Licht allein zu Schranken hat,

So muß Belehrung mir, warum das Abbild

Vom Vorbild so verschieden ist, noch werden,

Da ich allein vergebens drüber sinne. –

Nicht zu verwundern ist's, wenn deine Finger

Für diesen Knoten ungenügend sind;

Weil niemand sich dran wagte, ward er fest. –

So meine Herrin, und dann fuhr sie fort:

Willst du dich sättigen, so nimm zunächst

Was ich dir sagen werd' und denk ihm nach.

Weit sind die körperlichen Kreis' und enger

Je nach der größren oder mindren Kraft,

Die sich erstreckt durch alle ihre Teile.

Die größre Güte wirket größres Heil,

Und sind die Teile beider gleich vollkommen,

So fasset größres Heil der größre Körper;

Deshalb entspricht denn dieser Himmel, welcher

Das ganze Weltall mit sich reißt, dem Kreise

In dem am meisten Liebe ist und Wissen.

Legst also an die Kraft dein Maß du an,

Und nicht an die Erscheinung der Substanzen,

Die sich in sphärischer Gestalt dir zeigen,

So siehst in Himmeln und Intelligenzen

Das Mehr dem Größer, wie das Weniger

Dem Kleiner du gar wunderbar entsprechen. –

Sowie, wenn aus der Wange Boreas,

Auf der am sanftesten er atmet, bläst,[399]

Der Dunstkreis glänzend wird und wolkenfrei,

Weil sich der Nebel, der zuvor ihn trübte,

Auflöst und reinigt, und deshalb der Himmel

Mit jeder Schönheit seiner Scharen lacht,

So tat auch ich, seit ihre klare Antwort

Die Herrin mir gewährte, und die Wahrheit

Ich leuchten sah, gleich einem Stern am Himmel.

Und als dann inne hielten ihre Worte,

Da glich das Funkensprühen jener Kreise

Geschmolznen Eisens blendendem Gefunkel.

Und wie der ganze Brand, tat jeder Funke,

Und deren Zahl vertausendfachte sich

Mehr als die Doppelung der Schachbrettfelder.

Lobsingen hört' ich sie von Chor zu Chore

Dem festen Punkte, der an seinem Platze

Jedweden hält und hielt und halten wird.

Sie aber, die im Geist mir las den Zweifel,

Begann: Es haben dir die ersten Kreise

Die Seraphim und Cherubim gezeigt.

Den Liebesbanden folgen sie so willig

Um, soviel möglich, gleich dem Punkt zu werden;

Und möglich ist's je nach des Schauens Maße.

Des Angesicht des Herren Throne nennt man

Die Liebesgluten die um diese kreisen,

Und sie beendigen die erste Dreizahl.

Und wisse, daß der Wonne sie soviel

Genießen, als ihr Blick sich in die Wahrheit

Vertieft, die jedem Geiste Ruhe bietet.

Drum kann man sehn, daß auf den Akt des Schauens

Die Seligkeit sich gründet, nicht auf den

Der Liebe, welche jenen nur begleitet.

Wie tief das Schauen sei, hängt vom Verdienst ab,

Und das beruht auf Gnad' und gutem Willen,

Und so von einer Stufe fort zur andren.

Die andre Dreizahl, die hier also sprießt

Im ew'gen Lenze, den vom nächt'gen Himmel[400]

Kein Widder seines Blätterschmucks beraubt,

Singt Hosianna stets als Frühlingslied,

Das aus drei Freudenchören, die sie bilden

In dreigestalter Melodie ertönt.

In dieser Hierarchie sind die drei Scharen,

Die weiblich man benennet: Herrschaften, Kräfte

Und, als die dritte Ordnung, die Gewalten.

Dann kreisen in den Reigen nächst dem letzten

Erst Fürstentümer und sodann Erzengel;

Dem Spiel der Engel nur gehört der letzte.

All diese Himmelschöre schau'n nach oben

Und wirken siegend niederwärts; zu Gott hin

Gezogen sind sie all', und alle ziehn sie.

Mit solcher Sehnsucht wandte Dionys

Sich dieser Ordnungen Betrachtung zu,

Daß er, wie ich, sie unterschied und nannte.

Zwar ist Gregor dann von ihm abgewichen;

Doch hatt' er kaum das Aug' in diesem Himmel

Geöffnet, als er selber sich verlachte.

Erschloß ein Sterblicher solch ein Geheimnis

Der Erdenwelt, so soll dich das nicht wundern;

Denn dies und andre Wahrheit dieser Kreise

Entdeckte ihm wer sie gesehn hier oben. –

Quelle:
Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Berlin [1916], S. 397-401.
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La Commedia / Die göttliche Komödie: I. Inferno / Hölle Italienisch/Deutsch
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